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Italienische Novellen. Dritter Band
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Giovanni Battista Giraldi

Der ertappte Tugendlehrer

Ferrara ist zwar eine viel jüngere Stadt als die andern italienischen Städte; aber deswegen ist es nicht geringer als die andern hinsichtlich Größe und Pracht, geschweige denn in der Einsicht und Klugheit, mit der ihre Herren ihre Geschicke lenken, die alle ihre Sorge darauf verwenden, ihr Volk nicht nur zufrieden zu machen, sondern es auch mit allen Tugenden zu schmücken, die geeignet sind, freie Menschen zu adeln, das heißt, die das Studium der schönen Wissenschaften fördern. Dieses Studium ist die Ursache, daß unter den Bürgern immer in jeder Art Wissenschaft hochgelehrte Männer sich befinden. Und nicht nur bedienen sich diese ausgezeichneten Herren der Stadt der Geister ihres Vaterlandes, obgleich sie unter diesen recht hervorragende besitzen, sondern sie ziehen auch mit großen Gehältern angesehene Fremde heran, damit sie die Jünglinge zu allem Guten und Schönen begeistern.

Nun befand sich in diesem Dienst an der Öffentlichkeit ein fremder Gelehrter, der in seinem Fache einen großen Namen hatte; er hatte auch seine Frau und sein ganzes Hausgesinde mitgebracht, worunter sich ein Mädchen befand, liebreizend, hübsch aussehend, anmutig und schlank, im Alter von fünfzehn Jahren. Obwohl der Gelehrte schon ein wenig in Jahren war und graue Haare hatte, dazu eine junge, schöne Frau besaß, so entbrannte er, was kaum zu glauben ist, in Liebe zu dem Mädchen; und wo er Gelegenheit dazu hatte, war er hinter ihr her, bald mit Scherzen, bald mit Worten, bald mit Tätscheln, und redete ihr zu, nett zu ihm zu sein und seinen Wünschen zu willfahren. Nigella – denn so hieß das Mädchen – wies ihn oft von sich und sagte zu ihm: »Herr, ich bin nicht dafür, mich einem Manne hinzugeben, so reich und mächtig er auch sein mag, mit dem ich nicht verheiratet wäre; und deswegen hört auf, mich in Versuchung zu führen, weil ich nichts für Euch und Ihr nichts für mich seid. Ihr würdet gut daran tun, Euch mit Eurer Frau zu begnügen, die nicht verdient, daß Ihr sie verachtet oder daß Ihr ihr solches Unrecht zufügt.«

Trotz dieser Worte hörte der Gelehrte nicht auf, sie zu belästigen, und eines Tages ging er so weit, daß er, wie er sie an einem passenden Orte fand, ihr die Hand an den Busen legte, einen Kuß raubte und sprach: »Mein Süßes, wenn du mir nachgibst, werde ich dir hundert Lire zur Mitgift schenken.«

Nigella erwiderte ihm: »Schenkt doch die hundert Lire einer andern, denn meine Ehre will ich behalten«, lief ganz aufgebracht von ihm weg und ging zu ihrer Herrin und sagte ihr, was der Gelehrte gesagt und ihr getan hatte, und daß sie keinen Schritt tun könne, ohne daß er hinter ihr her wäre und sie belästige, und sie bitte sie, ihr diese Plage vom Halse zu schaffen.

Die Frau, die sehr wohl wußte, daß ihr Mann sicherlich ausgelassener war, als seiner Würde und seinem Alter entsprach, sagte zu ihr: »Nigella, du bist ein Dummkopf; wie du weißt, ist mein Mann recht ausgelassen, und wenn er mit dir scherzt, tut er es zum Spaß, nicht weil er von dir etwas Unanständiges verlangt; denn ich kenne ihn nicht als einen so kräftigen Hahn, daß er zwei Hennen zugleich braucht: er hat reichlich genug an mir.«

»Ihr täuscht Euch«, erwiderte Nigella, »wenn ich seinen Wünschen so willfahren würde, wie er sich bemüht, dann würde ich von ihm entehrt werden, und Euch hätte er beleidigt. Aber abgesehen davon, daß mir meine Ehre lieb ist, so würde es mir zu leid tun, Euch so Veranlassung zu Kummer zu bereiten. Und ich sage Euch weiter, wenn er es weiter so treibt und Ihr keinen andern Ausweg findet, werde ich mir eine andere Herrin besorgen, denn ich will mich nicht so andauernd ärgern müssen, besonders in meinem jugendlichen Alter.«

Aber weil die Frau viel Vertrauen zu ihrem Manne hatte, blieb sie bei ihrer Meinung, daß das, was das Mädchen ihr gesagt hatte, viel eher zum Scherz gesagt wäre als aus lüsternem Verlangen des Mannes nach ihr. Und sie sprach zu dem Mädchen: »Nigella, mein Mann erlaubt sich einen Spaß mit dir, glaube es mir! Aber wenn er es auch zu einem andern Zweck täte, so sage ich dir, die Männer sind Männer und die Frauen Frauen, und die Männer können mit den Frauen nichts tun, wenn diese nicht damit einverstanden sind, und eine Frau kann sich, wenn ein Mann sich anschickt, seinen Sturmangriff auf sie zu unternehmen, so gut verteidigen, daß er sie eher töten als vergewaltigen kann, wenn sie nicht will. Also, mein Töchterchen, wenn der Herr auch um dich herumscherwenzelt, so viel er will, und dich belästigt, wie er dich nur belästigen kann, so wird er doch niemals das von dir erlangen, was du ihm nicht geben möchtest. Und ich sage dir, wenn du von mir weggehst, wie du mir gesagt hast, könntest du leicht in die Lage hineingeraten, der du zu entfliehen suchst. Daher bemühe dich, vernünftig zu sein: wenn du so handelst, wirst du nichts zu fürchten haben.«

Der Nigella erschien es sehr seltsam, daß die Dame solches Vertrauen zu dem Doktor hatte, daß sie – während doch die anderen Damen oft auf ihre Ehemänner eifersüchtig werden, obgleich sie ihnen keinen Grund dazu geben, – daß sie, als sie etwas hörte, was ihr hätte unendlichen Argwohn einflößen müssen, nichts davon glauben wollte. Und damit die Dame nicht dächte, sie hätte ohne Grund zu ihr darüber gesprochen, begann sie abzuwarten, ob sich ihr eine Zeit bieten würde, wo sie der Dame zeigen könnte, daß all das, was sie ihr gesagt hatte, wahr sei; und deshalb ertrug sie geduldiger als bisher die Belästigung durch ihren Herrn, die von Tag zu Tag größer wurde. Da es aber dem Doktor so vorkam, als ob die Geduld, die Nigella an den Tag legte, ihm Hoffnung gab, sein Verlangen zu befriedigen, wartete er, bis das Schicksal ihm dazu eine günstige Gelegenheit bot.

Einmal war Nigella in eine Kammer hinaufgestiegen, worin das Mehl lag, um es zu sieben; denn am nächsten Tage wollte sie davon Brot backen. Sie nahm das Sieb und begann durch ziemlich lebhaftes Schütteln die Kleie von dem Mehl zu sondern. Der Herr Doktor hatte sein Scharlachgewand an, dessen Kapuze ihm über die Schulter hing, und wollte gerade zu seiner Vorlesung gehen; da merkte er, daß Nigella oben war und Mehl siebte. Als er daraufhin verstohlen in das Zimmer schaute und seine Frau eifrig mit weiblichen Arbeiten beschäftigt sah, meinte er, nunmehr Zeit und Gelegenheit zu haben, um sich ohne Argwohn Nigellas erfreuen zu können; und während er hätte die Treppe hinuntergehen müssen, um zu seinen Vorlesungen zu gehen, stieg er nach oben in den Raum, wo Mehl gesiebt wurde, faßte Nigella um den Hals und gab ihr einen Kuß, wobei er sagte: »Meine Seele, jetzt ist es Zeit, daß du mich nicht mehr quälst. Wem willst du die Blüte deiner Jungfräulichkeit geben, wenn nicht mir, der ich dich so sehr liebe und der ich dir so viel Gutes tun kann? Jedenfalls wirst du doch die Frau eines armen Mannes werden, der dich entjungfern wird; aber die hundert Lire, die ich dir geben werde, werden ihm lieber sein als noch so viel Jungfräulichkeit, die du ihm geben könntest. Außerdem – wenn du dich einmal verheiraten solltest, werde ich dir ein Mittel sagen, um dich so zurechtzumachen, daß es scheinen wird, als seiest du noch so jungfräulich, wie du aus dem Mutterleib hervorgegangen bist.«

Nigella schien die Zeit gekommen zu sein, ihre Herrin aus ihrem Wahne zu reißen; daher sprach sie: »Ihr macht mir so viel Versprechungen, mein Herr, und führt mir so viel Gründe an, daß ich Euch diesmal nicht Nein sagen kann und bereit bin, Euch gefällig zu sein. Aber ich möchte nicht, daß zum Unglück die gnädige Frau, die ich müßig in ihrem Zimmer ließ, als ich hierher kam, mich nicht mehr das Sieb schütteln hörte (ein Geräusch, das, wie Ihr wißt, dort unten ebenso gut gehört werden kann wie hier oben), daß sie dann nach oben käme und mich mit Euch zusammen fände, worauf wir beide, Ihr und ich, gleichzeitig Schimpf und Schande ernten würden. Daher ergreift gefälligst das Sieb und schüttelt es, solange wie ich hinuntergehe. Und wenn ich sie in solcher Beschäftigung finde, daß ich keine Schande zu befürchten habe, werde ich sofort zu Euch kommen und werde Euch vollkommenes Vergnügen an mir geben.«

Diese letzten Worte gefielen dem Doktor, und da er wußte, in welcher Beschäftigung er seine Frau verlassen hatte, war er zufrieden, daß sie hinunterging, um sich zu vergewissern, dachte er doch, sie dann in größerer Ruhe genießen zu können; also sagte er: »Geh und komm bald wieder, damit ich zu meinen Studenten gehen kann, die darauf warten, daß ich ihnen eine Vorlesung halte, und bringe gleich die Bürste mit, um mir meine Kleidung vom Mehl reinigen zu können, das man vom Schütteln des Siebes darauf wird sehen können.«

»Gern, mein Herr«, sagte sie, und das boshafte Mädchen verließ den Doktor, nahm die Treppe mit vier Schritten und suchte ihre Herrin auf.

Als diese sie ganz weiß vom Mehl sah, dabei aber immer noch das Geräusch des Siebes hörte, fragte sie: »Was ist denn das, Nigella? Du bist hier unten, und von oben hört man das Sieb?«

Darauf erwiderte Nigella: »Ich bitte Euch, gnädige Frau, kommt gefälligst nach oben; denn ich möchte, daß Ihr einen neuen Siebschüttler so gut das Sieb handhaben seht, um die Kleie vom Mehl zu sondern, daß Ihr Euch nicht weniger darüber wundern werdet, als ich es getan habe.«

»Was für ein Wunder ist das denn?« fragte die Frau.

»Ich möchte«, bemerkte Nigella, »daß Ihr es mit Euren eigenen Augen sehen sollt!«

»Geh«, erwiderte die Frau, »ich folge dir; denn ich möchte doch sehen, was für ein Wunder es ist.«

Während die beiden Frauen so miteinander sprachen, schüttelte der Doktor das Sieb mit kräftiger Hand und frohlockte, da er glaubte, Nigella dazu gebracht zu haben, ihm gefällig zu sein, und bei der kleinsten Bewegung, die er hörte, glaubte er, sie wäre es, die wiederkäme. Als er nun beim Heraufsteigen der Frauen Nigella husten und spucken hörte, erkannte er sie sogleich und rief ganz vergnügt: »Da ist sie ja!«

Nigella blieb aber etwas zurück, als die gnädige Frau schon die letzte Stufe der Treppe erstiegen hatte, und da der Doktor meinte, es sei das Mädchen, rief er ihr entgegen: »Du wirst doch erst kommen, wenn es Gott gefällt! Ich bin schon ganz Mehl, und du wirst Mühe haben, mich zu säubern, das kannst du mir glauben!« Dabei wandte er sich rückwärts und erblickte an Stelle von Nigella – seine Frau, und da er sah, daß er von ihr überrascht war, schwand ihm mit einem Male die Besinnung.

Aber die Frau, die alles andere eher gedacht hatte, als ihren Mann bei solcher Beschäftigung zu finden, geriet ganz außer sich und sprach: »So ist's gut, lieber Mann, daß Ihr aus einem Doktor und Herrn des Hauses, der Ihr gewesen seid, Euch in einen Siebschütteler verwandelt habt und der Diener Eurer Magd geworden seid! Was um Gottes willen habt Ihr machen wollen?«

Bei diesen Worten wurde der Doktor röter im Gesicht, als das Scharlachgewand war, das er anhatte, und obwohl er in seinen Vorlesungen äußerst redegewandt war, stand er jetzt, wie seine Frau ihn scharf ausschalt, stumm da. Doch faßte er sich bald wieder und suchte nun die Frau mit den süßesten Worten zu besänftigen und bat sie, ihm seine Verschuldung im Hinblick auf die menschliche Schwäche zu verzeihen, die einem so mächtigen Feinde gegenüber, wie es Amor sei, wenig Widerstandskraft hätte, wenn Amor jemanden mit seiner ganzen Gewalt bestürme.

»Wenn das so ist, lieber Mann«, sagte die Frau, »wie müßte ich von Euch entschuldigt werden, – die ich doch zum schwachen, kraftlosen Geschlecht gehöre und leichter besiegt werden kann als Ihr, – wenn ich, die ich jung bin, mit jungen Leuten das tun würde, was Ihr grauhaariger Mann mit Nigella tun wolltet?«

Der Doktor antwortete ihr: »Das will ich nicht von dir denken, liebe Frau; denn ich weiß, daß du dich gegen solche Anfechtungen gewehrt hättest mit dem Schilde der Ehre, die dir, wie ich weiß, weit teurer ist als das Leben. Aber wenn es doch geschähe – was Gott verhüten möge! –, so würde ich dir ebenso verzeihen, wie ich möchte, daß du jetzt mir verzeihst.«

»Jetzt seid Ihr sehr liebenswürdig und menschlich«, entgegnete die Frau, »aber Ihr habt nicht nötig, daß ich Euch verzeihe: denn nicht mir, sondern Euch habt Ihr Unrecht getan. Um meinetwillen würde ich Euch nämlich nicht ein einziges Wort sagen, wenn es sich nicht um Eure Schande handelte; aber es tut mir weh, wenn ich sehe, daß Ihr, der Ihr so viel wißt und andere lehrt, vernunftgemäß zu leben, Euch die Augen so habt zur Lüsternheit trüben lassen noch dazu in Eurem reifen Alter, daß ein junges Mädchen sich über Euch lustig gemacht hat, als ob Ihr ein Einfaltspinsel wäret! Ihr Unglücklicher, wie wollt Ihr, daß noch jemand zu Euch kommt um Rat in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens, wenn er sieht, daß Ihr die Gesetzbücher mit dem Sieb vertauscht habt? Wenn man das erführe, würdet Ihr auf diese Weise zum Gespött der Kinder werden, so daß Ihr nicht auf der Straße erscheinen könntet, ohne daß sie Euch hinterher schreien würden.«

Der Doktor sah, daß seine Frau nur zu sehr recht hatte, und zeigte sich ihr so demütig, daß ihr Zorn sich sehr schnell in Mitleid verwandelte. Sie verließen beide den Raum und gingen in die Stube, wo sie ihn mit Hilfe einer Bürste vom Mehl säuberte, von dem er so weiß geworden war, wie wenn er eingeschneit gewesen wäre. Den Studenten ließ er sagen, daß er infolge eines dazwischengekommenen Unfalles an diesem Tage keine Vorlesungen halten könne.

Obwohl die Frau Nigella wegen ihrer Anständigkeit lobte, wollte sie doch jemanden, der ihrem Mann solch einen Schabernack gespielt hatte, nicht vor Augen haben. Daher ließ sie ihr eine Mitgift geben und gab sie einem Schmied zur Frau, der sie nach Mantua, seiner Heimat, führte. So geriet alles in Vergessenheit, und sie lebte in größtem Frieden mit ihrem Mann.


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