Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundzwanzigstes Kapitel

Wenn es Ihnen recht ist, meine Herren, sagte Frau Simpkins, will ich rasch hinausgehen und es ihm sanft beibringen. Denken Sie nicht, daß es so besser ist?

Gewiß, sagte ich, aus alle Fälle. Es handelt sich um ein ehrliches Geschäft; wenn wir etwas erhalten, wollen wir es auch bezahlen. Mein Freund, Herr Scrubbs, wird ein Auge zudrücken und gewisse Tatsachen, die Herrn Simpkins betreffen, auf sich beruhen lassen, wenn er uns behilflich sein will, diese alte Dame ausfindig zu machen. Nicht wahr, Herr Scrubbs?

Gewiß, pflichtete mir Dick bei. Simpkins ist natürlich, wie wir wissen, nicht sein wirklicher Name, Madame.

Ihnen bleibt ja nichts verborgen, Herr Scrubbs!

Nicht das geringste, meinte Dick, aber das tut nichts. Ihr Mann, Madame, ist, soviel ich weiß, ein ganz guter Kerl, der nur auf Abwege geraten ist.

Durch schlechte Gesellschaft, Herr Scrubbs.

Gewiß, durch schlechte Gesellschaft. Die alte Geschichte, Frau Simpkins! wenn Sie ihn also hieher bringen, und er mir gegenüber offen die Wahrheit aussagt, wird er nicht in Unannehmlichkeiten geraten, verstehen Sie?

Jawohl.

Aber wenn er es versuchen sollte, mich zu hintergehen –

Das wird er nicht, Herr Scrubbs. Ueberlassen Sie das mir! Ich werde ihn in ein oder zwei Minuten hier hereinbringen. – Damit verschwand sie aus dem Zimmer.

Bei ihrer Rückkehr folgte ihr ein hübscher, junger Mensch, der etwa dreißig Jahre alt sein mochte. Er war nicht im geringsten verlegen, als er das Zimmer betrat.

'n Tag, meine Herren, sagte er heiter. Meine Frau sagt mir eben, daß Sie alle näheren Umstände betreffs des kleinen Geschäfts vom Pontifex Square kennen, und daß nichts weiter herauskommt und ich 'was verdienen kann, wenn ich Sie auf die Spur der alten Dame bringe.

Ganz richtig, Herr Simpkins, erwiderte ich. Klären Sie uns darüber auf, und Ihre Teilnahme an der Geschichte soll nicht nur vergessen sein, sondern es wird auch eine Fünfzigpfundnote bei dem Handel für Sie herausschauen.

Gut, das sind sehr vernünftige Bedingungen in jeder Einsicht, sagte er, aber unglücklicherweise für mich weiß ich selber nicht sehr viel davon. Ich war sozusagen an der Geschichte gar nicht beteiligt. Ich hatte nichts dabei zu tun, als die Mauer zu durchbrechen und die Möbel beiseite zu schieben, und selbst jetzt noch bin ich mir nicht ganz im Klaren darüber, worum es sich im Grunde gehandelt hat.

Aber Sie müssen doch die Unterredung der zwei anderen Herren mit angehört haben, sagte ich.

Natürlich, teilweise – sie sprachen Italienisch oder sonst eine fremde Sprache. Das war zu hoch für mich, verstehen Sie mich?

Gewiß. Nur weiter!

Um offen zu sein, glaubte ich, es handle sich um einen Diebstahl. Damals wenigstens. Wohl Juwelen oder sonst etwas, das im Nebenhause versteckt sei; ich schob die Möbel in jener Nacht beiseite, um die zwei einzulassen, und als sie nur mit einer alten Frau in einem rotseidenen Schlafrock zurückkehrten, war ich höchlich erstaunt. Sie schlug mit den Füßen wie ein junges Pferd um sich, bis sie sie ihr zusammenbanden. Reden konnte sie nicht, da sie geknebelt war. Sie hüllten sie in der Himmel weiß wieviel Kleider und Teppiche ein und begaben sich dann wieder ins anstoßende Haus. Ich folgte ihnen, aber das schien sie nicht zu kümmern. Dort sah ich, wie sie alle Schachteln und Schubladen auf den Boden leerten und suchten und suchten, ohne daß sie offenbar fanden, was sie wollten. Und aus der Art, wie sie die Arme bewegten und Achseln zuckten und mit den Zähnen knirschten, ersah ich, daß sie innerlich schauderhaft fluchen mußten.

Sprachen Sie denn gar nichts? fragte ich.

Kein Sterbenswörtchen. Sie schienen zu wissen, was sie finden wollten, und als sie es nicht fanden, kamen sie zurück und ließen alles auf dem Boden liegen, wie sie es aus den Laden gerissen, während sie die alte Frau die Treppe hinabtrugen, rückte ich die Möbel wieder zurecht, und als ich ihnen ein paar Minuten später folgte, hörte ich den Mann, der sich Salviati nennt, mit dem Kutscher reden, – die alte Frau und der andere waren bereits im Wagen – ich hörte, wie er »Putney« sagte. Ein Wort, das er noch zuvor aussprach, konnte ich nicht verstehen. Damit sprang er ebenfalls in den Wagen, und dieser rollte davon.

Er gab keine nähere Adresse an? fragte ich.

Das Wort hatte ich, wie gesagt, nicht verstanden. Es klang wie »Montpelier« oder ähnlich. Da mich indes die Geschichte sonst nichts mehr anging, habe ich mich auch nicht weiter darum gekümmert. Daher weiß ich auch nicht, ob »Montpelier« oder wie es hieß, eine Straße drunten in Putney ist, und ob gar die alte Frau dort gefangen gehalten wird. Sie können sich vielleicht auf der Post erkundigen, ob es in Putney eine Montpelier – oder ähnliche Straße gibt. Und nun, meine Herren, kann ich Ihnen nichts mehr weiter sagen, und wenn Sie mir eine Million Pfund bieten würden!

An dieser offensichtlich ehrlichen und freimütigen Aussage war nichts zu deuteln, was immer für Vergehen Simpkins auf dem Gewissen haben mochte, ich war in diesem Falle wenigstens felsenfest überzeugt, daß seine Worte auf Wahrheit beruhten.

Ich versprach ihm daher, ihm den klingenden Beweis meines Vertrauens zu seiner Wahrheitsliebe demnächst zusenden zu wollen, und verließ das Haus 37 der Penelope-Terrasse, von der Hoffnung und Zuversicht erfüllt, daß, bevor viele Tage verflossen sein würden, die arme alte Gräfin aus den Händen ihrer Feinde befreit wäre.

So, Dick, sagte ich, als wir nun außer Hörweite waren, das Programm hat sich glänzend abgewickelt. Das haben wir fein angezettelt.

Ausgezeichnet, mein Junge. Du hast ja ein großes und unerwartetes Talent bei dem Schauspiel an den Tag gelegt, gleich von Beginn an. Dieser Simpkins ist nicht halbwegs ein so schlimmer Geselle. Aber trotzdem habe ich ihm nicht sonderlich imponiert. Der weiß bombensicher, daß ich kein Detektiv bin, und auf mein Wort! – es war noch recht höflich von ihm, mich nicht zu blamieren.

Da ich derselben Meinung war, schwieg ich, und Dick fuhr fort:

Nun, Perigord, da meine Neugier mächtig erregt ist und ich in diesem Spiel eine Karte in der Hand halte, was meinst du, wenn wir rasch nach Putney hinausfahren und uns an Ort und Stelle ein wenig nach der Bedeutung des geheimnisvollen »Montpelier« umsehen würden?

Einverstanden, antwortete ich prompt.

Eine halbe Stunde später langten wir in der fraglichen Vorstadt an.

Im Bahnhof wandte ich mich an einen Portier.

Kennen Sie Putney genau? fragte ich.

Das will ich meinen! Ich wohne seit fünfzehn Jahren hier.

So, wirklich? Dann wissen Sie wahrscheinlich, ob es hier einen Montpelier –

Nein, Herr, unterbrach er mich. Ein Hotel Montpelier gibt's hier nicht. Der »Weiße Löwe«, denke ich, würde für die Herren schon besser passen – erste Straße rechts, nahe bei der Brücke!

Ich bedankte mich, gab ihm ein kleines Trinkgeld für seine eilfertige Unterbrechung meiner Frage, und als wir weiter gingen, sagte ich zu Dick, immer noch über das Mißverständnis des Portiers lächelnd:

Das war ein Reinfall! Dem Simpkins wäre das nicht passiert. Ich beginne in meiner Achtung zu sinken. Komm, gehen wir aufs Postamt!

Wir erkundigten uns nach dem Wege dahin und fanden dort zu unserer angenehmen Ueberraschung kein hochnäsiges, sondern ein recht liebenswürdig lächelndes Fräulein am Schalter.

Es gebe in Putney, soviel mir bekannt sei, eine Montpelierstraße, erklärte ich ihr in freundlichster Weise, aber leider wisse ich nicht mehr genau, wo sie liege.

Montpelierstraße? Nein. Das gebe es in Putney nicht. Montpelier? Montpelier? Ob ich so freundlich sein wolle, einen Augenblick zu warten. Der Name komme ihr bekannt vor, und sie wolle sich doch erkundigen.

Damit verschwand sie in einem Nebenzimmer.

Binnen kurzem kehrte sie mit der Erklärung zurück, daß Montpelier der Name eines sehr alten Hauses in Holly Tree Lane sei, etwa zwei bis drei Minuten vom Postamt entfernt. Jedermann könne mir den Weg zeigen; aber, fügte sie hinzu, das Haus sei nicht bewohnt. Es sei seit mehreren Jahren abgeschlossen, und, wie es heiße, zum Einstürzen baufällig.

Ich wechselte einen Blick des Einverständnisses mit Dick, bedankte mich sehr herzlich bei der jungen Dame und begab mich mit Dick wieder auf die Straße.

Nun, was sagst du dazu? fragte ich.

Reizend, und verteufelt schöne Augen dazu!

Ich habe nicht von dem Mädchen gesprochen, du Schwärmer, sondern von der Auskunft, die sie uns gegeben hat. Ich rede von dem baufälligen Haus.

Am besten suchen wir es auf, ehe wir eine Meinung äußern. Auf jeden Fall wird die Sache immer interessanter, und ich bin riesig gespannt.

In diesem Augenblick kam ein Polizist des Weges. Ich wandte mich an ihn und erhielt sofort die gewünschte Auskunft.

Wir fanden, daß der »Holly Tree Lane« benannte weg dem Blicke großenteils hohe Backsteinmauern bot, über die riesige Ulmen und Wallnußbäume herüberragten; sonst war wenig zu sehen. Es dauerte nicht lange, bis wir ein morsches Holztor entdeckten, von dem die Farbe beinahe völlig durch Wind und Wetter abgewaschen war. Auf dem rostigen Schildchen unter dem Glockenzug war der Name »Montpelier« eingegraben.

Da wären wir ja, Dick, sagte ich, und versuchte das Tor aufzustoßen, was mir indes nicht gelang. Es war sorgfältig zugesperrt.

Bis hieher hat uns Simpkins geführt, meinte Dick, wir werden uns schon mehr um die Lokalität kümmern als er. Wie lang bist du, Perigord?

Ohne Schuhe einen Meter sechsundachtzig, erwiderte ich.

Breite dementsprechend, fügte er hinzu.

Man behauptet es wenigstens!

Gut. Es ist trocken heute, meine Stiefel sind nicht schmutzig. Halte daher dein verehrliches Haupt gegen die Mauer – halt ein wenig! so! – und wenn ich mein Geld nicht völlig weggeworfen habe, das ich für Turnunterricht ausgegeben habe, werde ich einen Blick über die Mauer da werfen. Sie ist höchstens etwas über drei Meter hoch.

Im nächsten Augenblick stand er auf meinen Schultern.

Bravo, Dick! sagte ich, und nun, was siehst du?

Einen riesigen Garten, verwahrlost und verwachsen, erwiderte er, und ungefähr dreißig Meter weit hinten ein Gebäude, das richtige Bild trostloser Verwahrlosung. Je bälder es abgerissen wird, desto besser. Herrgott! Es schaudert mich förmlich. In dem Hause könnte kein Mensch wohnen.

Da du schon mal oben bist, bemerkte ich, – und du hast ein gutes Gewicht! – so sieh dir die Sache nur recht genau an. Gar nichts Verdächtiges zu sehen?

Nein – doch halt! rief er plötzlich aus. Da steigt ja aus einem der Kamine Rauch auf! Das genügt. Halte fest! Ich komme herunter.

Im nächsten Augenblick stand er wieder neben mir.

Sonnenklar, daß jemand in dem gottverlassenen Hause ist, sagte er. Darüber, Perigord, müssen wir nachdenken.

Mehr als nachdenken! setzte ich hinzu.

Allerdings, pflichtete er mir bei, aber diesen Nachmittag können wir weiter nichts tun. Da kommt jemand den Weg herunter. Am besten, wir drücken uns. Wir können ja auf den Vorschlag des Portiers am Bahnhof eingehen und uns in den »Weißen Löwen« verfügen.

Das taten wir denn auch.


 << zurück weiter >>