Ludwig Bechstein
Deutsches Sagenbuch
Ludwig Bechstein

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486. Fische auf Bäumen

Die freundliche Stadt Waltershausen am Fuße des Thüringer Waldes, nicht weit von Reinhardsbrunn, Schnepfental und dem Inselberge, führt in ihrem sehr alten Stadtwappen einen Karpfen auf drei Bäumen. Dort war vorzeiten oben vor dem Walde am Fuße des Strömelberges eine schöne Quelle, welche in die Stadt geleitet war. Eines Tages aber ergoß sie einen so furchtbar starken Wasserstrom, daß die Stadt und die ganze Gegend völlig überschwemmt wurde und alles zitterte und zagte, denn in vielen Häusern füllte das Wasser die untern Stockwerke, und da sie zum Teil keine obern hatten, war das gar schrecklich. Als das wilde Wasser sich in etwas verlaufen hatte, fand man Fische, Karpfen, Aale und Forellen, auf den Bäumen, und darum nahm zum ewigen Gedächtnis dieser Flut die Stadt den Karpfen auf Bäumen zum Wappen und Wahrzeichen an. Damit nun solche Wassersnot nicht wiederkehre, denn die Quelle quoll noch immer überstark, ließ der Stadtrat einen Klostermönch von Reinhardsbrunn herüberkommen, daß er die Quelle stopfe. Der ging hinauf, stopfte einen Samt- oder Kuttenärmel hinein und versprach sie, da hörte sie gar auf zu fließen; der Ort heißt noch bis heute der Samtärmel oder der Kuttenärmel. Da nun der Ärmel kein Tröpflein Wassers mehr ausfließen ließ, war guter Rat wieder teuer, und es hat hernach die Stadtgemeinde der Dorfschaft Wahlwinkel ihren Bach abgetauscht um ein Stück Tannenwald und ihn nach der Stadt geleitet. Selbiges war klug und weise, sonst gäbe es kein Wasser zu Waltershausen und könnte das dortige gute Bier nicht gebraut werden.

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