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Italienische Novellen. Dritter Band
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Eustachio Manfredi

Die Witwe von Ephesus

(Lessing, Die Matrone von Ephesus)

In Ephesus, einer sehr alten Stadt Kleinasiens, lebte eine vornehme Frau, die ebenso wegen ihrer körperlichen Schönheit als wegen ihrer Geistesgaben von allen geschätzt, wegen ihrer ehelichen Liebe aber vollends für ganz ohne ihresgleichen geachtet wurde, so daß man nicht allein in Ephesus, sondern auch in der Nachbarschaft von ihr als von einer ganz ausgezeichneten Frau sprach. Sie hatte nämlich einen Edelmann jener Stadt geheiratet und liebte ihn mit solcher Treue, daß, obgleich viele der reichsten und edelsten jungen Leute mit Geschenken und Versprechungen und mit jedem andern Lockungsmittel ihre Liebe zu gewinnen trachteten, es ihnen nicht allein gar nichts half, sondern nicht einmal nur einer von ihnen es dahin brachte, in ihrem Sinne einen Gedanken rege zu machen, der nur im mindesten ihre Ehre befleckt hätte. So standen die Sachen; von vielen Seiten wurde sie angegangen, keiner aber erhört, da begab es sich, daß ihr Mann erkrankte, und alle sorgsame Pflege, die sie ihm zuwandte, vermochte es nicht zu verhindern, daß er nicht in wenigen Tagen starb. Wie sehr sie darüber betrübt war, bedarf keiner Auseinandersetzung; und sie hätte in der Tat nicht vermocht, diesen Verlust auch nur einen Tag zu überleben, wenn sie sich nicht durch einen eigentümlichen Vorsatz aufrecht erhalten hätte, der ihr in den Sinn kam. Sie beschloß nämlich, nicht dem Tode auszuweichen, sondern ihn vielmehr auf eine Weise aufzusuchen, daß sie dadurch für alle Zeiten ein großes und ehrenvolles Denkmal ihrer Treue stifte. Es war in jenem Lande, wie noch in sonst vielen andern, gebräuchlich, daß die Leichname vornehmer Personen nicht mit Erde bedeckt, sondern in einen Sarg von wohlriechendem Holze gelegt wurden, und dieser wurde in ein unterirdisches Gewölbe gestellt, das zu diesem Gebrauche eigens erbaut war und in das man von oben auf einer kleinen Treppe herniedergelangte. Den Schlüssel dazu verwahrten nur nahe Anverwandte des Gestorbenen. Auf diese Weise also wurde der hingeschiedene Gatte der besagten Frau an einer von der Stadt nicht weit entfernten Stelle beigesetzt; sie hatte den Schlüssel der Gruft, und in der folgenden Nacht, um die Stunde, wo sie glaubte, von niemand bemerkt zu werden, begab sie sich ganz stille dahin, trat ein und schloß die Tür mit dem Vorsatz, nie mehr von hier zu scheiden und an dieser Stelle ihre Tage zu beschließen, deren Zahl, ebensowohl weil es ihr an Speise zur Erhaltung der Lebenskraft mangelte, als wegen ihres herben Schmerzes, nur klein gemessen sein konnte.

Wiewohl es in ihrer Absicht lag, sich nicht sehen zu lassen, vermochte sie doch nicht zu verhindern, daß ein ehrliches Weib, das in ihren Diensten stand, es bemerkte. Diese teilte es denn sogleich ihren Verwandten mit, und so war die Nachricht in kurzem in der ganzen Stadt verbreitet. Die Verwandten der Frau verfügten sich zu ihr und gaben sich viele Mühe, sie von einem solchen Vorsatze abzubringen. Aber alles war umsonst. Nicht besser ging es ihren edeln Freundinnen, die gleichfalls sich vergeblich bei ihr abmühten. Zuletzt wandten auch obrigkeitliche Personen von Ephesus ihr amtliches Ansehen an, um sie umzustimmen, – aber es half nichts. Als die gute Frau, die ihren Plan entdeckt hatte, dies sah, blieb ihr freilich keine große Hoffnung, noch ihre Starrheit zu besiegen; doch wollte sie sie nicht ganz verlassen, sondern verschloß sich mit ihr in der Gruft und brachte ein kleines Licht mit, das sie, sobald es auf die Neige ging, von Zeit zu Zeit durch ein neues ersetzte. Schon war der dritte Tag vorüber, seit sie dort lebte, da begab es sich, daß der Statthalter einige Missetäter hinrichten ließ, und diese wurden nach damaliger Sitte an der Richtstätte ausgestellt, und zur Wache standen die Soldaten daneben, damit nicht Freunde oder Verwandte die Leichname wegtragen. Die Stelle, wo sie die letzte Pein erduldeten, war nicht weit entfernt von dem Grabe, in das die Frau sich mit ihrem toten Gemahl eingeschlossen hatte. Als es nun spät in der Nacht und sehr dunkel war, da begab es sich, daß der Soldat, der Wache stand, durch ein ganz kleines Loch in der Tür der Gruft ein Licht durchschimmern sah. Er ging auf dasselbe zu und bemerkte, daß es aus einem Grabe kam. Er wollte erfahren, was es sei, und stieg leise auf der unterirdischen Treppe hinab, lehnte das Ohr an die Tür und hörte nun deutlich das Jammern des Weibes. Daraus schloß er, es sei dies der Ort, wo die berühmte Frau sich lebendig begraben wolle. Sowohl das Mitleid als die Neugier, sie zu sehen, bewog ihn, stark an die Tür zu pochen, und das Pochen schreckte die traurigen, jammernden Weiber aus ihren Klagen auf. Die Magd öffnete ihm, und er trat in das Gemach. Die Frau war teils aus Betrübnis, teils durch den erduldeten Hunger ganz von Kräften gekommen, die Haare jämmerlich zerrauft, das Gesicht mit ihren eigenen Händen grausam zerrissen; aber sie war doch nicht in dem Maße zerfallen, daß ihre ursprungliche Schönheit gänzlich verschwunden wäre. Als der Soldat vor sie trat, erkannte er sogleich ihre große Schönheit und daß sie fürwahr einen so jämmerlichen Zustand nicht verdiene. Er rief daher sogleich ganz keck aus: »Ei, wie schade!«

Dies sagen, ihr einen heitern und freien Blick zuwerfen und sich ihr zur Seite setzen war eins. Als die Frau so unvermutet einen solchen Mann vor sich sah, geriet sie in Erstaunen, und da sie nicht wußte, wer es sei, noch zu welchem Zwecke er gekommen, betrachtete sie ihn aufmerksam. Der Soldat war der schönste und reizendste junge Mann des Landes und mochte etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein. Seine Rede floß in solcher Anmut, daß die Frau es sich gefallen ließ, ihn anzuhören, und ihn, ohne ihm zu antworten, von Kopf bis zu Fuß betrachtete. Der Soldat faßte sich daher ein Herz; er merkte, daß es vor allem not tue, ihre verlorenen Kräfte zu heben, holte daher sein Nachtessen, das nicht weit von dort unter seinem Zelte bereitstand, brachte es in die Gruft und trieb sie mit der Magd ernstlich an, etwas Speise zu sich zu nehmen. Die Frau war zwar um keinen Preis zu bewegen, es zu tun; die Dienerin aber, die keinen Gatten zu beweinen hatte, ließ sich nach so langer Enthaltsamkeit von dem köstlichen Gerüche des Weines locken und kostete davon. Hiernach bemühte sie sich von neuem, ihre Gebieterin zu ermuntern, bis auch sie einen Schluck nahm und bald noch einen. Darauf fühlte sie sich weit besser; auf die Einladungen des Soldaten wurde sie noch fügsamer, sie entschloß sich, etwas Speise zu sich zu nehmen, ja, in kurzem saß sie neben ihm bei Tische.

Als er sie so von ihrer starren Hartnäckigkeit etwas weichen sah, fing er an, ihr mit vernünftigen Gründen und vielen Beispielen zu zeigen, daß sie jeder Pflicht der Liebe und Anhänglichkeit auf das vollständigste genügt habe; alles, was sie weiter tun wollte, sei nicht nur eitel, sondern würde auch ihrer Ehre höchlich nachteilig sein, da es mehr der weibischen Schwäche als einer vernünftigen Liebe zugeschrieben werden müßte; größeren Ruhm könne sie sich bei der Welt erwerben, wenn sie, statt sich wie andere Weiber in Tränen und Klagen zu verzehren, mutig ihren Verlust ertrage und dadurch ihre Seelengröße beweise.

Während der Soldat auf diese Weise sprach, gab ihm die Frau keine Antwort, sondern ihre Aufmerksamkeit war ganz auf ihre Mahlzeit gerichtet. Nach und nach kehrte ihre verlorene Gesichtsfarbe wieder, in den Augen und andern Teilen des Gesichtes erneuerte sich die verschwundene Lebhaftigkeit, und in gleichem Maße wuchs bei dem Soldaten die Lust, ihr schönzutun, und entzündete sich die Liebesbegierde. Als nun das Essen vorüber war, hatte der Soldat durch diese und jene Reden die Erinnerung an den Verstorbenen gänzlich beiseitegeschoben, denn bei Tisch wollte man dessen nicht gedenken, und hatte angefangen, ihre Schönheit zu rühmen. Sie hörte ihm erst mit Widerwillen, dann mit Schweigen und endlich mit Vergnügen zu, und da er sie sehr geschickt zu locken verstand, schritt er endlich bis zu dem vor, was kein anderer an solcher Stelle, mit einer solchen Frau und bei solcher Gelegenheit gewagt hätte, nämlich sie um ihre Liebe anzugehen. Doch kostete es ihn vielleicht mehr Überwindung, die Bitte vorzubringen, als sie, dieselbe zu gewähren.

Die gute Witwe, die sich so schwer entschlossen hatte, am Leben zu bleiben, war nun sehr leicht dazu zu bewegen, die Gattin des Kriegsmannes zu werden. Die Hochzeit wurde in derselben Nacht noch gefeiert; es war dazu keine andere Festlichkeit erforderlich als die beiderseitige Einwilligung, und in der Gruft des Gatten gab sie sich seinem Nachfolger preis. Ja, nicht allein diese Nacht, sondern noch viele andere nachher dauerte ihr vertraulicher Verkehr daselbst in aller Stille fort.

Während die Sache so ihren Gang ging, merkten die Verwandten eines der in der Nähe Hingerichteten, daß die Wache in ihrer Sorgfalt nachließ; sie erwarteten daher den passenden Augenblick, machten eines Nachts den Leichnam los und beerdigten ihn. Sobald dies der Soldat am andern Morgen gewahr wurde, hielt er sich für verloren; denn er wußte, daß der Beamte ihn zur Strafe für seine Nachlässigkeit zum Tode verurteilen würde. Er kehrte daher in die Gruft zurück und erzählte das Vorgefallene seiner neuen Gemahlin mit dem Beifügen, er werde fürwahr diese Schmach nicht über sich ergehen lassen, sondern ihr mit freiwilligem Tode zuvorkommen. Als sie dies hörte, sagte sie zu ihm: »Das verhüte Gott, daß ich in so kurzer Zeit zweimal Witwe werde und zwei so teure Gatten auf einmal beweine! Da es einmal so weit gekommen, ist es besser, einen Toten aufzuhängen, als einen Lebenden zu verlieren.« Nach diesen Worten zog sie selbst mit Hilfe des Soldaten und des Dienstmädchens den Leichnam des Gatten aus dem Sarge. Er war durch die Länge der Zeit schon so entstellt, daß er nicht mehr zu erkennen war. Sie hüllten ihn in Lumpen, legten ihm einen Strick um den Hals und hängten ihn an den leeren Galgen, wo sie ihn ließen. Darüber verwunderte man sich dann des andern Morgens sehr, daß der Tote an den Galgen zurückgekommen war. Die Frau aber blieb einige Tage mit dem Soldaten verborgen, traf dann durch die Magd die nötigen Vorkehrungen, floh mit ihm und setzte ihn in Besitz ihrer nicht geringen Reichtümer.


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