Ludwig Bechstein
Deutsches Sagenbuch
Ludwig Bechstein

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313. Die tote Braut

Es war ein Brauer zu Braunschweig, der hatte eine schöne Tochter, und diese liebte von Herzen einen jungen Kaufmann aus Bremen, und die Liebenden beide schwuren einander im Leben und im Tode treu zu sein, und wer die Treue bräche, den solle der andere Teil noch im Grabe mahnen dürfen. Nun mußte der Kaufmann von dannen reisen, in der Welt sein Glück zu machen und zeitlich Gut zu erwerben, und blieb länger aus, als seine Geliebte hoffte. Der Vater aber hatte ohnedies diese Liebe nicht gern gesehen und sich einen Schwiegersohn gewünscht, der baß verstände, gute Braunschweiger Mumme zu brauen, und da er einen hübschen und geschickten Werkmeister hatte, so wollte er, dieser und kein anderer solle sein Schwiegersohn werden, und die Tochter mußte sich diesem von ihr nicht geliebten Mann verloben. Aber bald darauf warfen Sehnsucht und Gram sie auf das Krankenlager, von welchem sie nicht wieder aufkam. Kaum war sie begraben, so kam ihr früherer Bräutigam an, erfuhr, daß seine Braut als die Verlobte eines andern gestorben sei, und konnte der Sehnsucht nicht widerstehen, sie noch einmal zu sehen. Er verleitete daher den Totengräber durch Geld, heimlich das Grab wieder aufzuschaufeln und den Sarg zu öffnen. Als dies geschehen war, lag das Mägdlein, bleich und schön, mit einem Kranz um die Stirne im himmlischen Frieden, der vom Angesicht der Toten uns anblickt, und da sprach der Jüngling: O meine liebe, liebe Braut, konntest du wirklich mein vergessen? So mahne ich dich bei unserm dreimal heiligen Schwur an dein mir gegebenes Gelübde! Als der junge Kaufmann diese Worte gesprochen hatte, ist die Tote erwacht und hat die Augen aufgeschlagen und geseufzt: Dein, nur dein, im Leben und im Tode, und hat ihre Arme erhoben und fest um ihn geschlungen. Da ist der Totengräber vor jähem Schreck umgefallen, und als er wieder zu sich kam, siehe, da war der Sarg leer und von den beiden Liebenden keines mehr zu sehen gewesen, und nie hat wieder jemand etwas von ihnen erfahren. Da nun diese Geschichte in der Leute Mäuler kam, schämte und ärgerte sich der zweite Bräutigam, der Mummebrauer, über alle Maßen, zumal er bei sich dachte, die ganze Sterbe- und Begrabe- und Aufgrabesache möchte wohl nur ein abgekartet Spiel gewesen sein, ihm die Braut zu entreißen, und wußte sich nichts Besseres zu raten, als dem Teufel die Sache in die Schuhe zu schieben, der so immer alles getan haben soll, was die Menschen Unrechtes oder Dummes taten und tun. Ließ derohalben ein abscheulich Zerrbild schnitzen und am Hausgesimse, recht vor aller Augen, fest machen, da sah man ein Mägdlein aus einem Sarge steigen und dem Teufel mit dem Pferdefuß die Hand reichen, und ließ auch einen nicht weniger überaus abgeschmackten Spottreim darunter schreiben, der gerade schmeckte wie saure Mumme. Lange hat das alte Haus gestanden mit Reim und Bildwerk, endlich ist's abgebrochen worden, aber die Sage davon lebt noch im Volke zu Braunschweig immerdar fort.

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