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Italienische Novellen. Dritter Band
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Pietro Pomo

Abenteuer eines deutschen Poeten

Agisulf, ein deutscher Dichter von edler, aber armer Abkunft, verliebt ebenso in das reizende und anziehende Studium der Poesie wie in das schwere und erhabene der Astrologie, widmete keinem andern Wesen seine Kräfte als der Urania und vermengte nicht, wie andere Dichter zu tun pflegen, mit der Kastalia und mit dem Kephisos seinen tugendhaften Schweiß, sondern er vergnügte sich an den Ufern des himmlischen Euridanus und löschte die Glut seines poetischen Durstes in der einfachen Quelle der Kristallinse. Daher konnten mit allem Recht seine Verse als erhaben gefeiert werden, da er sie nicht nur an den Fingern abzählte, sondern mit Anstrengung seines Rückgrates fortwährend auf dem schwierigen Pfade der steilsten Steigungen des Himmels sich abmühte. Er sang von dem Beben und den langsamen Bewegungen des Firmamentes, den mannigfaltigen Bahnen und dem verschiedenen Einflusse der Planeten, von dem Wechsel der Jahreszeiten und überhaupt von allem, was auf uns von dort oben in diese sublunarische Welt herniederströmt. Aber bei der Erkenntnis des Allgemeinen wurde er auch neugierig auf seine besondern Umstände: er erspähte in der Berechnung seiner eigenen Geburtsstunde irgend etwas Königliches im mittleren Himmel, was, auf die Folter der Überlegung gespannt, geradezu zu dem Bekenntnis kam, daß der Glückspunkt aufs genaueste mit seinem einunddreißigsten Lebensjahre zusammenfalle. Nun wußte er zwar wohl, daß die Konstellation der Poeten sich diametral derjenigen der Glücklichen entgegensetze; nichtsdestoweniger aber, weil ihm auch nicht unbekannt war, daß der Himmel sich manchmal auch den Spaß mache, mit uns durch ungewohnte Ausnahmefälle zu scherzen, entschloß er sich, nicht, wie viele zu tun pflegen, in den Grenzen seines Vaterlandes die Stürme seines Geschicks zu erwarten, sondern ernst und eifrig dem Glücke entgegenzugehen, das ihm in den Jahrbüchern des Himmels günstige Sterne weissagten. Er setzte also über das Meer und siedelte mit größtem Behagen von Deutschland nach Hibernien über, wo er nach den Vorschriften seiner Kunst meinte, das Ziel seines verheißenen Glückes sei dort sicherer und leichter zu treffen.

Es herrschte dazumal über dieses Land Crudarte, der sich mit Gewalt über Berge von Verbrechen in die Regierung eingedrängt hatte und mit solchen sich nicht nur Verschanzungen aufführte, um sich seine so schlecht erworbene Macht zu erhalten, sondern sich auch Bresche machte, um in der ersehnten Hochzeit die Willfährigkeit der rechtmäßigen Königin Rosmonde zu erobern, die, nachdem wenige Jahre zuvor ihr Vater, der König Guiscarlo, gestorben war, nach dem unvermuteten Tode ihres einzigen noch unmündigen Bruders, der, wie man glaubte, als erstes Opfer sein unschuldiges Blut zu den Füßen des stolzen Tyrannen vergießen mußte, nun als einzige, aber unzweifelhafte Thronerbin übrigblieb. Sie hatte aber von der königlichen Würde nichts als den Titel Königin und war nebst ihrer Mutter von dem grausamen, wenngleich glühend in sie verliebten Manne unter dem äußern Vorwande der Bewachung und des Anstandes in der Felsenburg der Stadt eingeschlossen, wohin außer einigen wenigen Hofdamen selten oder nie jemand gelangte. Außer den andern über sie ergangenen Leiden war auch darüber die Stadt in großem Jammer und Mitleid, da man so vor den Augen sich den einzigen übrigen Tropfen des königlichen Blutes in der Gefangenschaft verzehren sah, und neben dieser Crudarte beleidigenden Traurigkeit hatte sie fortwährend die schmerzlichen Folgen ihres unnützen Mitleids zu tragen. Der Tyrann las auf der Stirne der Bewohner der Stadt den Unwillen über sein Regiment, der sie beseelte; er hielt sich dadurch schwer beleidigt und schritt deshalb bald unter diesem, bald unter einem andern Vorwande schamlos mit Verbannungen, Gefängnis- und Todesstrafe ein, um sich zu rächen; so daß die Guten kein besseres Mittel zu ihrer Rettung wußten, als sich schlecht zu stellen, und die Schlechten, sich zu Werkzeugen seiner Roheiten herzugeben. Auf diese Weise war in kurzem die Stadt verödet und die Insel von allen Männern von einigem Geiste entvölkert, und jener genoß fast nur unter rohem Pöbel die Ruhe des Reiches in einem Meere von Verruchtheiten.

Bei diesem Stande der Dinge landete Agisulf an der Schwelle der Insel, verfügte sich von dort nach der Hauptstadt und hielt dort sorgfältig Wache, ob er irgendwo den königlichen Vorläufer des verheißenen Glückes aufgehen sehe. Er versäumte unterdessen nicht die Aufgabe seiner obengenannten poetischen Bestrebungen, sondern streute vielmehr selbige gar häufig mittels vieler nicht unedler Proben aus und bemerkte mit unendlichem Vergnügen, wie in dem allgemeinen Beifall glänzende Keime des Ruhmes emporsproßten. So war er in kurzem nicht nur von dem rohen Pöbel geliebt und geehrt, sondern er sah sich auch bewundert von solchen, die auf einer höheren Stufe des Ansehens standen. Er machte endlich in Form von Orakelsprüchen einige Prophezeiungen eines der ganzen Insel bevorstehenden Glückes bekannt und fand dafür auch, wie es im Unglück zu geschehen pflegt, leicht Glauben; ja, er setzte sich bei den Einfältigen bald in das Ansehen eines himmlischen Boten, eines Gottmenschen.

Crudarte blieb der Beifall, den Agisulf erntete, keineswegs verborgen, und bei der Gewissensangst, der strengsten Henkerin der Verbrecher, fürchtete er von der Stimmung des Volkes irgendeinen Umschwung und hätte gerne den Entschluß gefaßt, ihn umzubringen oder zu verbannen: aber aus Angst, das Volk möchte, erbittert durch die täglichen Aufwiegelungen, die Lockspeise bereits im Busen fertig tragen, um bei dem nächsten Anlaß einer neuen Beleidigung das Feuer des Aufruhrs in sich aufzunehmen, enthielt er sich dessen und ging vorsichtiger zu Werk. Er rief ihn an den Hof; er sah, daß er ein Mensch von sehr schönem Äußeren war; er erkannte in seinen Gesprächen auch seinen schönen Verstand und merkte unter andern guten Eigenschaften an ihm auch die, daß er vollkommen die schwere Kunst des Regierens verstand. Er bewunderte seine Anmut, seine Würde, seinen Geist und ernannte ihn zu seinem Rat, in der Absicht, nicht sowohl die Tugend zu belohnen, der er diametral widerstrebte, sondern um sich derselben zu bedienen, um desto leichter die Tyrannei seiner angemaßten Herrschaft aufrechtzuerhalten. Er wußte, wie sehr er dazu helfen könnte, ihm die Neigung des Volkes zu gewinnen, durch seine Anmut und seine Beredsamkeit. Er bemäntelte mit schönen Worten den wirklichen Sinn seiner Entschließungen und hätte so leichter als jeder andere seiner Untertanen bereitwillig sich das können aneignen machen, was mit Drohungen und Gewalt nicht möglich gewesen wäre. Aber mehr als alles andere lag ihm am Herzen, daß er allein durch das Ansprechende seines Betragens und den Honig seiner Überredungskunst es dahin brächte, ihm seine ersehnte Königin Rosmonda ohne Zwang zur Gattin zu erwerben. Ich weiß nicht, soll ich sagen, daß Crudarte mehr vom Ehrgeiz oder von der Liebe tyrannisiert war? Mir scheint es fast, die beiden Leidenschaften beherrschten ihn gleichmäßig im äußersten Grade; doch kann ich dabei mich leicht überzeugen, daß weniger als die Liebe ihn der Ehrgeiz quälte; denn für den letztern fand er wenigstens Linderung, indem er fortwährend Befehle erteilen konnte; nach der Liebe aber dürstete er immer, er schmachtete in Verzweiflung über einen glücklichen Ausgang, weil Rosmonda, gegen den verliebten Tyrannen immer unwillig oder immer spröde, ihn nie auch nur eines Blickes gewürdigt hatte.

So war der Unglückliche des geliebten Lichtes beraubt und lebte trostlos in ewigen Finsternissen. Doch verlor er sich darum nicht in die schüchterne Scheu der Liebenden mit dem ersten Flaum am Kinn; vielmehr erhitzt vom Blute einer kräftigen, männlichen Verfassung, trug er kein Bedenken, sich sehr häufig zum Besuche bei seiner Teuren zu verfügen, und bestrebte sich daselbst durch alle Künste, sich in ihre Liebe einzuschmeicheln, so daß er ihr manchmal, wenn auch mit bleicher Stirn und bebender Stimme, seine Flamme offenbarte. Sie aber blieb unerschüttert von seinen Schmeicheleien, starr und schweigend, und so mußte er immer mehr beschämt und bekümmert scheiden. Er zitterte, als er wegging, indem er sich verachtet glaubte, und von Zorn glühend hätte er die Liebe ausgelöscht, wenn nicht beide Flammen einander begegnend sich vereinigt und unvermerkt, statt auszulöschen, nur einen um so stärkeren Brand in ihm verursacht hätten.

Agisulf war indessen (dank den eigennützigen Gunstbezeigungen Crudartes) zu den höchsten Ehren am Hofe emporgestiegen. Keine Gnaden wurden gespendet, keine Eingaben gefördert, als durch ihn; auch Abweisungen gingen durch seine Hände und verloren dadurch die Eigenschaft des Bittern, versüßt durch das Anmutige seiner Leutseligkeit, so daß er bei einer so angesehenen Stellung, verbunden mit der Voraussetzung eines durchaus unbescholtenen Wandels, sich mehr als je in der Verehrung der Untertanen befestigte.

Zu ihm also nahm Crudarte seine Zuflucht, nachdem er ihn zuvor so höchlich verpflichtet hatte durch die größte Abhilfe seines Unglücks. Er hielt es aber für angemessen, ehe er ihm das Innerste seines Herzens aufschlösse, ihn durch eine anständige Zusammenkunft bei der geliebten Königin einzuführen, und schickte ihn in die Burg zu ihr als Boten wegen gewisser wichtiger Regierungsangelegenheiten. Rosmonda war sehr schön; die Blüte ihrer Jahre färbte mit holdem Purpur das schneeweiße Gesicht und belebte es mit zwei schwarzen, höchst lebendigen Augen; in der Majestät einer anmutig gekrümmten Nase, in der von dunkelm, starkem Haarwuchse gekrönten Stirn zeigte sie sich in einer doppelten Herrschaft als Tyrannin der Herzen und Königin der Menschen. Als nun Agisulf vor sie trat, war er überwältigt von Staunen über diesen ihm göttlich scheinenden Anblick und nahe daran, in Ohnmacht zu sinken oder doch von plötzlicher Liebesraserei befallen zu werden und in Wut auszubrechen. Nichtsdestoweniger setzte er mit vieler Anmut vor der Königinmutter den Auftrag auseinander und bekam darauf eine kluge und freundliche Antwort. Er entfernte sich, aber in sehr schlimmer Verfassung, denn er hatte mehr als die Hälfte seiner selbst zu Rosmondas Füßen zurückgelassen. Der Unglückliche merkte zwar sogleich die Verwundung, aber wozu half es? Er erkannte sie im Augenblicke für tödlich. Verzweifelnd an jeder Hilfe, hätte er gerne sterben mögen, wenn nicht Crudarte unter andern Vorwänden ihn von neuem an seine teure Königin geschickt und ihm Gelegenheit gegeben hätte, neue Lebensgeister zu sammeln aus dem Anblicke jener Schönheiten, die als göttliche nicht bei andern tödliche Wirkungen hervorbringen konnten.

Aber wie die Liebenden gewöhnlich, so war auch Crudarte ungeduldig über längere Zögerung; er rief Agisulf in das entfernteste Gemach, erinnerte ihn geschickt an den hohen Posten, auf den er ihn mit Hintansetzung so vieler andern erhoben hatte, und eröffnete ihm unbedenklich die unheilbaren Wunden, die er um Rosmonda in seinem Busen trug. Dann trug er ihm auf, aus Erkenntlichkeit für die empfangene Gunst und für die noch größere, die ihm bevorstehe, um ihn noch mehr zu erheben, jedes Mittel ins Werk zu setzen, um ohne Zwang die Königin Rosmonda zur Gemahlin zu bekommen, und versicherte ihn, er würde, wenn er es verlangte, zum Lohn bis zur Hälfte des Königreiches erhalten.

Nun möge, wer von meinen Zuhörern je verliebt gewesen ist, bedenken, in welchem Zustande nunmehr Agisulf gewesen. Er verstummte, erstarrte, ward versteinert bei den ganz entgegenstehenden Regungen seines Herzens. Doch nachdem er sich etwas über das in dem gegebenen Falle einzuschlagende passendste Verfahren bedacht hatte, faßte er Mut und antwortete: »Euer Exzellenz verpflichtet mich weit über die Beschaffenheit meines Verdienstes, indem Ihr mich zu der Ehre des höchsten Geschäfts im Königreiche beruft, und da Euch nichts Größeres übrigbleibt, mir mitzuteilen, bekenne ich mich unfähig, Euch nach Gebühr zu danken; und diese meine Unfähigkeit ist ein Beweis des Vorzugs, den der Himmel den Großen verleiht: denn wenn es für die Gunstbezeigungen der Fürsten Danksagungen gäbe, welche ihren Gunstbezeigungen gleichkämen, so würde man die Fürsten nicht mehr für höher erkennen als ihre Begünstigten. Ich werde hingehen, und indem ich das Geschäft übernehme, das Ihr mir anvertraut, wird es mir gering scheinen im Verhältnis zu dem Wunsche, der mich im Arbeiten für Euern Dienst so sehr entflammt; indem ich daher dem Mangel meiner Zureichendheit die kräftigsten Wünsche beifüge, werde ich es dahin bringen, daß, was mir abgeht, die gütigen Sterne durch ihre Hilfe ersetzen.«

Wie groß die Bedrängnis war, die Agisulfs Seele fühlte, indem er zur Ausführung des Unternehmens schreiten sollte, wüßte ich euch nicht auszudrücken. Von einer Seite stürmte auf ihn ein die Pflicht des Günstlings, die Macht und die reizbare Natur Crudartes, von der andern das unerklärliche Widerstreben, das er in seinem Herzen fühlte, einem andern das Leben zu verschaffen, das, wenn der Zweck erreicht war, in notwendiger Folge ihm das seinige nehmen müßte; und wiewohl er ohne Hoffnung liebte, so liebte er darum doch nicht ohne Eifersucht, und es gibt in der Welt keine grausamere Marter, als sich andern in der Liebe hintangesetzt zu sehen, und noch viel schwerer müßte es, dünkt mich, fallen, sich durch seine eigene Mitwirkung nachgesetzt zu sehen.

Weil nun aber, wen das Schicksal von Geburt an zum Dichter bestimmt hat, nicht treulos sein kann, so setzte er seinen eigenen Vorteil hintan und beschloß, wenn er auch sterben müßte, Crudarte treulich die gewünschte Vermählung zu vermitteln, und da er, um die Tochter günstig zu stimmen, für das geeignetste Mittel hielt, zuerst die Mutter zu gewinnen, fing er das Unternehmen mit dieser an. Er erinnerte sie vor allem an das heiratsfähige Alter Rosmondas, die Notwendigkeit der Regierung, den allgemeinen Wunsch der Untertanen, und es fiel ihm nicht schwer, sie von diesem ersten Punkte zu überzeugen, über den gemeiniglich zum voraus alle Mütter einig sind. Sobald er aber auf die Person Crudartes kam, da war plötzlich die ganze Unterhandlung gestört; jede bisherige Übereinstimmung hatte sich in den heftigsten Unwillen geendet. Agisulf unterließ aber darum nicht, seine Besuche unter verschiedenen Vorwänden zu wiederholen und sein Anliegen von neuem in Anregung zu bringen; manchmal war dabei auch Rosmonda selbst anwesend. Agisulfs Reden waren erfüllt von einem gewissen Reize, und wenn sie auch von gehässigem Stoffe waren, so machten sie doch auf den Hörer einen eigentümlich süßen und holden Eindruck. So waren die beiden Königinnen wider Erwarten mit ihm zufrieden und fanden sich mehrmals veranlaßt, dem Crudarte die Eigenschaften Agisulfs anzuwünschen, wo denn ein Heiratsantrag auf keine großen Schwierigkeiten gestoßen wäre.

Da nun aber Crudarte allmählich den ungünstigen Fortgang der Bemühungen Agisulfs bemerkte, fing er an, wie die Großen ihr Mißgeschick in der Person des unglücklichen Ministers zu verabscheuen pflegen, ihn tödlich zu hassen; doch wollte er ihn nicht vom Hofe wegweisen, ohne wenigstens einen scheinbaren Anlaß zu haben; unter allen Umständen aber sollte er von der Stufe herabsinken, zu der er ihn erhöht hatte, und deshalb ließ er ausstreuen, es habe sich endlich der Grundsatz einiger neueren Politiker bewährt, daß Dichter zur Regierung des Staates nicht passen. Er verbreitete also, er sei ungeeignet für jede Dienstleistung von Belang, und gab einigen der unzartesten Höflinge, mit denen die Höfe in alten Zeiten immer sehr reichlich ausgestattet waren, die Weisung, sich über ihn lustig zu machen, ihn in der öffentlichen Meinung in Mißachtung zu bringen und dadurch zu bestimmen, beschämt und von selbst den Hof zu verlassen.

Mit welchem Eifer diese sich der Quälerei des armen Agisulf annahmen, mag ermessen, wer die Feindschaft kennt, in der die Unwissenheit mit der Trefflichkeit steht. Mehr als einmal befestigten sie ihm in großem Volksgedränge Werg auf dem Rücken und steckten es, ohne daß er es merkte, in Brand, ließen dann die Menge beiseite treten und schrieen, sie sollten sich schnell vor dem Vater des Vaterlandes verbeugen, da sie ihn mit eigenen Leibesaugen so für dasselbe glühen sähen. Ein andermal ließen sie ihn eilends rufen unter dem Vorwand, ihn zum Rate einzuladen, und warfen runde Bohnen auf die Treppe. Wenn er nun hastig herankam, glitschte er auf den Stufen aus und fiel zu Boden, daß er fast den Hals brach. Wenn er nun hinkend und lendenlahm weiterkroch und ihnen begegnete, so fragten sie ihn, ob er vielleicht darum nicht gen Himmel schaue, weil er ihm darüber zürne, daß er ihm in seinen Jahrbüchern nicht die Gefahr dieses Falles vorausgesagt habe.

Über diese Beschimpfungen beschwerte sich zwar der Arme bei Crudarte; aber obwohl sich dieser sehr erzürnt zeigte und schwur, ihn zu rächen, rief er doch im Augenblicke nachher die Beleidiger und gab ihnen, statt sie zu bestrafen, in seiner Gegenwart zu seiner größten Qual noch ein freundliches Geschenk. Über diese Katastrophe entstand unter seinen Nebenbuhlern ein spöttisches Gelächter, im Volke aber beklagte man sein Mißgeschick; Agisulf war somit der Hohn des Hofes und gleichzeitig das Mitleid der Massen geworden. Über jene Ausschreitungen aber wurde nun offen unter den Guten gemurrt. Gerne wäre er weggegangen, da er den ungerechten Unwillen Crudartes wohl merkte; aber er fühlte sein Herz gefesselt an Rosmonda und erkannte es somit für unmöglich, daß er wegging. Er beklagte sich gegen den Himmel, der ihn mit seinen trüglichen Zeichen hintergangen habe. Er beklagte sich über sich selbst, daß er nicht vollständig die Sprache des Himmels verstanden. In sich selbst hielt er nun mit den geschwundenen Ehren das vom Schicksal bestimmte Steigen des ihm verheißenen Glückes für beendigt und fürchtete von Tag zu Tag, da das Sinken sich ihm immer näher legte, es werde vermöge der Notwendigkeit des Widerspruchs sich noch weit größeres Unglück bei ihm einstellen. Er lebte indessen in seinem Zimmer zurückgezogen, um dem Begegnen neuer Ungebührlichkeiten auszuweichen und wenigstens teilweise mit einer leichten Sühne die Bitterkeit seines gegenwärtigen Schicksals zu dämpfen. Aber siehe da, auch hier kann er der Belästigung nicht ausweichen: Sie bohren ihm über dem Haupt ein Loch in die Decke und übergießen ihn, während er schreibt, mit einem reichlichen Regen der stinkendsten Flüssigkeit, eilen sodann in sein Zimmer und bezeugen ihre Freude, daß endlich Urania an seine Seite vom Himmel herniedergestiegen sei, um seinen Durst so reichlich in den Wassern der Hippokrene zu löschen, wie sie aus dem Dufte deutlich abnehmen.

Unter all den Qualen aber, die er duldete, war ihm keine unerträglicher, als wenn er sich dachte, er müsse bald beim Abschied des Anblicks Rosmondas gänzlich beraubt werden. Doch wollte er, als er zum Scheiden entschlossen war, es wagen, sie nochmals zu sehen; er ging hin und wurde wie sonst frei von den Wachen eingelassen. Als er eingeführt war, setzte er den zwei Königinnen, der Mutter und der Tochter, mit solcher Rührung die Notwendigkeit auseinander, die ihn dränge, wegzugehen, daß er ihren Augen Tränen entlockte; sie waren ganz bewegt und trösteten ihn so eindringlich, daß er wieder ein wenig Mut faßte und am Ende die Kraft hatte, obwohl sehr bekümmert, von ihrem Anblick zu scheiden. Aber siehe da, als er aus der Burg treten will, wird er von einer Schar seiner Verhöhner angefallen, die ihn auf einmal mit einem pappenen Diadem krönten, mit einem Mantel aus den schlechtesten Lumpen umhüllten, auf einen Sessel hoben und als König begrüßten. So trugen sie ihn mit Gewalt auf den großen Platz vor den königlichen Palast, um Crudarte ein heiteres Schauspiel zu gewähren. Mit Hilfe von acht starken Männern, die sie zu diesem Zwecke ausgewählt hatten, prellten sie ihn wiederholt auf einer Decke und sagten ihm, so erhöben sie ihn viel besser als auf dem königlichen Thron und zeigten damit dem Volke Könige seinesgleichen. Am Ende ließen sie ihn zerbrochen und atemlos liegen, daß er kaum auf den Füßen in seine Gemächer gelangen konnte.

Diese über die Maßen grausame Barbarei, die gegen einen Unschuldigen vor den Augen des Volkes zum Vergnügen Crudartes ausgeführt wurde, gab dem Volke gegen die, welche sich bei der Ausführung beteiligten, Steine in die Hand; die einen setzten die andern durch ihr Beispiel in Wut, andere nahmen Bogen, andere Spieße, andere Sensen, liefen damit an den Palast, bedrohten Crudarte selbst in aufrührerischem Geschrei und riefen: »Tod dem Tyrannen, Tod dem Tyrannen!«

Er verrammelte sich indessen in seinen innersten Gemächern mit seinen Getreuesten; aber der Lärm wuchs von einem Moment zum andern, und sie ließen nicht nach, sondern machten mit lauter Stimme, um den Haß gegen ihn noch zu erhöhen, seine früheren Schändlichkeiten bekannt. In dieser äußersten Not beriet er sich mit den Seinigen über den Ursprung dieser drohenden Gefahr und entschloß sich Sogleich einige Trabanten hinzuschicken, um Agisulf, den ersten Anlaß dieses Aufruhrs, zu töten und seine Leiche dem Volke zu zeigen. Wenn dann die Hoffnung geschwunden wäre, ihn wiederzubekommen und sich ihn geneigt zu machen, würde sich die Masse entsetzt von diesem Schauspiel zurückziehen. Während man nun diese grausame Maßregel ins Werk setzte, wurde Crudarte von den Empörern dahin gedrängt, über sein eigenes Los sogleich zu beschließen. Er sah sich nun im letzten Gemache belagert, und es war für ihn keine Hoffnung auf Errettung mehr vorhanden. Bald wollte er nun sich selbst ums Leben bringen, bald aus dem Fenster springen, bald sich unter die Feinde stürzen und, nachdem er Rache genommen, sterben. Aber mitten in der Unentschlossenheit über die Todesart verschob er das Sterben, zu milderen Gesinnungen sich wendend, und entschloß sich zu dem Versuche, die Zornglühenden womöglich dadurch zu versöhnen, daß er das Reich verlasse. Er machte den Vorschlag, erhielt die Genehmigung und führte ihn aus ohne Verzug; er begab sich an die geweihte Klippe, um sein Leben unter Druiden der Göttin Tomiris zu beschließen.

Der unglückliche Agisulf aber war, von den Meuchelmördern überfallen, eben auf dem Punkte erstochen zu werden, wäre nicht das Volk wütend eingedrungen und hätte ihn, ehe er noch verletzt wurde, aus ihrer Hand befreit. Als sie ihn so gerettet sahen, erfüllten sie die Luft mit rauschendem Jubel und führten ihn in die von Crudarte verlassenen Gemächer, wo sie ihm als ihrem Herrscher Treue gelobten.

Alle diese Vorfälle wurden den beiden Königinnen gemeldet, und sie waren sehr getröstet, sich und das Reich von der Tyrannei Crudartes befreit zu sehen. Ganz frohen Sinnes begaben sie sich in den Königspalast und bewunderten unter dem allgemeinen Beifall die Freundlichkeit, Bescheidenheit und den Ernst Agisulfs. Das zuvor mit ihm gehabte Mitleid verwandelte sich auf eine rätselhafte Weise durch eine unsichtbare Macht in Liebe, und diese wünschte ihn zum Eidam, jene zum Gemahl zu bekommen.

Hier bändigte also der Himmel das Grausame der Konstellation, um Agisulf zu beglücken, und damit auf ihn die Freude gedoppelt ströme, rief er zur Verschwörung mit sich die zwei leuchtenden Fixsterne, die in dem Gesichte Rosmondas leuchteten und die freundlich darin kreisend ihn das höchste Glück der Liebe und der Herrschaft genießen ließen. In dieser vortrefflichen Stimmung des Volkes, Agisulfs und Rosmondas zögerten sie nicht, mit königlicher Pracht die Feier ihrer Hochzeit zu begehen, infolge deren sie hernach lange als glückliche Gatten lebten und eine edle, liebenswürdige Nachkommenschaft erzielten. Bei seiner Vermählung mit Rosmonda war er vom Volk zum König ausgerufen worden.

Dieses heitere Ende nahm die Geschichte des Dichterkönigs. Leider nur, meine Herren, daß es eine Fabel ist, denn wie könnte man etwas Fabelhafteres ersinnen als einen Volksauflauf, der an sich immer so ärger lieh ist, und der zum Frommen der Tugend ausschlägt, und einen Dichter, den das Geschick immer zum Unglück bestimmt hat, und der hier dazu gelangt, das Glück eines Königs zu schmecken?


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