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Italienische Novellen. Dritter Band
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Antonio Francesco Grazzini

Fiammetta und der Arzt

Es ist nicht lange her, da lebte in unserer Stadt ein Notar, der sich Herr Anastasius dalla Pieve nannte. Er kam klein nach Florenz und war dann als Erzieher im Hause der Strozzi, um schließlich, als er heranwuchs, sich in die Zunft einzuschreiben; nachdem er im Gerichtsgebäude begonnen hatte Geld zu verdienen, wurde er im Laufe der Zeit reich. Als er nun schon beinahe alt geworden war, beschloß er, weil er niemand hatte, um ihm seine Habe zu hinterlassen, ein Weib zu nehmen. Da er nicht nach Mitgift fragte, fand er glücklich ein junges, schönes Mädchen aus vornehmem Hause, das von ihm, innerhalb wie außerhalb des Bettes, in allen Dingen zufriedengestellt ward, die sie nur immer fordern und erbitten mochte. Denn der Herr war von ihr so bezaubert und so in sie verhebt, daß er der eifersüchtigste Mann der Welt geworden war, der mehr Mühe und Sorgfalt darauf verwandte, sie gut zu bewachen, als daß er Kunden zu gewinnen und Verträge aufzusetzen suchte.

Das Mädchen, die sich Fiammetta nannte, ward gar bald des verkehrten Sinnes und der Furcht ihres Gatten inne; darob und weil sie von edlem Blut und adliger Gesinnung war, entrüstete sie sich so sehr, daß sie sich vornahm, ihm das anzutun, nur aus diesem Grunde, was sie anders nie auch nur gedacht hätte zu tun. Und da sie gewahr wurde, daß ein ihr benachbarter Arzt, der vor kurzem aus Paris zurückgekehrt war, wo er zum Studium gewesen, ein Mann von ungefähr fünfunddreißig Jahren, voll Anmut und Grazie, ihr in besonderer Weise den Hof machte, begann sie ihm ein heiteres Gesicht zu machen. Darüber war der Arzt außer sich vor Freude und ging noch häufiger am Hause vorbei; und da sie ihn immer freundlicher ansah, geschah es, daß sie sich in ihn verliebte. Als sie so einander liebten, begehrten sie nichts glühender, als sich zusammenzufinden. Aber sie konnten damit nicht zu Rande kommen wegen einer alten Magd, die der Herr zu keinem andern Zweck im Hause hielt, als daß sie tagsüber aufpasse; nachts dann behütete er sie selbst. Damit waren Fiammetta und ihr Magister Julius, denn das war der Name des Arztes, ganz und gar unzufrieden. Trotzdem berieten sich die junge Frau und der, den die Sehnsucht zusammenschnürte, um Mittel und Wege, zu ihrer Lust zu finden; und es kam ihr eine neue List in den Sinn, um mit ihrem Arzt zusammen zu sein und sich mit ihm zu vergnügen. Davon unterrichtete sie ihn durch Briefe.

Nachdem sie so einig waren über das, was sie unternehmen wollten, begann die gute Frau eines Nachts im ersten Schlafe laut zu schreien und zu rufen: »0 Herr Anastasius, o mein Gemahl, ich sterbe, ich sterbe! 0 weh, helft mir um Gottes willen!«

Herr Anastasius, erwacht, sprang sofort im Hemde aus dem Bett. Er rief die Mägde, die schnell mit entzündeter Öllampe herbeieilten, um der zu helfen, die nicht aufhörte weh zu schreien und sich zu beklagen. Sie sagte, der ganze Körper täte ihr weh, und sie fühle, wie ihr Leib sich aufblähe. Die andern wärmten Tücher und Kohlblätter, aber wußten dann nicht mehr was tun, als sie sahen, daß nichts half und der Schmerz und das Geschrei schlimmer wurden, während sie rief: »O ich Unglückliche, ich Arme! O mein lieber Gemahl, ich platze, ich platze, mein lieber, süßer Gemahl! Helft mir, helft mir, ich fleh' Euch an«; und sie verdrehte die Augen auf die unwahrscheinlichste Art.

Herr Anastasius, vor Zärtlichkeit weinend und fürchtend, sie möchte ihm unter den Händen sterben, beschloß zum Arzt zu gehen. Und um ihr etwas Trost zu geben, sagte er es zu seiner Frau, worauf sie antwortete: »Mach schnell, mein guter Gemahl, um Gottes willen! Schnell, sag' ich, damit es nicht zu spät sei!«

»Beruhigt Euch«, erwiderte der Herr, »denn ich will, um so schnell wie möglich zu machen, hier um die Ecke gehen, zu Magister Julius, unserm Nachbarn.«

»Ja, gut,« sagte Fiammetta, »zögert nicht! 0 weh, ich werde sterben, wenn er nicht sofort kommt, um mir irgendwie zu helfen.«

Der Notar verlor keine Zeit und machte sich sofort auf den Weg. Ohne allzulange zu klopfen, gab ihm der Arzt, der bereit stand, Antwort, und so standen sie in wenigen Augenblicken in dem Zimmer, wo sie in Verzweiflung lag. Der Magister grüßte sie und sprach ihr fürs erste Mut zu; dann untersuchte und befühlte er sie am ganzen Körper, wandte sich zum Gatten und sagte: »Sie hat entweder etwas Giftiges gegessen, oder es ist ein Frauenleiden. Ihr müßt, wenn Ihr sie retten wollt, zur Sternenapotheke gehen um eine Latwerge, die ich verordnen werde, ein hervorragendes und besonders angezeigtes Heilmittel gegen Gift wie gegen Frauenleiden.«

»Das ist wenig«, antwortete der Herr und fügte hinzu: »Wachet hier, bis ich wieder da bin.«

»Seid versichert«, sagte der Magister, »daß ich ihr inzwischen ein Hausmittel auf den Leib geben werde, das ich hier mit diesen Mägden zubereiten will.«

»Jetzt werde ich gehen«, sagte Herr Anastasius.

Nachdem man ihm Schreibzeug gebracht, schrieb ihm der Magister ein außergewöhnliches Rezept und sandte ihn eiligst zu jenem Apotheker, der seinen Laden im Wohnhaus hatte. Er aber blieb um Fiammetta, die fortwährend schrie. Aber als sie den Gatten das Tor schließen hörte, begann sie noch stärker zu jammern und beherrschte das ganze Haus mit ihrem Geschrei, indem sie tat, als ob der Schmerz zunähme. Daher sagte der Arzt zu den Mägden, die Mehl und Öl für den Umschlag brachten, daß er einen Zauber machen wolle, da er kein anderes Mittel mehr sehe, sie am Leben zu erhalten. Er wandte sich zu ihnen und befahl, ihm hurtig einen Becher Wein und einen mit Wasser zu bringen, was auch sogleich geschah; worauf der Arzt in jede Hand einen nahm, sich den Anschein gab, als ob er über jedem einzelnen ich weiß nicht welche Formeln spräche und sie der Fiammetta darreichte, den Wein mit der rechten Hand, das Wasser mit der linken, und ihr gebot, vier Schlucke von dem einen und von dem andern zu trinken; und jenen Mägden machte er begreiflich, daß sie, wenn sie die Herrin am Leben erhalten wollten, sofort, die eine auf den höchsten, die andere zum tiefsten Punkt des Hauses gehen müßten, um dort vier Rosenkränze zu beten, je einen zu Ehren der vier Evangelisten. Er gebot ihnen sehr aufmerksam zu sein, damit sie langsam und vollständig beteten und sich durch nichts abbringen ließen, bevor sie nicht fertig gebetet hätten. Die Mägde glaubten fest daran, und obwohl es ihnen verdrießlich erschien, gingen, ohne an anderes zu denken, die Alte hinab in den Keller und die Junge hinauf auf das Dach, jede mit ihrem Rosenkranz; denn sie wollten ihre Herrin heilen, die ununterbrochen mit lauter Stimme schrie und jeden Augenblick ihren Geist aufzugeben schien.

Aber kaum waren die Mägde aus dem Zimmer, ließ Magister Julius Wein und Wasser und Zauber beiseite und sie die Schreie und das Jammern. Welches Vergnügen einer am andern hatte, werdet ihr euch leicht vorstellen können. Und sie hatten Muße, denn Herr Anastasius befand sich auf der Straße nach Fiesole, und bevor er dort war und vom Apotheker die Latwerge zubereitet war, verbrachte er eine gute Weile, und das nahm so viel Zeit in Anspruch, daß er nicht mehr dachte, seine Frau noch lebend anzutreffen. Auf diese Weise waren der Herr Arzt mit seiner schönsten Fiammetta dreimal zum Turnier gegangen mit unendlichem und wunderbarem Wohlgefallen von beiden Seiten. Aber als es ihnen an der Zeit schien, daß die Mägde oder der Notar zurückkommen müßten, machte sich die Frau zurecht, als ob sie schliefe, und der Arzt ließ sich auf die Kniee nieder, wobei er so tat, als läse er in seinen Papieren.

Nachdem die Mägde ihre Rosenkränze beendigt hatten und die eine aus dem Keller, die andere vom Dache fast zu gleicher Zeit zurückkamen, betrat die Alte als erste das Zimmer, um zu sehen, wie es mit der Herrin stünde. Als sie den Arzt auf der Erde knieend murmeln und die Frau im Bette still und ruhig liegen sah, als ob sie schliefe, fürchtete sie, sie sei gestorben, und wollte schreien und Lärm machen; aber sie wurde sogleich vom Magister zurückgehalten und schweigen geheißen: »Die Herrin sei geheilt und ruhe sich schlafend aus.« Als er dann diese Magd und die andere, die auch schon ins Zimmer gekommen war, gefragt hatte, ob sie die Rosenkränze beendet hätten, und sie »Ja« geantwortet hatten, stand er auf gerade in dem Augenblick, als Herr Anastasius an das Tor klopfte, das ihm sogleich von einer der Mägde geöffnet wurde. Dann erschien er sofort im Zimmer ganz aufgeregt und schwer atmend mit der Latwerge, voll Furcht, seine Frau nicht mehr lebend anzutreffen.

Ihm sagte sogleich Magister Julius: »Eure Gemahlin befindet sich sehr wohl. Durch Gottes Gnade ist sie geheilt, so daß wir keine Arzneien mehr nötig haben.« Und er erzählte ihm alles und wie er gezwungen war, da ihm kein anderes Mittel mehr blieb, zu einem Zauber Zuflucht zu nehmen. Inzwischen wandte sich jene, indem sie tat, als ob sie erwache, ganz heiter und lächelnd an ihren Gatten und sagte: »Mein süßester Gemahl, gebt Euch Rechenschaft, daß Ihr Eure Fiammetta aus dem Grabe zurückhabt, und sagt Dank fürs erste Gott dem Herrn und zum andern dem Magister Julius!« Herr Anastasius zögerte nicht, dafür Gott zu danken und dem Arzt, und voller Freuden wollte er dem Magister einen Goldgulden verehren. Aber der Arzt antwortete, daß er für solche Behandlung niemals Geld zu nehmen pflege; nach vielen Höflichkeiten und Danksagungen nahm er schließlich Abschied von ihnen und ging in sein Haus. Der Hausherr und seine Frau schickten die Mägde ins Bett und legten sich sehr vergnügt schlafen.

Am andern Morgen hatte Herr Anastasius bei dem Prokonsul wegen bestimmter wichtiger Rechtsfälle zu verhandeln, die er in Händen hatte. Er stand früh auf und ließ seine Frau schlafen, denn er dachte, daß sie nach den Beanspruchungen der vergangenen Nacht größtes Bedürfnis danach haben müsse. Er zog sich eilig an, um wegzugehen; aber als er die Treppe hinunterging, wollte es sein Mißgeschick, daß er strauchelte und von der ersten Stufe ganz hinabstürzte; dabei schlug er sich neben andern Verletzungen eine Schläfe so sehr auf, daß ihm die Sinne schwanden. Beide Mägde liefen bei dem Lärm herbei und ebenso Fiammetta; als sie hinunterkamen, fanden sie ihn auf der Erde bewußtlos hingeschlagen und ganz blutig an der Seite des linken Ohres in einem solchen Zustand, daß sie fest glaubten, er sei tot. Weinend erhoben sie ein lautes Wehgeschrei; davon lief die ganze Nachbarschaft herbei, und sogleich trug man den Herrn so zerschlagen und blutig auf das Bett und schickte nach zwei Wundärzten, den ersten von Florenz. Inzwischen rieben sie ihm die Pulse mit kaltem Wasser und Essig, so daß ihm die geschwundenen Sinne zurückkehrten gerade in dem Augenblick, als die Ärzte kamen. Nachdem ihn diese genau angesehen und den Bruch mit der Sonde untersucht hatten, gaben sie ihn auf, indem sie sagten, man solle ihn beichten lassen, da er nur noch kurz zu leben hätte.

Fragt nicht, wieviel Kummer das erregte und welchen Schmerz Fiammetta darüber zeigte! Dies machte dem Gatten mehr Mühe und Not als die Verletzung selbst, so daß er zunächst seine Seele läuterte und dann sein Testament machte. Da er keine Verwandten hatte, die ihn gesetzlich beerben würden, hinterließ er alles seiner Frau zur freien Verfügung und machte sie zur Alleinerbin aller seiner beweglichen und unbeweglichen Güter ohne Verpflichtung oder Auflage, um offen die glühende und unvergleichliche Liebe, die er für sie hegte, zu zeigen. Worüber Fiammetta, innerlich hocherfreut, so sehr heulte, daß es schien, als ob sie mit den Tränen zugleich sich die Seele aus dem Leibe weinen wollte, so sehr, daß Herr Anastasius, seiner selbst vergessend, gezwungen war, sie zu stärken und zu trösten. Indem er ihr sagte, daß sie reich hinterbliebe, wünschte und erbat er nur eine Gunst, und das war: Falls sie sich nicht wieder verheiraten würde, solle sie nach ihrem Tode alles dem Waisenhause hinterlassen; oder falls sie sich wieder verheiratete, möge sie dem ersten Sohn, der ihr geboren würde, den Namen Anastasius geben, damit sie Anlaß habe, sich lange an ihn zu erinnern. Unter strömenden Tränen versprach ihm die Frau alles vielmals; dann verlor der Herr, da sich sein Zustand stark verschlimmerte, bei Sonnenuntergang die Sprache und verschied in derselben Nacht.

Fiammetta teilte ihre heftige Betrübnis mit ihrem Vater und den Brüdern, die sie besuchen gekommen waren, und ließ ihn anderntags aufs ehrenvollste begraben. Der alten Magd, die lange Zeit im Hause gewesen war, gab sie außer dem Lohn ein gutes Geldgeschenk und schickte sie fort; die junge verheiratete sie. Sie selbst, da sie reich war und sich jung fand, entschloß sich gegen den Willen ihres Vaters und all der Ihren, sich wieder zu verheiraten. Da sie ihren Magister in bester Erinnerung und ihn immer vor Augen und in allen Liebesproben als tüchtigen und freimütigen Liebhaber befunden hatte, so unterhielt sie mit ihm im geheimen ein sehr enges Verhältnis. Auch er nicht weniger als sie ersehnte in jeder Hinsicht die Hochzeit, so daß sie schließlich in der ehrbarsten Weise, die möglich war, die Ehe schlossen. Sie lebten dann lange Zeit, sich ihres Glücks erfreuend, zusammen, sehr reich und zufrieden, und nahmen ständig zu an Wohlstand und Kindern. Fiammetta hielt nach Zeit und Ort darin ihrem Gatten die Treue, daß sie ihrem ersten Sohne den Namen Anastasius gab.


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