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Italienische Novellen. Dritter Band
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Celio Malespini

1531 – 1609

Wagen gewinnt

Drei heitere Burschen aus der Stadt Arezzo in Toskana, von denen der eine Giannozzo di Pippo, der zweite Cechini Leali und der dritte Simeone Miniati hieß, wollten gern die stolze Stadt Venedig sehen und machten sich in der Absicht und dem Gedanken dahin auf den Weg, daselbst durch Arbeit oder Dienst bei einem Edelmann ihr Glück zu versuchen. Bei ihrem geringen Geldvorrat wanderten sie also zu Fuße dahin, kamen nach wenigen Tagen daselbst an und nahmen, so gut sie wußten und konnten, eine Herberge in dem Hofe Barozza, im Hause einer ehrlichen armen Frau, wo sie sich denn sehr knapp hielten, da sie nur noch wenige Bajocke übrighatten.

Es war gerade zur Fastenzeit, und wie sie da nun eines Abends über die Brücke bei Santa Maria Formosa gingen, welche auf die Straße Gaglioffa führt, erblickten sie in einem Kramladen eine Frau, die allerlei Fettbackwerk machte, und heiß, wie es aus dem Kessel kam, legte sie es in einem großen irdenen Napf auf ihrem Schautisch aus, um es an den Liebhaber zu verkaufen. Bei dem Anblick, dem Dampf und Geruch desselben kamen die wackern Burschen fast außer sich vor gewaltigem Gelüsten, und das Wasser lief ihnen im Munde zusammen. Sie hatten kein Geld, um es sich zu kaufen, und waren doch nicht mit dem Anblick zufrieden; vielmehr ließ ihnen die Begier keine Ruhe, und ihr Herz schmolz vor Verlangen, alle die Kuchen unter die Zähne zu bekommen und zu verschlingen. Da sagte Cechino, der jüngste unter ihnen und verschlagener als die andern, zu diesen: »Soviel ich sehe, würdet ihr, so gut wie ich, ganz gewiß, wenn es anginge, euch einen rechten Bauch voll von diesen Dingern nehmen, die, wie ihr seht, noch immer dampfen. Darum will ich euch die Art und Weise zeigen, wie sie unser werden.«

»Wie willst du denn das anstellen«, antwortete Giannozzo, »da wir kein Geld haben, um uns davon zu kaufen?«

Ja, er fügte bei: »Wie bist du ein Narr, da du doch weißt, daß wir alle zusammen nicht mehr haben als sechs Kreuzer? Wenn wir diese hingeben, was bleibt uns dann für unsere Gastwirtin zum Abendessen? Und wenn wir morgen auch noch essen wollen, so ist das die Hauptsache.«

»Wahrlich«, sprach Simeone, »ich will sagen, du seist ein ganzer Kerl, wenn du das, was du sagst, ins Werk zu setzen wüßtest.«

»Nur gemach, Bruder! Sachte!« sagte Cechino. »Ist's euch nicht recht, wenn wir sie zu essen kriegen?«

»Nun, wie willst du es denn anfangen?« antwortete Simeone; »sonst scheinst du mir ein rechter Ochs mit deinen Reden.«

»Laß es ihn sagen«, sprach Giannozzo. »So rede doch, zum Henker!«

»Ei, so hört mich an!« erwiderte Cechino. »Du, Giannozzo, gehst in die Bude hinein und kaufst für deine sechs Kreuzer Zibeben, von denen, wie du siehst, dort auf dem Vorsprung ein ganzer Korb voll steht. Nimm dabei, so sehr du kannst, ihre Aufmerksamkeit in Anspruch! Während er nun einkauft, packst du, Simeone, die Schüssel mit den Kuchen, läufst damit davon und erwartest uns auf dem freien Platz, und sehe ich, wider Erwarten, dir jemand nachlaufen, so halte ich ihn in dem engen, dunkeln Gäßchen auf. Ehe sich das Weib losmacht und aus ihrem Laden wegkommt, bist du mit deinem Raube schon auf dem freien Platz, wo wir dich aufsuchen und mit dir teilen. Meint ihr jetzt, ihr Tölpel, ich sei imstande, den Faden zu finden, an dem sich dieser Knäuel abwickeln läßt, und auszuführen, was ich sagte, daß die Kuchen unser werden sollen?«

»In der Tat«, antworteten die andern, »du bist ein listiger Kuchenbäcker. Aber gehen wir frisch ans Werk, ehe die Kuchen kalt werden!«

»Ich will zusehen«, sagte Giannozzo, »meine Rolle zu spielen; bereitet ihr andern euch auf die eurige!«

Er trat in die kleine Bude und sagte: »He, Frau, gebt mir doch für zwei Soldi von diesen Zibeben! Wie viel verlangt Ihr denn für das Pfund?«

»Fünf Marchetti«, antwortete sie; »aber weil Ihr es seid, will ich ein halb Pfund für zwei Soldi geben.«

»Wägt es«, sagte er, »aber seht zu, daß Ihr mir es nicht zu knapp macht!«

»Seid ruhig«, antwortete sie; »ich werde Euch geben, was Euch gehört.«

Als nun Simeone sie mit dem Abwägen der Zibeben beschäftigt sah, bemächtigte er sich rasch der Schüssel mit den Kuchen und lief damit fort an den verabredeten Platz, wo er seine Genossen erwartete und unterdessen ein wenig davon aß, um sich zu überzeugen, ob sie gut seien.

Als die arme Frau sah, daß man ihr ihr Backwerk stahl, erhob sie ein Geschrei und sprach: »Packt ihn! Packt ihn! Kuchen gestohlen!«

Sie lief eiligst aus dem Laden und wollte nachjagen, aber der schlaue Cechino vertrat ihr den Weg und sagte: »Was ist Euch widerfahren, gute Frau?«

»Der Schelm«, antwortete sie, »der dort läuft, hat mir eine ganze Schüssel voll Kuchen gestohlen, die ich eben in dem Augenblick aus der Pfanne genommen habe. Wer sie mir wiederbrächte, und wenn auch nur teilweise, dem würde ich gut lohnen.«

»Gute Frau«, sagte er, »bleibt nur zurück! Der Kerl läuft schneller als der Wind und hat in seiner wahnsinnigen Hast mich fast über und über gerannt.«

Während nun das arme Weib über den Verlust ihrer Pfannkuchen jammerte, trat auch Giannozzo zu ihr, dem sie Zeit und Weile gelassen hatte, sich die Taschen voll Zibeben zu stopfen, und sagte: »Da, Mutter, nehmt Euer Geld! Da ich Euch so in Anspruch genommen sah, hätte ich davonlaufen können, ohne Euch zu bezahlen; aber ich halte es nicht für recht, andern ihre Sache abzunehmen, ohne dafür zu zahlen.«

»Gott segne Euch, mein Sohn«, antwortete sie. »Ihr seid doch keiner wie der Spitzbube. Ich bitte Gott, daß er am ersten Kuchen, den er in den Mund steckt, ersticken möge und krepieren!«

Nach diesen Worten ging sie wieder in ihren Kramladen hinein und fing aufs neue an, Pfannkuchen zu backen. Am folgenden Tag aber ließ sie, um der Gefahr, wieder so bestohlen zu werden, zu entgehen, um ihre Schauspinde herum ein Gitter machen.

Die drei windigen Gesellen konnten kaum die Zeit erwarten, ihren Raub unter sich zu teilen, und trafen hinter der Kirche bei den drei Brücken zusammen, wo ihre hungrigen Mägen die Pfannkuchen alle in einem Augenblick verschlangen, und da sie darauf fast vor Durst umkamen, machten sie sich über die Zibeben her, deren Giannozzo für seine zwei Soldi, da er sich gut gewogen, mehr als sechs Pfund eingesteckt hatte. Während sie so speisten, hörten sie sanft über ihnen ein Fenster öffnen und eine leise Stimme sprechen: »Liebes Herz, ich komme jetzt gleich und lasse Euch ein! Wartet nur noch ein bißchen, liebe Seele!«

Die Nacht war stockfinster und voll von einem dichten Nebel, der vom Himmel sank, überdies heftig kalt, und man konnte durchaus niemand unterscheiden. Der verwegene Cechino sprach also: »Das ist gewiß irgendein gutes Abenteuer. Ratet ihr mir, daß ich hineingehe, wenn sie aufmacht? Wer weiß, es könnte mir vielleicht zu meinem Glücke ausschlagen! Auf jeden Fall«, fügte er hinzu, »sind wir jetzt in eine verzweifelte Lage geraten, und wenn wir leben wollen, so müssen wir etwas wagen. Was sagt ihr dazu? Soll ich gehen?«

»Meinetwegen geh du«, antwortete Simeone; »das ist deine eigene Sache.« »Du wärest ein rechter Narr«, sagte Giannozzo, »wenn du da hineingingst; du weißt ja gar nicht wohin, und da du nicht der bist, den sie ruft, so könnte sie, sobald sie dich sieht, anfangen zu schreien: 'Zu Hilfe! Ein Dieb! Ein Dieb!' Denn dafür müßte sie dich doch halten. Dann flieh, wenn du kannst und weißt wohin! Nein, mach es wie ich und menge dich nicht darein!«

»Herr Gott, was können sie mir denn tun?« antwortete er; »ich bin kein Dieb; und wenn sie mich nun auch auf ihr Schreien erwischten, könnte ich dann nicht immer sagen, ich sei ein Fremder und sei, weil sie mich gerufen habe, hereingekommen, um zu hören, was sie von mir wolle? Und dann würde Jacopo Salviati jedenfalls für mich bürgen, daß ich ein ehrlicher Mann bin, da ich über drei volle Jahre bei ihm in Florenz gewesen bin und noch bei ihm sein würde, wäre er nicht hierhergezogen und hätte nicht mein Vater, der damals noch lebte, durchaus nicht einwilligen wollen, daß ich mit ihm wegziehe, weshalb ich also seinen Dienst verließ.«

»Tu, was du willst! Deine Gründe sind nicht übel«, sagten die andern. »Wenn aber wir dir raten sollen, so gehst du nicht hinein. Willst du es dessenungeachtet, so tu nach deinem Gelüsten! Geht es dir schlimm dabei, so wird es uns zwar sehr leid um dich tun; allein du kannst dich über niemand beklagen, als über dich selbst.«

»Nun, kurz und gut«, sagte er, »ich bin entschlossen, hineinzugehen. Beim heiligen Leibe Judä, was wird es denn auch geben? Ich weiß mein Verslein schon, und wer mir etwas anhaben will, der muß sehr schlau zu Werk gehen, wenn ich es nicht merken soll. Geht ihr immerhin in unsere Herberge! Ich bleibe hier allein und werde der Dinge, die da kommen, gewärtig sein. Ihr mögt inzwischen für mein gutes Glück beten, daß es mir günstig sei; denn wenn ich irgend etwas Hübsches daraus fische, wie mir schwant, so sollt auch ihr euer Teil davon abkriegen. Nur wartet auf mich, denn ich höre sie schon die Treppen herunterkommen, um mich einzulassen.«

Sobald die zwei Gesellen erkannten, daß sein Entschluß gefaßt und er nicht mehr davon abzubringen war, kehrten sie in die Herberge zurück und ließen den verwegenen Cechino an der Tür warten, bis ihm aufgemacht würde. Es wohnte in diesem Hause ein reicher portugiesischer Kaufmann, der nur eine einzige, unglaublich schöne und reizende Tochter hatte, die, da er Witwer und schon sehr alt war, seine einzige Freude und Trost wurde. Ein Edelmann aus der Stadt hatte sich heftig in sie verliebt, und das Glück war ihm auch so günstig und geneigt, daß er bald bei ihr die ersehnte Frucht der Liebe pflückte. Er war nun gewohnt, fast jeden Montag abends um die erste Stunde der Nacht sich an ihrer Tür einzufinden; sie räusperte sich dann, und er gab ihr das Zeichen zurück, worauf sie ihn alsbald einließ, mit der größten Gefahr durch den Saal, an den das Schlafzimmer des Vaters stieß, und von da in eine Vorratskammer führte, die voller Baumwolle in Ballen lag. Mitten unter diesen hatte sie sich künstlich einen gewissen Raum wie ein kleines Zimmer zurechtgemacht; über diese Wollsäcke hatte sie weiße Leintücher mit trefflichen seidenen Decken gebreitet, in welchen sie sich dann niederlegten und miteinander die ganze Nacht, ja zuweilen den ganzen Tag in den Freuden der Liebe hinbrachten. Niemand im Hause außer ihr hatte den Schlüssel zu diesem Orte, und sie ließ auch nie jemand hinein. Sie hatte daselbst zur Erfrischung ihres Liebhabers immer die köstlichsten Weine, die schmackhaftesten Speisen und verschiedenes Zuckerwerk, womit sie ihn so lange unterhielt, bis sie ihn auf dieselbe Weise, wie sie ihn hereingeführt hatte, am folgenden Abend wieder hinwegbringen konnte. Nun hatte das schöne Mädchen das Geräusch und Geflüster der drei lustigen Gesellen, welche die Pfannkuchen aßen, vernommen und – es war gerade der Abend, der den Freuden und Ergötzlichkeiten ihrer Liebe gewidmet war: deshalb bildete sie sich ein, es sei ihr Liebhaber. Sobald sie daher konnte, ließ sie ihn ein, nahm ihn dann bei der Hand und führte ihn, wie sie zu tun pflegte, ohne ein Wort zu sprechen, mit großen Schritten im Finstern weiter nach dem Boden, und als sie in ihrem Zimmerchen ankamen, schlang sie ihm die Arme um den Hals, küßte ihn zärtlich und sprach: »Während ich nun, meine süße Seele, meinem Vater noch Gesellschaft leiste, wie ich gewohnt bin, könnt Ihr Euch erfrischen. Sobald er zur Ruhe gegangen ist, komme ich im Fluge wieder zu Euch.«

Nach diesen Worten ging sie hinaus. Der unternehmende Cechino, der nicht wußte, wo er war, und ebensowenig, wer das Mädchen sein mochte, die ihn hergeführt hatte, wurde doch etwas bedenklich und bereute fast, sich auf das Abenteuer eingelassen zu haben. Aber in dem Bewußtsein, daß dem nun nicht mehr abzuhelfen sei, nahm er sich vor, mutig und beherzt zu bleiben und sich auf keine Weise einschüchtern zu lassen; und da er aus dem empfangenen Kuß schließen zu dürfen glaubte, daß sie ein äußerst feiner Bissen sei, und daß er sich bemüßigt sehen könnte, rüstiger zu turnieren, als seine Lenden gewohnt waren, und nun der Duft der Speisen ihm in die Nase drang, die in einem Korbe samt allem Zubehör bereit lagen, fing er an sich's wacker schmecken zu lassen; er fand zwei Flaschen trefflichen Malvasier, deren eine er in ein paar Zügen fast ganz leerte, so daß es seine Lebensgeister stärkte und seine Kräfte erhöhte. Im Korbe suchend, fand er endlich daselbst viele Stücke Marzipan, eingemachte Pinienkerne und Pistazien. Da er wußte, daß diese Dinge gut schmecken, versorgte er ein gut Teil davon und bereitete sich auf diese Art vortrefflich zum Liebeskampf, so daß er kaum den Augenblick erwarten konnte, wo er anpacken durfte und das schöne Mädchen zu ihm zurückkehrte. Nach einer guten Weile kam sie endlich, trat in das Zimmerchen ein und sprach: »Mein teures köstliches Leben, ich bitte Euch, mir zu verzeihen, daß ich gegen meine Gewohnheit so lange gezögert habe zurückzukehren. Mein Vater wurde länger als sonst von einigen Kaufleuten in Anspruch genommen, die um diese Baumwollballen mit ihm feilschten. Sie konnten sich über den Preis des ganzen Vorrats nicht einigen; doch wurden sie darüber eins, morgen früh wenigstens zwei Ballen davon zu nehmen und sie einem Kaufmann zu schicken, der sie braucht; wenn sie dann nach seinen Wünschen ausfallen, so werden sie auch die übrigen übernehmen. Ich fürchte daher, sie könnten uns gar bald dieses schöne Zimmerchen verderben; aber wir werden darum nicht unterlassen, uns auf andere Weise zu versorgen. Deswegen also konnte ich nicht anders, als Euch warten lassen, bis sie weggegangen und mein Vater zu Bette war. Gott weiß, liebe Seele, wie unwillig ich eine so lange Zögerung erduldet habe. Aber fürchtet nicht! Wir wollen den Verlust schon einbringen, denn mein Vater kommt morgen nicht zum Frühstück nach Hause. Daher können wir die ganze Zeit uns zunutze machen, solange wir uns miteinander vergnügen wollen, ohne daß uns jemand stört.«

Sowie Cechino dies vernommen hatte, entkleidete er sich hastig, stieg zuerst in das Bett, und sie folgte ihm. Er umarmte sie, küßte sie tausendmal und fand sie äußerst weich und zart. Endlich konnte er sich nicht länger halten, setzte sich aufs Pferd und ritt fast die ganze Nacht Stafette; und wenn er auch manchmal stillehielt, um in der Ermüdung wieder aufzuatmen, so schöpfte er doch um so früher wieder neuen Mut, seinen Weg fortzusetzen. Als ein starker und kräftiger Jüngling konnte er die Kämpfe der Liebe vortrefflich bestehen. Als das Mädchen ihn so über Pflicht und Schuldigkeit in ihrer Mühle mahlen sah, war sie im stillen ganz überrascht; denn ihr Liebhaber war sonst nicht gewohnt, solche erstaunenswerte Proben abzulegen. Sie war daher mehrmals auf dem Punkte, ihm zu sagen, er solle sie für heute ruhen lassen; sie enthielt sich aber dessen, um ihm nicht zuwider zu sein. Der rüstige Cechino, obgleich er an sich stark war und mutig im Liebesturnier, wollte sich doch in dieser Sache mehr, als seine Pflicht war, anstrengen, zumal da er wußte, daß man jungen schönen Kindern nichts Angenehmeres als das antun kann, damit nachher, wenn der Tag ihn entdecke, wie das sicher kommen mußte, sie wegen seiner gewaltigen Rüstigkeit und Mannhaftigkeit ihn nicht etwa gering schätzen und Lärm machen könnte, was er sehr befürchtete.

»Ach«, sagte er zu sich selbst, »durch welches widrige Geschick bin ich nicht schöner und anmutiger geworden, daß sie es nicht bereuen müßte, daß ich sie genossen habe, und daß sie mir auch ferner immer so süße, würzige Nächte zugestände!«

Er wollte sie darauf von neuem in seine Arme schließen; da er aber bemerkte, daß sie schlief, gönnte er ihr ihren Schlummer, ja er legte ihren Kopf auf seine Brust. Nach einer kleinen Weile sah er zwischen den Ballen von Baumwolle die Morgenröte hindurchschimmern und ihre hellleuchtenden Strahlen hervorkeimen. Nun sah er auch die außerordentliche Schönheit des holden Mädchens, das noch immer schlief, und war darüber ganz erstaunt; denn es war ihm, als schaue er eher ein göttliches als ein sterbliches Wesen. Er begann deswegen am ganzen Leibe zu zittern. An diesem Zittern erwachte sie, und da sie sich in den Armen eines so gemeinen Menschen sah, fing sie an zu schreien. Er aber schloß ihr alsbald den Mund mit den Händen und sprach: »Schreit nicht, Fräulein, denn Ihr zöget Euch dadurch für den ganzen Rest Eures Lebens Schmach zu. Ich kann nichts für das, was geschehen ist; Ihr habt mich selbst zu Euch hereingeführt. Ich dachte, Ihr seid eine meinesgleichen, und ließ es mir gefallen. Hätte ich vorher gewußt, was meine Augen jetzt sehen, so hätte ich wahrlich nie gewagt hierherzukommen. Aber für Euch wäre es jetzt geratener, still zu schweigen, mich von hier hinwegzuschaffen und gehen zu lassen, als Euch durch Schreien und Lärmen für immer in Verruf zu bringen.«

Das arme Mädchen erkannte recht wohl, daß seine Worte nur allzu richtig waren. Nichtsdestoweniger aber brach sie doch in einen großen Zorn aus, indem sie zu ihm sagte: »Wenn du derjenige nicht warst, ruchloser Verräter, den ich rief, was mußtest du denn mit mir kommen? Sag es, Unseliger!« »Was wußte ich«, antwortete er, »wer Ihr wart? Wie ich Euch sagte, ich meinte, Ihr seid irgendeine Magd, die mich früher schon gesehen und sich in mich verliebt habe und mich nun rufe. Darum wagte ich es hierherzukommen. Hätte ich aber gedacht, eine Euresgleichen zu liebkosen, so wäre ich gewiß nicht ohne ihren Willen hierhergekommen. Worin besteht also meine Schuld? Da Ihr mich rieft, hättet Ihr mir ins Gesicht sehen sollen, ehe Ihr mich hereinführtet, und mich wieder fortschicken, wenn ich Euch nicht gefiel.«

»Ich habe nicht dich gerufen«, sagte sie; »ich hätte mich nie zu deinesgleichen herabgelassen, schmutziger, garstiger Mensch! Dessen aber sei versichert, wenn die Sache je sonst jemand erfährt, so kostet es dich das Leben.« Als der arme Cechino sie nun so zürnen und drohen sah, sprach er bei sich: »Jetzt muß ich ihr zeigen, daß ich mich im geringsten nicht vor ihr fürchte, sondern ihr zu antworten Herz habe und mich auf keine Weise von ihr hinunterbringen lasse.«

»Was einmal geschehen ist«, antwortete er, »könnt weder Ihr noch sonst jemand jemals rückgängig machen; und wenn Ihr Euch nicht zufrieden geben wollt, so sollt Ihr erfahren, daß ich mir am Ende nichts draus mache. Verfahrt also so schlimm, wie Ihr wollt: aber bedenkt, daß, wenn es mir schlecht geht, es Euch nicht gut gehen wird; und wenn Ihr mir noch länger in den Ohren liegt, so mache ich mir nicht viel daraus, aufzustehen, an ein Fenster zu treten und der ganzen Nachbarschaft Euern Irrtum kundzutun, wenn ich mir auch dadurch den Tod zuziehe: denn bis dahin, wenn es je so weit käme, hätte es noch eine gute Weile, und auf jeden Fall muß ich ja einmal auch durch dieses Loch hinaus.«

Als sie ihn in solchem Tone sprechen hörte und ihn für einen gemeinen Menschen hielt, versuchte sie, ihm zu schmeicheln und ihn zu beruhigen, indem sie sagte: »Da mein schlimmes Geschick dies über mich verhängt hat, und da ich das Geschehene nicht zu ändern vermag, so bin ich zufrieden; ich will jetzt nur dafür sorgen, wie ich dich und meine Ehre erhalte, und mich nicht weiter über dich beklagen; aber ich bitte dich, daß du dich dazu verstehst, die Art und Weise anzunehmen, die ich dir vorschlage, von hier wegzukommen.«

Der erfreute Cechino sah nicht so bald, daß sich der Sturm gelegt hatte und sie mild und freundlich gegen ihn geworden war, so antwortete er ihr: »Wenn ich, Fräulein, mit meinem Blute das Geschehene wiedergutmachen könnte, so dürft Ihr Euch vollkommen versichert halten, daß ich es mir aus den Adern entströmen lassen würde. Aber wie gesagt, die Sache kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Darum befehlt mir nur alles, was Euch beliebt mir anzuweisen: denn Ihr werdet mich stets bereit finden, jedes Wagnis und jede Gefahr Euch zu Gefallen zu übernehmen; und wenn Ihr verlangt, daß ich mich Euch zuliebe aus einem dieser Fenster stürze, so verspreche und schwöre ich Euch, es ganz sicher zu tun; aber ich kann mir nicht vorstellen, daß Ihr mir je so übelwollet: denn da Ihr so schön und edel seid, kann es nicht fehlen, daß Ihr nicht auch freundlich und menschlich seid und meiner Keckheit und dem jugendlichen Irrtum verzeiht, den ich unvorsichtigerweise begangen habe.« Er fügte noch die Versicherung bei: »Wenn ich Sie auch niemals wiedersehen werde, so wird mir Ihr Andenken im Herzen doch stets lebendig bleiben, und ich werde in jeder Stunde Ihrer seltenen, engelgleichen Schönheit mich erinnern sowie dieser heitern, süßen, letzten Nacht, in der ich so unvergleichliche Liebesfreude und Wollust genossen habe, ich Unwürdiger mit Ihnen, wofür ich zum größten Danke verpflichtet bin. Darum, mein Fräulein, beruhigt Euch für jetzt darüber und fügt Euch darein, mir das zu lassen, was weder Ihr noch sonst jemand mir wieder nehmen kann, und was mir mein günstiger Stern vergönnt und in den Weg gelegt hat.«

Diese sanften, liebevollen Worte des abenteurerischen Cechino rührten vollends die noch soeben erzürnte Brust der Jungfrau, die ihn nun mit etwas milderem Blicke wieder betrachtete; und da sie in ihm, wiewohl er in Lumpen gehüllt war, einen anmutigen Jüngling sah, erbarmte sie sich seiner und fragte ihn, wo er her sei und welche Absicht ihn hierhergeführt habe.

Er setzte ihr nun anmutig und freundlich seine ganze Lage auseinander. Sie hatte Mitleid mit ihm und sprach: »Seid nur fröhlich und guter Dinge: denn da der Himmel nun einmal zugelassen hat, was sich zwischen uns ereignet hat, so kann ich denn auch nicht umhin, mich Euch am Ende freundlich und liebevoll zu erweisen, indem ich Euern Bedürfnissen entgegenkomme.«

Indem er sie also reden hörte, dankte er ihr demütig und wagte in seinem freudigen Entzücken darüber sogar, ihr einen Kuß zu geben, und da sie ihn nicht verschmähte, sondern genehmigte, fühlte er sich ermutigt, in der Sache noch weiter zu gehen, so daß er am Ende von ihr eine neue Liebesfrucht errang, die nicht weniger würzig und gut schmeckte als so viele andere, die er verstohlenerweise in der letzten Nacht genossen hatte. Wenn sie ihm willfahrte, so lag der Grund zum Teil darin, sich der gräßlichen Furcht um ihre Ehre zu entschlagen; vielleicht auch war zum Teil ihr Zorn schon erloschen, da sie einen in Liebesturnieren so biderben Ritter in ihm gefunden hatte.

Bei alledem übersah sie nicht die Stunde, in der es an der Zeit war, ihn aus dem Hause zu schaffen: »Cechino«, sagte sie, »denn so sagt Ihr ja, daß Ihr heißet, jetzt ist es Zeit, daß Ihr fortgeht! Und um mich zu überzeugen, daß Ihr mir vertraut, bitte ich Euch, bei Euerm Weggehen von hier die Anordnung zu befolgen, die ich Euch gebe. Aber ehe ich darüber mit Euch rede, vergönnt mir Zeit, draußen etwas Geld zu holen, das ich Euch geben möchte. Ich werde im Augenblick wieder bei Euch sein.«

Als der erfreute Cechino von Geld sprechen hörte, da war nie ein besserer Laut in seine Ohren gedrungen. Das Mädchen kam zurück mit einem Beutel, der in Gold gestickt war und fünfzig Zechinen enthielt, in der einen Hand und mit Hammer und Zange in der andern.

»Nehmt«, sprach sie, »dieses wenige, denn für den Augenblick habe ich nicht mehr; aber wenn Ihr von hier weg seid und, um mich zu sehen, in die benachbarte Kirche kommt, in die ich jeden Sonntag gehe, so werde ich Euch nicht nur immer gern wiedersehen, sondern ich werde Euch auch, noch ehe Ihr dieses Geld ausgegeben habt, wieder mit anderem versehen.«

Der überglückliche Cechino nahm das Geld und machte ihr grenzenlose Danksagungen. Da er sie aber in der andern Hand Hammer und Zange halten sah, so fragte er sie: »Fräulein, wozu sollen denn nun aber diese Dinge dienen?«

»Das sollt Ihr sogleich erfahren«, antwortete sie. »Es wird in einer kleinen Weile ein Kaufmann kommen, dem ich, wie ich Euch schon gestern abend sagte, zwei Ballen von dieser Baumwolle übergeben soll. Da will ich Euch nun bitten, daß Ihr mir zuliebe und zur Erhaltung meiner Ehre und nicht minder Eures Lebens in einem derselben Euch verbergt. Ich will Euch darin eine ganz bequeme Lage bereiten.«

Sie unterrichtete ihn hierauf über die Art und Weise, wie er sich zu gelegener Zeit wieder herausmachen könne, und obwohl es dem armen Cechino gar seltsam vorkam, sich so in einen Ballen Baumwolle zu verkriechen und ihren Befehl zu befolgen, so zog er dennoch die Gründe in reifliche Erwägung, die ihm die Jungfrau anführte, ihr Vater habe ihr, als sie nach dem Gelde weg war, zu wissen getan, man werde die beiden Ballen in ein Magazin zu ebener Erde bringen und man habe deshalb bereits nach den Lastträgern geschickt; wenn man ihn nun hier versteckt fände, so müßte für ihn daraus die größte Ungelegenheit entstehen; deswegen entschloß er sich endlich, hineinzuschlüpfen. Sie ließ ihn nun sich vollständig mit Speise erfrischen, damit er nicht Hunger bekäme, wenn er auch bis in die Nacht darin bleiben müsse, küßte ihn darauf vielmals und erhielt ihre Küsse zweifach von ihm zurück, bat ihn auch, sich wieder sehen zu lassen, ließ ihn endlich in den Sack schlüpfen und verbarg ihn so geschickt, daß er sehr gut Atem schöpfen und alles, was vorging, sehen, aber auch auf jeden Fall, sobald er wollte, herausgehen konnte.

Nicht lange darauf kam der Kaufmann mit den Trägern. Das Mädchen trat mit ihnen herein und bezeichnete ihnen die beiden Ballen Baumwolle, in deren einem der arme Cechino verborgen war. Sie wurden sofort hinuntergebracht, in eine Gondel geladen und nach dem Magazin des Kaufmanns weggeführt, in das er sie zu andern Waren niederlegen ließ. Das Schicksal wollte dabei dem waghalsigen Cechino auch sowohl, daß er beim Ausladen auf die Füße gestellt wurde; denn darüber hatten sie gar nicht nachgedacht, als er hineinkroch, und auch ihr war es nicht mehr eingefallen, da der Kaufmann mit den Lastträgern so schnell daherkam: sonst hätte sie ihn gewiß nicht dieser ihnen beiden gemeinsamen Gefahr ausgesetzt, sondern ihn auf irgendeine andere Art und Weise wieder in Freiheit zu bringen gesucht.

Nachdem nun der Kaufmann seine Niederlage verschlossen hatte, ging er hinweg und ließ den Cechino in dem Baumwollballen allein, welcher beschlossen hatte, etwa in der ersten Stunde der Nacht dieselbe zu verlassen. Nun kehrte aber bald darauf der Besitzer des Magazins zurück, weil er gute Gelegenheit gefunden hatte, die Baumwolle an einen andern Kaufmann, der sie benötigte, auf ein Schiff zu senden, das in kurzem in See stechen sollte. Nachdem er mit dem Schiffsschreiber die Fracht bedungen hatte, führte er diesen mit sich, um zu sehen, wie schwer die Ballen seien. Als er sie gesehen und das Gewicht ungefähr geschätzt hatte, sagte der Schreiber: »Ich werde sie gegen das Avemaria abholen, wo mich mein Weg ohnedem vorüberführt, um ein anderes Geschäft zu besorgen. Ich lasse sie dann unten im Schiff an einem passenden Platz unterbringen. Bestellt demnach, daß um diese Zeit einer Eurer Diener mit den Schlüsseln des Magazins sich hier befinde und mir die Stücke übergebe!«

Nach diesen Worten wurde das Magazin wieder verschlossen, und sie entfernten sich. Da der arme Cechino ihre Unterredung mit angehört und vernommen hatte, daß man ihn in kurzem aufladen und unten in ein Schiff packen wolle, braucht man nicht zu fragen, wie es ihm zumute sein mochte; denn er war mehr als überzeugt, daß er hier das Leben verlieren werde. Er konnte zwar wohl nach Belieben aus dem Ballen heraus; aber da es Tag war, hätte man ihn gehört, wenn er das Magazin erbrochen hätte, was er zur Nachtzeit hatte tun wollen; und da er sich auf keine Weise entschuldigen noch rechtfertigen konnte, so hätte ihn ohne allen Zweifel das Gericht aufhängen lassen. Andererseits, wenn man ihn auf das Schiff brachte und unten hineinpackte, so mußte man notwendigerweise andere Waren auf ihn legen, durch die er verhindert worden wäre herauszugehen, so daß er also in dem Ballen hätte ersticken oder Hungers sterben müssen. Wie es also auch hätte kommen mögen, es konnte ihm nichts anderes zuteil werden als der Tod, und da er dagegen gar keine Rettung sah, fing er an, Zeit und Stunde zu verwünschen, wo er in das Haus des Mädchens eingetreten war, und sprach bei sich: »Ach, ich Unglücklicher, wie war doch die vergangene Nacht mir so süß und hold, und jetzt wird mir darum die folgende um so bitterer und schmerzvoller, denn ich muß elendiglich sterben.«

Nach diesen Worten begann er heftig zu weinen und zu seufzen. Nachdem er aber einige Zeit geweint hatte, fiel es ihm doch ein, daß er ja wohl hervorkriechen und sich hinter den Warenkisten verbergen könne, um wenigstens der augenblicklich drohenden Gefahr zu entgehen oder doch sie auf eine Weile in die Ferne zu rücken; aber sein neidisches Geschick raubte ihm auch diese Hoffnung, indem es in demselben Augenblicke einige Kaufleute kommen ließ, um von jenen Waren aufzuladen, und diese blieben auch bis zur Nacht. Deswegen war der arme Schelm nahe daran, vor gewaltiger Betrübnis zu sterben. Während der bekümmerte Cechino in solcher Furcht und Todesangst schwebte, war es finstere Nacht geworden; die Kaufleute waren mit dem Aufladen ihrer Waren fertig, und eben kam der Schreiber heran, um die Baumwollballen abzuholen. Er hatte den Diener mit einer Laterne bei sich, zündete damit die Lampe an, die mitten in der Niederlage hing, und sagte zu dem Diener: »Geh und besorge, daß das Boot gleich vom Schiffe abstößt, um die beiden Ballen einzunehmen! Ich erwarte dich unterdessen hier.«

Dann zog er seinen Kaftan aus, legte ihn auf eine Kiste mit Gewürznelken, die neben dem Baumwollballen stand, in dem der arme Cechino versteckt war und wie Espenlaub zitterte, schlug sodann die Hände auf dem Rücken übereinander und ging in der Niederlage auf und nieder. Da er nun bemerkte, daß die beiden Baumwollballen gar nicht bezeichnet waren, so ergriff er das Tintenfaß, um mit dem Pinsel ein Zeichen darauf zu malen. Cechino sah ihn auf sich zukommen, und sein gutes Glück gab ihm den Gedanken ein, dem Schreiber Furcht einzujagen und sich vielleicht solchergestalt das Leben zu retten. Sobald also der Schreiber, der von Geburt ein Grieche war, seinen Pinsel an den Ballen brachte, erblickte ihn Cechino, der die Augen unter einigen kleinen Rissen in der Leinwand des Ballens verborgen hatte, um hier durchzusehen und Atem zu holen. Der Schreiber hob mit dem Pinsel einen der Lappen auf; sobald er aber das Auge erblickte, fuhr er plötzlich zurück. Sowie Cechino dies bemerkte, fing er an seltsam zu stöhnen und die furchtbarsten Gebärden und Gesichter von der Welt zu schneiden, bei deren Anblick dem armen Schreiber die Haare auf dem Kopf zu Berg standen. Da derselbe in vollem Ernst glaubte, es sei ein Teufel darin, so fing er an zu fliehen, läufst nicht, so gilt's nicht, zum Magazin hinaus, ließ auf der Kiste den Kaftan mit einigen Säcken Geld, die er unter dem Arm gehabt und dort niedergelegt hatte, und verschloß das Magazin behutsam, und das war keine geringe Geistesgegenwart. Er stieß zufällig auf den Diener, der zurückkam, um ihm zu sagen, daß das Boot für diesen Abend beschäftigt sei und deswegen heute nicht kommen könne. Wie er nun den Schreiber ohne den Kaftan und ganz in Schrecken sah, fragte er ihn: »Was habt Ihr, gestrenger Herr, daß Ihr so zittert und so bestürzt ausseht? Wo ist Euer Kleid hin? Hat es Euch vielleicht ein Dieb entwendet?«

» Istimbistim matateotocon«, antwortete er; »der Teufel ist im Magazin, ich habe ihn eingeschlossen: gehen wir, gehen wir nach Hause!«

Er wandte sich auch kein einziges Mal um, bis er daselbst angelangt war.

Sobald der glückliche Cechino dies sah, sprach er bei sich selbst: »Jetzt ist keine Zeit mehr zu verlieren.« Er hatte ein Messerchen bei sich, das ihm das Mädchen zu diesem Zweck mitgegeben, zerschnitt damit im Nu alle Nähte und Stricke des Ballens, sprang ganz mit Baumwolle bedeckt heraus, eilte der Tür der Niederlage zu und löste mit Hilfe der Zange und des Hammers leicht das Schloß davon ab. Dann bemerkte er den Kaftan des erschrockenen Schreibers, und da er ganz voll von Baumwolle war, nahm er ihn über sich, damit er nicht auf der Straße jemand begegne, der aus seinem weißen Aussehen einen ungünstigen Verdacht gegen ihn schöpfe, und die Geldsäcke, die er darauf fand, hob er gleichfalls freudig auf. Dann legte er ohne alles Geräusch den eisernen Querbalken wieder in die Tür des Magazins und ging, ohne von jemand bemerkt zu werden, fort und auf das Haus eines Schneiders zu, der ihm befreundet war. Er klopfte an die Tür, wurde eingelassen und blieb die ganze Nacht über bei ihm. Der Schneider war über seine Ankunft sehr erfreut, denn er bedurfte seiner sehr, da er in diesem Handwerk ein sehr geschickter Arbeiter war. Als ein schlauer und vorsichtiger Mensch warf er den Kaftan des Schreibers noch in derselben Nacht aus einem Fenster in den Kanal und säuberte sich bestmöglich von der Baumwolle, die ihm anhing. Er brachte hierauf zwei volle Tage in der Schneiderwerkstatt arbeitend zu, nahm sich aber wohl in acht, daß er nicht von seinen Genossen, wenn sie zufällig vorübergingen, bemerkt würde, unbekümmert um das, was aus seinem Abenteuer sonst entstanden sein mochte. Da er nun in beiden Taschen einen Geldsack hatte, den einen voll Zechinen, den andern mit kleiner Münze, kleidete er sich ehrbar, staffierte sich aus und enthielt sich viele Tage lang, seine Gefährten wiederzusehen, die, als sie ihn nicht wieder erscheinen sahen und keine Kunde von ihm erhielten, für gewiß annahmen, daß er ermordet worden sei, da er darauf beharrt hatte, so unberufenerweise in ein fremdes Haus einzudringen und seine Ehre zu beflecken. Da sie nun kein Unterkommen mehr fanden und kein Geld mehr hatten, verkauften sie ihre Mäntel und kehrten in ihre Heimat zurück.

Sowie der abenteuerliche Cechino die Abreise seiner Gefährten vermutete, fiel es ihm ein, das schöne Kind wiederzusehen, und er erinnerte sich seines ihr gegebenen Versprechens. Nichtsdestoweniger wollte er keinen Schritt desfalls tun, bis sechs volle Monate vorüber wären, obwohl er sie beständig in Herz und Sinn trug. Es war nun einmal ein Sonntag, an welchem Tage sie ihm gesagt hatte, daß sie in die Kirche von Santa Maria Formosa zu kommen pflege. Er war eben recht gekommen: denn sie trat in dem Augenblicke ein, ganz in Trauer gekleidet, mit einem Gefolge vieler Frauen. Er stellte sich ihr gegenüber, fing an, mit ihr zu liebäugeln, und suchte sich, so gut es gehen konnte, mit den anständigsten Winken, die er vorzubringen wußte, ihr zu erkennen zu geben, bis sie endlich bemerkte, daß er kein Auge von ihr abwandte, ihn dann auch aufmerksamer betrachtete und schließlich merkte, daß es ihr Cechino war, der sie immerfort mit Gebärden und überlegten Winken begrüßte. Sie erwiderte ihm daher den Gruß und war sehr verwundert, ihn in so stattlichem Aufzug zu sehen. Sie versank in verschiedene Gedanken über seiner Wiederkunft, zog seine Handlungsweise in reifliche Überlegung, und da ihr Vater vier bis sechs Tage nach jenem Vorfall gestorben war, ferner der Edelmann, der ihre Gunst genossen, sich verheiratet und sie ganz und gar im Stich gelassen hatte, da sie sich endlich als einzige Erbin der vielen Reichtümer des Vaters zurückgeblieben und nun ihren Cechino vor sich sah, erinnerte sie sich auch, welch ein rüstiger Ringer er sei im Liebeskampfe, und tat ihm daher durch eine ihrer Dienerinnen zu wissen, wasmaßen sie ihn zu sprechen wünsche, und er möge nach Beendigung der Messe sie geradezu in ihrem Hause besuchen. Er erfüllte ihren Wunsch; sie ging ihm bis auf die Hälfte der Treppe entgegen und empfing ihn liebevoll. Sie traten hierauf in ein sehr schönes Gemach, wo sie sich ihm gegenübersetzte und ihn sodann fragte, welcher günstige Wind und was für ein gutes Geschick ihn angetrieben habe, sie nach so langer Zeit einmal wieder aufzusuchen, wo er sich bis jetzt befunden habe, und anderes dergleichen. Sie schloß endlich mit der Frage, ob er sich noch jener Nacht erinnere.

»Ich bin darum, mein Fräulein«, antwortete er, »nicht früher als jetzt gekommen, um Sie wiederzusehen, weil ich genötigt war, unterdessen, nicht lange nach jenem glücklichen holden Ereignis, nach Hause zu gehen, um daselbst meine Angelegenheiten zu ordnen, die durch den Tod meines Vaters in Verfall geraten waren. Ich brachte es so schnell als möglich ins reine und kehrte, sobald als es anging, zurück, immer eingedenk der mir so süßen, teuern Erinnerungen, die mehr als je in mir lebendig sind, mich mit wachsender Glut erfüllen und sich stündlich in mir erneuern. Vermöchte ich zur Erkenntlichkeit für eine so große und ausgezeichnete Gunst Euch nur einen geringen Teil des Lohnes abzutragen, den sie verdient, so wäre ein ganzes Leben, ja tausend Leben, wenn ich so viele hätte, nicht hinreichend, um Euch dadurch, daß ich Euch diente, meinen Dank zu bezeugen.«

Mit diesen wahrscheinlich aussehenden Ausreden wollte er sich wegen seines langen Ausbleibens entschuldigen, wiewohl es in der Tat nur durch seine Flucht aus dem Magazin und das daselbst gefundene Geld veranlaßt war; denn er hielt es in jeder Hinsicht für geraten, eine gute Zeit darüber hinstreichen zu lassen. Das Mädchen hatte aufmerksam seine Vorschläge angehört, und da es ihr einfiel, daß sie lange Zeit mit den Liebesfreuden gefastet hatte, fing das schon lange beschwichtigte und gedämpfte Liebesgelüst allmählich in ihr zu erwachen und sie zu durchglühen an; auch vergaß sie ihre häufigen und schmackhaften Liebesbegegnungen nicht und sagte daher zu ihm: »Seid Ihr verheiratet, Cechino?«

»Ich war es nie, mein Fräulein«, antwortete er.

»Wenn ich Euch nun eine Gattin gäbe«, fuhr sie fort, »würdet Ihr sie annehmen? Ich würde Euch eine wählen, von der ich versichert bin, daß Ihr mit ihr zufrieden sein könntet; überdies würdet Ihr auch mir durch Eure Annahme eine ausgezeichnete Gunst erzeigen.«

»Es gibt nichts auf der Welt«, antwortete er, »das ich auf Euer Gebot nicht mit Freuden tun würde; ich würde mich für überglücklich halten, wenn Sie sich herabließen, mir zu befehlen.«

»Ist es aber auch wahr«, sagte sie, »was Ihr da sagt?«

»Macht denn eine Probe, welche Ihr immer wollt, und Ihr werdet Euch darüber ins klare setzen.«

Da sprach sie denn, von Liebe glühend: »So will ich mich denn jetzt vergewissern: Wollt Ihr mich zur Gemahlin?«

»Wenn Ihr im Ernst sprecht, mein Fräulein«, antwortete er, »so antworte ich Euch, und wenn auch nicht, so werde ich doch nie unterlassen, Euch mehr als je ein getreuer Diener zu bleiben.«

»Wie sollte ich mich gegen Euch verstellen, liebe Seele?«

Mit diesen Worten fiel sie ihm um den Hals, küßte ihn zärtlich und sagte: »Verstelle ich mich jetzt, mein Cechino, oder ist es Ernst?«

Als er sich denn unerwartet ein so großes Geschenk in den Schoß fallen sah und solche Gunst und solche Liebkosungen, hätte er ein so großes Gut und Vergnügen nicht mit allen Reichtümern der Welt vertauscht; denn er meinte schon vor übermäßiger Wonne mit den Fingern an den Himmel reichen zu können.

»Mein süßestes Fräulein«, versetzte er, »und meine holdeste Seele, denn dafür will ich Euch stets halten, glücklich, ja wahrhaft selig darf ich die erste Stunde nennen, in der Eure honigsüße Stimme, ohne zu wissen, wer ich war, sich herabließ mich zu rufen und zu Euch hereinzuführen; denn jetzt erweist sie sich mir als glückliches Vorzeichen für die Zukunft, daß ich Euch ganz besitzen solle. Und da weder Worte noch Gedanken mir hinreichen, um Euch vollkommen danken zu können, bleibe ich dabei und sage bloß, daß ich Euch zu gehorchen bereit bin und stets bereit sein werde.«

Die sehr prächtige Hochzeit wurde am folgenden Tage gehalten zum höchlichen Erstaunen und zur Verwunderung fast der ganzen Stadt darüber, daß ein so reiches und schönes Mädchen sich zu einem so niedrigen armen Menschen herabgelassen habe; aber freilich wußten sie nicht, was zwischen ihnen im Dunkeln vorgegangen war. Nach der Hochzeit befleißigten sie sich eines glücklichen Lebens; und der gesegnete Cechino vergaß nicht das seinen Gefährten gegebene Versprechen, sie an seinem Erwerb teilnehmen zu lassen, den er etwa machen würde, wenn er in das Haus hineinginge; er ließ sie daher kommen, nahm sie freundlich auf, bewirtete sie einige Tage bei sich und schickte sie dann getröstet und reich beschenkt in ihre Heimat zurück mit der Mahnung, nie das wahre Wort zu vergessen: Wagen gewinnt.


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