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Italienische Novellen. Dritter Band
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Pietro Fortini

1500 – 1562

Die Flamänderin

Es war vor nicht langer Zeit in Siena ein Handwerker, der zu seinem Auskommen eine Spezereibude hielt und dadurch sehr gut sich seinen Unterhalt erwarb. Der junge Mann war sehr hübsch gewachsen, nahm sich schmuck aus und kleidete sich fein. Und weil es ihm in seinem Geschäft so gut ging, erwarb er sich einiges Vermögen. Nun hatte ein ihm ähnlicher Gewerbsmann einige heiratsfähige Töchter, und da er glaubte, dies fehle jenem noch, gedachte er ihm eine Tochter zur Frau geben zu wollen. Seine ausgesuchte Kleidung gefiel ihm sehr: denn er trug immer einen Rock von Atlas, Hosen mit Taffet gefüttert, ganz klein geschlitzt und gespalten, und anderes, wie es die jungen Leute heutzutage der Mode nachmachen. Da nun der andere ihn so reichgekleidet und so nach der Art einhergehen sah, meinte er, er stehe weit besser, als er in der Tat stand, und faßte bei sich den festen Entschluß, ihm diese seine Tochter zur Frau zu geben. Er ließ daher durch einen seiner Freunde mit ihm reden und sie ihm anbieten. Der junge Mann durfte weniger daran denken, sie zu nehmen, als der Vater, sie ihm zu geben. Da er also das Mädchen, um das es sich handelte, mehrmals gesehen hatte und sie ihm außerordentlich gefiel, denn sie war ein sehr schönes Kind, fing Antonio nach kurzer Unterredung an, weit mehr an das Mädchen zu denken als an seine Bude; und da er sich schon die Liebesflammen an das Herz schlagen fühlte, dachte er bald an nichts anderes mehr als an sie.

Der Vermittler war vom Vater des zarten schönen Kindes angetrieben; er brachte Tag für Tag diese Verbindung wieder in Anregung. So hatte Antonio bald mehr Lust dazu als ihr Vater, und in wenigen Tagen war die Sache unter ihnen abgemacht: beide Teile waren zufrieden und trafen Anstalten zur Hochzeit. Man kann sich denken, daß ein eitler junger Mann, der überdies äußerst zufrieden über die Sache war, seinerseits die prachtvollsten Zurüstungen machen ließ, weit mehr als es für seine Verhältnisse sich eignete. Als nun die Hochzeitszeremonien vorüber, sie als Frau gekleidet und die Messen gehört waren, führte er sie nach wenigen Tagen üblicherweise in sein Haus.

Viele, viele Tage lang dachte er nun wenig oder nie an seine Bude oder etwas der Art, bis er zuletzt, wie alle Bräutigame zu tun pflegen, nach einigen Wochen bei einer Zusammenkunft mit seinem Schwiegervater und seinen Schwägern nach dem Heiratsgut zu fragen begann, das sie ihm versprochen hatten. Der Schwiegervater, welcher wohl wußte, daß er hierzu verpflichtet war, hatte dafür vorgesorgt; er setzte einen Vertrag auf und zahlte ihm die ganze Summe aus. Als der junge Gewürzkrämer die Mitgift in Empfang genommen hatte, gedachte er seiner Bude wieder aufzuhelfen und sie instand zu setzen. Nach einigen Monaten entschloß er sich daher, eine Reise nach Venedig zu unternehmen und daselbst Gewürze einzukaufen, wie es die meisten Gewürzkrämer machen, die haushälterisch zu Werke gehen. Er rüstete sich, nahm langen und wortreichen Abschied von seiner Frau und trat dann die Reise an nach jener hochberühmten großen Stadt Venedig.

Über Florenz, Bologna, Ferrara und Padua kam er in Venedig an, und da er noch nie dort gewesen war, wußte er als Fremder nicht, wo er am besten absteigen müsse; und indem er sich erkundigte, sagte er, wo er her sei. Indem er nun so fragend umherlief, traf er zufällig auf einen Landsmann von uns, der beständig in Venedig wohnte, namens Giovanni Manetti. Diesem teilte er mit, in welcher Absicht er herkomme, und bat ihn, ihm Nachweis zu geben, wo er gute Ware und wo er eine passende Herberge finden könne. Manetti, der sich von den Sienesen ziemlich losgesagt hatte und ebensogut allen andern Nationen sich gefällig erzeigen mochte, wie es überhaupt die Art ist von uns Sienesen, mehr die Fremden als unsere Landsleute zu schätzen, verwies ihn in ein Zimmer oder eine Wohnung eines ihm befreundeten Stiavonen, welcher Kostgänger aufnahm, wenn ihm ein rechtschaffener Mann dazu begegnete, wie das in Venedig Sitte ist, daß, wie ich erzählen höre, fast alle Edelleute, wie die Bürgerlichen, Herberge gewähren. Er wies ihn also an den Stiavonen, ließ ihm von einem Diener das Haus zeigen und ihn als einen ihm Angehörigen ihm empfehlen.

Der junge Mann war von Manetti ganz gut unterwiesen worden und fand sich denn bei dem Stiavonen ein, wohin man ihm den Weg gezeigt hatte. Schon war er etwa fünf Tage in Venedig und saß eines Sonntagmorgens mit seinem Stiavonen zu Tische; nach dem Frühstück führten sie allerlei Gespräche, und unter anderem sagte Antonio Angelini, denn so hieß der junge Mann, zu dem Stiavonen: »Höret, Misser Zanobi... (denn so hieß dieser.) Ich möchte, daß Ihr mir heute einen Gefallen tätet.«

Der Stiavone war ein gefälliger und dienstfertiger Mann und sagte: »Was wünschet Ihr? Seid überzeugt, daß Ihr mir nur befehlen dürft, mein lieber Herr!«

Darauf sagte Antonio: »Wenn es Euch nicht unangenehm wäre, wünschte ich, daß Ihr an dem heutigen Festtage mit mir ein wenig in Venedig spazierenginget, und daß wir den ganzen Tag dazu anwendeten, daß Ihr mir Venedig zeigt und ich es betrachte; denn da ich nicht bekannt bin, finde ich mich in allen Euren Gassen und Kanälen nicht zurecht.«

Der Stiavone war, wie gesagt, ein Mann, der nichts anderes wünschte, als ihm zu dienen; nach vielen Gesprächen verließen sie daher das Haus und gingen zu Fuß eine gute Weile in Venedig umher. Vom Hause des Stiavonen an, das bei der Madonna della Fava a Cavarvaro stand, gingen sie viel hin und her und gaben einem Barkenführer drei Marchetti, daß er sie in und außer dem Kanal, nach ihrem Belieben, spazierenfahre.

Während sie in der Gondel etwas auf dem Kanal umhergefahren, sagte Antonio zu dem Stiavonen: »Misser Zanobi, wollen wir nicht in eine von Euren Schulen gehen, wo jene schönen Kinder wohnen, die um Stück Geld einem ein Vergnügen machen, und die man bei den Römern Kurtisanen nennt?«

»Warum nicht?« sagte der Stiavone; »aber jetzt ist es noch zu früh, denn sie sind jetzt alle in der Vesper. Wenn die Vesper vorüber ist, wollen wir hingehen, und wir werden viele und schöne Frauen finden. Unterdessen fahren wir ein wenig auf dem großen Kanal und kehren dann über die Rialtobrücke um. Alsdann wird es gerade rechte Zeit.«

Während sie noch auf dem Kanal waren, erinnerte sich der Stiavone einer gewissen Flamänderin und sprach: »Lieber Herr, wir wollen bis zum Ballhaus gehen und sehen, ob wir eine gewisse Madonna Giachena aus Flandern treffen. Ich versichere Euch, es ist eines der schönsten Kinder, die ich in meinem Leben gesehen habe, und ich bin überzeugt, daß sie Euch gefallen wird. Nachdem wir sie besucht haben, gehen wir, wohin es Euch beliebt.«

Nach diesem schlugen sie den Weg gegen das Ballhaus ein, und als sie die Wohnung der Flamänderin erreicht hatten, pochte der Stiavone an die Türe. Sie hörte das Pochen, kam ans Fenster, und als sie den Stiavonen, den sie wohl kannte, erblickte, zog sie am Seil und öffnete die Tür. Der Stiavone wußte die Sitte, entließ die Gondel, trat in das Haus und nahm Antonio mit sich. Sie stiegen die Treppen empor und kamen in einen kleinen, mit den feinsten Teppichen ausgehängten Saal. Die Flamänderin ging ihnen entgegen und empfing sie mit heiterer Stirne. Sie war ein äußerst schönes Geschöpf und besaß den feinsten Anstand einer Venezianerin. Sie hieß sie freundlichst willkommen. Unter ihren Reizen, außer, daß sie schön gewachsen war, zeichnete sich der sehr schöne Schnitt ihres Gesichts aus: sie war blendend weiß wie der Schnee, mit einer leichten Färbung von Karmin, so daß sie aussah wie Milch und Blut. Ihr Leib war mit nichts anderem zu vergleichen als mit morgenländischen Perlen. Wenn man sie sah, so war es wie ein Strauß von Rosen und Veilchen, im Schatten aufgesproßt und um die Zeit der Morgenröte gepflückt. Wie gesagt empfing sie sie mit holder Stimme und bat sie niederzusitzen auf Stühle von grünem Samt und Gold. Das waren echte Herrensessel. Sie setzte sich zwischen sie, und so sprachen sie eine gute Weile von allerlei verschiedenen Gegenständen. Wiewohl die Frau aus Flandern war, sprach sie doch vortrefflich Italienisch. Zu der Schönheit ihres Körpers gesellte sich der Glanz ihrer Seele, denn sie war sehr edel und groß.

Als sie lange genug gesprochen hatten, wandte sie sich zu einer Dienerin, die ebenfalls eine Flamänderin war, und sagte ihr etwas in ihrer Sprache. Es dauerte nicht lange, so rüstete die Magd eine kleine Tafel auf fürstliche Weise zu. Darauf stand ein reicher Vorrat zu einem guten Male nebst verschiedenen Arten von eingemachten Früchten und den köstlichsten Weinen. Indem sie ihre Gespräche fortsetzten, machten sie sich heiter über die Speisen her. Und nachdem sie genug gegessen und getrunken hatten, wollte der Stiavone dem jungen Manne nicht mehr länger im Wege stehen und rief daher aus: »Ei, meiner Treu, mein liebster Herr, über unserem Ausgang habe ich nun ein Geschäft vergessen, das ich in Chioggia ins reine zu bringen hatte. Seid so gut, Missere Antonio, wartet hier auf mich wenigstens eine Stunde, wenn es Euch nicht unangenehm ist! Ihr könnt Euch ja unterweilen mit Madonna Giachena unterhalten. Ich will keine Zeit verlieren.«

Sodann fügte er noch hinzu: »Seht, Missere Antonio, wartet hier, bis ich zurückkomme, denn Ihr würdet den Weg nach Hause nicht finden.«

Dann ging er hinweg und ließ Antonio allein mit Madonna Giachena. Der junge Mann wünschte nichts anderes, denn es war ihm, als sei er an der Seite einer Königin. Er fing an, ihr tausend süße Wörtchen zu geben, nahm sie bei der Hand, und nach vielen Worten erdreistete sich Antonio endlich, ihr die Hände an jene blendenden festen Brüstchen zu legen, sie auf den Mund zu küssen und hold mit ihr zu scherzen. Die wackere Frau wich ihm nicht aus; vielmehr da sie seiner sicher zu sein glaubte, erwiderte sie seine feurigen Küsse. Durch diese fortgesetzten Scherze kamen beide allmählich in wollüstiges Verlangen, sie umarmten sich und traten einträchtig in ein schön geschmücktes Schlafgemach, wo sie sich auf ein reiches Bett warfen und in kurzer Zeit unter großem Vergnügen vier rüstige Umarmungen vollbrachten. Als sie damit fertig waren, kehrten sie in den Saal zurück, wo sie unter allerlei Scherzen gar vertraulich beisammenblieben. Auch trafen sie beide die Übereinkunft und Verabredung, heute nacht beieinander schlafen zu wollen. Um nicht als ein Schelm dazustehen, nachdem er mit einer so schönen Frau seine Lust gehabt, schenkte ihr Antonio für dieses Mal einen Goldtaler, eine für sie sehr anständige Belohnung.

Nachdem sie eine gute Weile beisammen gewesen waren und der Stiavone dachte, er habe sich lange genug entfernt gehalten, kehrte er in das Haus der Flamänderin zurück und fragte Antonio, ob er nun mit ihm gehen wolle. Antonio hatte über der genossenen Lust seinen Stiavonen bereits völlig vergessen, ja die Schulen und die Geschäfte, die Heimat und seine Gattin, und wußte im Augenblick in der Tat nicht, was er antworten sollte. Die Flamänderin merkte seine Verlegenheit und sagte zu dem Stiavonen: »Misser Zanobi, ich wünsche, daß Missere Antonio heute mit mir zu Nacht speise.«

Der Stiavone aber war in der Tat auf das Wohl und den Nutzen des jungen Mannes bedacht und sagte: »Wißt, Madonna, wir haben diesen Abend einige Geschäfte für diesen Edelmann zu Mellone zu erledigen wegen wichtiger Waren. Sobald dies abgemacht ist, bringe ich ihn zu Euch zurück.«

Als die Flamänderin dies hörte, glaubte sie es wirklich und meinte, der Stiavone rede die Wahrheit. Sie sagte daher zu dem Jüngling: »Vergeßt nicht, Missere Antonio, daß ich Euch zum Abendessen erwarte! Kommt gewiß!«

Antonio wußte nicht, was der Stiavone mit jener Ausrede sagen wollte, nahm daher Abschied von der Flamänderin und versprach, sicher wiederzukommen. Hiermit ging er hinweg; die Flamänderin aber war sehr zufrieden mit ihm, denn sie glaubte heute die Kundschaft eines vornehmen Herrn erworben zu haben, weshalb sie ihn denn auch mit großer Aufmerksamkeit erwartete. Antonio war also mit dem Stiavonen weggegangen; sie schlugen unter Gesprächen den Weg am Ballspiel vorbei ein, und Misser Zanobi sprach: »Wißt, mein lieber Herr, ich habe Euch zu Eurem besten aus diesem Hause weggeführt: denn diese Flamänderin wird von einem venezianischen Edelmann unterhalten, und darum will ich nicht, daß Ihr zum Abendessen oder bei Nacht hingehet, ohne daß Ihr vorher das Geld, das Ihr bei Euch habt, ablegt; denn wenn unglücklicherweise jener Edelmann Euch im Hause träfe und merkte, daß Ihr ein Kaufmann seid, ließe er Euch keinen Bezzo im Beutel. Wenn Ihr doch hingehen wollt, so laßt Euer Geld anderswo, etwa bei Manetti! Dort ist es viel sicherer. Dann könnt Ihr getrost Eurem Vergnügen nachgehen und ohne Besorgnis; denn wenn er Euch etwas genommen oder angetan hätte, so hättet Ihr gegen ihn durchaus kein Recht gefunden.«

Als Antonio dies hörte, gefiel ihm der Rat, so sehr er auch von der Liebe zu der Flamänderin eingenommen war. Er dankte seinem Stiavonen und machte sich die Warnung zu Nutzen, und da es ein zuverlässiger Mann schien, ließ er ihm in dem Zimmer, das er hatte, in einer ganz sichern Kiste alles, was er von Wert besaß. Ohne sich lange bei Misser Zanobi aufzuhalten, kehrte er um, ließ sich an das Haus der ersehnten Flamänderin führen, trat ein und speiste mit Giachena zu Nacht, wie es der allgemeinen Behauptung zufolge venezianischer Brauch sein soll. Indem er sodann die Nacht bei ihr lag, gefiel die Flamänderin dem Jüngling immer mehr und andererseits der Jüngling ihr; so daß durch Fügung des Geschicks sie sich unmäßig ineinander verliebten. Ja, sie brachten es dahin, daß sie beide keine Stunde eines ohne das andere sein konnten. So hingen sie beide an der Leimrute. Antonio ging dieser Liebschaft nach; viele Tage genoß er mit Unterhaltungen der Liebe die süßen ersehnten Früchte der Minne.

Der arme, unvorsichtige Antonio war durch die Reize und die große Zartheit der Flamänderin (eine Seltenheit bei diesem Volk!) und durch den freundlichen und heitern Empfang, den sie ihm immer zuteil werden ließ, so an sie gebannt, daß er gar nicht mehr an Siena und an seine Gattin dachte und seine ganze Hoffnung auf seine teure Flamänderin setzte. Als törichter, blinder Verliebter lebte er so festgeklebt in diesem Netze und war unaufhörlich um Giachena. In dieser närrischen Liebe war schon der zweite Monat ganz hingegangen; er hatte alle seine Zeit mit der Flamänderin zugebracht. Da sie nun sehr scherzhaft war, lehrte sie ihn manchmal einige Worte in ihrer Sprache, so unter anderem, wie ein Mann zu einer Frau sagt, wenn er sie um eine gewisse Sache angeht, und wie sie dann antwortet, wenn sie will. So sagte sie denn, sooft sie sich miteinander erlustigen wollten: » Ansi visminere

Antonio hatte es schon gelernt, und wenn er Lust hatte, es zu tun, antwortete er: »Io.«

Wollte er aber nicht, aus Mattigkeit oder aus sonst einem Grunde, so sagte er: »Mitti sminere.«

Ebenso, wenn Antonio in das Haus der Flamänderin kam, sagte er immer statt des Grußes: »Ansi visminere?«. Dabei nahm er sie unter dem Kinn und küßte sie auf den Mund, und sie, voll Bereitwilligkeit, ihm Vergnügen zu verschaffen, sagte: »Io.«

So daß der arme Jüngling durch allzu vieles Kämpfen halb ohnmächtig wurde und sich nicht mehr auf den Füßen halten konnte; und wären nicht die guten und kräftigen Mahlzeiten gewesen, welche die Flamänderin ihm immer bereitete, so wäre er durch die übergroße Liebe, die er für sie hegte, ganz abgezehrt. Der arme Schelm nahm aber auf sich selbst gar keine Rücksicht. Er hatte, wie gesagt, seine eigene Heimat und sein Weib vergessen und wußte nicht mehr, daß sein Eigentum noch anderswo sei. Es war ihm, als sei er hier geboren, als liegen hier alle seine Güter.

Während er so lange die gebührliche Zeit zur Rückkehr versäumte, erhielt er Briefe über Briefe von seiner Frau, von den Brüdern und Freunden und verschiedenen andern Personen, die man antrieb, ihm zu schreiben, und die sich aus Mitleid um eine so schöne junge Verlassene dazu bewegen ließen. Antonio mochte aber an gar nichts denken und antwortete niemand, und wenn er von Siena reden hörte, war es dem Jüngling, als stieße man ihm den Dolch ins Herz.

Endlich aber, nach vielem Zuspruch durch Briefe und Botschaften, ging ihm eines Tages sein Unrecht zu Herzen. Er entschloß sich nun doch zur Abreise und zur Rückkehr in seine schon vergessene Vaterstadt. In wenigen Tagen kaufte er Waren zusammen von der geringen Summe, die ihm noch übriggeblieben war, nahm das wenige, was er erreichen konnte, mit einigen Kisten Gläser, packte alles zusammen und schiffte es ein mit der Adresse nach Pesaro. Er setzte sich mit der Flamänderin auseinander, führte die wahrsten und triftigsten Gründe zu seiner Entschuldigung an, verabschiedete sich, und unter beiderseitigen heißen Tränen, festen Umarmungen, Versprechungen und Schwüren baldiger Rückkehr schied er von ihr. Diese Trennung wurde beiden sehr schwer. Doch da er durchaus entschlossen war zu gehen, ertrug er es leichter als sie. So trat er in die Gondel und fuhr hinüber, seiner alten Heimat zu.

In wenigen Tagen kam er an und wurde von seiner Frau mit großer Freude empfangen; denn seine Rückkehr gab um so mehr zum Jubel Anlaß, je länger er von ihr entfernt gewesen war. Nach wenigen Tagen kamen die Waren an, eine hübsche Ausstellung von Gläsern, etwas Gewürz und einige Spezereien; er machte sich an die Arbeit und besorgte seine Bude.

Er war schon wieder geraume Zeit in Siena, aber er konnte die geliebte Flamänderin nicht vergessen; und obgleich seine Frau von der schätzenswürdigsten Schönheit war, konnte der Tor doch nicht umhin, an seine Flamänderin zurückzudenken. Er tat oft mit der Frau, was er mit der Flamänderin getan hatte, um die Sehnsucht zu zerstreuen, die er nach dieser hatte. Es war ihm, als weile er bei ihr, wenn er mit seiner Frau scherzte, wenn er sie in den Arm nahm, sie unter dem Kinn faßte und sagte: » Ansi visminere?«

Dabei küßte er sie auf den Mund, faßte ihre festen, alabasterähnlichen Brüste und genoß wollüstiges Vergnügen. Das junge Weib wußte nicht, was das heißen solle; da sie es ihn aber öfters wiederholen hörte, sagte sie schalkhaft zu ihrem Gatten: »Was heißt denn sminere?« Dem unvorsichtigen Manne fiel es schwer aufs Herz, er stieß einen tiefen Seufzer aus über diese Frage, denn er erinnerte sich seiner Giachena, und sagte zu ihr: »Es heißt: ›Willst du essen?‹«

Die einfältige Frau lachte und sagte: »Ich meinte, es heiße irgend etwas Böses, obgleich ich dich es schon öfters sagen hörte.«

Bei diesen Worten kam es Antonio in den Sinn, sich anstatt der Flamänderin mit ihr ein wollüstiges Vergnügen zu verschaffen und sich dabei vorzustellen, es sei jene. Sie schäkerten und genossen sich mit größter Lust. Die Frau glaubte, er habe ihr die Wahrheit gesagt, da sie ihren Mann wirklich die Worte oft äußern hörte, wenn sie beim Frühstück, Abendessen oder im Bette waren. Daher gewöhnte sie sich die Redensart ebenfalls an und sagte manchmal scherzend zu ihrem Mann: » Ansi insminere?«

Antonio sagte darauf immer im Gedächtnis an frühere Zeiten: » Io.«

Dabei gab er ihr, sooft er es aussprach, auf den holden süßen Mund einen Kuß. Der Frau gefiel dieses Spiel, und so ging kein Tag vorüber, daß sie nicht ihrem Mann die alte Wunde neu aufriß, ohne ihren Fehler zu wissen.

So ging eine geraume Zeit hin mit solchen Unterhaltungen. Eines Tages im höchsten Sommer saß die schöne Frau des unvorsichtigen Gewürzhändlers bei offener Türe im Hausflur und nähte. Bekanntlich gehen in jener Zeit, weil die Tage lang sind, viele Leute auf der Straße; auch eine große Zahl Fremder kam des Weges, teils weil es gutes Wetter, teils weil das heilige Jubeljahr war. Das reizende Weibchen saß nun ganz behaglich da, um die unmäßige Hitze besser zu tragen, leicht in ein weißes, kurzes Unterröckchen gekleidet; sie sah aus wie ein wahrer Engel, mitten im Paradies geboren; ihre Füße waren mit weißseidenen genähten Strümpfen bekleidet, wie sie ihr Gatte von Venedig mitgebracht hatte, welche festanliegend und durchbrochen waren; man sah sodann ihren wunderschönen, äußerst niedlichen Fuß, der so vollkommen war, wie ihn nur irgendeine Frau haben konnte, nebst einem Paar aufgeschlitzten Schuhen aus schwarzem Samt; auf dem Kopf hatte sie ein gar schmuckes Häubchen, ganz aus Gold und Seide gearbeitet; um den Hals hing ihr ein Bändchen von feinster Seide, ganz gestickt. So saß das Engelchen neben der Haustür auf einem nicht sehr hohen Stuhl und nähte, und da sie den Kopf niederbeugte, zeigte sie den schönsten, reinsten Busen, den man je zu ihrer Zeit an einer Frau sehen konnte, ein Paar Brüste, nicht sehr groß, aber weiß wie blendender frischer Schnee und fest wie Marmor, so daß sie in der Tat aus Perlen und Rubinen gefertigt schienen. Während die schöne, junge Frau so dasaß, kamen ein paar reisende Flamänder vorüber auf dem Wege zum heiligen Peter zu Rom, wohin sie um Ablaß wallfahrteten. Unter diesen Pilgern war zufällig auch ein Adliger, der die Reise infolge eines Gelübdes machte und in der Blüte der Jugend stand, denn er war noch nicht fünfundzwanzig Jahre vorüber und schien auch nicht jünger als vierundzwanzig zu sein. Als der Jüngling die Pilgerfahrt antrat, steckte er seine Börse zu sich und lebte immer von eigenen Mitteln. Während er nun mit seiner Gesellschaft vorüberkam, fiel sein Blick in die Haustür und auf die schöne holdselige Frau, welche, wie gesagt, hier nähte. Als der junge Pilger das schöne Kind sah, meinte er, sie stamme vom himmlischen Paradiese: denn eine solche Schönheit kam ihm nicht als etwas Menschliches vor. Um sie besser zu betrachten, hielt er stille und sprach sie um etwas an, was er auf der ganzen Reise von niemand begehrt hatte. Getrieben von dem Feuer seiner Jahre betrachtete er sie mit glühendem Blick, bat sie um Gottes Barmherzigkeit willen um ein Almosen und trat willig wartend vor sie hin. Die junge Frau, die den Flamänder um ein Almosen bitten sah, hielt ihn für einen edeln und artigen Mann, was er auch war; sie erinnerte sich der Redeweise ihres Gatten und sagte zu ihm: »Ansi visminere?«

Über diese Worte war der junge Fremdling höchlich erstaunt: denn sie sah nicht wie eine Frau aus, die eine solche Einladung ergehen lassen könne, und er wußte nicht, was hier zu tun sei. Im Zweifel hierüber blieb er ganz betreten und niedergeschlagen stehen und hielt es wie für ein Wunder, daß sie ihm eine solche Aufforderung zukommen lasse. Da er aber gar nichts von unserer Sprache verstand, blickte er sie mit funkelnden Augen fest an; es war ihm, als sähe er etwas Göttliches, kein menschliches Wesen. Er schwieg und blieb betroffen von solcher Schönheit. Als die Frau ihn so schweigend dastehen sah, lud sie ihn zum zweitenmal auf dieselbe Weise ein. Da nun der Jüngling sich zum zweitenmal auffordern hörte, dachte er und überzeugte sich, es sei eine Frau, die ihn verhöhnen und zum besten haben wolle; indes konnte es darum doch nicht fehlen, daß der jugendliche Busen nicht das Brennen der Liebesflammen fühlen sollte. Von Liebe gequält, irrten seine Gedanken allmählich hin und her, so daß er am Ende mit frechem Mute auf die Meinung kam, es sei eine Buhldirne, teils wegen der ihm gewordenen Aufforderung, teils wegen ihrer lüsternen Tracht. Desungeachtet hörte er nicht auf, sie fest zu betrachten und seine feurigen Blicke auf sie zu heften; so daß nach kurzem Warten die Frau, in mitleidvollem Wunsche, ihm ein Almosen zu geben, ihn zum drittenmal einlud. Da verlor denn der junge Pilger alle Furcht und Scheu, dachte nicht mehr an Sankt Peter noch an Sankt Paul, sondern hatte seinen ganzen Sinn auf das schöne Weib gerichtet, so daß ihm durch das beständige Betrachten die Auferstehung des Fleisches angekommen war. Ohne mehr zureden, legte er also die Hand ans Nestel, das seine Hosen festhielt, löste dasselbe, ließ sie hinabfallen, trat in die Tür, nahm das junge Weib in den Arm und legte sie zitternd nebenan auf eine Gläserkiste, die ihr Mann hierherzustellen pflegte, um nicht die Bude zu verstellen, die im Hause gegenüber war. Dann bemühte er sich, mit würzigen und feurigen Küssen sie zu seinen Wünschen zu bequemen, war mit der Hand geschäftig, so gut er konnte, und versuchte, zum letzten Ziele zu gelangen. Die junge Frau, als sie sich so mitspielen sah, wußte gar nicht, was sie tun solle, um nicht hier über einer solchen Sache überrascht zu werden. Sie faßte daher den festen Vorsatz, so sehr sie konnte, zu schreien. Sie erhob die Stimme und rief: »Hilfe, Antonio, Antonio, komm!«

Der arme Pilger, der schon das Kleid aufgehoben und die nötigen Vorkehrungen getroffen hatte, erkannte, als er sie so schreien hörte, ungeachtet er die Sprache nicht verstand, die Angst der jungen Frau und merkte, daß ihre Handlungen mit ihren Worten nicht übereinstimmten. Da er ein Fremder war, fürchtete er daher, es möchte ihm etwas Unangenehmes begegnen, und ganz mißmutig floh er wie ein Gespenst, so schnell er konnte, ohne Hindernis zu finden.

Antonio, der über der Straße in der Bude stand, hörte das Schreien und erkannte gleich die Stimme seiner Frau. Er lief daher hinüber, damit nicht, wie das so oft geschieht, ein unanständiger Scherz mit ihr getrieben werde, und trat wütend und zornglühend in die Tür, jedoch nicht so schnell, daß er noch den Pilger sehen konnte, der bereits entwischt war. Drinnen angelangt, fand er die Frau auf der Kiste liegend, noch gerade so, wie sie der Flamänder verlassen hatte, die Kleider bis zum Gürtel ganz aufgestülpt und halb ohnmächtig vor Angst oder meinetwegen vor Zorn, so daß sie kaum sprechen konnte. Als ihr Gatte sie so zugerichtet sah, rührte ihn fast der Schlag; er meinte, er habe seine Ehre ganz verloren, und fragte, was es gebe.

Die Frau, ganz glühend von etwas anderem als von Angst, sagte: »Ei, den Henker gibt es! Gott sende Euch die schwere Not!«

Antonio wußte nicht, was das heißen sollte, und fragte sie von neuem. Darauf sagte sie: »Hu, daß Euch die Pest! Ich komme kaum zu Atem, so habe ich Angst ausgestanden.«

Der Mann, voll Begierde, zu erfahren, was es sei, sagte: »Nun wie? Schnell! Sag' es, was es war! Fürchte dich nicht!«

Die Frau setzte sich die Haube zurecht, schob ihre Kleider hinunter und sprach: »Nie in meinem Leben bin ich in größere Bedrängnis geraten als eben. Aber beim Kreuz Gottes, es wäre Euch ganz recht geschehen, wenn ich getan hätte, was Ihr verdient habt.«

Höchst neugierig, sagte der Mann: »Was ist es denn gewesen, weshalb du dich so beschwerst?«

Darauf sagte sie: »Was habt Ihr mich gelehrt? Warum sagt Ihr es nicht? Meint Ihr, es freue mich, daß Ihr mich tausend Spitzbübereien lehrt und mir weismacht, es seien gute Sachen? Gott's Frucht, ich hätte nicht rufen sollen.«

Antonio wußte noch immer nicht, was das sollte, fragte wieder, was es denn gegeben habe, und sagte: »Nun sag es doch! Halte mich nicht länger in Ungewißheit!«

Da erzählte sie ihm denn die ganze Geschichte mit dem Pilger. Als Antonio dies hörte, erbleichte er und sah, daß er allein dieses Ärgernis veranlaßt habe. Da sprach er zu seiner Frau: »Du mußt das nie wieder sagen, daß es sonst jemand hört als ich; denn es heißt: ›Willst du mir das tun, was er dir eben tun wollte?‹«

Mit zornglühendem Gesicht sagte sie darauf zu ihrem Mann: »Nun, das muß ich sagen, Ihr seid ein anständiger Mann, daß Ihr mich derlei Nichtswürdigkeiten lehrt!« Darauf schmälte sie ihn mit drohenden Worten voll Entrüstung so heftig aus, wie nur eine Frau ihrem Mann sagen kann. Er sah sein Unrecht ein und antwortete nichts; nur am Ende, nachdem sie viel und manches gesprochen hatte, sagte er: »Sei klug für ein anderes Mal und danke Gott, daß es diesmal gut vorbeigegangen ist!«

Mit diesen Worten ging er wieder hinüber in die Bude. Sie aber sagte, während er sich umwandte, laut genug, daß er es hören konnte: »Dankt nur Ihr ihm, und Ihr sollt nie wieder mich etwas nachsagen hören, ohne daß ich erst genau weiß, was es heißt, auch keine fremden Worte. Merkt Euch, wenn Ihr etwas von mir verlangt, so sprechet auf unsere Weise!«

Antonio voll Ärger sagte im Hinausgehen: »Da wirst du wohl daran tun.«

Damit ging er weg; sie aber blieb ganz verstört zurück. Es wurde ihr den ganzen Tag nicht recht wohl, sie mochte auch nicht mehr an der Tür sitzen und nähen. Sie ging ins Haus und nahm ihren Ärger mit sich, und so waren zu gleicher Zeit dreie geärgert, aufgeregt und voll Grimm.


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