Verschiedene Autoren
Italienische Novellen. Dritter Band
Verschiedene Autoren

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vincenzo Rota

Der Gastwirt von Maderno

(Zacharias Werner, Der vierundzwanzigste Februar)

In Maderno, einem Dorfe auf Brescianer Gebiet, lebte vor nicht langer Zeit ein Gastwirt, der Niccolà heißen mag. Er besaß dicht an der Dechanei, wo die Straße am besuchtesten ist, ein Haus, in dem er den Landleuten zu essen und zu trinken gab und Reisende, die in ihren Geschäften durch die Gegend kamen, beherbergte. Niccolà war überaus geizig und so begierig nach Geld, daß er, um eines kleinen Gewinnstes willen, wohl die verruchteste Handlung beging. Er betrog deshalb die Einkehrenden entweder mit Maß und Gewicht oder nahm ihnen unbillig viel für ihre Zehrung ab.

Das Schicksal hatte ihm eine Ehegefährtin von gleichen Gesinnungen und Gewohnheiten zuerteilt, die nicht nur die Betrügereien ihres Mannes billigte, sondern ihn gar oft zu neuen ermunterte. Wo sie irgend Mittel und Wege zu einer ihm entgangenen Schurkerei offen sah, trieb sie ihn entschlossen dazu an, indem sie zu sagen pflegte: »Wer hat, will mehr haben; wer aber nichts hat, der suche sich etwas.« Bei alledem bereicherten sie sich nicht und behalfen sich im Gegenteil immer kümmerlicher, wie denn die göttliche Gerechtigkeit keinem Menschen auf der Welt unrechtes Gut gedeihen läßt.

Diese Leute hatten einen einzigen, Vico getauften Sohn, den sie sehr spärlich und streng ernährten und behandelten, obgleich er ihnen stets alle Liebe und allen kindlichen Gehorsam zu erkennen gab. Sie hielten ihn zwar auch ihrerseits teuer und wert, nur nicht gerade als ihren einzigen Sohn, vielmehr weil seine Aufmerksamkeit und Anstelligkeit ihnen einen Knecht ersparen half.

Geschah es nun, daß Vico der harten Zucht seiner Eltern am Ende müde ward oder daß jugendliche Lüsternheit ihn verleitete, kurz, er hatte ziemlich sein fünfzehntes Jahr erreicht, als er eines Nachts plötzlich seine Lumpen zusammenraffte und, mit einigen an Trinkgeldern ersparten Paoli in der Tasche, heimlich aus dem Hause floh, um sein Glück in der Welt zu versuchen. Wie der Knabe, der seiner häuslichen Verrichtungen wegen immer zuerst aufstand, am anderen Morgen nicht gleich zum Vorschein kam, sprang der Vater zornig der leeren Kammer zu, um ihn auszuschelten, und rief die Frau: »Du wirst mir den Jungen ganz und gar verderben, Ceca!« zankte er auf sie los. »Wo ist Vico? Ich sehe ihn wieder einmal nicht. Du schickst ihn zwecklos immer hin und her, und was zu tun ist, bleibt liegen. Sieh selber zu: die Küche nicht gekehrt, die Betten nicht gemacht, kein Feuer auf dem Herde, alles bunt übereck! Wir behalten das liebe tägliche Brot nicht, treibt Ihr es länger so!«

»Gottes Kreuz!« erwiderte Frau Ceca etwas aufgebracht, »du bist nicht bei Verstande, Mann! Was fällt dir heute morgen ein? Ich soll den Jungen verderben? Hätte er immer acht auf das, was ich ihm sage und stündlich vorpredige, so stünde es gut mit ihm. Ich sage dir, er steckt voller Tücken und Schelmerei und nimmt noch ein schlechtes Ende, wenn ihm Gott nicht hilft. Ich habe ihn weder gesehen noch weggeschickt, und ich schwieg nur, weil ich meinte, du hättest es selber getan. Der Herr mag wissen, wo er ist. Er liegt doch nicht etwa noch im Bette?«

»Im Bett ist er nicht«, brummte Niccola.

Derweil sie so schwatzten, suchten sie den Knaben in Haus und Hof und jedem Winkel eine Weile lang, riefen ihn vergebens laut und wiederholt und bildeten sich endlich ein, er möge in die Messe gegangen sein. Wie deshalb Niccolà der Dechanei zuwanderte, begegnete er unterwegs dem aus der Kirche kommenden Dechanten, der den Vico aus der Taufe gehoben hatte und bei dessen Firmung Zeuge gewesen war. »Willst du in die Messe gehen, Gevatter, so kehre nur wieder um,« sprach der Dechant. »Da heute Markt ist, wie du weißt, hielt ich den Morgengottesdienst gleich miteinander ab und schloß die Kirche, weil ich auch meine Geschäfte habe. Ich muß zusehen, ob ich mein wenig Wicken, Getreide und Gemüse verkaufen und etwa mein Saumroß vorteilhaft vertauschen kann, das gar nicht mehr auf die Beine zu bringen ist. Die Messe bleibt heute einmal weg, und es reicht hin, wenn du dein Dies illa oder nach Gefallen deinen Rosenkranz abbetest.«

»Ach, Gevatter Puccio, ich habe andere Dinge als Messe und Gebet im Kopf. Ich suche meinen Vico, den ich nirgend finden kann. Ich ging eben nach der Kirche, um zuzusehen, ob er in der Messe sei.«

»Ich sage dir«, antwortete Don Puccio, »ich habe die Kirche mit meinen eignen Händen geschlossen, und es blieb niemand darin. Mein Pate ist ja übrigens kein Kind mehr und weiß, wohin er geht und was er tut, wird also nicht zu Schaden gekommen sein. Ich will dir sagen, wie es sich verhält: Du weißt, er ist neugierig und beherzt. Die Stricke schrecken solche Jungen nicht, wenn einmal die Lust sie anwandelt. Ich wollte wetten, er treibt sich auf dem Markte herum. Laß mich nur schaffen, ich schicke ihn dir wohl oder übel nach Hause und mache ihm die Hölle vorher auf meine Weise heiß. Geh an deine Geschäfte, und gib dich indes zufrieden!«

»Wollte Gott«, meinte Niccolà, »daß es so ist,wie du sagst!« Er empfahl sich seinem Gevatter und ging nach Hause, wo er die Ankunft seines Sohnes erwartete.

Es ward Mittag, die Vesper, auch das Avemaria war vorbei. Und wie der Dechant kam und berichtete, er habe auf dem ganzen Markte herumgesucht und geschaut, aber von Vico keine Spur entdeckt, konnte Niccolà nicht wohl anders glauben, als daß der Knabe ihm entlaufen sei. Schwermütig und betrübt blieb er, in der Hoffnung, Vico kehre dennoch wieder, einige Stunden länger als gewöhnlich wach und legte sich erst spät zu seiner Frau ins Bette, die so wenig wie er die Nacht über ein Auge schloß. Folgenden Tages fragte Don Puccio beizeiten im Gasthause wegen seines Paten zu und erschrak nicht wenig, wie er hörte, er werde noch immer vermißt. Der gute, derbe Mann vertröstete die Eltern nach seinem besten Wissen mit vielen schönen Beispielen aus dem Legendenbuche zur Geduld, führte ihnen aus der Geschichte auch andre fromme, von Gott geprüfte und in Leiden starke, beständige Seelen an, die sich das ewige Heil verdient hätten, und brachte seine Worte und Tröstungen zwar tölpisch genug vor, erleichterte aber doch seines Gevatters Kummer insoweit, als derselbe sich gut genug faßte und in den göttlichen Willen ergab, mehr als jemals vorher, uneingedenk des verlornen Sohnes, sich seines Vorteils befleißigend.

Vico trieb sich lange Zeit weit und breit als Landstreicher umher, führte, auf Kosten der Einfältigen, das vergnügteste Leben von der Welt und gelangte zuletzt bis Neapel, wo er sich einfallen ließ, nachdem er also als eigener Herr gelebt habe, auch einmal anderer Willen zu befolgen und in irgendein Haus als Diener zu gehen.

Das Glück wollte ihm wohl. Von gutem Aussehen, munter und lebhaft, wie er war, erregte er die Aufmerksamkeit eines vornehmen Herrn, der ihn zu sich nahm und allmählich, seines Fleißes und ordentlichen Betragens halb, so liebgewann, daß er ihm die Aufsicht über sein ganzes Hauswesen anvertraute und ihm, außer einem ansehnlichen Lohne, Kleider und häufige Geschenke gab, wovon Vico, sparsam und Wucher treibend, sich mit der Zeit ein kleines Kapital sammelte.

Fünfundzwanzig und noch mehr Jahre mochten verflossen sein, seitdem er aus dem Hause seiner Eltern floh. Weil dem Gastwirte und seiner Frau niemals Nachricht von ihrem Sohne zugekommen war, hegten sie auch nicht die geringste Hoffnung, ihn wiederzusehen, und glaubten fest und bestimmt, er müsse durch einen Unfall das Leben eingebüßt haben.

Da ging Vico eines Tages in sich und gedachte der Heimat und der Seinigen ernster und herzlicher, wobei er das folgende Selbstgespräch hielt: »Wie wunderbar nicht die Wege des Schicksals sind! Ich laufe vordem, fünf oder sechs Paoli in der Tasche, ein paar Lumpen auf dem Leibe, von Hause weg und nenne jetzt so viel Geld, so viele Kleider und Habe, mehr als ich brauche, mein, derweil mein Vater und meine Mütter gewiß noch immer, wie vordem, Hunger und Kummer leiden. Der Himmel mag wissen, wieviel Tränen und Sorgen ihnen meine Flucht verursacht hat! Was habe ich nun aber sonst zu tun, als zurückzukehren, sie zu trösten und ihrer Not abzuhelfen, so gut ich kann? Wem als ihnen verdanke ich denn mein Leben und meinen jetzigen Wohlstand? Vielleicht gab ihn mir der Himmel nur, damit ich die Pflichten eines Sohnes erfülle.«

Ohne weiteres Bedenken verlangte er also mit guter Art den Abschied von seinem Herrn, der ihm diesen, im Hinblick auf seine gute und gerechte Absicht, wiewohl ungern, bewilligte, zog allerwärts sein Besitztum zusammen, das er in Gold und Wechsel verwandelte, stieg zu Pferde und ritt geradesweges seiner Heimat zu.

In Maderno angelangt, erkundigte er sich auf der Stelle, ob Niccolà, der Gastwirt bei der Dechanei, und Ceca, sein Weib, noch lebten? Es fiel ihm wie ein Stein vom Herzen, als ihm die Dorfleute mit Ja antworteten, und er dankte dem Himmel, das Dasein seiner Eltern so lange gefristet zu haben, daß er sie vor ihrem Tode noch sähe und tröstete. Mit sich uneinig, was er nun vor allen Dingen tun solle, lenkte er sein Pferd nach der Dechanei, stieg vor dem Pfarrhause ab und klopfte an die Tür, die ihm der Dechant selbst, das Brevier in der Hand, öffnete, aus dem er eben bei Sonnenuntergang das Complet betete. Vico hatte sich, seit er als junger Mensch von dannen ging, so sehr an Gestalt, Antlitz und Kleidung verändert, daß ihn unmöglich jemand, der ihn früher gesehen, gleich wiedererkennen konnte. Der gute Priester setzte sich also die Brille auf die Nase und musterte den Fremden von Kopf zu Füßen, indem er sprach: »Nach wem verlangt Ihr, junger Mann?«

»Nach Euch«, erwiderte Vico, »der Ihr mich, Euren alten Bekannten, wohl nicht so leicht wieder erkennt, wie ich Euch. Um Euch nicht unnützerweise aufzuhalten, wisset, daß ich Vico, der Sohn des Niccolà da drüben, bin, Euer Pate, der vor vielen Jahren, wie Ihr Euch besinnen werdet, von Hause weggelaufen ist. Seht mich recht darauf an: Vielleicht trage ich noch eine Spur von damals an mir.«

Der staunende Priester schenkte den Worten des Fremden, der dem Vico, wie er ihn gekannt hatte, gar nicht glich, nicht alsbaldigen Glauben und fing zu seiner Überzeugung an, ihn um viele Einzelheiten zu befragen. Vico antwortete auf alles genau und versetzte dann: »Ihr könntet, mein lieber Don Puccio, von den Beweisen, die ich Euch für meine Aussage gegeben habe, schon überzeugt sein. Desungeachtet füge ich noch einen – mir dünkt, den größten – hinzu, wofern das Kirchenbuch das unzweifelhafteste Zeugnis ablegen kann.« Er sagte ihm Jahr und Tag seiner Geburt. Der Dechant holte das besagte Buch herzu, und wie er sah, daß es Vicos Angabe bestätigte, ließ er seiner Freude freien Lauf. Er warf dem Wiedergefundenen die Arme um den Hals, küßte ihn zärtlich auf die Stirn und sprach: »Oh, sei du mir gesegnet, mein lieber Pate, daß ich dich vor meinem Tode wiedersehe! Wir haben dich bis auf diese Stunde nicht mehr in der Welt geglaubt. Wisse, dein Vater und deine Mutter leben noch, wenn sie gleich so alt, wie du mich da siehst, und hinfälliger durch Kummer und Not als durch der Jahre Last geworden sind. Sie werden vor Freuden umkommen, dich zu sehen. Komm, laß uns geschwind hingehen, sie zu trösten, damit ich ihnen der Überbringer so unverhofften Trostes bin!«

Der geschäftige Alte zog Vico bis zur Türe mit sich fort. Da drängte ihn dieser mit den nachdenklichen Worten von sich: »Nein, laß es noch so für diesen Abend! Ich gedenke, wie ein Reisender allein in ihr Haus zu gehen und über Nacht bei ihnen zu ruhen. Erkennen sie mich wieder, so ist es gut. Sonst sage ich ihnen erst morgen früh, wer ich bin, wenn Ihr kommt und ihnen jeden Zweifel benehmen könnt. Die gemeinschaftliche Freude wird so vollständiger.«

»Ach, gutes Kind,« entgegnete der alte Dechant, »enthalten wir ihnen die Freude nicht länger vor! Wie sollen sie dich so verändert wiedererkennen? Staun' ich dich doch selbst noch wie träumend als den Vico an! Warum willst du ihnen ihre Zufriedenheit schmälern und verschiebst sie auf den kommenden Tag? Das Gute, das wir heute zu tun imstande sind, sollen wir nicht erst morgen tun, denn es kann vieles in der Zwischenzeit geschehen.«

»Was willst du, das geschehen soll?« versetzte Vico. »Kurz, ich bin entschlossen, so und nicht anders zu tun.« »Wenn du durchaus nicht anders willst«, sagte Don Puccio, »so sei es also und geschehe dir danach!« Er küßte ihn liebevoll, indem die Zärtlichkeit seiner Gesinnung einige Tränen seine runzlichten Wangen entlangrollen ließ, empfahl ihn unter wiederholtem Schluchzen Gott und verabschiedete ihn.

Vico führte sein Pferd am Zügel nach dem elterlichen Hause, vor dessen Tür auf der Bank sein Vater saß. Wie er den von Alter und Elend gebeugten Mann erblickte, fühlte er sein Herz dermaßen bewegt und ergriffen, daß er beinahe vor ihm auf die Knie niederstürzte und sich ihm zu erkennen gab. Nichtsdestoweniger nahm er sich mit Gewalt zusammen und fragte den Greis: »Kann ich bei Euch ein Nachtlager haben, alter Vater?«

Der Alte horchte ein wenig bei der Anrede auf, denn vielleicht schwebte ihm das Bild seines Sohnes vor Augen. Aber der Gedanke an ihn entschwand ihm blitzesschnell wieder. Wie hätte er auch die Wahrheit im entferntesten ahnen mögen! Er erhob sich gemächlich von seinem Sitz und erwiderte: »Du sollst es haben, mein Sohn. Ja ja, dem Alter nach könnte ich dein Vater sein. Ceca, heh, Ceca! Wo bist du? Hier ist ein Gast. Führ' ihn in das Stübchen nach dem Garten hinaus und mach alles für ihn zurecht: ich bringe das Pferd in den Stall.«

»Gelobt sei Gott!« sagte die Alte. »Kommt, Herr, ich trage Euren Mantelsack. Ein gutes Nachtmahl soll bald fertig werden.«

»Das hätte ich eben gern, Mütterchen«, rief ihr Vico zu. »Gut zu essen und ein guter Schlaf ist das beste, was man sich nach der Reise wünscht.«

»Laßt mich nur sorgen, Ihr sollt schon zufrieden sein«, meinte sie. Sie ließ ihn in derselben Kammer zurück, wo er ehedem schlief, und bereitete eilig von dem, was ihr in Haus und Hof zu Gebote stand, ein Abendmahl, das alle drei, nach Vicos Verlangen, miteinander aßen. Obgleich Vico aber die Alten nicht anders als »Vater« und »Mutter« anredete, und obgleich er manches tat, was er als Kind so gewohnt gewesen war, kam doch keine Ahnung von ihm in der Eltern Herz, und er freute sich schon im stillen, sie staunen zu sehen, wenn sie anderes Tages erführen, wer in ihrem Hause sei.

Nach beendigtem Abendessen nahm Niccolà ein Licht in die Hand und führte den Fremden in seine Kammer, wo er ein Papier mit den Worten hervorzog: »Hier ist deine Rechnung, mein Sohn.«

»Gut«, antwortete Vico, »ich bezahle sie morgen früh; auf keinen Fall reise ich bald von Euch.«

»Was, morgen früh?« entgegnete der Alte barsch. »Ich sage dir, daß ich auf der Stelle bezahlt sein will. Ich stehe des Morgens beizeiten auf und kaufe von Lebensmitteln ein, was ich für den Tag bedarf, denn ich bin ein armer Mann, der kein Geld hat und sich behelfen muß.«

»Recht gern«, sagte Vico freundlich, »ich möchte Euch nicht erzürnen, guter Vater, hier ist das Geld.« Bei diesen Worten zog er aus dem Felleisen einen großen Beutel, der mit Gold und Silber und Wechselbriefen angefüllt war, schüttete ihn, vielleicht von Eitelkeit verleitet, auf dem Tische aus und bezahlte den Alten freigebig, ohne einen Heller abzuziehen. »Seid Ihr nun mit mir zufrieden, Väterchen?« fragte er.

Der Alte bedankte sich, eines solchen Zahlers froh, und bot ihm beim Weggehen eine gute Nacht.

Wie er die Treppe hinabstieg, kamen ihm die blanken Goldstücke in den Sinn, erregten sein Wohlgefallen und am Ende den Wunsch, sie zu besitzen, der in einem Augenblicke der Verderbtheit die um sein Herz höher als je auflodernden Flammen der Begierde und der Habsucht entzündete. In sich versunken und verstört setzte er sich neben seiner Frau nieder und begann dies Gespräch : »Weißt du wohl, Ceca, daß wir heut einen reichen Gast beherbergen? Wie vieles Gold habe ich bei ihm gesehen! Guter Gott, wie viel Silber und Wechselbriefe! Wir sind so bettelarm! Oh, Welt! Der eine schwelgt, der andre darbt. Und über alle, sagen sie, wacht doch die Vorsehung.«

»Was grämst du dich darum?« sagte die Frau. »Wir sind fürs Elend geboren, nicht weil es gerade unser Schicksal ist, sondern weil wir es in unserer Dummheit nicht anders wollen. In Gottes Namen! Er hat also recht viel Geld bei sich?«

»Die Hülle und Fülle, sage ich dir«, murrte der Alte.

»Hättest du nur wenigstens die Rechnung mit doppelter Kreide angesetzt«, fügte Ceca hinzu: »aber geschehen ist geschehen. Laß dir es ferner zur Regel dienen, wenn er ein paar Tage bei uns bleibt!«

»Ich dachte eben an etwas anderes«, hub der Mann nach einer Pause an: »Frau, weißt du wohl, daß uns mit einemmal geholfen wäre, wenn wir ihm sein Geld stählen? Daß wir alsdann nicht mehr an der Straße zu lauern brauchten, bis uns das Glück einmal in den Schoß fallen will?«

»Du sprichst schon recht so«, schmunzelte die Frau und kratzte sich den Kopf; »schliefe er nun aber gerade nicht, wenn wir ihn beraubten, oder wachte plötzlich auf? Ginge des anderen Morgens zum Richter und schlüge Lärm? Hülfe uns dann am Ende unser Leugnen etwas? Ich weiß nicht, wie wir es anfangen könnten: Was meinst du denn?«

Der Alte erwiderte, von schmutziger Habgier immer mehr verblendet und umgarnt: »Mir steckt noch ein anderer Gedanke im Kopf, der alle Schwierigkeiten und Gefahr beseitigte. Da er gar nicht von mir wankt und weicht, so glaube ich fast, der Himmel gab ihn mir zu unserm Heile ein.«

»Was ist es ?« sprach sie vor sich hin.

»Nun«, brummte er kaum hörbar, »du weißt es ja.«

»So sprich es doch nur aus«, sagte die Frau zögernd.

Er flüsterte: »Der Bursche ist so allein angekommen, zu einer Stunde, da ihn kein Mensch kommen sah. Kein Mensch kann wissen, daß er bei uns ist. Er ist doch gleichsam da, als ob er nicht da wäre. Wenn wir ihn ersticken oder erschlagen oder auf andere Art töten und dann hinten im Garten still und heimlich begraben, wer soll etwas davon wissen, außer Gott ? Es ist gar nicht übel, wenn man so auf einmal reich und von allen Sorgen frei wird. Ich wäre gern das Schelmenhandwerk los und genösse mein Alter behaglich und in Frieden. Du würdest dich auch freuen, deine Lumpen abwerfen zu können, in seidnen Kleidern, mit schönen Halsschnüren und Armspangen und glänzenden Ohrgehängen unter die Bürgerfrauen zu gehen, statt daß du jetzt wahrhaftig nicht ohne Scham unter die Dorfleute treten kannst.« Kurz, er sagte ihr so vieles vor, daß die von Geiz und weiblicher Eitelkeit verblendete Ceca vermessen in den Vorschlag willigte.

»Ich weiß nicht, was ich dir antworten soll«, sagte sie, »du hast den Gedanken gehabt. Gottlob! Es hört nun endlich alle Not und Sorge auf, und ich werde eine angesehene Frau im Dorfe. Laß du mich machen, Mann! Deine Eingebung soll nicht vergeblich gewesen sein.«

Nachdem sie hierauf noch mancherlei über den Unglücklichen gesprochen und tausend Pläne geschmiedet hatten, was mit seiner Habe anzufangen sei, schlichen sie, zur Stunde, da sie ihn in festem Schlafe vermuteten, leise und auf den Zehen in seine Kammer und, wie sie ihn laut schnarchen hörten, an sein Bett. Der Alte hielt einen Lichtstumpf, sein Weib ein abgezogenes Schermesser in der Hand. Sie entblößte behutsam des Fremden Hals – ihre Hand zitterte – ein Zug – die Gurgel war durchschnitten. Ein heißer Blutstrahl spritzte empor und besudelte den Mördern Gesicht und Brust, zum ersten Vorwurfe ihrer Tat. Beim letzten Röcheln schlug der unglückliche Sohn das gebrochene Auge matt noch einmal auf. »Ach! Vater! Ach! Mutter«, stöhnte er und starb.

Die zärtlichen Namen hätten die ruchlosen Eltern auf den Tod betroffen machen sollen, machten aber keinen größern Eindruck auf ihr Herz als am vergangenen Abende, da der Jüngling sie so oft vergebens aussprach. Nach vollzogener Greueltat begruben sie den Leichnam in dem Obstgarten und rannten, wie hungrige Wölfe, nach dem Raube, legten sich aber nicht eher nieder, als bis das schauderhafte Bett, als wäre nichts vorgefallen, wieder in Ordnung gebracht und alles, was das Verbrechen hätte verraten können, sorgsam entfernt worden war. Dann suchten sie Ruhe und Schlaf, wofern sie ihr Bewußtsein des Entsetzlichen ein Auge schließen ließ.

Dem Dechanten schien es eine Ewigkeit, bevor der Tag anbrach und er nach seinem Paten fragen konnte. Kaum hatte er also das erste Gold der Morgenröte am Himmel erschaut, so stand er auf, las eilig seine Messe ab und verfügte sich ungesäumt zu seinem Gevatter, den er bereits im Gastzimmer beschäftigt traf und nach freundlichem Gruße wie spottend fragte: »Was gutes Neues heute morgen, Gevattersmann? Du bist ja schon recht früh auf dem Zeuge? Hast alle Hände voll zu tun! Wohl bekomme dir's!«

Bei dieser Rede stand Niccolà wie vom Donner gerührt, da er sich nicht hatte träumen lassen, jemand wisse um die Ankunft seines Gastes. Kein Wort zu erwidern fähig, blieb er stumm.

»Warum keine Antwort, Gevatter? Scheinst ja wie verhext zu sein? Ich weiß es schon, daß jemand bei dir eingekehrt ist, der dir willkommen war. Warum willst du mir's verheimlichen?«

Die sein Herz zerreißenden Gewissensbisse mit aller Kraft bändigend, erwiderte Niccolà dreist: »Was für ein Gast soll bei mir sein? Was sprichst du da? Es gemahnt mich fast, ais hänseltest du mich oder sprächst im Traume. Ich habe weder einen Reisenden im Hause noch seit vielen Wochen einen gesehen. Das verdammte Gewerbe bringt an den Bettelstab. Ich gelobe aber zu Gott, daß ich es zuletzt noch von mir werfen und die paar Lebenstage, die er mir fristet, zum Heil meiner Seele anwenden will.«

»Ich hoffe«, fügte der Dechant hinzu, »du vermagst dies künftighin, Dank sei es dem, den du diese Nacht beherbergtest, in deiner Gemächlichkeit zu tun.«

»Ich sage dir aber«, rief der Wirt aufgebracht und bestürzt, »ich beherbergte kein Menschenkind. Verstehst du mich? Jetzt geh mit Gott!«

Mittlerweile war Frau Ceca dazugekommen und schwur und beteuerte auch ihrerseits, wie sie den Grund des Wortwechsels vernahm, sie habe keinen fremden Menschen gesehen.

Am Ende schien dem Priester die Sache zu weit zu gehen. Er sagte: »Ich weiß nicht, meine Brüder, was ihr mit solchen Beteuerungen und überflüssigen Schwüren beabsichtigt? Wollt ihr mich etwa mit der frohen Nachricht überraschen, so wisset, es ist zu spät! Denn der Gast in eurem Hause war gestern bei mir, eh' er zu euch kam, und gab sich mir zu erkennen. Ich habe ihn, wie ihr wohl denken könnt, schon tausend Male umhalst und geküßt. Ich nehme von Herzen an eurer Freude teil, und der Herr Gott segne ihn eurem und meinem Alter zum Troste und Heile!«

Kalt und regungslos wie Stein vor Entsetzen stand das Ehepaar da. Die Wahrheit ahnend, rief die Alte zuerst: »Ach, gerechter Gott! Wer war der Fremde, den Ihr meint ?«

»War es nicht«, entgegnete Don Puccio, »mein Pate, euer Vico, der seit so vielen Jahren vermißte Sohn? Was kommt denn für ein Schrecken über euch? Wehe! Was muß ich sehen?«

Er hatte dies noch nicht ausgesprochen, als er nach der einen Seite Niccolà ohnmächtig niederfallen, auf der anderen die rasende Ceca sich ein Messer in die Kehle stoßen und unter gräßlichem Geheul mit einem Blutstrom ihre Seele aufgeben sah. Es läßt sich nicht beschreiben, was bei diesem Schauspiel aus dem armen Dechanten ward, der die Veranlassung weder ahnte noch erriet. Erstaunt, entsetzt, bewußtlos wandte er sich bald dem Greise zu, um ihm beizustehen, bald richtete er den Blick auf die entseelte Frau. Sein verzweifeltes Geschrei zog endlich viele Leute des Dorfes herbei.

Der wieder zu sich gekommene Niccolà erhob seine jammernde Stimme: »Oh, wehe mir Unglückseligem! Was habe ich getan! Wozu verleitete mich meine ungezügelte Begier nach Geld! Den Gast, von dem du sagst, er war mein Sohn, haben wir mit unseren eigenen Händen getötet, um ihn seines Geldes zu berauben. Ich reizte mein Weib an, ihm die Kehle abzuschneiden, ich bin der Urheber des Kindesmordes und verdiene kein augenblickliches Leben mehr.«

Von den Furien des bösen Gewissens gepeitscht, hatte er mit der Faust schon jenes Messer angepackt und würde es sich in den Leib gestoßen haben, hätten sich nicht der Priester und andere Anwesende auf ihn geworfen und ihm die Waffe entwunden. Er ward von allen heftig gescholten, mit herben Reden beschämt und zum Erdulden wohlverdienter Strafe der öffentlichen Gewalt überliefert.

Sein gottloses, von der christlichen Kirche ausgestoßenes Weib scharrten sie auf dem Felde ein. Den Mann aber erwürgte der Henker auf dem Richtplatze der Stadt Venedig und stellte seinen Leib, nachdem er ihn in Stücke gehauen hatte, nach hergebrachter Weise über dem besuchtesten Kanal der Lagune auf. Eine Warnung und ein Spiegel allen bösen Menschen; besonders den verwünschten Habsüchtigen, deren verabscheuungswürdiges Gezücht Gott vertilgen möge.


 << zurück weiter >>