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Italienische Novellen. Dritter Band
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Francesco Argelati

1712 – 1754

Das Luftschloß

Man glaubt, daß die von dem letzten Zar Peter, dem Kaiser der Moskowiten, erbaute Stadt St. Petersburg als Hauptstadt auch die vergnüglichste und gelehrigste Stadt der weiten russischen Reiche sei.

Indem des großen Mannes Geist vorzeiten mit Gründung dieser Stadt umging, beruhten seine Gedanken nicht bloß auf den eigentlichen Dingen des Baues, sondern schweiften auch in die Gebiete der Wissenschaften, der Künste und des Handels hinüber, weil sein Bestreben war, einem barbarischen, halsstarrigen Volke zum Trotz, einen Wohnsitz der Kultur zu stiften, der würdig sei, neben den anderen das schöne Europa zierenden zu bestehen.

Der Ruhm dieses hochsinnigen Fürsten drang im Verlaufe der Zeit auch nach Italien. Es wurde allmählich da bekannt, wie aus vielen Städten nach St. Petersburg gewanderte Künstler mit offenen Armen empfangen und mit großen Vorrechten begünstigt worden waren, sobald sie sich entschlossen, diese Stadt als eine neue Heimat anzusehen. Und es erweckten solcherlei Nachrichten in vielen Menschen und unter andern auch in dem Gemüte eines jungen Mailänders das Verlangen, nach dem weitentfernten Lande in Verfolgung guten Glückes zu ziehen. Berlaceci, eben dieser junge Mann, hatte einen Oheim, einen zwar sehr gelehrten, aber schon gar zu lange Zeit in den Grenzen einer von der Stadt unfernen, ihm anvertrauten Pfarrei außer Gemeinschaft mit anderen Menschen gebliebenen Herrn oftmals sagen hören, daß er aus eigenen Verstandesmitteln die schöne Erfindung einer neuen, vielfach zusammengesetzten Maschine gemacht habe, womit er zufolge einer seither noch unerhörten Mechanik imstande sei, Häuser, Türme und steinerne Gebäude aller Art, unbeschadet ihrer Festigkeit und Dauerbarkeit, leicht von einem Orte nach dem andern zu versetzen. Er ging also eines Tages zu dem weisen Seelenhirten und trug ihm seine Bitte vor, die Liebe und Freundlichkeit für ihn zu haben, ihm das Geheimnis der Zusammenfügung einer solchen Maschine anzuvertrauen. Er hege die Absicht, in entfernte Länder zu gehen, wo schon anderen die Sonne des Glücks freundlich geschienen habe, und meine, mit einer so wichtigen Entdeckung könne auch er dort eines günstigen Schicksals gewärtig sein. Der gute Oheim lobte einen so verständigen Wunsch seines jungen Neffen und gab ihm zu verstehen, daß er gar nicht abgeneigt sei, darauf einzugehen. Indessen fand er doch in der allzu großen Jugend des Bittenden und vielleicht auch darin eine Bedenklichkeit, daß er wußte, dessen größte seither unternommene Reise sei keine weitere gewesen, als die zu den Toren Mailands in sein Kirchspiel hinaus, wonach am Ende zu fürchten stehe, er werde, sobald er einige Meilen gewandert sei, die Straße schon zu lang finden, seinen Entschluß bereuen und wiederum nach Hause gehen. Es schien ihm deshalb geraten, ein so bedeutendes Geheimnis wie das seinige nicht eher in des Jünglings Hände zu legen, als bis derselbe am Orte seiner Bestimmung angekommen sei, und er sagte zu ihm mit freundlichem Angesichte: »So wie du überzeugt sein kannst, mein lieber Sohn, daß du mich durch einen tugendhaften Wandel gewiß immer bewegst, für deine Zufriedenheit alles, was ich für mich selbst tun würde, gern zu tun, so magst du dich auch für versichert halten, daß ich dir mein Geheimnis jetzt aus keinem andern Grunde vorenthalte, als weil ich dir damit wirklich nützen will. Wofern es dein ernster Wille ist, unter jenem andern fernen Himmel dein Glück zu versuchen, so laß mich zuvörderst von dir hören, daß du an Ort und Stelle gekommen bist! Gibst du mir dann die sichere Kunde, daß mein Geheimnis zur schnellen Bewerkstelligung und mit der Aussicht auf einen reichen Gewinn von dir nachgesucht wird, so werde ich meinerseits gewiß nicht unterlassen, es dir aufs vollständigste mitzuteilen, ich verspreche es dir.«

Der Jüngling, der vor Verlangen brannte, in der Welt herumzuschweifen, und nicht länger leben zu können glaubte, wenn er nicht seinen Wunsch erreichte, erwiderte: »Ich bin entschlossen, mein lieber Herr Oheim, diesen meinen Entschluß auszuführen, du magst ihn benennen, wie du willst. Aber weil ich mir vorgenommen habe, nach der so weit entlegenen Stadt Petersburg zu ziehen, so glaube ich nicht, daß es dir leicht fallen werde, mir ebendahin die nötige Belehrung und Auskunft zu erteilen, die du mich gegenwärtig durch deine Worte hoffen läßt.«

Er ersuchte ihn darauf mit einem großen Umschweife von Worten, ihn doch wenigstens insoweit zu unterrichten, daß er dem Kaiser eine nach seiner Idee beschaffene Maschine anzubieten und deren Vorteile anschaulich genug zu machen imstande sei, um in diesem das Verlangen zu erwecken, sie in seiner Hauptstadt in Anwendung gebracht zu sehen. Ob nun wohl der ehrliche Pfarrherr im allgemeinen sehr geheimnisvoll tat und insbesondere der Beharrlichkeit des jungen Mannes in seinem Entschlüsse, in Anbetracht der Länge und des Ungemachs einer solchen Reise wie auch der Hindernisse, die dessen Unkenntnis der fremden Landessprache mit sich brachte, keinen rechten Glauben beimaß, so hielt er doch dafür, daß es oftmals als eine Pflicht anzusehen sei, die Neigungen junger Leute zu begünstigen, und beschloß, sich gewissermaßen seinem Neffen anzuvertrauen. Er erteilte ihm denn zuvörderst mancherlei Ratschläge in bezug auf seine persönliche Sicherheit, empfahl ihm insofern die gänzliche Vermeidung vertrauten Umganges mit den Frauen und kam alsdann zu näheren Angaben über das große Maschinenwerk. Nichtsdestoweniger behielt er, aus Besorgnis, es möge einem andern Menschen verraten werden, die Hauptsache des Geheimnisses noch für sich selbst zurück und faßte nur mit bedeutender Selbstverleugnung den Entschluß, dem Jüngling etwas Geld zu schenken, das ihm die Beschwerden der langen Reise erleichtere. Er zählte ihm unter vielen Soldi zwei Filippi auf, umarmte ihn auf das zärtlichste und wünschte ihm vom Himmel alles Reiseglück herab.

Der Neffe, der seinen Oheim vorher noch nie so freigebig gesehen hatte, erheiterte sich darüber ungemein und wagte im geringsten nicht mehr zu bezweifeln, er werde ihm, sobald er erst in Petersburg angelangt sei, den Schleier vollständig von dem Geheimnisse des Maschinenbaues ziehen. Er ging ohne weiteren Verzug nach Mailand zurück, wo er sich schon seit einiger Zeit eine Summe Geld aufgespart hatte, verwendete einen Teil desselben zu einem Pferdekaufe, füllte mit dem übrigen seinen Beutel an, sattelte sein Roß ohne Aufenthalt und trabte in die weite Welt hinein. Sparsam und rüstig, von einer Stadt zur andern, kam er vor Ablauf von vierzig Tagen vor Petersburgs Toren an, in die er noch nicht eingeritten war, als ihm ein junger Kaufmann aus Piacenza begegnete, der vor langer Zeit in Mailand mit ihm in inniger Freundschaft gelebt hatte und ihm auf der Stelle, indem er ihn wiedererkannte, den Weg vertrat.

Der von den Beschwerlichkeiten der Reise ermüdete Berlaceci hatte sich mit großen Augen, wie einer, der zum erstenmal in eine fremde Stadt kommt, überallhin umgesehen, wendete seinen Blick jetzt dahin, wo er sich bei Namen rufen hörte, und konnte bei dem so unerwarteten Anblick des Piacentiners vor Erstaunen kein Wort hervorbringen. Am Ende stieg er jedoch von seinem Gaul, umarmte seinen alten Freund, der da, sobald über das gegenseitige Fragen und Antworten die Nacht eingebrochen war, verlangte, daß Berlaceci sein Gast in seinem Hause sei, und nahm gern diese Einladung an, weil er nach so vielen schlaflosen Reisenächten wohl eben Sehnsucht nach einem guten Bette trug. Wie sie nun zusammen zur Stadt hereingekommen waren, der Piacentiner seinen Freund in der Dämmerung nach seiner Wohnung geführt hatte und Berlaceci wahrnahm, daß diese ein kleines hölzernes, aus schlecht zusammengefügten Brettern und dem bloßen Erdgeschosse bestehendes Häuschen ohne Treppe war, das keinen andern Hausrat als vier ringsum an den Wänden festgenagelte Bänke hatte, erstarb ihm gar vor Erstaunen und Schreck das Wort im Munde über das aus einem paar gesalzenen Fischen und schwarzem Roggenbrote bestehende, auf dem nackten Fußboden aufgetragene Abendmahl. Er sagte zu seinem guten Freunde: »Es scheint mir, mein Bruder, als sei deine hiesige Lebensart und Weise, ohne daß es anderer guten Werke bedürfe, der geradeste Weg zur Seligkeit; aber ich, der ich müd und matt von meiner langen Reise bin, gedenke doch von so strengem Fasten und von solcher Buße befreit zu sein.«

Der Piacentiner verwunderte sich, wie es schien, seinerseits über Berlacecis Worte und sprach: »Kennst du denn die Sitte dieses Landes nicht? Hier in St. Petersburg sind alle Häuser, wie du morgen sehen kannst, von Holz. Das meine ist vielleicht noch eine der bequemsten Wohnungen in der ganzen Stadt. Der Zar baut jetzt für sich das erste steinerne Haus, und alle Welt bestaunt es wie ein Wunderding.«

Was bei solchen Nachrichten aus dem armen Berlaceci wurde, denkt man sich nicht leicht. Es fiel ihm erst in diesem Augenblicke wie ein Stein aufs Herz, sich auf eine solche Reise so unbedacht eingelassen zu haben. Er sah mit stummem Entsetzen, daß ihm der Weg, durch seinen unerhörten Mechanismus zu dem gewaltigen Glück zu gelangen, das er in Gedanken schon beim Schopfe hielt, ganz abgeschnitten war, und ließ willig zu, daß sein Freund, ihn weiter belehrend, sprach: »Das ist bei weitem noch nicht die schlimmste Unbequemlichkeit. Sogar eine Matratze und was außerdem zu einem Bette gehört, worauf bei uns jeder arme Wicht in seiner Schlafstätte liegen kann, sucht man umsonst in diesem Lande des Mißbehagens. Wir anderen ehrlichen Leute müssen wohl oder übel von Fischen und Ungetier unser kümmerliches Leben fristen und erlangen nicht einmal, wenn wir krank sind, einen Bissen Fleisch, weil das frostige Volk hier fast jahraus, jahrein seine strengen Fasten hält.«

Berlaceci, der als ein denkender Mann sein Unternehmen fast schon zu bereuen anfing, antwortete: »Ach, Freund, aus dem, was du mir da gesagt hast, erkenne ich, daß wir Toren sind, um der Hoffnung willen, dereinst die lästigen Tage unseres Alters mit minderer Not zu verbringen, uns die schönen Jahre unserer Jugend durch tausenderlei Sorgen zu verkümmern. Droht uns überdies nicht stete Ungewißheit, ob wir des Genusses, für den wir sammelten, auch ergraut noch fähig sind? Denn das Ungemach, was die Jugend nicht achtet, schneidet uns das Leben entweder in seiner schönsten Hälfte ab oder bringt uns in die zweite Tränen und Traurigkeit.«

Also bald schlecht gestimmt, sich der Sitte und den Gewohnheiten der Moskowiter zu fügen, dachte Berlaceci schon auf den Heimweg nach Italien, indem er seinem Freunde den Grund seiner Reise nach St. Petersburg und die Geschichte der schönen Maschine vortrug, womit er steinerne Häuser über Stock und Stein hinweg zu schaffen sich schmeichele. Es gefiel aber dem aufmerksam seiner Rede und deren phantastischen Ausschmückungen zuhörenden Piacentiner der Grundgedanke seines großen Baus so ungemein, in der Annahme, wie viele Leute ihre in der alten Stadt Moskau gelegenen Wohnungen gewiß um jeden Preis nach der neuen, noch unbehaglichen Kaiserstadt gebracht zu sehen wünschten, daß er den verzagten Baumeister ermunterte, von seinem Wagestücke ja nicht abzustehen, und ihm von seinen vielfältigen Erfahrungen goldene Berge versprach, wofern er sich mit verständigem Willen in die Umstände schicke und getrosten Mutes sei.

Berlaceci hatte vorher in seinem Freunde nicht den Philosophen gekannt, der aus dessen an ihn gerichteten weisen Lehren jetzt zum Vorschein kam. Jemehr dieselben ihn überraschten, desto größeren Eindruck machten sie auf ihn. Und um dem Piacentiner seinen guten Willen darzutun, sich mit den fremden Sitten zu verständigen, bat er ihn, ihm eine Decke zu reichen, und streckte sich damit auf eine der Bänke hin, um auszuschlafen.

Wie sehr ihm des anderen Morgens auch jedes seiner Glieder schmerzte und zerschlagen schien, so sprang er doch rüstig und beizeiten auf, um sich in der Begleitung seines gefälligen Landsmannes und Wirtes die Merkwürdigkeiten der Stadt anzusehen. Vor allen Dingen führte ihn der Piacentiner zu dem Bau des prächtigen Kaiserpalastes, wo der selbst gegenwärtige Zar die ungeheuern Mauern immer höher emporsteigen sah und die Arbeiter zu regerer Tätigkeit antrieb.

Der Piacentiner war der Meinung, hier sei die günstige Gelegenheit, dem Kaiser seinen Freund vorzustellen. Er führte ihn in die Nähe und hatte noch nicht lange Zeit verweilt, als Peter den jungen Mann wahrnahm, dessen angenehme Körpergestalt und gute Sitte er wohlgefällig zu betrachten schien. Er erkundigte sich bei dem Piacentiner, wer der Fremde sei, ließ ihn vor sich kommen und besprach sich auf italienisch freundlich mit ihm über seine Verhältnisse und Absichten. Berlaceci stellte dem Kaiser seine Lage freimütig vor und ließ sich auf die Beschreibung seiner großen Transportmaschine ein, die er sich willfährig zeigte, zum Nutzen und Frommen der neuen Stadt aufzuerbauen. Der Kaiser ließ ihn ruhig zu Ende reden, erwog inzwischen die Nutzlosigkeit einer solchen Erfindung wohl bei sich und riet dem Jünglinge, das edle Waffenhandwerk so schwierigen Unternehmungen vorzuziehen, worauf er ihm in seinem Heere eine angemessene Stelle übertragen und ihn zu den höchsten Würden befördern werde, wenn er sich immer tapfer und lobenswürdig aufführe. Berlaceci hatte sich aber leider einmal in den Kopf gesetzt, sein Glück mit der großen Maschine machen zu wollen, und wies die Huld und Gnade des Monarchen von sich ab, der ihn um seiner Unklugheit willen bald verabschiedete.

Der weltweise Piacentiner mißbilligte es, daß sein Freund dies unverhoffte günstige Geschick so beharrlich verleugnete, und riet ihm, wofern es ihm jemals wieder so freundlich lächele, dem Glücke ja mit keinem so traurigen Empfange entgegenzustehen. Er führte ihn sodann zu den weiteren Sehenswürdigkeiten der neuen Stadt und unter anderen in eine Leineweberei, deren Aufseherin, eine alte Holländerin, sie sehr gefällig aufnahm und, wie sie von dem Piacentiner hörte, der fremde wohlgestaltete Jüngling sei ein Italiener aus Mailand, ein heimliches Auge auf ihn warf. Der Piacentiner übersah nicht ihre günstigen Gesinnungen, und da er wußte, daß die reiche Frau vom Kaiser sehr geachtet wurde, weil sie nicht nur achtzig gelehrige Kinder des Landes mit der Schärfe ihrer Rute im Spinnen und Weben unterrichtete, sondern auch ihre Linnen in großer Vollkommenheit verfertigte, so fing er an, seinen Freund verstohlen zu trösten und aufzumuntern, die Alte ja mit glatten Worten zu erfreuen. Er selbst erzählte ihr auf ihre Frage nach den Beweggründen Berlacecis, warum er in die Hauptstadt des entlegenen Rußlands gekommen sei, auf das umständlichste, wie sehr derselbe in der Kunst erfahren sei, Gebäude jeder Art von einem Orte zum andern zu versetzen, und schilderte ihr die großen Vorteile, die dem Kaiser daraus entspringen würden, wenn er diesen Mann durch ehrenvolle und anständige Belohnungen in St. Petersburg fessele; so daß die gute Dame ungemein begierig in der Tat zu erfahren ward, was ihr der Piacentiner durch seine Rede zu verstehen gab, indem sie ihn ersuchte, ihr eine ungestörte Unterredung mit dem jungen Manne zu veranstalten. Gleichwie sich nun in dieser Zusammenkunft die Alte, die da ihr Toskanisch so gut wie eine geborene Italienerin sprach, bemühte, dem jungen Maschinenbauer zu offenbaren, was sie für ihn empfand, so verstand Berlaceci, nachdem er ihr ein langes und breites von seinem Plane vorgetragen hatte, sehr gut, in Verfolgung seiner Absichten weiterzugehen und, zur großen Freude des ihn beobachtenden Piacentiners, die Holländerin mit süßen Worten zu girren, bis er allmählich alle seine Gedanken über sein Unternehmen bei ihr geltend gemacht hatte und sie durch seine Bitten zu dem Versprechen bewog, den Kaiser womöglich dahin zu veranlassen, ihn in der von ihm gewünschten Eigenschaft in seine Dienste aufzunehmen. Nach so guten Erfolgen schied er mit seinem Freunde hocherfreut von seiner Gönnerin und setzte sich vor, ihr in allen Dingen zu Gefallen zu leben, damit sie ihn in seiner Laufbahn fördere. Er schrak zwar von diesen Vorsätzen bei dem Gedanken an seines Oheims Warnung vor dem vertrauten Umgange mit Frauen reuig einen Augenblick zurück. Sein guter Piacentiner Freund bewies ihm aber, daß jene Warnung auf dies Verhältnis wohl nicht anzuwenden sei, und gab ihm im Gegenteil eine ganz andere Richtung seines Benehmens an. Dieser Unterweisung zufolge besuchte er von Stund an die Alte, bald unter diesem, bald unter jenem Vorwande, und schmeichelte ihr, die noch eitel genug war, seine Aufmerksamkeiten auf sich selbst zu beziehen, so ungemein, daß sie ihm nicht nur jederzeit äußerte, wie gern sie ihn bei sich sähe, sondern ihm auch zu wiederholten Malen Gelder gab, mit denen er sich reich und stattlich wie ein moskowitischer Edelmann kleidete.

Der guten Frau genügte es überdies nicht, nur so viel für ihn zu tun. Eines Tages, da der Kaiser zu ihr kam und mit ihr über ihre Webstühle sprach, nahm sie die Gelegenheit zu klagen wahr, daß das Haus gar zu eng und klein für ihre Arbeit sei, und erwähnte mit guter Art der außerordentlichen Erfindung Berlacecis von Mailand, der da in Polen oder Preußen aufzukaufende große Gebäude mit leichter Mühe zu der Zier und Bequemlichkeit der neuaufblühenden Hauptstadt in sie herüber zu verpflanzen erbötig sei. Sie hatte diese Worte kaum gesprochen, als ihr der Kaiser, ein sehr einsichtiger Herr, erwiderte: »Laß ihn auf den Hauptplatz dieser Stadt den alten baufälligen Turm von Kronschlott schaffen, Frau, so will ich dies für einen Beweis seines Wissens und Geschicks ansehen und bereit sein, ihn mit ansehnlichem Gehalte als meinen Architekten anzustellen. Inzwischen soll der Befehl gegeben werden, daß man dem Berlaceci zu seinen Versuchen allen nötigen Vorschub tut und auf der Newa Tannen herunterfährt, weil in der Stadt schwerlich Hebebäume genug für ihn aufzubringen sind.

Die alte Holländerin war über den Beschluß des Zaren so erfreut, daß sie Berlaceci auf der Stelle wissen ließ, wie ihm nun mehr, als er selbst verlange, zugestanden sei. Des Italieners Scharfsinn erkannte die schriftliche Mitteilung solch eingetretenen Glücksfalles nach Mailand für das Nötigste, damit ihm der Oheim vollständiger und genügend die Beschaffenheit der großen Maschine erläutere. Er befürchtete nur, sein Brief könne entweder unterwegs verlorengehen oder, im Fall er glücklich anlange, seines mißtrauischen Oheims Zweifel nicht beseitigen, und entschloß sich, sich seinem Freunde gänzlich anzuvertrauen; er rief ihn also beiseite und erläuterte ihm seine Wünsche folgendermaßen: »Wenn meine Bitten irgend etwas über dich vermögen, mein lieber Freund, so ersuche ich dich, mir zu Gefallen nach Mailand zu gehen und meinen Onkel dahin zu vermögen, sich seines mir gegebenen Versprechens durch völliges Vertrauen zu entledigen.« Der Piacentiner erwog diesen Vorschlag eine Weile unschlüssig hin und her. Wie schwer ihm aber auch der Entschluß zu einer solchen Reise ward, so nötigte ihn doch einerseits das Unternehmen gewissermaßen selbst dazu, weil es schon zu weit gediehen war, als daß ein vor dem Kaiser anzustellender Versuch hätte füglich unterbleiben können. Andererseits vollbrachte seine Liebe und Freundschaft zu Berlaceci gern alles irgend zu Verlangende. Er riß sich also von seinen eigenen Geschäften los, Heß sich das nötige Geld geben und trat die Reise nach Italien an.

Inzwischen fuhr die gute Alte fort, ihren Berlaceci mit allem zu versehen, was er bedurfte, um die nötigen Anstalten zu einem Versuche seiner Kunst zu treffen. Es kamen in Petersburg viele Tannenstämme zu dem großen Baue an, und der Bauherr selbst hielt in Erwartung des inhaltschweren Briefes aus Mailand seine Gönnerin und den Kaiser mit verschiedenen Kleinigkeiten auf. Wie es nun aber wohl je zuweilen geschieht, daß allzugroßes Wohlergehen die Menschen der nötigen Vorsicht vergessen macht, und daß Überfluß an Gütern in ihnen Überdruß erzeugt, so hub zuletzt der von dem immerwährenden Umgange mit der Holländerin gelangweilte Berlaceci also mit sich selbst zu reden an: »Berlaceci, was hast du eigentlich noch länger mit der alten Frau zu tun? Sie hat dich reich gemacht und dir den Weg zu allen Dingen, die du wünschen mochtest, gebahnt. Warum siehst du dich nun nicht nach einem jungen Mädchen zu deinem Weibe um, das dir ein hübsches Vermögen zu der Mitgift bringt und dich zu dem zufriedensten Menschen von der Welt machen kann?«

Als er diesem Selbstgespräche gemäß auf einem Feste bald nachher eine schöne und reiche Jungfrau des Landes wahrnahm, schickte er sich an, sich mit Eifer und Aufmerksamkeiten jeder Art um ihre Gunst zu bemühen, und entflammte seine Holländerin, die sich dieser Veränderung seines Sinnes wohl versah, zu solcher Eifersucht, daß sie jeden seiner ferneren Schritte bewachte und ihn so lange mit Klagen und Vorwürfen umsonst bestürmte, bis sie die Überzeugung gewann, daß ihr dies alles bei ihm von keinem Nutzen sei. Dann aber verwandelte sich auch ihre frühere Liebe zu ihm in bitteren Haß, und obwohl sie noch viele Tränen um seiner Untreue willen vergoß und in tiefste Betrübnis darob versunken blieb, so nahm sie sich doch recht geflissentlich vor, aus Rache für die ihr angetane Schmach ihre Hand und Hilfe von ihm abzuziehen. Berlacecis Unbedachtsamkeit kehrte sich allerdings nicht daran, daß die Quelle seines Wohlstandes allmählich zu versiechen schien; denn er verschwendete sein geringes Besitztum schneller, als er es erworben hatte, und kam so weit herunter, daß er bei keinem Menschen mehr Hilfe und Vertrauen fand. Vier Monate strichen darüber hin. Er hoffte zwar immer noch durch seine Maschine mit einem Male alles wiederzugewinnen, was ihm durch den verlorenen Beistand und den guten Willen seiner beleidigten Gönnerin zerronnen war. Aber als der längst erwartete und ersehnte Brief des Piacentiners aus Mailand kam und von dem freudig ungeduldigen Berlaceci erbrochen ward, las er daraus, zu seiner schweren Demütigung und Beschämung, ja zu seiner gänzlichen Vernichtung: daß sein Oheim, ohne irgend etwas an ihn zu hinterlassen, gestorben sei.

Furcht vor dem Zorne der Alten und vor der Gerechtigkeit des Kaisers bemächtigte sich nach dieser Katastrophe des Unglücklichen dergestalt, daß er, ohne sich von einem Menschen zu verabschieden, die wenigen Gelder, die sich in seinem Bereiche vorfanden, nahm, sein kleines Bündel schnürte und an das Gestade des Meeres lief, über das er sich in einer Barke, man hat niemals erfahren wohin, flüchtete.

Was die arme Holländerin anbelangt, so kann man leicht erachten, daß sie in der Folge gewiß weniger über die zu Wasser gewordene Häuserfahrmaschine gelacht, als über ihre schlecht vergoltene Liebe und Anhänglichkeit geweint haben wird.


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