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Italienische Novellen. Dritter Band
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Michele Colombo

1747 – 1830

Der Mönch als Esel

In vielen Gegenden Italiens sah man in früheren Zeiten auf dem Gipfel eines entlegenen Hügels eine einsame Hütte errichtet, die man Einsiedelei nannte. Man sieht solche zuweilen noch heutzutage, doch sind sie sehr selten geworden. Diese Hütten waren bewohnt entweder von einem einzigen oder von zwei oder höchstens drei Männern, die dort ein einsames Leben führten und ihren Unterhalt durch Almosen erwarben, die sie von Woche zu Woche in den umliegenden Dörfern und in den benachbarten Städten einsammelten. Sie bekannten sich zu keiner Ordensregel, wiewohl sie Mönchskleider trugen, sondern hielten sich, wie Sankt Benedikt sich ausdrückt, nach ihrer Phantasie, indem sie für gut und heilig erklärten, was mit ihren Wünschen übereinstimmte, und für unerlaubt erachteten, was ihnen nicht behagte. Manche von ihnen lebten allerdings untadelhaft in ihren Einsiedeleien; deren Zahl aber war nicht bedeutend.

In der Treviser Mark lebte vor nicht gar langer Zeit in einer solchen Einsiedelei ein ehrwürdiger Greis, der sich zurückgezogen hatte, um Buße zu tun für seine jugendlichen Übertretungen, und hatte ganz allein daselbst wohl fünfzig Jahre hingebracht in langen Entsagungen und fortwährender Selbstpeinigung. Weil er aber in seinen gebrechlichen Tagen fremden Schutzes bedurfte, entschloß er sich, in seine ärmliche Wohnung zwei andere Eremiten aufzunehmen, von denen einer Teodelindo, der andere Arsenio hieß. Teodelindo war ein allerliebstes Eremitchen und gewann sich durch die Holdseligkeit seines Wesens alle Herzen und erhielt von jedem, was er wollte. Der andere Eremit war ein lebenslustiger, heiterer Spaßvogel, dessen Kopf voll Schnurren und wunderlichen Einfällen steckte; er überlistete die Leute und brachte sie dahin, ihm seine Wünsche zu erfüllen, ohne daß sie es nur merkten. Die beiden lustigen Brüder durchzogen die Umgegend an bestimmten Tagen, um Brot, Wein und alles, was ihnen sonst vonnöten war, zu erbetteln, und ich kann versichern, daß sie mit guter Ernte in ihre Einsiedelei zurückkamen.

Eines Tages begab es sich unter anderem, daß die zwei Einsiedler, die nach ihrer Gewohnheit Almosen suchend durch das Land gezogen waren, gegen Abend ihre Schritte nach ihrer Behausung zurücklenkten; da erblickten sie einen an einen Baum gebundenen Esel, der von niemand bewacht war. Er gehörte einem armen Landmann jener Gegend, namens Gianni, der, um sich und seine kleine Familie zu erhalten, ein kleines Gütchen bewirtschaftete. Alle Zeit, die er erübrigte, brachte er in einem nahe gelegenen Wäldchen zu, woselbst er sich mit Holzvorräten versah. Er belud damit seinen Esel und führte das Holz nach Haus; von dort aber brachte er es von Zeit zu Zeit nach der Stadt und kaufte mit dem daraus erlösten Geld seine sonstigen Bedürfnisse. Dieser Gianni war ein plumper und so einfältiger Mensch, daß man ihm hätte weismachen können, in gewissen Ländern hätten die Esel Flügel und flögen wie die Adler. Dieser Mensch nun hatte sein Lasttier vor dem Walde stehen lassen und war bereits hineingegangen, als die Eremiten dort ankamen. Sie waren heute schon lange zu Fuß gewandert und zwar auf schlüpfrigen und schmutzigen Pfaden. Da sie nun volle Quersäcke trugen, wurden sie von Müdigkeit geplagt und konnten kaum noch ihre Schritte weiter führen. Als daher Arsenio den Esel sah, fiel ihm ein völlig neues Auskunftsmittel ein. Er wandte sich zu seinem Gesellschafter und sagte lachend: »Was würdest du zahlen, Teodelindo, wenn du das Tier bekämest, um dir diesen Quersack zu tragen?«

»Wahrhaftig«, antwortete dieser, »das käme mir jetzt gerade gelegen; ich kann fast nicht mehr weiter.«

»Nun sage mir, Bruder«, fügte der andere hinzu, »scheint es dir angemessen, daß ein rüstiges Lasttier in Ruhe und müßig dasteht, während wir, ermüdet, wie wir sind, zu Fuß diese Last nach unserer Einsiedelei schleppen sollen? Siehst du nicht, daß die göttliche Vorsehung selber uns auf diesen Esel hat stoßen lassen? Und wir wollen auch das Gute, das sie uns vorsetzt, nicht ausschlagen.«

Er trat zu dem Eselein hin, legte seinen Quersack auf seinen Rücken und forderte den andern Eremiten auf, das gleiche zu tun. Dann band er das Tier vom Baume los und zog ihm den Halfter ab, legte diesen dann um seinen eigenen Hals und band sich selbst hin in der Weise, wie früher das Lasttier angebunden gewesen war. Darauf wandte er sich zu Teodelindo und sprach: »Geh, Bruder, und bringe die Last in die Einsiedelei! Bist du dort, so sagst du dem ehrwürdigen Alten, ich sei vor Müdigkeit nicht mehr vorwärts gekommen und habe mich bei einem braven Manne einquartiert, der mich menschenfreundlich aufgenommen hat; dir habe er, damit du alles Brot mitnehmen könnest, freundlich diesen seinen Esel geliehen, den wir ihm künftige Woche, wenn wir wieder des Weges kehren, zurückbringen können. Was mich betrifft, so sagst du ihm, daß ich im Laufe des morgenden Tages mit Gottes Hilfe nachzukommen hoffe.«

Teodelindo kam die Sache so seltsam vor, daß er zu träumen glaubte; und wiewohl er von dem andern schon allerhand tolle Streiche gesehen hatte, so schien ihm doch dieser so ganz eigentümlich, daß er fürchtete, der arme Arsenio habe den Verstand verloren. Er sah ihm fest mit weit aufgerissenen Augen ins Gesicht und konnte nichts sagen und tun.

»Nun vorwärts«, fuhr jener halb erzürnt fort, »mache, daß du weiterkommst! Jede kleine Zögerung könnte unsere Sache verderben. Für mich laß du nur mich selber sorgen! Vielleicht steht mir dieser Halfter nicht so übel zu Gesichte, wie du glaubst. Ich habe dir mehr als einmal bewiesen, was ich durchzuführen imstande bin. Verlaß dich vollständig auf mich und tue, was ich dir aufgegeben habe!«

Er sprach dies mit solcher Entschlossenheit und Zuversicht, daß der andere sich sogleich fügte und sprach:

»Nun gut, da du es willst, will ich es tun. Denke du an das übrige!«

Er trieb das Eselein vor sich hin und ging weiter; und als er bei dem Einsiedel war, richtete er genau aus, was ihm sein Genosse aufgetragen hatte. Dem alten Eremiten tat es erst leid um Arsenio; doch kam er am Ende zu dem Schlüsse, da Gott die Dinge immer aufs beste lenke, müsse man sich in allen Stücken seiner Fürsorge fügen und müsse ihm danken, daß er dem mitleidigen Bauern ins Herz gegeben habe, einen so erschöpften Einsiedel aufzunehmen und dem andern seinen Esel zu leihen, damit schnell der Mundvorrat herbeigeschafft werden konnte, dessen er so sehr benötigt war.

Gianni hatte unterdessen sein Holz gesammelt und in kleine Bündel gebunden und verließ den Wald, um den Esel zu beladen. Als er nun einen Eremiten an seiner Stelle sah, rief er: »Herr Gott, steh mir bei!«

Er war ganz außer sich, die Haare standen ihm zu Berge, er schlug ein Kreuz und fürchtete alles Ernstes, es möchte eine Posse sein, die ihm der Teufel spiele. Aber er dachte wieder, des Teufels Großmutter hätte doch nicht die Gestalt eines frommen Einsiedlers angenommen, und so beruhigte er sich einigermaßen: doch ließ sein Erstaunen noch nicht nach, und er glaubte, er sei verrückt geworden. Als der Einsiedel die Verwunderung und das Entsetzen Giannis wahrnahm, hielt er mit Mühe das Lachen zurück; doch zügelte er sich und sprach zu dem braven Landmann: »Du wunderst dich höchlich, mein Sohn, über das, was du jetzt siehst, und du hast wohl Ursache dazu. Wie sehr wirst du dich aber nun erst wundern, wenn du hörst, was ich dir jetzt sagen will. Tritt zu mir ohne Furcht, mein Sohn! Hier ist nichts für dich zu fürchten, wiewohl wir unsern Herrn Gott sehr preisen und seine geheimen Gerichte bewundern dürfen. Du glaubtest einen Esel in deinem Stalle zu haben und besaßest in seiner Gestalt ein armes Eremitchen, wie ich bin.«

»Was sagt Ihr?« rief nun der mehr als je erstaunte Gianni den Einsiedler unterbrechend, »was sagt Ihr, mein Vater?«

»Ich sage dir nichts als die Wahrheit«, versetzte Axsenio. »Aber wenn du willst, daß ich dir erzähle, wie dies zugegangen ist, so mache mich zuerst von dem schimpflichen Bande los, das mir noch um den Hals geschlungen ist! – Denke nicht«, fuhr er fort, als ihm der Halfter abgenommen war, »daß der Mensch, welch ein heiliges Leben er hienieden führe, sündenfrei werden kann! Die menschliche Hinfälligkeit ist so groß, die Gelegenheiten zum Sündigen sind so zahlreich, die Versuchungen so stark und anhaltend, daß er nur schwer widerstehen kann. Und wenn er auch aus der Welt flieht und in der Einsamkeit lebt, so geht doch das Fleisch mit ihm und stachelt ihn mit seinen Verführungen überall. Daher ist es kein Wunder, wenn er manchmal der Versuchung erliegt und in Sünden verfällt selbst in den der Frömmigkeit bestimmten Freistätten. Auch ich hatte das Unglück zu sündigen, und meine Sünden waren der Art, daß die Gerechtigkeit Gottes, um mich zu strafen, mich in ein gemeines Lasttier verwandelte. In diesem Zustand leistete ich so schwere Buße, wie du weißt, bis es der himmlischen Barmherzigkeit am Ende gefiel, mich aus einem so verworfenen Zustande zu erheben und mich zur Würde der menschlichen Natur herzustellen.«

Gianni schenkte Arsenios Worten vollständig Glauben; er erinnerte sich an alles das, was das unglückliche Tier von ihm zu leiden gehabt hatte, und spürte darüber bittere Reue. Er warf sich vor ihm auf die Knie und sprach fast weinend: »Mein Vater, wollt Ihr mir die Schläge verzeihen, die Ihr von mir bekommen habt und deren Zahl unendlich war, und ebenso all die Flüche, die aus meinem Munde über Euch ausgestoßen wurden? Dies tut mir nun um so mehr leid, als ich gegen die frommen Eremiten die tiefste Verehrung hege.«

Arsenio hob ihn freundlich auf und antwortete lächelnd: »Betrübe dich nicht, lieber Sohn: denn indem du auf meinem Rücken trommeltest und mir mit dem Stecken die Rippen zähltest, wie du oft tatest, peinigtest du eben nur mein Fleisch, wie es Gottes Wille war. Dieses war aufrührerisch wider ihn geworden, und das Recht verlangte, daß es gezüchtigt würde, um es zu seiner Pflicht zurückzuführen. Und ich sage dir, daß du mir hierin einen vortrefflichen Dienst geleistet hast; denn je rauher und rüstiger du die Stockschleuder führtest, um so mehr beschleunigtest du den Zeitpunkt meiner Befreiung, indem sich meine Buße um so schneller vollendete. Weit entfernt daher, dir darüber böse zu sein, muß ich dir dafür ja vielmehr Dank wissen. Und ich verspreche dir, wenn ich in meine Zelle zurückkomme, will ich deiner gedenken; ich werde nie unterlassen, Gott so heiße Gebete für dein Bestes darzubringen, daß, wenn du auch jetzt den Schaden hast, ohne Esel sein zu müssen, der himmlische Segen dir das reichlich einbringen soll, der sich auf deine kleine Hütte herablassen wird, um deine Tage zu erfreuen und zu erheitern. Darum, mein Sohn, nimm frohen Mutes dein Holz auf den Rücken und zieh hinweg! Gott sei mit dir!«

Gianni versetzte: »Ei, wollt Ihr nicht heute nacht bei mir herbergen? Der Himmel wird schon dunkel, und Ihr tut nicht wohl daran, Euch um diese Stunde auf den Weg zu machen.«

»Du hast recht«, antwortete der Einsiedler; »aber wie sehr muß mir der Anblick der Herberge zur Beschämung gereichen, wo ich so schmählich lange Zeit verlebt habe?

In jedem Falle aber, da die Erduldung einer solchen Schande mir ein Anlaß sein wird zum Verdienste vor Gott, bin ich gerne damit einverstanden. Gehen wir!«

Nach diesen Worten machte er sich mit Gianni auf den Weg nach seiner Behausung. Während sie nun in heiteren Gesprächen des Weges gingen, lenkte Arsenio listig das Gespräch auf Giannis Familie und erlangte, ohne daß dieser es merkte, allmählich Kunde von seinem Weibe, seinen Kindern und seinem Vater. Als sie daher in das Haus traten, tat er, als kenne er alle Anwesenden, und fing an, bald mit diesem, bald mit jenem zu sprechen, als bestünde zwischen ihnen eine lange Bekanntschaft. Darüber waren alle erstaunt, und um seine Freude noch zu erhöhen, sagte der Einsiedler, er wundere sich höchlich, daß er ihnen ungewohnt vorkomme, da er doch lange Zeit in diesem Hause gelebt habe. Gianni bekräftigte diese Aussage des Eremiten, und nachdem er sie alle eine Weile ihrem Staunen überlassen hatte, erzählte er ihnen, wer das gute Eremitchen sei, und unter welcher Gestalt er bei ihnen geweilt habe. Ein hochbetagter Mann, der Vater Giannis, ein junges Weib, seine Frau, und zwei Knäbchen, ihre Kinder, bildeten die ganze einfältige Familie. Alle standen da mit offenem Munde, hochgeschwungenen Brauen und ohne mit einem Augenlid zu zucken, als sie diese Erzählung vernahmen. Man hätte in diesen bäurischen Gesichtern eine Mischung von Verwunderung, Andacht und Heiterkeit und gleichzeitig von Reue und Mitleid lesen können. Sie bedachten die langen Mühsale, die der arme Esel erduldet hatte, die spärliche Nahrung von schlechtem Stroh oder noch schlechterem Heu oder den geringsten Kräutern, wie man sie als Unkraut aus dem Garten ausgerissen hatte, die man ihm in die Krippe zu werfen pflegte, und die Prügel, womit jeder von ihnen ihn zerschlagen und zerschunden hatte. Zum Ersatz dieser schlechten Behandlung bemühten sie sich nun, ihm den möglichst freundlichen Empfang zu bereiten. Sogleich wurden zwei Hühner geschlachtet, die einzigen, die sie im Stall hatten; mit ihnen und anderem, was im Hause war oder was von anderwärts besorgt wurde, wurde ein leckeres kleines Abendessen veranstaltet und erheitert durch einen würzigen Wein, den Gianni eifersüchtig in einem Fäßchen verwahrte, den er aber seinem Gaste zu Ehren heute nacht springen lassen wollte. Inmitten der Speisen und vollen Becher gab sich der von Natur heitere Eremit der Freude dermaßen hin, daß er alle auf das höchste ergötzte durch seine artigen Witze und Erzählungen von den seltsamsten und wunderlichsten Dingen von der Welt. Und obgleich er die Klugheit hatte, von Zeit zu Zeit durch erbauliche Worte die heitere Gesellschaft zum Ernste zurückzurufen, um sich als ebenso fromm und gottesfürchtig wie lustig und spaßhaft zu erweisen, konnte er doch sich nicht so weit bewachen, daß nicht mit der Zeit in Giannis Innerem ein gewisser Verdacht gegen seinen Gast auflebte, und dies geschah, weil Arsenio mit seiner Frau Cecca, die in ihrer Art etwas in die Augen Fallendes hatte, sich lieber zu unterhalten schien als mit den andern. Andererseits war auch Cecca neben ihrer Verehrung für die Mönche überhaupt auch noch von den lustigen Späßen Arsenios aufgeregt und schoß ihm feurige Blicke zu, was ihr Mann, Gott weiß wie, mehr als einmal bemerkt hatte. Deshalb konnte er sich am Ende nicht mehr halten und sprach zu dem Einsiedler: »Mein Vater, man sieht wohl, wie sehr Ihr nötig habt, Euer Fleisch zu kreuzigen. Heute abend ist es, da Ihr ihm ein wenig nachgegeben habt, wieder störrisch geworden und bringt Euch in Gefahr, wieder in Sünde zu verfallen. Wenn das frische Gedächtnis Eurer überstandenen Erniedrigung Euch so schlecht bewahrt vor den Reizen des Fleisches, so prophezeie ich Euch mit großen Bedauern, daß Ihr große Gefahr lauft, wieder Eselsgestalt anzunehmen und vielleicht in ganz kurzem. Daher rate ich Euch, morgen früh in Eure heilige Einsiedelei zurückzukehren und diese nie mehr zu verlassen, vielmehr ohne Unterbrechung Euer Fleisch selbst zu peinigen, wenn Ihr nicht wollt, daß es von andern wieder gepeinigt werde.«

Es ist in der Tat zu verwundern, wie die Lebendigkeit mancher Leidenschaften oft imstande ist, den Verstand auch bei solchen zu schärfen, bei denen er sonst ganz trübe und stumpf ist. Gianni, über dessen Lippen nie andere Worte gekommen waren, als wie man sie von einem rohen und derben Manne erwarten konnte, stachelte das spitze Schwert der ruchlosen Eifersucht dermaßen seinen schläfrigen Sinn auf, daß er sich auf kurze Zeit aus seiner natürlichen Schlafsucht aufrütteln ließ. So kam es, daß er durch eine Art von Wunder wie ein listiger und höchst umsichtiger Mann sprach. Der Eremit merkte aus Giannis unerwarteten Worten, daß er auf seiner Hut sein und mit zuchtvollen Reden und wohlbewachten Handlungen der Abtötung des Fleisches ausweichen müsse, wie er denn fortan den ganzen Rest des Abends tat.

Am folgenden Morgen nahm er nach einem kleinen Frühstück Abschied, kehrte in die Einsiedelei zurück und sagte zu dem ehrwürdigen Alten, daß dem braven Manne, der ihn heute nacht aufgenommen habe, hernach noch die Eingebung geworden sei, ihnen das Eselchen zu schenken, das er gestern Teodelindo geliehen habe. Der ehrliche Einsiedel pries die Handlung der Christenliebe von Seiten des frommen Landmanns; weil es den Leuten aber hätte scheinen können, es passe nicht wohl zu dem frommen Bettelstande und zu dem harten Leben, das sie führen mußten, wenn sie sich einen Esel zur Erleichterung ihrer Mühen hielten, woraus eine Erkühlung in der Liebe der Gläubigen gegen sie entstehen konnte, erklärte er klüglich, es wäre besser, den Esel zu verkaufen, da sie ja auch bisher ohne einen solchen ausgekommen seien. Er übergab ihn daher einem ehrlichen Manne, der oft in die Einsiedelei kam, damit er ihn auf den Markt führe.

Zufällig war an demselben Tage auch Gianni daselbst. Er sah seinen Esel und erkannte ihn alsbald an einem der Ohren, das ein wenig verstümmelt war. Er war sehr betrübt, trat zu ihm hin, näherte sich seinem Ohre, um insgeheim mit ihm zu sprechen, und sagte ganz leise: »Ach, lieber Vater, hat das aufrührerische Fleisch Euch schon wieder einen schlimmen Streich gespielt? Ich hab' es Euch doch vorhergesagt, daß es so kommen werde.«

Der Esel, als er das Geflüster in seinem Ohre vernahm, schüttelte mit dem Kopfe, als wollte er Nein sagen. »Leugnet es nicht«, antwortete Gianni wieder ihm ins Ohr. »Ich erkenne Euch nur zu gut: Ihr seid derselbe.«

Der Esel schüttelte den Kopf.

»Ei, so lüget doch nicht«, versetzte der ehrliche Kerl mit etwas gehobener Stimme, »lügt nicht, Vater! Das Lügen ist eine Sünde. Ihr seid es. Ich erkenne Euch wider Euern Willen. Es ist viel besser, Ihr gesteht es. Ihr wißt ja, eine Sünde, die man gebeichtet hat, ist schon halb vergeben.«

Die Leute, die einen Menschen mit einem Esel ein Zwiegespräch führen sahen, hielten jenen für verrückt und stellten sich um ihn her; um ihn zu foppen, fragte ihn einer dies, der andere das. Gianni gab nun Antworten zum Totlachen und behauptete steif und fest, es sei kein Esel, sondern ein unglücklicher Einsiedel, der durch die Gebrechlichkeit des Fleisches schon wenigstens zweimal in einen Esel verwandelt worden sei. Er fing dann von vorne an und erzählte die ganze Geschichte von dem Eremiten, der wegen seiner Sünden zum Esel geworden sei. Bei dieser Erzählung entstand denn ein schallendes Gelächter, und Gianni war den ganzen Tag das Gespötte aller Marktleute. Wer es schon gesehen hat, wie der Eule ein ganzer Schwärm von Vögeln nachzieht, die sie mit tausend Tönen und Gezwitscher umschwirren, mag sich das Schauspiel vorstellen, wie man diesem Tölpel auf Schritt und Tritt nachlief, und wie die Menge ihn umschwärmte, die mit Spaßen und schallendem Gelächter sich wunderbar an ihm ergötzte. Am Ende redete ihm einer im Scherze zu, das unglückliche Tier wieder anzukaufen, es mit Korn und dem besten Heu, das er habe, zu füttern, und ihm eine möglichst gute Behandlung angedeihen zu lassen zum Ersatze der Unbill, die er ihm vorher angetan. Der Rat gefiel Gianni; er kaufte den Esel und nahm ihn mit nach Hause.

Wie staunten der Alte, Cecca und die beiden Knaben, als sie ihren alten Esel wiedersahen! Wer vermöchte den freundlichen Empfang zu schildern, den sie ihm widmeten, und die Pflege, die sie ihm angedeihen ließen! Nie ward ein Esel auf der Welt besser genährt und mehr gehätschelt. Auch ward in kurzem sein Fleisch fett, seine Haut glatt und glänzend, wie die eines Hermelins. Allein das schändliche Tier war nun so unverschämt und nahm so üble Gewohnheiten an, daß es nicht allein dem Alten, sondern auch dem Weibe, den beiden Söhnlein, ja Gianni selbst sehr zur Last zu werden begann. Es biß heftig, stieß mit den Füßen und schrie so laut Tag und Nacht ohne Aufhören, daß es allen wirklich unausstehlich geworden war. Gianni hatte sich unterdessen eine Eselin zu seinen Geschäften gekauft; der gemästete Esel aber zerriß mehr als einmal den Strick, womit er an die Krippe gebunden war, und belästigte die gute Eselin. Wie sehr die ehrlichen Leute hieran ein Ärgernis nahmen, ist unschwer einzusehen, und alle ihre sonstige Bekümmernis schien gar nichts in Vergleich mit dieser. Am Ende sah Gianni ein, daß das schlimme Tier alle Tage böser wurde und, wenn das gottlose und garstige Leben fortdauerte, nie wieder in seinen früheren Zustand zurückkäme, woran er sich selbst die Schuld beimessen zu müssen fürchtete, da weder Eremiten- noch Eselsfleisch das Verzärteln leiden kann; er erkannte die Notwendigkeit, dieses Fleisch recht tüchtig zu peinigen, wie er sonst mit so großem Vorteil und mit Billigung Arsenios selber getan hatte; er nahm daher von neuem seine Zuflucht zum Prügel und zu Hieben. Aber sei es, daß der Herr Esel, allzu weichlich gewöhnt, eine übermäßig zarte und feine Körperbeschaffenheit bekommen hatte, oder daß Gianni im Eifer mit seiner Strenge etwas über die Pflicht hinausging, – der unglückliche Esel konnte eine so harte Zucht nicht ertragen und war in kurzem Todes verblichen. Die ehrlichen Leute beweinten die ewige Verdammnis des unglücklichen Einsiedels, der zweimal, wie sie glaubten, zum Esel geworden und ohne Reue gestorben war über ein verwünschtes Laster, gegen das die armen Einsiedler nie zu sehr auf der Hut sein können, die ja, wie Gianni bemerkte, auch aus Fleisch und Bein gebaut sind, wie andere Menschenkinder.


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