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Italienische Novellen. Dritter Band
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Giovanni Battista Giraldi

Der Gang nach der Löwengrube

(Schiller, Der Gang nach dem Eisenhammer)

Zu der Zeit, da Sultan Selim in Konstantinopel herrschte, raubten die Korsaren einen schönen, aus Korfu gebürtigen Jüngling namens Lamprino und brachten ihn ihm zum Geschenke dar, der sich durch den Anblick dieses Christensklaven so gerührt fühlte, daß er, wider seine sonstige Gewohnheit, ihn nicht töten ließ, obwohl er ihn um keinen andern Preis als unter der Bedingung vom Tode freigab, daß er den wahrhaften Glauben, in dem er geboren und damals bis zu dem Alter von fünfzehn Jahren erwachsen war, abschwöre.

Von seinem zarten Alter und seinen geringen Erfahrungen, zumeist aber von der Furcht vor dem Tode, diesem schrecklichsten der Schrecken, verführt, entschloß sich der junge Mensch in dem Bewußtsein, sich in der Gewalt eines so grausamen Mannes zu befinden, zwar äußerlich den Heiland zu verleugnen und Mohammed mit Worten und Gebärden anzubeten; aber in seinem Herzen blieb er der Christusreligion nach wie vor getreu.

An Schönheit und innerem Werte gedeihend, erlangte Lamprino die Gunst des Königs mit der Zeit in immer höherem Grade; da es denn aber nicht anders sein konnte, als daß demnach viele ältere und höhere Diener um seinetwillen zurückgesetzt wurden, so zog ihm eben sein gutes Glück viele Neider und Hasser zu.

Unter den anderen Leuten des Hofes lebte auch einer, der Zelimo hieß und, weil er bei dem Sultan Selim in großen Ungnaden stand, eigentlich immerdar gefährdet war, sein Leben zu verlieren.

Wie nun dieser Zelimo sah, daß Lamprino so viel über den König vermochte, kam er auf den Gedanken, ob er sich diesen nicht durch seine Vermittlung auch wohl wieder geneigt machen könnte. Er ging deswegen eines Tages zu ihm, klagte ihm sein großes Mißgeschick und ersuchte ihn um den Freundschaftsdienst, den König dahin zu bewegen, daß er ihn wieder als seinen getreuen Kämmerling bei sich aufnehme, der er früherhin gewesen sei. Er versprach Lamprino dagegen, einer solchen Wohltat nimmermehr gegen ihn uneingedenk zu werden und ihm zeitlebens dafür dankbar zu bleiben.

Lamprino war von Natur menschenfreundlich und wohlwollend und versah sich also nicht so bald dieser Gelegenheit, Zelimo beizustehen, als er ihm auch bereitwillig das Versprechen ablegte, für die Erfüllung seines Wunsches alles zu tun, was ihm irgend möglich sei, und, sodann seine Zeit wahrnehmend, eine Fürbitte für ihn beim König einlegte.

Als der König seinen Günstling Lamprino so warm für Zelimo sprechen hörte, sagte er: »Du kennst seine Natur nicht so wie ich. Glaube nicht etwa, daß ich ihn aus bloßer Abneigung aus meinem Dienste entfernt habe: nein, ich tat es, weil er mir dazu nicht würdig genug erschienen ist. Desungeachtet will ich nicht, daß du sagen sollest, ich hätte dir eine deiner Bitten jemals nicht erfüllt. Es soll geschehen, was du wünschest, nicht darum, weil ich anderer Meinung über Zelimo geworden wäre, als ich bisher gewesen bin, sondern damit du selbst erkennest, wie unwert er des Amtes ist, das du für ihn ansprichst.«

Lamprino erwiderte: »Ich bin weit entfernt, mein hoher Herr, Euch verleiten zu wollen, etwas gegen Euren Willen zu tun; denn mein ganzes Sinnen und Trachten ist nur dahin gerichtet, Euch zu Gefallen zu leben; aber ich bin überzeugt, daß Zelimo Euch fortan der getreueste Diener sein wird, und habe ihm meine Verwendung bei Euch nicht eher zugesagt, als bis er mir dies feierlich selbst bestätigte.«

»Nun denn«, sprach Selim, »weil es dir so scheint, will ich desselben Glaubens sein; du wirst aber sehen, daß wir uns beide täuschen.«

Er gestattete Lamprino hierauf, Zelimo vor ihn zu führen, den er, wie er ihm auch sagte, um Lamprinos Fürbitte willen huldreich empfing, zugleich aber ernstlich ermahnte, sich inskünftige also zu betragen, daß Lamprino seinen ihm bewiesenen Edelmut nie zu bereuen habe.

Zelimo entgegnete: »Ihr sollt mit mir zufrieden sein, mein Gebieter.«

Er hatte aber nicht so bald seinen alten Dienst wieder angetreten und es so weit gebracht, daß er glauben konnte, das Vertrauen des Königs wiedererlangt zu haben, als er ausschließlich nur mit dem Gedanken umging, wie er, zum Danke für die von Lamprino empfangene Wohltat, den König dergestalt gegen ihn aufbringen möchte, daß er ihm den Tod geben ließe. Er hielt nämlich gegenwärtig mit Gewißheit dafür, in der Gunst des Königs so hoch gestiegen zu sein, daß er, wenn es ihm gelänge, Lamprino beiseite zu schaffen, der erste am ganzen Hofe werden würde. Vielerlei verderbliche Anschläge gegen den Unschuldigen in seinem Sinne erwägend, schwankte er eine lange Weile hin und her, welchen er ausführen würde. Denn da er die große Liebe des Königs zu Lamprino wohl beachtete, so konnte er sich allerdings nicht verhehlen, daß, wenn es ihm nicht gelänge, diesem eine Schuld aufzubürden, die den König auf das äußerste gegen ihn erzürne, er sich der Früchte seiner Bosheit in seinem ganzen Leben nicht würde erfreuen dürfen. Seine böse Absicht mittlerweile in sein Innerstes verschließend, behielt er stets den äußern Schein der Dankbarkeit gegen Lamprino bei, erspähte aber deshalb nicht weniger eifrig die Gelegenheit, sein Gift wider ihn auszulassen. Und siehe da, das Schicksal, diese Zerstörerin alles menschlichen Glückes, veranstaltete, daß ihm der König selbst einen Fingerzeig gab, seinen lang gesonnenen Verrat zu verwirklichen.

Es befand sich unter Selims Frauen eine, die ursprünglich Christin gewesen, nachdem sie aber, wie Lamprino, von den Korsaren aufgebracht und dem Könige zugesendet worden war, ihren alten Glauben gegen den Mohammedanismus abgeschworen hatte. Diese war als eine der schönsten Frauen des Serails dem Könige über alles lieb und wert; und weil Selim unsäglich eifersüchtig war, sein vollstes Vertrauen aber vor allen seinen Dienern in Lamprino gesetzt hatte, so gab er dem jungen Weibe ihn zum Kämmerer und machte es ihm zur Pflicht, sie wie seinen Augapfel zu behüten. Lamprino versprach es ihm und hielt sein Versprechen um so mehr, als er in Erfahrung gebracht hatte, daß Tamulia seine Schwester war; daher lebte er mit ihr in brüderlicher Vertraulichkeit, ohne freilich die sie verbindende nahe Blutsverwandtschaft irgendeinem anderen Menschen anzuvertrauen. Der undankbare Zelimo aber, der es mit dem mißgünstigsten Auge angesehen hatte, wie Lamprino die Obhut über Tamulia zuerteilt worden war, gedachte vielleicht gerade durch dieses Mittel seine Pläne zur Reife zu bringen und fand also in seiner Betrübnis darüber selbst den Samen zu seiner höchsten Fröhlichkeit. Kaum hatte er nämlich wahrgenommen, daß Tamulia Lamprino liebevoll begegnete und eines das andere häufig beschenkte, als er sich entschloß, mittelst dieses Verhältnisses Selims Gemüt in solcher Eifersucht zu entzünden, daß diese ihn verleiten sollte, Lamprino umbringen zu lassen. Da nun der Verräter überdies auf Lamprinos Anstiften von dem Posten eines geheimen Kämmerlings zu dem eines Geheimschreibers des Königs befördert worden war, als welcher er mit dem letzteren in der äußersten Gemeinschaft stand, die nur ein Diener bei seinem Herrn erlangen konnte, so benutzte er die Gelegenheit, eines Tages, da Selim gesprächsweise Lamprinos mit großem Lobe gegen ihn gedachte, ihm zu sagen: »Ein wie seltener Fall es in der Welt ist, daß ein Herr seine Diener richtig schätzt, weil er in der Regel den Getreuesten mißtraut, während er hingegen die Ungetreuen seines Vertrauens würdigt, dessen seid Ihr jetzt selber ein lebendiger Beweis, mein Gebieter, weil Eure ungemessene Huld gegen Lamprino in der Voraussetzung fortbesteht, daß er ein Inbegriff all der Tugenden sei, deren trüglichen Anschein er gegen Euch zur Schau getragen hat, derweil er in Wahrheit der nichtswürdigste aller bübischen Knechte ist, die nur jemals die Wohltaten ihrer allzu gütigen Herren mit Undank vergalten.«

Sowie Selim Zelimo solchermaßen reden hörte, antwortete er rasch darauf, in Beachtung dessen, was alles Lamprino für ihn getan hatte: »Ist dies, mein Lieber, der gute Wille, mit dem du Lamprino lohnst, dem du alles zu verdanken hast, was du bist?«

»Ich verkenne gewiß nicht meine Verpflichtungen gegen Lamprino«, antwortete Zelimo, »und wofern dies das einzige Bedenken wäre, das ich zu beobachten hätte, würde ich geschwiegen haben. Aber da ich Euch noch mehr als ihm schuldig bin und wohl oder übel sehen muß, wie er Euch hintergeht, so macht es mir meine Euch gelobte Treue zur Pflicht, Euch die Wahrheit auszusagen.«

»Und aus welchem Grunde«, sprach Selim, »bist du der Meinung, daß mir Lamprino ungetreu sei? Mir hat er bis zu dieser Stunde auch nicht den leisesten Verdacht erregt.«

»Weil Euer günstiges Vorurteil für ihn«, fiel ihm Zelimo in die Rede, »das Auge Eures Verstandes so sehr geblendet hat, daß es seinen Verrat in der wichtigsten Angelegenheit Eures Hofes nicht erblickt.«

»Was scheint dir die wichtigste Angelegenheit unsers Hofes zu sein?« fragte Selim.

»Die Lamprino anvertraute Obhut über Tamulia«, sprach Zelimo scharf: »deren äußerster Gunst er mit so gutem Glücke nachstrebt, daß er sie wohl schon erworben haben würde, hätte nicht bis jetzt noch die Furcht vor Eurem Zorne seinen zügellosen Willen gebändigt, der indessen nichtsdestoweniger, da auch das härteste Weiberherz andrängenden Liebesbitten nicht auf die Dauer widersteht, sein schmähliches Ziel am Ende erreichen wird.«

Indem er Tamulias Namen nennen hörte, wurde Selims Antlitz feuerrot. »Du behauptest also«, sprach er, »Lamprino sei im buhlerischen Einverständnisse mit Tamulia?«

»So ist es, Herr«, entgegnete Zelimo dreist, »und wenn Eure edle Zuversicht Euch, wie gesagt, bisher nicht selbst betrogen hätte, so würde die Art und Weise, wie die Strafbaren miteinander umgehen, Euch schon längst verraten haben, wessen meine gegenwärtige Anklage sie beschuldigt. Ich verwundere mich gar nicht, daß ein Mensch von einem fremden Volke und eines so ganz anderen Glaubens als der unsere Euch die Treue bricht. Die Christen sehen uns ebensowohl für ihre Erbfeinde an, wie wir sie für die unsrigen, und sie machen sich nach den Gesetzen ihrer Religion sogar ihrem Gotte desto angenehmer, je größeren Schaden und je größeres Leid sie uns antun. Lamprino ist ein Christ und Tamulia eine Christin; sie sind beide aus Korfu, wie wir wissen, und also überdies Landsleute; wie sollte es da nun nicht leicht geschehen können, daß sie ihm nicht minder als Euch selbst angehörte? Sie können ja auch Kinder miteinander zeugen, die Ihr für Eure eignen Kinder anseht, und die mit der Zeit einmal Eure Nachfolger auf dem Throne des Ostens werden, worauf sie, als von christlichen Eltern entsprossen, wohl den Samen des christlichen Glaubens hier in diesen Landen aussäen, um unsere heilige Religion als ein wucherndes Unkraut auszujäten.«

Der König, der Tamulia wie seine eigene Seele liebte, wurde zwar durch diese mit teuflischer Schlauheit auf ihn berechneten Worte nach und nach mit dem glühendsten Argwohn erfüllt; dennoch aber wollte er nicht eher seine Rache nehmen, als bis er sich durch den eignen Augenschein selbst überzeugt hätte, daß er dazu berechtigt sei. Er entgegnete: »Ich werde fortan, Zelimo, wie du mir es rätst, mit offenen Augen schauen und den Treubrüchigen, wie er es verdient, bestrafen, sobald ich ihn für schuldig erkennen muß. Finde ich dagegen, daß du ihn unschuldigerweise bezichtigtest, wie ich dies denn um der Wohltaten willen, die dir Lamprino erwiesen, noch unmöglich glauben kann, so gedenke ich, an dir ein Beispiel für andere zu stiften, wie unendlich hassenswert das Laster der Undankbarkeit in meinen Augen ist.«

»So mag es geschehen, mein Gebieter«, sprach Zelimo, indem er entlassen wurde.

Von nun an hegte der König die Schlange der Eifersucht in seinem Busen und sah alles Tun und Lassen Lamprinos und Tamulias mit ebenso befangenen als vorher mit unbefangenen Augen an, und es konnte daher nicht fehlen, daß sich ihm die falsche Anklage bald in seiner eignen Überzeugung bestätigte. Er ging eines Tages im geheimen zu Zelimo und sprach zu ihm, dem diese Nachricht die angenehmste wurde, die er noch im ganzen Verlaufe seines Lebens vernommen, womit er also bewies, daß der Samen des Argwohns in keinen fruchtbareren Boden als in das Herz eines leidenschaftlich liebenden Mannes fallen kann: »Ich habe deine Worte zu mir in betreff Lamprinos geprüft, Zelimo, und für wahr erkannt. Und obwohl ich weiß, daß Tamulias Ehrbarkeit ihr nimmer gestatten würde, sich einem anderen Manne als mir hinzugeben, so sehe ich doch dagegen ein, daß Lamprinos Vertraulichkeit mit ihr aus keinem anderen Grunde als aus einem unzüchtigen Verlangen nach dem Besitze ihrer Schönheit entspringen kann. Ich werde deshalb seinem frechen Unterfangen beizeiten Einhalt tun, und um ihm zu zeigen, daß ich ebensowohl den Verrat zu strafen, als die Treue zu lohnen weiß, will ich, daß der Verbrecher, weil er eben nicht würdig ist, durch Menschenhände zu sterben, von wilden Tieren zerrissen werde.«

Selim hielt in einer abgelegenen tiefen Grube eine Menge Löwen und anderer wilden Tiere, an denen er jedesmal, wenn er sie zum Kampfe zusammenlassen wollte, großes Gefallen fand. Einer gewissen Anzahl Wärter lag die sorgfältigste Aufsicht über diese Bestien ob. Er ließ nunmehr einen solchen vor sich rufen und sprach zu ihm: »Ich werde dir diesen Abend einen Boten zusenden, der dich in meinem Namen fragen wird, ob du mein Gebot vollzogen habest? Sobald du diese Worte von ihm vernimmst, gebiete ich dir, daß du ihn greifen und den Löwen zur Speise vorwerfen läßt, ohne dich irgend daran zu kehren, was er dir vielleicht dagegen sagen mag, und wenngleich du ihn für einen meiner vornehmsten Diener erkennen solltest.«

Der Wärter sagte ihm die pünktlichste Befolgung dieses Auftrages zu und entfernte sich, der Ankunft des verheißenen Boten daheim gewärtig. Selim ließ hiernächst Lamprino zu sich kommen, gebot ihm, zu dem Löwenwärter nach der Grube zu gehen und ihn zu fragen, ob er das Gebot des Königs vollzogen habe? Und Lamprino leistete dem alsobald, wenn auch zweifelhaften Sinnes, Folge, da es ihm doch seltsam bedünken wollte, nachdem er von dem Könige erst so hoch erhoben worden, jetzt zu einem Menschen so geringen Standes als Bote entsendet zu werden. Unterwegs von Furcht überkommen, daß ihm ein Unglück bevorstehen möchte, ging er, als schon der Abend dämmerte, von der Straße abseits in ein Gebüsch, das ihm zur Rechten lag, warf sich auf seine Knie nieder und betete, seine Augen zum Himmel aufschlagend und das Herz seinem Erlöser zuwendend, inbrünstig: »Du weißt, o Herr, daß es nur meine Gebrechlichkeit allein verschuldete, wenn ich, mich äußerlich zu dem falschen Glauben Mohammeds bekennend, deine heiligen Gebote übertrat. Es ist mir dein Name dennoch mit unverlöschlichen Zügen in mein Herz eingegraben geblieben, und ich habe dich immerdar im Geiste und in der Wahrheit angebetet. Darum bitte ich dich, daß, wofern dieser mir zuteil gewordene Auftrag meines Gebieters mir Nachteil oder Verderben bringen sollte, du, mein Gott, meine eigene Unwürdigkeit nicht ansehen, sondern mich davon erretten und mir die Mittel und Wege zeigen wollest, wie ich meine Freiheit aus diesem Joche des mohammedanischen Unglaubens wiedererlangen kann, um dir sodann ebenso offenkundig wie jetzt geheim zu dienen.«

Nach diesem Gebete machte er das Zeichen des Kreuzes und lenkte seine Schritte nach dem Orte hin, wo die Löwen aufbewahrt wurden.

Zelimo war in dem Gemache des Königs gegenwärtig gewesen, als dieser dem Löwenwärter jenen Auftrag gegeben hatte, und hatte ihn also vollständig mit angehört. Da sich nun seiner Ungeduld die Stunde, in der er die Gewißheit vom Tode des ihm so verhaßten Lamprino erlangen würde, ins Unendliche zu verzögern schien, so machte er sich, sobald derselbe den verhängnisvollen Gang angetreten hatte, im stillen ebenfalls auf den Weg, um Lamprinos Tod mitanzusehen. Hier veranstaltete jedoch die göttliche Gerechtigkeit, daß infolge eben des Aufenthaltes, den Lamprinos Wanderung durch sein Gebet in dem Gebüsche erlitten hatte, Zelimo vor ihm bei der Löwengrube eintraf.

Der Verräter sah schon von weitem am Eingange der Grube den Wärter stehen, der des Opfers harrte, welches der König durch ihn dem entsetzlichen Tode weihen wollte. Als er ihm nahe gekommen war, trat er höhnisch lächelnd mit der Frage auf ihn zu, ob er das Gebot des Königs schon vollzogen habe?

Der Wärter hatte ihn aber nicht so bald ins Auge gefaßt und seine Frage vernommen, so hielt er sich für überzeugt, daß es Zelimo sei, dem der Auftrag seines Gebieters gälte, und ließ ihn daher durch seine bereitstehenden Knechte ergreifen und ihm die Kleider vom Leibe reißen, um ihn den furchtbaren Bestien unverzüglich vorwerfen zu lassen.

Zelimo verkannte die ungeheure Gefahr nicht, in der er sich befand. Er begann seinen Gott anzurufen, ihm zu helfen, und mit lauter Stimme zu schreien: »Ich bin es nicht, der den Löwen vorgeworfen werden soll, es ist Lamprino! Laßt mich los und wartet, bis er kommt! Er kann nicht mehr weit sein; ihm laßt widerfahren, was ihr mir antun wollt!«

Indessen mochte er sagen, was er wollte, – es blieb vergebens, und er wurde entkleidet den Löwen vorgeworfen, die mit Heißhunger über ihn herfielen und an seinem ganzen Körper kein Glied unversehrt ließen.

Nach einer kleinen Weile kam auch Lamprino bei dem Wärter an. Ehe er aber noch ein Wort hervorbringen konnte, sprach dieser zu ihm: »Ihr kommt gewiß, um Euch zu erkundigen, ob ich die Befehle des Königs vollzogen habe?«

»So ist es«, erwiderte Lamprino und wollte nichts weiter hinzufügen, um abzuwarten, was ihm der Wärter werde anzuhören geben. Dieser fuhr zu reden fort: »Daß an dem, den mir der König vor kurzem zusendete, sein Urteilsspruch vollzogen worden ist, möchtet Ihr hier mit Euren eignen Augen wahrnehmen;« – ließ ihn in die Löwengrube hinuntersehen, wo die Knochen des Bösewichts einzeln und dermaßen abgenagt umherlagen, als ob sie niemals mit Fleisch bekleidet gewesen wären, und zeigte ihm auch Zelimos Kleider vor, an denen Lamprino erkannte, welcher Unglückliche einem solchen Schicksal unterlegen war.

Da er nun recht wohl wußte, wie sehr ihn Zelimo gehaßt hatte, weil dieser eben nicht imstande gewesen war, seinen bösen Willen gegen ihn durchaus verborgen zu halten, so erriet er aus den gegebenen Umständen, wie es sich hatte zutragen können, daß der Verräter selbst hatte den Tod erleiden müssen, dessen Vollstreckung an seinem Feinde er gesonnen gewesen war, sich eine Augenweide sein zu lassen. Der Wärter selbst bestätigte ihm diese Vermutung, indem er zu ihm sagte: »Der zerrissene Schelm da wollte mich noch hintergehen und behauptete, er sei gar nicht der rechte, der den Löwen vorgeworfen werden solle: einen gewissen Lamprino habe der König dazu verdammt; aber ich hielt mich an Selims Worte fest und nicht an die seinigen und habe getan, was mir befohlen war. Dies hinterbringt dem Könige!«

»Das werde ich tun«, antwortete Lamprino und ging von der Löwengrube hinweg, überzeugt, daß ihn der wahrhaftige Gott, den er im stillen anbetete, aus dieser entsetzlichen Lebensgefahr errettet habe; indem er nun seinem Erlöser für diese unverdiente Gnade dankte, faßte er alsobald den Entschluß, nicht länger in dem heidnischen Lande und unter einem so grausamen Könige zu verweilen.

Lamprino war gewohnt, des öfteren einen schnellfüßigen und leicht zu bändigenden Renner zu tummeln, den der König jedesmal bestieg, wenn er sich in die Grube begab, um den Kämpfen der wilden Bestien untereinander zuzuschauen. Er gedachte sich gegenwärtig dieses Rosses zu seiner Flucht zu bedienen und sprach zu dem Knechte, der es mit zu pflegen hatte: »Sattle und zäume sogleich den Renner des Königs! Er hat mir aufgetragen, ihn ihm zuzuführen.«

Der Wärter befolgte dies Geheiß, und Lamprino bestieg auf der Stelle das rasche Tier, mit dem er im schnellsten Jagen die Straße nach Slawonien einschlug. Unterwegs gab er gegen die königlichen Beamten vor, in einem geheimen Auftrage Selims entsendet zu sein, und da er nicht nur auf dem Renner des Königs ritt, sondern auch als dessen vertrautester Diener bekannt war, so ließ man ihn ungehindert bis zu den Christen entfliehen, wo er ungesäumt wieder dem wahren Glauben zuschwor.

Selim hatte es inzwischen für ausgemacht angesehen, daß Lamprino von den Löwen zerrissen worden sei; wie er aber auch Zelimo nicht mehr am Hofe wahrnahm, verwunderte er sich baß darüber und schickte nach ihm aus, worauf er, da ihn niemand finden konnte und am ganzen Hofe kein Mensch war, der etwas von ihm gesehen oder gehört hatte, gar nicht wußte, was ihm möge zugestoßen sein und was er davon denken solle, weil er auch im mindesten nicht die Wahrheit ahnte.

Nach Verlauf einiger Tage kam es dem Könige in den Sinn, die wilden Tiere in den Gruben zu Kämpfen zusammenzulassen, und deswegen ließ er sein schnellfüßiges Roß dem Wärter abfordern. Der Wärter gab zur Antwort: Er habe das Roß Lamprino zugestellt, von dem es ihm im Namen des Königs abverlangt worden sei. Wie nun der Bote seinem Gebieter diese Worte hinterbrachte, rief dieser staunend aus: »Hat denn der Wärter Lamprino nicht den Löwen vorgeworfen?« Er befahl, daß der Wärter vor ihn gebracht würde, und rief ihm bei seinem Eintreten zornig zu: »Warum hast du mit dem Menschen, den ich dir zusendete, nicht nach meinem Gebote getan?«

»Ich habe danach getan, mein König«, erwiderte der Wärter.

»Wie ist das möglich«, fügte der König hinzu, »da du ihm das Pferd zu seiner Flucht gegeben hast?«

»Ich habe das Pferd nicht dem gegeben, der von den Löwen zerrissen werden sollte, sondern Lamprino, der es mir in Eurem Namen abforderte.«

»Er war es ja aber eben, der den Tod erleiden sollte«, rief der König mit Entsetzen aus.

»Ich weiß nicht, wie es damit zugegangen ist, Herr«, sagte der Wärter; »Ihr gebotet mir, denjenigen den Löwen vorzuwerfen, der zu mir kommen und die Worte sagen würde, die Ihr mir zum Wahrzeichen dessen, daß er der rechte sei, selbst angabt. Es kam vom Hofe einer und sagte sie, und ich habe mit ihm nach Eurem Willen getan.«

»Und wer war der Unglückliche?« fragte der König.

»Ich weiß nicht, wie er hieß«, erwiderte der Wärter; »aber seiner Kleidung nach schien er mir ein vornehmer Mann zu sein.«

»Wie war er gekleidet?« fragte Selim weiter.

Der Wärter beschrieb die Kleidung des Zerrissenen, und der König erkannte daran, daß es Zelimo gewesen war. Er erkannte aber zugleich aus den obwaltenden Umständen, daß Zelimo fälschlicherweise Lamprino angeklagt und der gerechte Himmel ihm dagegen den Lohn seiner Undankbarkeit in dem Augenblicke gegeben habe, als es seine Absicht gewesen war, sich an dem Tode seines Schlachtopfers zu weiden.

Da sich nun in der nächsten Folge der Zeit an Selims Hof das Gerücht verbreitete, der König habe Lamprino töten lassen wollen, weil er darauf ausgegangen sei, ihm Tamulia zu veruntreuen, und da dieses Gerücht auch zu Lambrinos Ohren drang, der um keinen Preis dulden wollte, daß der Ruf seiner Treue durch eine solche Anschuldigung beeinträchtigt würde, so schrieb er an Selim, wie ungerechterweise er bei ihm angeklagt worden, weil eben Tamulia seine leibliche Schwester sei; und wie er, um der allzugroßen Leichtgläubigkeit seines Königs willen, die ihn einem so schmählichen Tode ungehört unterworfen, sich nicht habe überwinden können, ferner in seinem Dienste zu leben, sondern wie er vorgezogen habe, sich auf dem königlichen Renner zu flüchten, den er hiermit wohlbehalten zurücksende, damit man von ihm nimmermehr sage, daß er in seinem Dienste irgend etwas veruntreut habe.

Er sendete mit diesem Schreiben und dem edlen Rosse einen zuverlässigen Boten an den König ab, und sobald dieser das erstere empfangen und gelesen hatte, ließ er Tamulia zu sich kommen und befragte sie über ihre Vertrautheit mit Lamprino, worauf er dann, da sie ihm dessen Aussagen bestätigte, das größte Leidwesen empfand, sich eines so getreuen Dieners selbst beraubt zu haben. Er versuchte anfänglich alles mögliche, Lamprino zur Rückkehr in seine Dienste zu bewegen; da dieser aber seine Anerbietungen standhaft von sich wies, so ging der Edelmut des Ungläubigen endlich so weit, daß er die vormalige Treue seines Dieners nicht unbelohnt lassen wollte, sondern ihm, als Zeichen seines dankbaren Gemütes, die reichsten Geschenke übersendete.

Wenige Monate später starb Selim und hinterließ Tamulia große Reichtümer. Unwillig, nunmehr noch längere Zeit in fremden Landen und im Irrglauben zu leben, schrieb sie an ihren Bruder und bat ihn, sie nach ihrem christlichen Vaterlande abzuholen. Lambrino wußte sich von Selims Nachfolger Soliman freies Geleit zu verschaffen, ging nach Konstantinopel und führte seine Schwester nach Korfu über, wo sie, der Welt und alles Irdischen überdrüssig, als Nonne in ein heiliges Kloster ging und ihr ganzes Besitztum ihrem Bruder übergab, der sie zeit ihres Lebens mit allem, was sie benötigte, im Überflusse versorgte und auch an ihr Kloster jederzeit reiche Spenden verabfolgen ließ.


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