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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Am folgenden Tage erwachte und frühstückte ich frühe. Hierauf schickte ich mich an, da mir eine Reihe von Stunden völlig zur Verfügung stand, die sehr schattenhafte Bekanntschaft mit meiner Geburtsstadt zu erneuern.

Es war ein für Rom sehr kalter und grauer Dezembermorgen, der wenigstens ganz im Einklang mit meiner gegenwärtigen, düsteren Umgebung stand. Ich hatte bereits von meinem Schlafzimmer aus einen Blick auf Berninis Elefanten geworfen, der einen Obelisk auf seinem Rücken trägt. Das mitten auf dem Platze stehende Denkmal hatte zum Hintergrunde die düstere, alte Fassade von Santa Maria Sopra Minerva. Hier stand ich noch dem vierzehnten Jahrhundert gegenüber. Aber zur Rechten führte mich eine enge Gasse in wenigen Augenblicken in das Augusteische Rom. Und mit andächtiger Scheu bewunderte ich den großartigen Tempel aller Götter – Agrippas Pantheon, das trotz der Zerstörungen so vieler Jahrhunderte, heute noch stolz, so gut wie unberührt, dasteht und in vielen Hinsichten das vornehmste Bauwerk darstellt, das uns vom alten Rom erhalten geblieben ist.

Ich wußte, daß der Korso zu meiner Rechten liegen mußte; so behielt ich diese Richtung einige Minuten bei und gelangte auf die Piazza Colonna und den Korso selber. Nunmehr war ich auf bekanntem Boden. Es fielen mir bloß geringe Veränderungen auf, nur daß die Läden und Cafés größere und freiere Verhältnisse aufwiesen, als früher. Dasselbe war mit der Via Condotti und der Piazza di Spagna der Fall, wo ich mich augenblicklich wieder zu Hause fühlte. Ich schlug die Via Babuino ein, nur wenige Schritte indes, und stand nun vor meinem Geburtshause, in das auch der Leichnam meines Vaters nach dem Duell mit Vittorio Frangipani verbracht worden war. Als ich mich wieder daran erinnerte, schossen mir so dunkle und böse Gedanken durch den Kopf, daß ich mich gerne wieder auf die Piazza zurückbegab. Von da stieg ich die breite Treppenflucht zur Kirche Trinitià dei Monti hinan und betrat, mich bei der Villa Medici zur Rechten wendend, die Gärten des Monte Pincio, wo augenblicklich die Ruhe auf meine brütenden Gedanken sich herabsenkte. Hier hatte ich an vielen Nachmittagen stundenlang als Kind in der Sonne gespielt. Wie seltsam bekannt mir das alles vorkam! Die breiten Wege, die langen Reihen von Marmorbüsten, die Brunnen, die Denkmalgruppen in weißestem parischem Marmor, das vornehme Belvedere, von wo aus man die wundervolle Aussicht auf den träg dahinziehenden Tiber, die Engelsburg und den mächtigen Petersdom in verschwommener Ferne hat.

Alle bitteren Gefühle, alle tödlichen Rachegedanken verschwanden aus meinem Geiste, als ich eine Stunde lang mich wieder in die Tage meiner Kindheit zurückversetzt fühlte. An jeden Gegenstand knüpfte sich irgend eine Erinnerung. Ich wußte, daß, wenn ich mich zu jener feierlichen Gruppe von Steineichen und Zypressen dort im Hintergrund des Gartens hinüberbegab, ich über die aurelianische Mauer hinüber einen Blick in den herrlichen Park der Villa Borghese tun könnte, wohin mich meine Bonne einmal mitgenommen hatte, um Veilchen zu pflücken. Gerade einen Steinwurf von da hatte mir die schöne Königin Margherita einmal eine Kußhand zugeworfen, als sie in ihrem Wagen vorüberfuhr. Wie mich die alten Erinnerungen von allen Seiten bestürmten! Ich konnte mich kaum von dem lieblichen Fleck Erde losreißen. Ich hatte daran gedacht, die Via Giulia und den Palazzo Frangipani aufzusuchen, aber ich ließ den Gedanken wieder fahren. Punkt elf Uhr stieg ich die stattliche Treppe hinab, die zur Piazza del Popolo führt, und einen Augenblick später stand ich vor dem Hotel de Russie.

Dann entschwanden meine Träume, oder, richtiger gesagt, sie wurden rasch von anderen abgelöst, als ich eifrigen Blickes die Fenster des Hotels der Reihe nach absuchte, in der Hoffnung, die schöne Gräfin zu sehen. Rasch sah ich indes ein, daß dies ein närrisches Vorgehen war, bummelte den Korso hinab, setzte mich für eine Weile in das Café Colonna und kehrte zehn Minuten vor zwölf Uhr ins »Minerva« zurück.

Punkt zwölf Uhr wurde ich benachrichtigt, daß eine Dame mich zu sprechen wünsche. Sie erwartete mich in ihrem Wagen vor dem Portal. Im nächsten Augenblicke saß ich neben ihr, und der Wagen fuhr davon.

Es hat mir so leid getan, sagte sie, daß ich keine Gelegenheit hatte, Sie noch einmal im Zuge zu sehen. Diese Leute hingen an mir wie Kletten. Das hat mich so fürchterlich gelangweilt. Aber es ist besser so.

Ich nickte.

Gewiß, sagte ich.

Hier können wir frei reden und unsere Pläne besprechen, fuhr sie fort.

Aber, erwiderte ich, ich habe keine Pläne. Ich überlasse alles Ihnen. Ist das nicht Ihr Wunsch?

Gewiß. Ueberlassen Sie mir den Anfang! Sollte mich der Erbgraf irgendwie mit Gewalt behandeln, so werde ich ihn Ihrer zärtlichen Behandlung übergeben. Ich denke, Sie wüßten schon, wie mit dem Herrn umzugehen ist!

Wollte Gott, ich hätte Gelegenheit dazu! entgegnete ich grimmig lächelnd. Ich würde diesem Menschen am liebsten die Knochen entzwei schlagen.

Oh, wie schrecklich blutdürstig Sie sind! bemerkte sie. Ich möchte Ihnen nicht empfehlen, so weit zu gehen, aber eine angemessene Züchtigung würde er schon verdienen. Ich meine eher –

Eine saftige Tracht Prügel!

Nun, ja, wie Sie das benennen wollen. Etwas in der Art hat er jedenfalls verdient.

Ich will sehen, was sich tun läßt, sagte ich. Und wo ist nun diese Via Giulio?

Wir sind bereits da, sagte sie. Es ist eine schreckliche Straße, viele Jahrhunderte alt, schauerlich. Aber warten Sie erst einmal, bis Sie den Palazzo sehen! Sie werden sich dann fragen, was in aller Welt ein Bostoner Mädchen dazu bringen könnte, eine Million Dollars für das Recht zu bezahlen, mit einem Menschen zu leben, der nie etwas vom »Vierten Juli« Nationalfeiertag der Amerikaner. gehört hatte, in einer Art vergoldetem Newgater Gefängnis.

Ich schaute zum Wagenfenster hinaus und sah, daß die Straße nicht viel breiter als eine Gasse war. Ich konnte keine Trottoirs sehen. Die Straße war mit Kieseln gepflastert. Auf beiden Seiten starrten graue Mauern empor, mit eisenvergitterten Fenstern, und sie standen an einigen Stellen so nahe beieinander, daß ich sie mit ausgestrecktem Arme hätte berühren können.

Plötzlich hielt der Wagen.

So, da wären wir, sagte sie, und als ich den Schlag öffnete und rasch hinaussprang, fügte sie rasch hinzu: Warten Sie einen Augenblick! Das Tor ist verschlossen.

Ich benützte diese kurze Gelegenheit, um den Palast der Frangipani ins Auge zu fassen. Es war eine ungeheure, finstere Masse, durch die Jahrhunderte geschwärzt. An der Ecke eines engen, zum gelben Tiber hinabführenden Viccolos erbaut, stimmte er wenig mit meiner bisherigen Vorstellung von einem Palaste überein. Er ragte so hoch in die Lüfte, daß nur ein schmaler Streifen des grauen Himmels darüber sichtbar wurde. Das Erdgeschoß war aus mächtigen, möglicherweise vom Kolosseum stammenden, schwarzen, verwitterten Quadern erbaut, die hundert Generationen hindurch von den Eisenachsen der vorüberfahrenden Fuhrwerke verkratzt worden waren. Darüber erhoben sich mächtige Fenster, vom Ruß der Jahrhunderte überzogen und mit Eisenstangen vergittert, die mit Stacheln gespickt waren. Das eigentliche Portal, auf das die Gräfin angespielt hatte, war hoch und breit und schwerfällig, mit rundköpfigen Eisenbolzen reichlich beschlagen.

All dies erfaßte ich mit einem einzigen, verständnisvollen Blick und seltsamerweise fragte ich mich, was wohl der ehrenwerte Mimms von all dem halten würde, wenn er hier wäre.

Links ist eine Glocke! sagte die Gräfin. Ziehen Sie, bitte, 'mal recht kräftig daran!

Ich folgte ihrer Aufforderung und hörte innen einen entsprechenden Glockenton, der von einem Kirchturm zu kommen schien. Ein Schieber öffnete sich in dem einen Portalflügel. Die Gräfin sprang aus dem Wagen und eilte zu dem Schieber.

So, Ihr seid es, Filippo? sagte sie. Ihr erinnert Euch doch meiner, der Contessa Maria? Oeffnet sofort das Portal!

Und als die mächtigen Flügel langsam aufschwangen, begann ich mich zu fragen, wie in aller Welt ich je ohne die Beihilfe der Gräfin Eintritt zu dieser grimmigen alten Festung erlangt haben würde. Sie gab dem Kutscher ein Zeichen, und der Wagen fuhr in den großen Hof ein, der auf drei Seiten doppelte Säulenreihen und, Stockwerk über Stockwerk, Galerien bis unter das Dach aufwies.

Ist der Conte zu Hause? fragte sie.

Filippo, ein grauhaariger, alter Hausmeister in schäbiger Livree, verbeugte sich tief und bedauerte, daß der Conte verreist sei.

Dies setzte uns beide für einen Augenblick in Erstaunen, aber sie ließ sich nichts anmerken und sagte nur:

So? Schade. Doch macht das nicht viel aus. Ich möchte Pasquale sehen. Er ist noch hier, wie ich annehme?

Gewiß. Pasquale ist noch da.

Der alte Portier trippelte zu einem hohen Portikus auf der linken Seite des Hofs und zog eine Glocke.

Es dauerte einige Zeit, bis das Zeichen beantwortet wurde. Dann öffnete sich das große Tor, und ein schöner, weißhaariger, alter Mann blickte einen Augenblick erstaunt auf die Gräfin. Dann verbeugte er sich, wie Filippo, tief und sagte:

Contessa, das ist eine große Ueberraschung und ein noch größeres Vergnügen!

An dieser Stelle muß ich erklären, daß Pasquale ein altes Inventarstück der Familie Frangipani war und die Rolle eines Majordomus im Palaste versah.

Danke, Pasquale. Freut mich, Sie wieder zu sehen, der Conte ist, wie ich von Filippo höre, verreist. Das ist ein Freund von mir aus London. –

Pasquale verbeugte sich in der Richtung gegen mich.

Und da der Conte nicht da ist, fuhr ich fort, möchten wir uns ein wenig mit Ihnen unterhalten.

Wir standen in einem geräumigen Vestibül; eine mächtige Marmortreppe füllte es der ganzen Breite nach aus und führte zu den Staatsräumen im ersten Stock.

Pasquale schien erst ein wenig erstaunt zu sein, verbeugte sich aber von neuem und stieg, uns voraus, feierlich die Treppenflucht hinan. Oben hielt er, offenbar nachdenklich, inne. Wir befanden uns in einem langen, geräumigen Gang mit gewölbter Decke, auf den sich eine ganze Reihe prächtiger Empfangsräume eröffneten. All das sah sehr großartig aus, zweifellos, aber es erschien mir sehr kalt und dumpf und schrecklich bedrückend.

Wenn Ihre Exzellenz und Ihr englischer Freund geruhen wollen, meine kleine Wohnung zu besuchen, sagte er, so werden Sie es angenehmer finden, als hier. Ich habe eingeheizt und –

Gerade, was wir wünschen, sagte die Gräfin, und ich war ganz erstaunt, mit welcher Leichtigkeit sie Italienisch plauderte. Führen Sie uns auf alle Fälle dorthin!

Pasquale führte uns den großen Korridor hinab, bis wir bei einem engeren Gang anlangten; diesem folgten wir, dann ging es über eine Dienerschaftstreppe zu einem Treppenabsatz, der sein Licht durch ein Fenster erhielt, von dem aus der ganze Hof zu übersehen war. Von hier aus führte er uns in ein gemütliches Zimmerchen, wo in einem offenen Kamin ein lustiges Feuer brannte.

Als wir uns gesetzt hatten, begann die Gräfin ohne alle Umschweife mit der Frage:

Und nun, Pasquale, ist die Contessa Elena hier?

Er schien durch die Frage nicht im geringsten in Verlegenheit zu geraten. Traurig schüttelte er das Haupt und sagte:

Also haben Eure Exzellenz von den traurigen Neuigkeiten gehört?

Nein, meinte die Gräfin. Ich habe gehört, sie sei hier, weiß aber nichts von traurigen Neuigkeiten, was ist denn geschehen?

Zwei Tage sind es her. Sie wurde auf Befehl des Grafen hieher verbracht, der sie, wie es scheint, in London in einer höchst erbarmungswürdigen Verfassung entdeckt hat. Sie hat ihren Verstand völlig verloren. Und ebenso ihr Gedächtnis. Und so war sie ganz gewöhnlichen, schlechten Menschen in die Hände gefallen, die ihr alles, selbst ihre Kleider geraubt haben. Die göttliche Vorsehung allein ließ den Grafen zufällig von ihrem schrecklichen Schicksal hören. Er errettete sie aus der Gewalt ihrer Peiniger und sandte sie nach Rom zurück. Eine traurige, eine schrecklich traurige Geschichte!

Die Gräfin und ich tauschten empörte Blicke aus.

Das ist es in der Tat, in einem gewissen Sinne, sagte sie, aber wer, Pasquale, hat Ihnen diese wunderbare Geschichte erzählt?

Der Alte blickte in bestürztem Staunen auf.

Der Signor Salviati, antwortete er.

Und wer ist, bitte, der Signor Salviati?

Ein Freund des Erbgrafen, sein Sekretär, glaube ich. Er ist es, der die Contessa Elena mit einer englischen Wärterin zurückgebracht hat.

Sie wandte sich mir mit verwunderter Miene zu und sagte auf Englisch:

Heiliger Gott! Eine englische Wärterin! Haben Sie je von einer solchen Niederträchtigkeit gehört? Was sollen wir tun?

Sofort die Wärterin kommen lassen, antwortete ich.

Die Gräfin faßte den nun sichtlich bestürzten Pasquale ins Auge.

In welchem Teil des Palastes ist die Contessa Elena untergebracht?

In dem Flügel am Tiber, den Eure Exzellenz früher bewohnt haben.

Freut mich auf alle Fälle, dies zu hören. Gehen Sie jetzt diese englische Wärterin rufen und sagen Sie ihr, daß ein englischer Arzt und Maria Contessa di Frangipani sie sofort in wichtiger Angelegenheit zu sprechen wünschen. Führen Sie sie hieher, Pasquale!

Der alte Diener verbeugte sich stillschweigend und verließ das Zimmer.


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