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Italienische Novellen. Dritter Band
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Giovanni Battista Giraldi

Der Mohr von Venedig

(Shakespeare, Othello)

In Venedig lebte vorzeiten ein sehr tapferer Mohr, dessen streitbarer Arm sowohl, als die große Klugheit und Geistesgegenwart, die er in Kriegssachen bewiesen hatte, ihn den Herren jener Stadt sehr wert machten, die immer in Belohnung vorzüglicher Handlungen alle Republiken der Welt übertreffen hat. Nun begab es sich, daß ein tugendreiches Fräulein von wunderbarer Schönheit, Disdemona genannt, nicht von weiblichen Begierden, sondern von den Tugenden dieses Mohren angezogen ward, sich in ihn zu verlieben, während er, von der Schönheit und der edeln Gesinnung der Dame besiegt, gleichfalls für sie entbrannte. Die Liebe war ihnen so günstig, daß sie sich beide durch die Ehe verbanden, obgleich die Eltern des Fräuleins alle ihre Kräfte aufboten, um sie zu vermögen, einen andern Mann zu nehmen; und solange sie in Venedig blieben, lebten sie beide in solcher Eintracht und Zufriedenheit zusammen, daß nie auch nur ein unzärtliches Wort unter ihnen vorfiel. Unterdessen geschah es, daß die Herren von Venedig ihre Kriegsmannschaft ablösten, die sie in Cypern zu halten pflegen, und den Mohren zum Anführer des Heeres wählten, das sie dahin schickten. So vergnügt dieser auch über die ihm gewordene Ehre war – denn eine Ehrenstelle dieser Art wird gewöhnlich nur Männern übertragen, die sich durch Adel, Tapferkeit, Treue und ausgezeichnete Verdienste empfehlen –, so verminderte doch der Gedanke an die Länge und Beschwerlichkeit der Reise, welche seine Disdemona scheuen möchte, diese Freude um kein geringes. Sie aber, die außer dem Mohren kein Glück auf der Welt kannte und über die Achtung, die eine so mächtige und edle Republik ihrem Mann bezeugte, sehr erfreut war, konnte die Stunde kaum erwarten, in der ihr Gemahl mit seinen Leuten die Reise antreten und sie ihn auf einen so ehrenvollen Posten begleiten würde; aber es betrübte sie sehr, ihren Gatten mißgestimmt zu sehen. Da ihr die Ursache unbekannt war, sprach sie eines Tages bei Tische zu ihm: »Wie kommt es, daß Ihr so schwermütig seid, da Euch doch der Staat ein so ehrenvolles Amt übertragen hat?«

Der Mohr antwortete Disdemona: »Die Liebe zu dir trübt die Freude über die Ehre, die mir geschieht; denn ich sehe, daß notwendig eins von zwei Dingen geschehen muß, entweder daß ich dich mit mir den Gefahren des Meeres aussetze, oder daß ich dich in Venedig zurücklasse, um dir diese Unannehmlichkeit zu ersparen. Das erste würde mir sehr schwer ankommen, weil jedes Leiden, das dir widerführe, und jede Gefahr, die wir zu überstehen hätten, mir den äußersten Kummer verursachen würde; das andere, dich hier zu lassen, würde mich mir selbst unerträglich machen, weil ich, von dir scheidend, zugleich von meinem Leben schiede.«

Als Disdemona ihn so reden hörte, sprach sie: »Ei, lieber Mann, was sind das für Gedanken, die Euch durch den Sinn gehen? Wie könnt Ihr Euch solcher Dinge halber beunruhigen? Ich folge Euch gern allerwege, wohin Ihr geht, und müßte ich im Hemd durchs Feuer gehen, sowie ich jetzt mit Euch in einem sichern, wohlbewahrten Schiffe durchs Wasser gehen soll. Gibt es dabei auch Gefahren und Leiden, so werde ich sie freudig mit Euch teilen, und ich würde mich für sehr wenig von Euch geliebt halten, wenn Ihr mich nicht mit Euch über das Meer führen und mich in Venedig lassen wolltet, als ob ich mich hier sicherer glaubte, als wenn ich mit Euch dieselbe Gefahr bestehe. Darum schickt Euch von meinetwegen nur mit all der Heiterkeit zur Reise an, die Euer jetziger hoher Rang verdient!«

Hierauf schlang der hocherfreute Mohr die Arme um den Hals der Gattin und sagte zu ihr mit einem zärtlichen Kusse: »Gott erhalte uns lange in so liebevollem Einverständnis, meine teure Gattin!«

Bald darauf vollendete er seine Zurüstungen, brachte alles zur Reise in Ordnung und bestieg mit seiner Gemahlin und seinen Leuten die Galeere, die die Segel aufzog und in See stach, worauf sie denn bei vollkommen ruhigem Wasser nach Cypern gelangten. In seinem Gefolge hatte er einen Fähnrich von sehr schönem Äußern, wenn auch von der ruchlosesten Sinnesart, die je ein Mensch auf der Welt haben konnte. Er war bei dem Mohren sehr beliebt, weil dieser nichts von seiner Bosheit ahnte; denn so niederträchtig sein Herz war, so wußte er doch die Niederträchtigkeit, die sein Inneres beherbergte, so hinter hochtrabenden gleisnerischen Worten und seiner Schönheit zu verbergen, daß er von außen einem Hektor oder Achilles gleichsah. Dieser Nichtswürdige hatte auch seine schöne und sittsame junge Frau mit sich nach Cypern gebracht, die als Italienerin von der Gemahlin des Mohren sehr geliebt wurde und die meiste Zeit des Tages bei ihr zubrachte. Ferner war in dem Gefolge des Mohren ein Rottenführer, den dieser sehr wert hielt. Er kam sehr häufig in das Haus des Mohren und aß mit ihm und seiner Gemahlin, die, da sie ihn bei ihrem Gemahl so sehr in Gunst sah, ihm gleichfalls Beweise des größten Wohlwollens gab, und dies war dem Mohren sehr erwünscht. Der verruchte Fähnrich nun, aller Treue gegen seine Gattin und aller Freundschaft, Treue und Pflicht gegen den Mohren vergessend, verliebte sich leidenschaftlich in Disdemona und richtete all sein Sinnen und Trachten darauf, sich ihrer Reize zu erfreuen, wiewohl er nicht den Mut hatte, sich gegen sie zu erklären, weil er befürchtete, der Mohr werde ihn auf der Stelle töten, sobald er die Sache merke. Er bestrebte sich daher vielfach, so heimlich er konnte, der Dame seine Liebe zu verstehen zu geben; ihr Gemüt war aber einzig nur dem Mohren zugewandt und wußte weder etwas von dem Fähnrich noch von einem andern, und alle seine Versuche, sie in ihn verliebt zu machen, blieben wirkungslos. Er bildete sich daher ein, die Schuld davon sei, daß sie für den Rottenführer entbrannt sei, und nahm sich vor, ihn aus ihren Augen zu entfernen; aber er blieb dabei nicht stehen, sondern verwandelte seine Liebe zu der Dame in den bittersten Haß und gab sich alle Mühe, ein Mittel zu finden, wie er den Rottenführer umbringen und, wenn er selbst die Dame nicht genießen solle, auch den Mohren verhindern könne, sie zu genießen. Nachdem er zu diesem Ende mehrere Bubenstücke und Schurkenstreiche überlegt, beschloß er endlich, sie bei ihrem Gemahl des Ehebruches anzuklagen und den Rottenführer als den Ehebrecher zu bezeichnen. Da ihm aber die zärtliche Liebe des Mohren gegen Disdemona und seine Freundschaft gegen den Rottenführer bekannt war, so sah er wohl ein, es werde unmöglich sein, ihm das eine oder das andere einzureden, wenn er ihn nicht durch feine List betrüge. Er nahm sich daher vor, es abzuwarten, bis Zeit und Gelegenheit ihm den Weg zu einem so verbrecherischen Unternehmen eröffnen würde.

Es währte nicht lange, so entsetzte der Mohr den Rottenführer seiner Stelle, weil er gegen einen Soldaten auf der Wache den Degen gezogen und ihn verwundet hatte. Disdemona, der dies sehr leid tat, versuchte oft, ihren Gemahl mit dem Rottenführer auszusöhnen. Um diese Zeit sagte der Mohr zu dem verräterischen Fähnrich, seine Gemahlin lasse ihm so wenig Ruhe wegen des Rottenführers, daß er fürchte, er müsse ihn zuletzt wieder in seine Stelle einsetzen. Dies sah der Bösewicht sogleich als einen Wink an, seinen hinterlistigen Plan auszuführen, und sagte: »Disdemona hat vielleicht Ursache, dies gern zu sehen.«

»Und welche?« fragte der Mohr.

»Ich möchte nicht gern Mann und Frau entzweien«, antwortete der Fähnrich; »aber Ihr dürft nur die Augen auftun, um es selbst zu bemerken.«

Weiter wollte der Fähnrich nicht gehen, so sehr der Mohr auch in ihn drang, sich näher zu erklären. Aber seine Worte ließen einen so scharfen Dorn in der Brust des Mohren zurück, daß er ganz trübsinnig wurde und an nichts dachte, als was die Worte des Fähnrichs wohl zu bedeuten haben möchten. Als es daher seine Gattin eines Tages von neuem versuchte, seinen Zorn gegen den Rottenführer zu besänftigen, indem sie ihn bat, er möchte doch die treuen Dienste und die Freundschaft so vieler Jahre nicht um eines kleinen Versehens willen vergessen, zumal da der Rottenführer mit dem verwundeten Soldaten wieder ausgesöhnt sei, geriet der Mohr in heftigen Zorn und sprach: »Es ist doch auffallend, Disdemona, daß du so viel Anteil an dem Manne nimmst. Er ist doch weder dein Bruder noch dein Anverwandter, daß er dir so sehr am Herzen liegen sollte.«

Ganz demütig und liebreich antwortete die Dame: »Ihr werdet mir hoffentlich deshalb nicht zürnen. Ich habe dazu keinen andern Beweggrund, als daß es mir leid tut, Euch eines so teuren Freundes beraubt zu sehen, wie der Rottenführer nach Eurem eigenen Zeugnis Euch gewesen ist. Er hat doch keinen so schweren Fehler begangen, daß Ihr ihm deshalb so sehr zürnen dürftet. Aber ihr Mohren seid so hitziger Natur, daß jede Kleinigkeit euch zu Zorn und Rache reizt!«

Über diese Worte noch mehr erzürnt, antwortete der Mohr: »Das könnte wohl noch mancher erfahren, der es nicht dächte. Ich will die Beleidigungen, die man mir zufügt, rächen, bis ich gesättigt bin mit Rache.«

Die Dame erschrak heftig bei diesen Worten, und da sie ihren Gemahl gegen seine Gewohnheit wider sich erzürnt sah, sagte sie mit vieler Demut: »Nur die beste Absicht hat mich bewogen, mit Euch hiervon zu sprechen; um Euch aber nicht ferner wider mich zu erzürnen, will ich nie mehr ein Wort davon reden.«

Da der Mohr sah, wie seine Gemahlin sich von neuem zugunsten des Rottenführers verwandt hatte, überzeugte er sich, die Worte, die er vom Fähnrich vernommen, können nichts anderes bedeutet haben, als daß Disdemona den Rottenführer liebe. Er begab sich also ganz trübsinnig zu jenem Schurken und fing an, in ihn zu dringen, daß er sich deutlicher erklären möge. Der nach dem Verderben des unglücklichen Weibes trachtende Fähnrich stellte sich zuerst an, nichts sagen zu wollen, was ihm mißfallen könnte, sprach aber am Ende, wie von seinen Bitten überwältigt, zu dem Mohren also: »Ich kann nicht leugnen, daß ich, wie leid es mir auch tut, Euch etwas zu sagen habe, das Euch überaus unangenehm sein muß; aber da Ihr nun einmal verlangt, daß ich reden soll, und da mich die Sorge um Eure als meines Gebieters Ehre selbst dazu antreibt, so will ich jetzt Eurer Forderung und meiner Pflicht Genüge tun. Ihr müßt also wissen, daß Eure Gemahlin aus keinem andern Grunde sich die Ungnade, in der der Rottenführer bei Euch steht, so zu Herzen nimmt, als weil sie, sooft er in Euer Haus kommt, sich mit ihm vergnügt; denn sie ist Eurer Schwärze bereits überdrüssig.«

Diese Worte schnitten dem Mohren bis in die Wurzel seines Herzens ein; aber um noch mehr zu erfahren, und wiewohl er bei dem Argwohn, der schon vorher in seiner Seele erweckt war, den Worten des Fähnrichs durchaus Glauben beimaß, brach er doch finsterblickend in die Worte aus: »Ich weiß nicht, was mich abhält, dir diese freche Zunge ausreißen zu lassen, die sich unterfängt, meine Gemahlin einer solchen Schmach zu bezichtigen.«

Der Fähnrich entgegnete: »Ich erwartete für meinen Liebesdienst keinen andern Lohn von Euch, mein Hauptmann! Aber da mich meine Pflicht und der Eifer für Eure Ehre einmal so weit geführt hat, so beteuere ich Euch wiederholt, daß die Sache sich so verhält, wie Ihr gehört habt, und wenn das schlaue Weib Euch durch den Anschein ihrer Liebe zu Euch die Augen so verklebt hat, daß Ihr bis jetzt nicht gesehen habt, was Ihr doch hättet sehen sollen, so ist es darum nicht minder wahr, was ich Euch sage; denn der Rottenführer selber hat es mir gesagt, weil es ihm scheinen mochte, daß seine Glückseligkeit keine vollkommene sei, wenn er nicht jemand in ihre Mitwissenschaft ziehe.«

Er fügte hinzu: »Hätte ich nicht Euren Zorn gefürchtet, so würde ich ihm, als er mir dies sagte, seinen verdienten Lohn gegeben und ihn getötet haben. Da mir aber die Mitteilung einer Sache, die Euch doch mehr als irgend jemand sonst angeht, einen so übeln Lohn eingetragen, muß ich bereuen, nicht stillgeschwiegen zu haben, wo dann ich mir wenigstens nicht Eure Ungnade zugezogen hätte.«

Der Mohr versetzte ihm in voller Hitze: »Überzeugst du mich nicht durch meinen eigenen Augenschein von der Wahrheit deiner Angaben, so sei versichert, daß du zu der Erkenntnis kommen sollst, du wärest besser stumm geboren!«

»Diese Überzeugung hätte ich Euch leicht verschaffen können«, fügte der Bösewicht hinzu, »solange er noch Euer Hausfreund war; jetzt aber, da Ihr ihn ohne Not, vielmehr aus einer ganz geringfügigen Ursache verjagt habt, geht das nicht so bequem; denn wenn ich auch der Ansicht bin, daß er fortwährend Disdemona genießt, sooft Ihr ihm Gelegenheit dazu gebt, so fängt er es doch jetzt sicherlich vorsichtiger als vorher an, da er weiß, daß Ihr ihn jetzt haßt, was früher nicht der Fall war. Aber dessenungeachtet gebe ich die Hoffnung noch nicht auf, Euch durch den Augenschein zu beweisen, was Ihr mir nicht glauben wollt.«

Nach diesen Worten schieden sie voneinander. Der unglückliche Mohr ging nach Hause, wie von dem schärfsten Pfeil getroffen, und erharrte den Tag, an welchem ihm der Fähnrich das zeigen sollte, was ihn für immer unglücklich machen mußte. Aber ebenso unruhig war der verwünschte Fähnrich über die Keuschheit, die, wie er wohl wußte, Disdemona beobachtete, und bei der es ihm unmöglich schien, einen Weg zu finden, um dem Mohren seine falsche Angabe zu erhärten. In seinen Gedanken sich vielfältig damit beschäftigend, verfiel der Verleumder auf eine ganz unerhörte Bosheit. Die Gattin des Mohren kam, wie schon gesagt, oft zu der Gattin des Fähnrichs ins Haus und brachte einen guten Teil des Tages bei ihr zu. Da nun der Fähnrich bemerkte, daß sie um diese Zeit ein Schnupftuch trug, das ihr, wie er wußte, der Mohr geschenkt hatte, das äußerst fein auf maurische Weise gearbeitet war und von der Dame wie von dem Mohren sehr wert gehalten wurde, so bildete sich bei ihm der Vorsatz aus, ihr dieses Tuch heimlich zu entwenden und mittels dieses sie ins Verderben zu stürzen. Er hatte ein Töchterchen von drei Jahren, das Disdemona sehr liebte. Dies nahm er, als die unglückliche Dame eines Tages in das Haus dieses Bösewichts kam, auf den Arm und setzte es ihr auf den Schoß. Disdemona nahm es und drückte es an ihre Brust. Indes nahm ihr der Betrüger, der sich vortrefflich aufs Taschenspielen verstand, das Taschentuch so geschickt vom Gürtel, daß sie nicht das geringste davon bemerkte, und ging voller Freuden von ihr hinweg. Disdemona, die davon nichts ahnte, ging nach Hause und vermißte, da sie mit andern Gedanken beschäftigt war, das Schnupftuch nicht. Einige Tage nachher aber, da sie es suchte und nicht fand, war sie sehr in Furcht, der Mohr möchte, wie er öfter tat, danach fragen. Der gottlose Fähnrich ersah sich indes eine gelegene Zeit, ging zu dem Rottenführer und ließ mit verschmitzter Bosheit das Schnupftuch zu Häupten seines Bettes zurück, was der Rottenführer erst am folgenden Morgen bemerkte: denn als er vom Bett aufstand, trat er mit dem Fuß auf das Schnupftuch, das zur Erde gefallen war. Er erkannte es als das Eigentum Disdemonas, ohne begreifen zu können, wie es in sein Haus gekommen sei, und beschloß, es ihr zurückzugeben. Er wartete, bis der Mohr ausgegangen war, begab sich an die Hintertür des Hauses und klopfte an. Aber das Glück, das sich mit dem Fähnrich zum Verderben der Armen verschworen zu haben schien, wollte es, daß der Mohr in demselben Augenblicke wieder nach Haus kam. Da er nun an der Tür klopfen hörte, trat er an das Fenster und rief heftig erzürnt: »Wer klopft da?«

Als der Rottenführer die Stimme des Mohren vernahm, fürchtete er, er möchte herabkommen, um ihn zu verderben, und ergriff die Flucht, ohne zu antworten. Der Mohr stieg die Treppe hinab und öffnete die Tür. Als er aber auf die Straße trat und ihn suchte, fand er ihn nicht mehr. Er ging also voller Wut ins Haus zurück und fragte seine Gattin, wer unten geklopft habe. Sie antwortete, der Wahrheit gemäß, sie wisse es nicht.

»Mich deuchte aber«, sagte der Mohr, »es war der Rottenführer.«

»Ich meinesteils«, antwortete sie, »weiß nicht, ob er es war, oder wer sonst.«

Der Mohr hielt seine Wut zurück, obgleich er vor Zorn glühte, und wollte nicht eher etwas unternehmen, bis er mit dem Fähnrich gesprochen, zu dem er sich schleunigst begab, indem er ihm den Vorfall erzählte und die Bitte hinzufügte, den Rottenführer so genau als möglich darüber auszuforschen. Über einen ihm so willkommenen Vorfall höchst erfreut, versprach ihm der Fähnrich, es auszuführen. Darauf sprach er eines Tages mit dem Rottenführer an einem Orte, wo der Mohr zugegen war und ihrer Unterredung zusehen konnte. Er sprach mit ihm über tausend Dinge, aber mit keiner Silbe von Disdemona, schlug das hellste Gelächter auf, stellte sich sehr verwundert und gebärdete sich mit Haupt und Händen wie einer, dem unerhörte Dinge erzählt werden. Sobald der Mohr sah, daß sie voneinandergegangen waren, begab sich der Mohr zu dem Fähnrich, um zu hören, was ihm jener gesagt habe. Dieser ließ sich erst lange bitten und sprach dann endlich: »Er hat mir nicht das geringste verhehlt und gestanden, daß er Eure Gemahlin genossen habe, sooft Ihr ihnen, durch Eure Abwesenheit dazu Gelegenheit gegeben habt. Das letztemal, da er bei ihr war, hat sie ihm jenes Taschentuch geschenkt, welches Ihr bei Eurer Vermählung ihr gegeben habt.«

Der Mohr dankte dem Fähnrich und war nun überzeugt, wenn es sich finde, daß sie das Schnupftuch nicht mehr besitze, so sei kein Zweifel mehr, daß alles wahr sei, was der Fähnrich ihm gesagt habe. Er verlangte daher eines Tages, da er sich nach Tische in mancherlei Gespräche mit seiner Gattin eingelassen hatte, das Schnupftuch zu sehen. Die Unglückliche, die diese Frage längst gefürchtet hatte, wurde darüber feuerrot im Gesicht und lief, um ihr Erröten zu verbergen, das der Mohr jedoch wohl bemerkt hatte, an ihren Schrein, wo sie tat, als suche sie es. Nach langem Suchen sprach sie endlich: »Ich weiß nicht, wie ich es heut nicht finden kann. Hättet Ihr es vielleicht gehabt?«

»Wenn ich es gehabt hätte«, sagte er, »warum würde ich dich darüber befragen? Aber suche doch noch einmal genauer nach!«

Indem er jetzt von ihr ging, war sein Sinnen nur darauf gerichtet, wie er seine Frau und zugleich den Rottenführer töten könne, ohne ihres Mordes beschuldigt zu werden. Er dachte Tag und Nacht an nichts anderes, und seine Frau konnte nicht umhin zu bemerken, daß er nicht mehr wie sonst gegen sie war. Sie sagte vielmals zu ihm: »Was habt Ihr nur, das Euch so verstört? Ehemals waret Ihr der aufgeweckteste und nunmehr seid Ihr der schwermütigste Mann von der Welt.«

Der Mohr ersann darauf verschiedenartige Antworten, aber keine einzige genügte ihr; und wiewohl sie wußte, daß kein Vergehen von ihrer Seite diese Stimmung des Mohren veranlaßt haben könne, so fürchtete sie doch, gerade durch ihre große Zärtlichkeit ihm zur Last gefallen zu sein. Sie sagte einigemal zu der Gattin des Fähnrichs: »Ich weiß nicht, was ich von dem Mohren denken soll. Er pflegte sonst ganz Liebe zu mir zu sein und ist jetzt, ich weiß nicht, seit wieviel Tagen, ein ganz anderer geworden. Ich fürchte sehr, ich werde den Mädchen ein warnendes Beispiel werden, sich nicht gegen den Willen der Ihrigen zu vermählen, und die italienischen Frauen werden von mir lernen können, daß man sich nicht zu Männern gesellen soll, welche Natur, Himmel und Lebensweise von uns absondern. Da ich nun aber weiß, daß der Mohr ein vertrauter Freund Eures Gatten ist und ihm seine Angelegenheiten mitteilt, so ersuche ich Euch, wenn Ihr irgend etwas von ihm hörtet, das mir zu wissen nützlich wäre, mir Eure Hilfe damit nicht zu versagen.«

Sie vergoß, während sie diese Worte sprach, die bittersten Tränen; die Gattin des Fähnrichs aber, die alles wußte, da sie ihr Mann als Vermittlerin des Mordes der Dame hatte gebrauchen wollen, wiewohl sie sich mit allen Kräften dagegen gesträubt, wagte aus Furcht vor ihrem Gatten ihr nichts von alledem zu verraten. Nur so viel sagte sie: »Sorget ja, daß Ihr Eurem Gatten keinen Grund zum Argwohn gebt, und sucht ihm Eure Liebe und Treue auf alle Weise zu betätigen!«

»Das tue ich«, sprach Disdemona, »aber es hilft mir nichts.«

Der Mohr strebte mittlerweile sich immer mehr von dem zu überzeugen, was er doch so gar nicht zu finden wünschte, und bat den Fähnrich, es zu bewirken, daß er das Schnupftuch im Besitz des Rottenführers sehen könne. Dem Bösewicht war dies freilich eine schwierige Aufgabe; indessen versprach er sein möglichstes zu tun, um ihn zu befriedigen. Der Rottenführer hatte eine Frau bei sich im Hause, die am Stickrahmen ungemein feine Stepparbeiten machte. Als diese das Tüchelchen sah und hörte, es gehöre der Gattin des Mohren an und solle ihr zurückgegeben werden, begann sie, sich, ehe es fortkam, ein ähnliches danach zu verfertigen. In dieser Arbeit begriffen sah sie einst der Fähnrich am Fenster sitzen und bemerkte zugleich, daß sie damit jedem Vorübergehenden auf der Straße sichtbar sei. Er zeigte dies daher dem Mohren, der sich nun vollkommen überzeugt hielt, daß seine durchaus keusche Frau wirklich eine Ehebrecherin sei. Er beschloß also mit dem Fähnrich, sie und den Rottenführer umzubringen, und indem sich beide berieten, wie dies anzustellen sei, bat ihn der Mohr, den Mord des Rottenführers auf sich zu nehmen, wogegen er ihm auf ewige Zeiten verpflichtet zu bleiben versprach. Der Fähnrich weigerte sich zwar, diese Tat zu begehen, weil sie, wie er sagte, sehr schwierig und gefährlich wäre, da der Rottenführer nicht minder gewandt als tapfer sei. Nachdem ihn aber der Mohr lange gebeten und ihm viel Geld gegeben hatte, brachte er ihn endlich zu der Zusage, er wolle sein Glück versuchen.

Als sie diese Verabredung getroffen hatten, kam der Rottenführer eines Abends aus dem Hause einer Buhlerin, bei der er sich zu vergnügen pflegte, und der Fähnrich benützte die Dunkelheit, schlich sich mit gezogenem Schwerte an ihn heran und richtete ihm einen Hieb nach den Beinen, um ihn zu Fall zu bringen. Der Zufall fügte es, daß er ihm den rechten Schenkel entzweischlug, so daß der Unglückliche niederstürzte, worauf der Fähnrich herbeieilte, um ihm den Garaus zu machen. Aber der Rottenführer, der Herzhaftigkeit genug besaß und an Blut und Tod gewöhnt war, zog das Schwert und suchte sich, so schwer verwundet er auch war, zu verteidigen, wobei er mit lauter Stimme schrie: »Man bringt mich um!«

Als daher der Fähnrich Leute herzulaufen hörte und einige Soldaten, die in der Nähe ihr Quartier hatten, ergriff er, um nicht erwischt zu werden, die Flucht, drehte sich aber plötzlich um und stellte sich, als komme er auch auf den Lärm herbeigelaufen. Er mischte sich unter die übrigen, und da er das Bein entzwei sah, so schloß er, daß der Rottenführer, obgleich er noch nicht tot war, doch ganz gewiß an dem Schlage sterben werde, und obwohl er darüber sehr froh war, so bezeugte er doch dem Rottenführer so viel Mitleid, als ob er sein leiblicher Bruder gewesen wäre.

Den andern Morgen verbreitete sich die Sache durch die ganze Stadt und kam auch zu den Ohren Disdemonas, und sie, die sehr liebreich war und nicht ahnte, daß dies schlimme Folgen für sie haben könne, zeigte sich schmerzlich betrübt über diesen Vorfall. Der Mohr legte ihr dies sehr übel aus, ging wieder zu dem Fähnrich und sagte zu ihm: »Denke nur, die Närrin von meiner Frau ist über den Unfall des Rottenführers so betrübt, daß sie fast von Sinnen kommt.«

»Und wie konntet Ihr Euch das anders vorstellen«, versetzte der Fähnrich, »da er ihre Seele war?« »Ihre Seele, ha!« entgegnete der Mohr. »Ich will ihr schon die Seele aus dem Leibe reißen. Ich würde mich für keinen Mann halten, wenn ich diese Schändliche nicht aus der Welt schaffte!«

Sie beratschlagten hierauf, ob sie Disdemona mit Gift oder Dolch umbringen sollten; aber keines von beiden schien ihnen tunlich.

»Da fällt mir ein«, sagte der Fähnrich, »wie Ihr Euch Genugtuung verschaffen könnt, ohne daß Euch der geringste Verdacht trifft. Nämlich das Haus, worin Ihr wohnt, ist alt, und die Decke Eurer Kammer voller Ritzen. Ich denke also, wir schlügen Disdemona mit einem mit Sand gefüllten Strumpfe so lange, bis sie stürbe, damit man keine Spur, daß sie geschlagen worden, an ihr wahrnimmt; und wenn sie dann tot ist, werfen wir einen Teil der Decke auf sie herab und zerschlagen ihr den Kopf, als hätte ein herabgefallener Balken sie zerschmettert und getötet. Auf diese Weise wird niemand Verdacht auf Euch werfen und jedermann ihren Tod einem bloßen Zufalle zuschreiben.«

Dem Mohren gefiel der grausame Rat. Er paßte also die Zeit ab, die ihm am gelegensten schien, und da er eines Nachts mit ihr im Bette lag, machte der Fähnrich, den er vorher in einem Kabinett, das an die Kammer stieß, verborgen hatte, plötzlich der Verabredung gemäß in dem Kabinett ein Geräusch. Der Mohr hörte es sogleich und sagte zu seiner Gattin: »Hast du das Geräusch gehört?« »Jawohl habe ich's gehört«, entgegnete sie. »So steh auf«, versetzte der Mohr, »und sieh, was es sein mag!« Die unglückliche Disdemona stand auf, und sobald sie sich dem Kabinette näherte, trat der Fähnrich heraus und gab ihr, stark und kräftig, wie er war, einen so grausamen Schlag mit dem Sack voll Sand über das Rückgrat, daß sie plötzlich zur Erde fiel und kaum noch zu atmen vermochte. Doch mit der wenigen Stimme, die ihr noch blieb, rief sie den Mohren um Hilfe an. Dieser sprang aus dem Bette und sprach: »Das ist der Lohn, du ruchloses Weib, für deine Untreue! So behandelt man die Weiber, die unter dem Schein der zärtlichsten Liebe gegen ihre Männer ihnen Hörner aufsetzen!«

Wie die unglückliche Frau dies hörte und ihr Ende nahen fühlte – denn der Fähnrich hatte ihr noch einen Streich versetzt –, so rief sie zum Zeugen ihrer Unschuld, da ihr auf Erden kein Recht widerfahren solle, die himmlische Gerechtigkeit an und flehte zu Gott, ihr beizustehen, indem der ruchlose Fähnrich sie mit dem dritten Streiche völlig tötete. Darauf legten die beiden sie in das Bett, zerschlugen ihr das Haupt und rissen, wie sie zuvor ausgemacht hatten, die Stubendecke ein. Sodann hub der Mohr an, um Hilfe zu rufen, da das Haus einfalle, bis die Nachbarn auf seinen Ruf herbeistürzten und bei Untersuchung des Bettes das arme Weib unter den Balken erschlagen fanden.

Die Trauer hierüber war allgemein wegen der Vorzüge der Dame, und so wurde Disdemona am folgenden Tage unter den Klagen der ganzen Einwohnerschaft zur Erde bestattet. Der gerechte Gott aber, der die Herzen der Menschen durchschaut, wollte nicht, daß eine so unerhörte Schandtat der ihr gebührenden Strafe ermangeln sollte. Denn der Mohr hatte seine Gattin mehr als das Licht seiner Augen geliebt, und von der Stunde an, da er sich ihrer beraubt sah, überkam ihn eine solche Sehnsucht nach ihr, daß er wie außer sich selbst geriet und sie allerwärts in seiner Wohnung suchte. Ja, indem er bedachte, daß er durch die Schuld des Fähnrichs mit seiner Gattin allen Reiz des Lebens und sich selber verloren habe, wurde ihm der Bösewicht so in der Seele verhaßt, daß er ihn nicht mehr ansehen konnte und ihn wohl gar auf offener Straße umgebracht haben würde, hätte er nicht vor der unbestechlichen Gerechtigkeit der Herren von Venedig Scheu getragen. Da er nun so etwas nicht wohl mit Sicherheit vollbringen konnte, so entzog er ihm die Fahne und stieß ihn aus seinem Gefolge, woher eine so heftige Feindschaft zwischen beiden entsprang, wie man sie sich nicht ärger denken könnte. Der Fähnrich, der garstiger war als alle Verbrecher, richtete alle seine Gedanken darauf, dem Mohren zu schaden, und da er dereinst den Rottenführer antraf, der wiederhergestellt war und statt seines abgehauenen Beines mit einem hölzernen einherging, sagte er zu ihm: »Die Zeit ist gekommen, da du dich für dein abgehauenes Bein rächen kannst, und wenn du mit mir nach Venedig kommen willst, so werde ich dir sagen, wer der Verbrecher ist; denn hier habe ich aus mancherlei Rücksichten dazu nicht den Mut. Ich will es dir aber dort vor Gericht bezeugen.«

Der Rottenführer, der so schwer beleidigt war, ohne zu wissen, warum, dankte dem Fähnrich und ging mit ihm nach Venedig. Sobald sie dort angelangt waren, sagte er ihm, der Mohr sei es, der ihm das Bein abgehauen, weil dieser sich in den Kopf gesetzt, er habe bei Disdemona geschlafen, und aus demselben Grunde habe er diese getötet und nachher ausgeschrieen, die eingefallene Stubendecke habe sie erschlagen. Sobald der Rottenführer diese Nachricht erhalten hatte, verklagte er den Mohren bei der Regierung wegen seines abgehauenen Beines und wegen der Ermordung der Dame und stellte als Zeugen den Fähnrich vor Gericht, der aussagte, das eine wie das andere sei wahr, denn der Mohr habe ihm alles mitgeteilt und ihn zuerst selbst überreden wollen, beide Verbrechen für ihn zu begehen, und nachdem er aus tierischer Eifersucht, die er sich in den Kopf gesetzt, sein Weib gemordet, habe er ihm anvertraut, auf welche Weise er diese Tat zustande gebracht.

Als die Herren von Venedig vernahmen, welche Grausamkeit der Barbar gegen eine ihrer Mitbürgerinnen begangen habe, ließen sie den Mohren in Cypern verhaften und nach Venedig bringen, wo sie ihn durch vielerlei Martern zu zwingen suchten, die Wahrheit einzugestehen. Aber die Kraft seiner Seele half ihm alle Marter besiegen und die Tat mit solcher Hartnäckigkeit leugnen, daß nichts aus ihm herauszubringen war. Obgleich er aber durch seine Standhaftigkeit dem Tod entging, so ward er doch nach langer Gefangenschaft zu lebenslänglicher Verbannung verurteilt, in der er zuletzt von den Verwandten seiner Frau, wie er es verdiente, umgebracht wurde.

Der Fähnrich kehrte nach seiner Heimat zurück, und da er von seiner Gemütsart nicht lassen konnte, so beschuldigte er einen seiner Gefährten, er habe ihn verleiten wollen, einen Edelmann, der sein Feind gewesen, ums Leben zu bringen. Der Angeklagte ward hierauf ergriffen und auf die Folter gebracht, und da er die Anklage leugnete, so ward der Fähnrich ebenfalls auf die Folter gespannt und so heftig gemartert, daß ihm die Eingeweide zersprangen. Als er daher aus dem Gefängnisse entlassen und nach Hause gebracht wurde, verschied er elendiglich. So rächte Gott die Unschuld Disdemonas; und den ganzen Hergang erzählte die Frau des Fähnrichs, die nun alles wußte, nachdem er, wie ich euch erzählt habe, ums Leben gekommen war.


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