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Italienische Novellen. Dritter Band
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Liberale Motense

Störung zu rechter Zeit

Es lebte unlängst in Florenz eine Dame, Celidea genannt, deren große Schönheit männiglich in Feuer und Flammen setzte. Floriandro, ein junger, ihr ebenbürtiger Edelmann, liebte sie, erhielt sie, als er sich um sie bewarb, in Ansehung seines bedeutenden Vermögens zur Frau und hatte die Freude, ehe noch ein Jahr abgelaufen war, ein Pfand ihrer Zärtlichkeit in einem Töchterchen zu besitzen, das in seiner kindlichen Gesichtsbildung ein Wunder von Schönheit zu werden versprach und bei Celideas fernerer Unfruchtbarkeit der einzige Trost ihrer Eltern über getäuschte Hoffnungen auf mehrere Nachkommenschaft ward. Da nun nach einem Zeiträume von fünf Jahren Floriandro zu der Erkenntnis gelangte, er sehne sich vergebens danach, wiederholt mit Kindern gesegnet zu werden, so beschloß er, der Tatkraft seiner Jugend nachzugeben und eine Reise übers Meer zu machen, sowohl um sich mit Kränzen des Ruhmes zu schmücken, als auch um sich auf den Rat der Ärzte von seiner Gattin und von ihr selbst damit die Ursache ihrer Unfruchtbarkeit zu entfernen. Denn die Ärzte behaupteten eben, diese Unfruchtbarkeit entspränge aus einer allzu heißen, von dem beiderseitigen sehnsüchtigen Verlangen nach Kindern genährten Liebesinbrunst, und hofften, wenn diese übermäßige Glut von der Zeit abgekühlt und gedämpft werden würde, sie dereinst noch des Segens, den ihnen keine Heilmittel und Rezepte hatten verschaffen können, sich erfreuen zu sehen.

Floriandro ließ also öffentlich verlauten, daß er sein Vaterland verlasse, um einem abgelegten Gelübde zufolge eine Wallfahrt nach Galizien anzutreten, war innerlich jedoch ganz anderer Sinnesart und nahm Abschied von seiner Frau, die ihm, angesichts des frommen Beweggrundes seiner Reise, nicht daran hinderlich zu sein wagte, als ein Pfand ihrer Liebe aber einen reichlichen Strom von Tränen an seiner Brust vergoß, deren Angedenken seinem Herzen Trost und Stärke verleihen möchte, wenn es ihrer wechselseitigen Zärtlichkeit jemals uneingedenk würde. Er reiste nach Livorno ab, ließ daselbst in möglichster Geschwindigkeit ein tüchtiges Schiff ausrüsten, lichtete die Anker, zog die Segel auf und fuhr mit günstigem Winde wie der Blitz zum Hafen hinaus.

Die Trennung von ihrem Gatten zerriß Celideas Herz, sie verlor ihre gewohnte Heiterkeit und versank in grenzenlose Schwermut. Fürchtend und in Besorgnis, wie alle Liebende, wußte sie sich mit gar nichts zu trösten, denn alle ihre Gedanken drehten sich um den einzigen, daß der Aufenthalt zur See tausendfältigen Gefahren unterworfen sei, und ihr Herz sagte ihr irgendein großes Unglück voraus. Ihre Ahnung trog sie auch insofern nicht, als sie das erste, zweite und dritte Jahr vergebens ihren Gatten zurückerwartete und auf keine Weise Nachricht von ihm erhielt. Sie ließ ohne den mindesten Erfolg durch ganz Galizien die genauesten Nachforschungen nach ihm anstellen und ward endlich der festen Überzeugung, daß das Meer, seiner alten übeln Gewohnheit nach die Schätze der Erde verschlingend, auch dieses ihr höchstes Besitztum in seinen Abgrund gezogen habe. Da sie also annahm, daß Floriandro nicht mehr unter den Lebenden wandle, und sah, daß allen ihren Leiden zum Trotz ihre Schönheit sich keineswegs verminderte, sondern vielmehr die Blüte ihrer Wangen sich nur um so schöner erschloß, je mehr sie diese mit ihren Tränen, die sie vertilgen sollten, befeuchtete, so legte sie zum Zeichen ihrer erstorbenen Hoffnungen Trauerkleider an, in denen ihr Liebreiz freilich, gleichwie ein Stern auf dem dunkeln Grunde der Nacht, noch heller als vorher leuchtete. Um ihres Unglücks willen beklagt, um ihrer Jugend willen bemitleidet und um ihrer Schönheit willen bewundert, übte sie allmählich eine so vollkommene Herrschaft über alle Herzen aus, daß der allgemeine Neid der Männer sich schon im voraus demjenigen zuwandte, dem das Glück sie zur Lebensgefährtin zuführen würde. Nichtsdestoweniger ließ sie sich von keinem bewegen, ihn eines liebreichern Blickes zu würdigen, sondern widmete sich ganz dem Dienste Gottes und der Ausbildung ihrer Seele, vermied, soviel sie vermochte, alle Geselligkeit und lag mit der größten Sorgfalt der Erziehung ihrer Tochter ob, die durch die Anmut ihres Wesens vorauszuverkünden schien, daß sie wohl noch eines Tages unter den scharfen Dornen ihrer Gedanken hervor die Rose ihres Herzens entwickeln werde.

Celidea beharrte in ihrem löblichen Lebenswandel so lange, bis sie eines Abends auf der Hochzeit eines ihrer Brüder, dessen Einladung dazu sie nicht füglich hatte ablehnen können, mitten in den Freuden eines die Blüte der toskanischen Jugend vereinigenden Balles einen jungen Kavalier namens Beliarco erblickte, der eben von der Universität zurückgekehrt war, seiner Geburt nach zu den vornehmsten Jünglingen der Stadt gehörte, an Reichtum keinem andern nachstand, an innerem Werte der erste von allen genannt werden mußte und übrigens noch als schön, klug und bescheiden so viele treffliche Eigenschaften in sich verband, daß nur eine abgestumpfte oder verderbte Natur sich erwehren konnte, ihn zu lieben. Eine seinen Verdiensten entsprechende Aufnahme findend, ward er mit einem Male das Ziel der süßesten Blicke der schönen Damen, die sein Lob um die Wette erschallen ließen, und so war es nicht zum Erstaunen, daß auch Celidea, die die Strenge ihrer Gedanken noch durch keinerlei Trost gemildert hatte, jetzt, durch eine unbekannte Wonne verlockt, sein Bild in den Rahmen ihrer Seele einschaltete und der Neigung ihres Herzens zu ihm durchaus keinen Einhalt tat. Sie betrachtete ihn, bewunderte ihn und fand an ihm Gefallen, wiewohl dies mehr mit der Seele als mit den Augen geschah, die sie, um ihrem Rufe nicht zu schaden, in dem Geschäfte, mit ihm zu liebäugeln, so wohl zu beaufsichtigen wußte, daß niemand anders als er sich dessen versah, was sie ihm sagten, als sie bei einem flüchtigen Begegnen mit den seinigen in einem einzigen tiefen Blicke das lieblichste gegenseitige Verständnis eröffneten.

Es ist schwer zu beschreiben, in welcher Aufregung die beiden verwundeten Herzen sich befanden, als der Ball beendigt war und ein jedes sich in seine Behausung zurückgezogen hatte. Beliarco, den bisher jede Schönheit gleichgültig gelassen hatte, wußte nicht, wie ihm geschehen war, daß eine Dame, die man allgemein als eine beseelte Eisscholle schilderte, sein Herz so wider Willen in Feuer und Flamme hatte setzen können. Hoffnungen, Zweifel, Begierden hatten ihn abwechselnd in ihrer Gewalt. Er erinnerte sich des Begegnens mit diesen schönen Augen und konnte nicht umhin, versichert zu sein, daß er darin eine verliebte Übereinstimmung gesehen habe. Sein Widerwille gegen die Liebe überhaupt zog ihn mit angstvoller Besorgnis von ihr zurück, und die Vorstellung von Celideas Reizen flößte ihm wieder das glühendste Verlangen ein, sie zu besitzen. Celidea andererseits, die bei Beliarcos Entfernung zu ihrer höchsten Verwirrung ihr Herz von den Pfeilen seiner Blicke durchschossen und sich von dem Abglanze seiner Schönheit, die ihre verliebte Einbildungskraft ihrem Herzen um so näher vorhielt, je entfernter sie ihren Augen war, ganz entzündet fühlte, machte ihn nach und nach zu dem einzigen Gegenstande ihres Verlangens. Ihres Gatten völlig vergessen, hielt sie nun endlich dafür, daß die Zeit gekommen sei, wo sie mit vollem Rechte das Angedenken der Asche vernichten dürfe, die als erkaltet sich eben nicht mehr eigne, ein Herz zu erwärmen.

Unschlüssig und zweifelhaft in ihrem Innersten, sprach sie zu sich selbst: »Wenn die Liebe nicht ohne Erwiderung Bestand hat, so kann mein vom Tod überwundener Gemahl nicht länger der Gegenstand meiner lebendigen Liebe sein. Ein beerdigter Leichnam erweckt keine Liebe und Leidenschaft mehr, sondern Schrecken und Abscheu. Beliarcos Schönheit ist geeignet, marmorne Bildsäulen für sich zu entflammen, geschweige denn eine junge, liebeerfüllte weibliche Brust. Ich habe mein dreißigstes Jahr noch nicht erreicht und stehe also in der kräftigsten Blüte meines Alters, wo dann der Mensch am geeignetsten ist, die Freuden der Liebe zu genießen. Ich vermag es mir also nicht zu versagen, wieder zu lieben und eine neue Ehe einzugehen.«

Mit solcherlei trügerischen Vorspiegelungen und besonders mit dem Scheingrunde, daß ihr Mann ihr untreu geworden sei, verführte sie sich zu der Ansicht, sich der Verpflichtung gegen ihn, in der Ungewißheit seines Todes ihm ihre Keuschheit und Treue zu bewahren, für erledigt zu halten. Ihr Entschluß zu einer neuen Liebe war gefaßt. Das einzige, was ihr in der heitern Reihe solcher Gedanken lästig und störend ward, war der Anblick ihrer Tochter, die eben ihr vierzehntes Jahr erreicht hatte und schon so groß, schön und verständig geworden war, daß sie durch ihr einfaches, ungeschmücktes Wesen ihre verliebten Rasereien ihr stillschweigend vorzuwerfen schien. Ja, die verirrte Mutter ging so weit, eifersüchtig auf die erblühenden Reize der Tochter, diese mehr als ehedem eingezogen zu halten und selten oder niemals auf Bälle, öffentliche Versammlungsorte, Besuche oder Kirchenfeste mit sich aus dem Hause zu nehmen, weil sie besonders von diesen letztern sagte, daß die verderbte Jugend dabei immer weniger auf die Anbetung des Ewigen als auf den Mißbrauch des Heiligen im Götzendienste irdischer Liebe bedacht zu sein pflege, und sich also von der Mehrzahl der Mütter unterschied, die es kaum erwarten können, ihre halberwachsenen Töchter den Gefahren der Welt auszusetzen, und wohl sogar in tadelnswerter Schwäche und Eitelkeit, um mit ihnen zu prunken, ihnen selbst Anleitung geben, sich durch gefallsüchtiges Verziehen des Mundes, Verdrehen der Augen und Verrenken des Körpers Anbeter in Menge zu erwerben. Diese Gründe ließ sie sich zu Vorwänden dienen, ihrer Liebe ungestörter allein nachzuhangen, und nachdem sie sich nicht nur wiedergeliebt wußte, sondern sich sogar mit der unbeschränktesten Ergebenheit, die billigerweise von einem Liebhaber zu erwarten steht, bedient und umworben sah, auch ein ganzes Jahr lang fast mit Aufopferung ihres Lebens ihre Leidenschaft bekämpft hatte, konnte sie doch zuletzt nicht umhin, deren durch den langen Druck um so ungestümer und unaufhaltsamer gewordenem Andrange die Zügel schießen zu lassen.

Celidea besaß einen hinter ihrem Hause belegenen, sorgfältig bestellten Garten, unter dessen von ihrer Hand gepflegten seltenen Gewächsen auch einige aus dem Morgenlande stammende, einer besonders großen Pflege bedürfende Blumen blühten. Um diese Blumen zu warten und zu begießen und in der anmutigen Einsamkeit ungestört nach Beliarcos Gesellschaft seufzen zu können, begab sich das junge Weib alle Abende an diesen Ort. Daselbst erspähte sie Beliarco dereinst fast bei einbrechender Nacht durch die Spalte einer nach einem schmalen Wege führenden, andern mehr als dem Scharfblicke der Liebe verborgen gebliebenen Tür und verriet ihr durch ein leises Klopfen seine Gegenwart. Unwissend, wer es sei, öffnete sie. Das Erstaunen über sein unvermutetes Erscheinen in der Dunkelheit der Nacht benahm ihr die Kraft und Fähigkeit, sich aufrechtzuerhalten; ihr Blut strömte in eben dem Augenblicke von ihrem Herzen zurück, und sie fühlte das Bedürfnis eines Stützpunktes, den ihr Beliarco in seinen Armen lieh. Da rief sie, über die Lage erschreckend, worein sie durch die Innigkeit ihrer Gefühle, wie unbewußt, versetzt worden war, mit plötzlichem Unwillen aus: »Oh, weh mir, laßt mich! Was hat Euch hierhergeführt ? Wie durftet Ihr Euch erkühnen, diese Pforte durch Euer verwegenes Klopfen zu verdächtigen? Würde meine Ehre nicht vernichtet werden, sähe man Euch zu dieser Stunde bei mir? Entfernt Euch, Beliarco, und es genüge Euch anstatt der Strafe, die ich Euch geflissentlich auferlegen könnte, die Gunst, die ich Euch unwissentlich erzeigt habe, indem ich Euch in die Arme sank. Entfernt Euch schnell, wenn Ihr nicht wollt, daß ich Euch meine Achtung entziehen soll!«

»Ich werde mich entfernen, Herrin, um Euch gehorsam zu sein«, erwiderte der Liebhaber, »und ich werde gern auch aus diesem Leben scheiden, um Euch nicht zu kränken, wenn Euch meine Liebe ein Dorn im Auge ist. Vergebt mir meinen Fehler, den ich nur deswegen, weil ich Euch mißfallen habe, strafbar nennen kann, und bedenkt, daß Euer Haß doch nur die Flammen in mir trifft, die sich an der Sonne Eurer Augen entzündeten, und die nicht eher als mit meinem Leben erlöschen werden!«

Ohne weiter etwas zusagen, entfernte er sich. Der Schmerz, der Celideas Seele in dem Augenblicke durchdrang, als sie ihren Geliebten so betrübt scheiden sah, bewies, daß sie ihre Strenge gegen ihn aufrichtig bereute und ihn mehr als sich selbst liebte, da sie die Gewalt ihres Zornes auf sich zurückfallen ließ. Auch sie ging alsbald aus dem Garten, warf sich, ohne Ruhe finden zu können, auf ein Bett und brachte die ganze Nacht mit der Vorstellung zu, denjenigen mißhandelt zu haben, der durch seine gänzliche Ergebenheit schon seit so lange des Besitztumes ihres Herzens würdig sei. Sie, die vorher keinen sehnsüchtigem Wunsch gekannt hatte als den, ihm die Heftigkeit ihrer Leidenschaft kundzugeben und eine so günstige Gelegenheit, als ihr jetzt erschienen war, zu finden, hatte ihn nicht nur entfliehen lassen, sondern ihn sogar, fernerhin unwert, ihn zu sehen, zur Flucht selbst angetrieben!

Nachdem sie sich die ganze Nacht hindurch schmerzlichst beklagt und gepeinigt hatte, vermochte sie am andern Morgen, als der erste Lichtstrahl kaum den jungen Tag verkündigte, sich selbst nicht länger Widerstand zu leisten. Genugsam verblendet von ihren verliebten Wünschen, um ihre eigene Schande unbedacht zu lassen, ergriff sie die Feder und ersuchte Beliarco in einem Briefchen, sich abends zehn Uhr an der Tür ihres Gartens einzustellen. Beliarco seinerseits hatte mittlerweile ebensowenig Schlaf und Ruhe gefunden und sich in seinen Federn hin und her geworfen, bis er, aufgestanden, der in sein Herz stechenden Dornen sich durch die Entfernung von der schönen Rose seiner Liebe zu entledigen beschloß. Er wollte bereits an die Ausführung dieses Entschlusses gehen, als er mit einem Male durch den ihm von einem kleinen Pagen überbrachten Brief Celideas anderen Sinnes gemacht ward. Er gab dem Pagen die Antwort, daß er pünktlich gehorchen werde, und erwartete die anberaumte Stunde der Nacht mit so heißer Ungeduld, daß sie sich in seiner Einbildung viel mehr von ihm zu entfernen als ihm zu nahen schien. Als sie dennoch endlich geschlagen hatte, verfügte er sich, ohne zu zögern, an den genannten Ort und brauchte seine Ankunft nicht erst durch Zeichen anzudeuten, denn seine glühende Geliebte war im voraus schon seiner gewärtig da. In der höchsten Aufregung ihrer beiderseitigen Gefühle bewillkommnete sie ihn, und nach einer kleinen Weile sprach Beliarco zu ihr: »Signora, die Gunst, die mir gegenwärtig Eure Zuneigung ohne mein Verdienst und Würden widerfahren läßt, wiegt die Kränkung, die mir meine allzu große Verwegenheit gestern abend von Eurer Strenge zuzog, so vollständig auf, daß ich nicht umhin kann, ein Vergehen zu segnen, das mir diesen glücklichsten Moment meines Lebens erworben hat.«

»Haltet ein, Beliarco«, erwiderte sie, »denn ich fühle recht wohl, daß ich, wenn ich jemals Eure Liebe verdiente, mich doch gegenwärtig ihrer unwert gemacht habe, weil ich meinem Verlangen nach Euch keinen Einhalt zu tun verstand und Euch zu dieser Stunde, allein, unter dem Schleier der Nacht, zu mir kommen ließ, der doch, anstatt meine Schande zu verhüllen, sie mir vorwurfsvoller vor Augen stellt. Das einzige, was ich zu meiner Verteidigung gegen Euch vorbringen kann, ist das Geständnis meiner Schuld, die, als eine von der Liebe an meinem guten Rufe begangene, mich hoffen läßt, bei einem Richter, der sich zu meinem Liebhaber bekennt, ein mildes Urteil zu finden. Bemitleidet mich daher, wenn Ihr seht, wie meiner Liebe heute die Keuschheit unterliegt, die gestern noch kräftig genug war, meine Neigung zu besiegen, und wofern es wahr ist, daß derjenige, welcher gar zu vernünftig handelt, schwerlich liebt, so rechtfertigt mich, wenn Ihr in meinem Betragen die Vernunft nicht allzusehr vorherrschend findet, damit, daß meine Liebe zu Euch desto größer ist.«

Sowie nun Beliarco den Ausdruck so zärtlicher Gesinnungen an sein Ohr treffen hörte, wollte er, zu noch feurigerer Bezeigung der seinigen, seine Arme um ihren Nacken schlingen, um ihr seine Dankbarkeit, zu der keine Worte mehr ausreichten, auf eine wirksamere Art zu betätigen; sie hielt ihn aber mit sanfter Gewalt von sich ab, indem sie hinzufügte: »Ich bitte Euch, Signor, wollet keine so üble Meinung von mir haben, etwa zu glauben, ich könnte meinen guten Ruf gegen unreine Freuden der Liebe irgend hintansetzen! Entschlossen, meiner überschwenglichen Liebe zu Euch doch keinen andern als einen ehrbaren, rechtmäßigen Ausgang zu gewähren, bin ich gegen Euer heiliges Versprechen, den Bund der Ehe mit mir zu schließen, die Eurige, wogegen ich mich sonst lieber dem Tode als Euren unkeuschen Umarmungen preisgeben mag.«

Der verliebte Jüngling, der sich durch Celideas Einladung, sie zur Nachtzeit zu besuchen, und durch ihren zärtlichen Empfang gewiß eingeredet hatte, alles, was er von ihr wünschte, erfüllt zu sehen, ohne nötig zu haben, sie zu seiner gesetzlichen Gemahlin zu machen, war, als er diese Hoffnung schwinden sah, nicht stark genug, seinen glühenden Begierden Widerstand zu leisten, und willigte auf der Stelle in die Forderungen der Geliebten ein, die sich sodann, wie sie seinen Handschlag als Pfand der Treue empfangen und mit einem Kusse besiegelt hatte, nicht eben lange von ihm bitten ließ, ihn dieselbe Nacht über bei sich zu behalten. Sie führte ihn mit möglichster Vorsicht in ihr Schlafgemach, das sie mit Licht erhellt fanden, und der feurige Liebhaber wollte ihr nicht einmal so viel Zeit, sich zu entkleiden, gestatten, sondern nahte schon, gleich als wenn ihm sein Glück unter den Händen entfliehen möchte, dem innigsten Besitze ihrer geliebten Reize mit stürmender Eilfertigkeit, als auf einmal stark an die Tür geklopft und Celidea von ihrem Bruder gebeten ward, auf das schleunigste zu seinem in Kindesnöten liegenden Weibe zu kommen und ihr hilfreich beizustehen. Von einem so unvermuteten zufälligen Hindernisse zu ihrem äußersten Schrecken überrascht, und überzeugt, es nicht umgehen zu können, entwand Celidea ihre runden, glänzenden Schultern den bebenden Armen Beliarcos, die allmählich alle Gewänder von ihnen abgerissen hatten, und glitt von dem Trunkenen hinweg zu der Tür, wo sie ihrem Bruder zur Antwort gab, sie werde ihm auf dem Fuße folgen, sobald sie nur erst wieder ihre Kleider umgeworfen habe. Von Wollust noch durchschauert, nahm das liebliche Weib sodann, ehe ihre Furcht etwa zuließ, daß die Begierde sie zu einem verwegeneren Entschlüsse antriebe, den erstaunten und überraschten Beliarco bei der Hand und führte ihn in ein anstoßendes Zimmer, das vermittelst einer Reihe anderer Gemächer mit einem großen Saale zusammenhing, durch den er nach Gefallen, ohne der Gefahr der Entdeckung ausgesetzt zu sein, zur Gartenpforte hinaus entfliehen konnte. Sie beschwor ihn, indem sie von ihm schied, da doch kaum das erste Viertel der Nacht vorüber sei, wenigstens bis zum Nahen der Morgenröte gegenwärtig zu bleiben, damit sie ihm, wenn sie so glücklich wäre, derweil zu ihm zurückzukehren, mit einem Übermaße von Liebe und Zärtlichkeit den Kummer vergelten könne, den sie ihm jetzt durch die Flucht von seiner Seite bereite, und sie versicherte ihm, daß ihm von ihren Dienerinnen, die sie mit sich nehme, nichts zu befürchten stehe.

Der Arme fügte sich wohl oder übel in die verzweifelte Notwendigkeit, die sich unsern Willen mit gesetzloser, tyrannischer Gewalt unterwirft. Sobald er sich aber in der Dunkelheit allein zurückgelassen und sich noch trüberen Gedanken preisgegeben sah, fing er sein unseliges Gestirn über die Maßen zu bejammern an, das ihn, nachdem es ihn bis zu der Pforte seiner Seligkeit habe gelangen lassen, in den Abgrund der schmerzlichsten Todespein stürze. Er versuchte vergebens, mit der Vorstellung der erhofften Liebesfreuden und wollüstigsten Genüsse der Sinne seine über die Ungewißheit der Wiederkehr Celideas verdüsterte Einbildungskraft zu erheitern. Zwei volle Stunden brachte er in dieser unbehaglichen Aufregung in dem Zimmer, worein ihn Celidea verwiesen hatte, zu, ohne sich zu rühren. Endlich schritt er weiter durch ein Gemach mit einem Balkon, wohinein zu einem geöffneten Fenster der Schimmer des bleichen Mondes leuchtete, bis in ein an den Saal grenzendes Kabinett, dessen von ihm zufälligerweise berührte Tür von selbst aufging. Hier verbreitete eine an einem seidenen Bande von der Decke herabhängende brennende Lampe ein üppiges Dämmerlicht und zeigte ihm dabei eine auf einem Bette schlafend hingegossene nackte Venus, der sich die Finsternis, vielleicht mehr aus Ehrfurcht vor dem sanften Glanze der schönen Glieder als von dem Lampenscheine zurückgehalten, nicht zu nahen wagte. Beliarco trat, neugierig, dieses Wunder zu betrachten, näher hinzu und sah oder glaubte Celidea zu sehen, obwohl er, seine Blicke schärfend, erkannte, daß seine Einbildungskraft gleichsehr von seinen Begierden wie von der Ähnlichkeit getäuscht worden war. Celidea war es nicht; es war ihr Ebenbild, ebensoviel schöner als sie, wie die Rose des Morgens schöner als des Mittags ist. Er erkannte sie für Zafira, Celideas Tochter, und würde um des reinen Schnees ihres Körpers willen dafür gehalten haben, daß sie in eine alabasterne Bildsäule verwandelt worden sei, hätte das ihren Busen in sanfter Wallung erhaltende Klopfen ihres Herzens nicht verraten, daß Leben in ihr sei. Jeder Teil dieses wunderreizenden Körpers atmete Liebe. Sie ruhte auf ihrer rechten Seite. Von der Hüfte bis zu dem blendenden Knie verschleierte zwar faltiges Linnen dem Blick die geheimsten Schönheiten; den Gedanken hielt es aber nicht ab, sie sich vorzustellen. Ihr Haupt stützte sich in die weiche Fläche der ausgestreckten Hand; ihre aufgelösten Haare waren teils in einen Knoten von Licht zusammengesteckt, teils flossen sie in verführerischer Unordnung über ihre Brust, den Lustgarten ihrer Schönheit, nieder, aus dem unter den frischesten Knospen und Blüten zwei kleine niedliche Äpfel emporragten, die eben in ihrer Herbe von der höchsten Süßigkeit durchdrungen waren. Von der heitern Morgendämmerung ihrer Stirn tropfte, um die Rosen ihrer Wangen zu tränken, durch die Hitze der Jahreszeit hervorgelockt, süßer Tau herab und würde sich in Perlen gewandelt haben, wäre er so glücklich gewesen, von dem Blick der Sonne getroffen zu werden, die sich hinter der Wolke ihrer schönen Augenwimpern barg. Regungslos vor Erstaunen starrte Beliarco diese Reize ohnegleichen an; seine ganze Seele war in dem geringen Umlaufe seines liebeglühenden Augapfels zusammengedrängt, der gleichsam wie eine verwegene Biene sich mit den Flügeln der Blicke bald auf diese, bald auf jene Blüte der Schönheit schwang und ihren, zwar für die Augen süßen, für das Herz aber um so giftigeren Honig daraus sog.

Der arme Sterbliche entbrannte am Ende zu so verzehrender Flamme, daß er, ganz außer sich selbst versetzt, und ohne die Gefahr zu bedenken, der er sich bei dem etwaigen Erwachen der schönen Schläferin preisgab, sich ihr zur Seite niederlegte, sie leise in seine Arme schloß und, von der Liebe gelehrt, ihr bald von der lieblichen Härte des Busens, bald von den weichen Korallen des Mundes die süßesten Küsse raubte. Zafira ihrerseits war dagegen zwar von den Banden des Schlafes umfangen, ward sich aber dennoch seiner Liebkosungen wohl bewußt und schmiegte sich, des Glaubens, in den Armen ihrer Mutter zu ruhen, die oftmals bei ihr schlief, immer inniger an Beliarcos Brust, der eine solche Beseligung darob empfand, daß er sich größerer Vertraulichkeiten enthielt und die schöne Nackte in dieser Lage einige Sicherheit finden ließ, weil er sie, wenn er das Unglück hatte, sie zu erwecken, aus seinen Umarmungen zu verscheuchen fürchten mußte.

Während er nun, auf diese Weise in unsäglicher Wollust schwelgend, das reizende Wesen bald mit den Augen verschlingt, bald mit leisen, glühenden Küssen bedeckt, bald mit seinen zitternden Armen umtastet und sich somit der Neigung und Leidenschaft zu Celidea allmählich durchaus entledigt, macht sie selbst sich glücklich von ihrer Schwägerin los, die, noch ehe sie dazugekommen war, zur Freude des ganzen Hauses einem schönen Kindlein das Leben gegeben hatte, beseitigt die Einwendungen ihres Bruders, der sie bei so nächtlicher Weile nicht wieder fortlassen will, und zögert nicht, von der höchsten Inbrunst beseelt, nach ihrer Wohnung zurückzukehren.

Als sie Beliarco nicht mehr in ihrem Zimmer vorfindet und sich also die Hoffnungen entzogen sieht, deren Befriedigung hienieden einen Vorgeschmack der himmlischen Seligkeit gewährt, der Anbruch des Tages aber noch in weiter Entfernung liegt, so bricht ihr wilder Schmerz in die leidenschaftlichsten Klagen aus. Sie zeiht ihren Geliebten des Kleinmuts, der Lieblosigkeit, des Unbestandes, der Kälte und Zaghaftigkeit, und da sie dem sie verzehrenden Feuer ihrer Begierden in ihrer Einsamkeit nicht Einhalt zu tun vermag, so begibt sie sich zu ihrer Tochter, um den übrigen Teil der Nacht mit einiger Erleichterung zuzubringen und das liebliche Mädchen durch die Kunde von der Geburt des kleinen Kindes zu erfreuen. Das Kabinett offen findend, gewahrt sie ihre Tochter nackt in Beliarcos Umarmungen. Die Verwirrung, die ihr dieser unerwartete plötzliche Anblick erregte, war so grenzenlos, daß sie ihre Lebensgeister dem Ersticken nahebrachte, ihre Augen mit Dunkel umschieierte und sie selbst unter der Last ihres Schmerzes bewußtlos zu Boden warf. Das Geräusch ihres Falles erweckte Beliarco aus seiner verliebten Trunkenheit und Zafira aus ihrem Schlummer, die, als sie sich in ihrem schamhaften Zustande so nah bei einem Manne sah, aufschrie, verraten zu sein, ihre Blößen bedeckte und bitterlich zu weinen anhub. Ohne darauf zu achten, sprang Beliarco aus dem Bette, um der auf dem Boden liegenden Celidea beizustehen. Als er aber alle Zeichen des Todes in ihrem Antlitz erkannte und es bleich, starr und kalt fand, vermochte auch er, obwohl er seine ganze Kraft zusammennahm, sich nicht aufrechtzuerhalten, sondern erlag der Angst, die ihm das Herz gewaltsam zuschnürte, und sank besinnungslos neben Celidea hin.

Die mit einem Nachtgewande notdürftig bekleidete, auf diese kläglichen Ereignisse herzugeeilte Zafira wollte um Hilfe rufen; da aber in diesem Augenblicke ihrem Gefühl kein anderer Ausdruck zu Gebote stand als Tränen, so äußerte sie ihr Leidwesen nur darin, daß sie sich so lange die Brust zerschlug und die Haare zerraufte, bis ihre Mutter, deren Angesicht sie mit ihren Tränen badete, und deren Namen sie mit der innigsten Betrübnis zu immer wiederholten Malen auf das zärtlichste anrief, mit einem tiefen Seufzer sich das Herz erweiternd, wieder ins Leben kam. Als nun Celidea ihre weinende Tochter über sich hingebeugt sah und das unwidersprechlichste Zeugnis ihrer Unschuld eben in den Tränen erkannte, mit denen sie die Spuren der ihr von einem so unreinen Mund aufgedrückten Küsse vertilgen zu wollen schien, war es ihr erster, von dem Mitleiden mit ihr erweckter Gedanke, ihre wiedergekehrten schwachen Kräfte in Vorwürfen gegen den undankbarsten aller Männer zu erschöpfen. Ihre Augen suchten Beliarco und erblickten ihn regungslos neben ihr ausgestreckt. Da erwachte schnell die alte Liebe wieder, die der unglückliche Moment jenes Anblicks doch nicht mit einem Male hatte auslöschen können. Ihre großmütige Seele verwarf allen Zorn über seine Verräterei, und sie fühlte sich gedrungen, ihm auf das liebevollste beizustehen. Sie befeuchtete ihn mit ihren Tränen, erwärmte ihn mit dem Hauche ihrer Seufzer, rieb ihn mit ihren Händen, und so mochte es wohl leicht geschehen, daß die Lebenskräfte dieser Augen, dieses Mundes und dieser Hände auch Beliarco von dem Scheine des Todes entfesselten. Wie ihn Celidea nun offenbar der Gefahr entronnen, obwohl dem Ansehen nach eher tot als lebendig vor sich sah, weil ihm das Bewußtsein seines gegen sie verschuldeten Betruges keinen Blutstropfen in das Gesicht kommen ließ, stürmten die verschiedenartigsten Gefühle, Liebe, Zorn und Mitleiden, auf sie ein, von denen ein jedes den Sieg für sich, entweder mit Liebe oder Rache oder Vergebung, in Anspruch nahm.

Zuletzt machte sich der gute Genius geltend, der von dem Menschen selten vor seinem letzten Atemzuge abläßt, und sie brach nach kurzem Nachsinnen in die folgenden Worte aus: »Ich weiß nicht, Beliarco, ob ich mich mehr über mich oder über Euch betrüben soll? Über Euch, weil Ihr Euch mir, die ich mich Euch gänzlich zu eigen gegeben habe, mit solchem Unbestande so schnell entziehen und einer anderen widmen konntet. Über mich, weil ich unkeusche Lüste und Neigungen mit Verleugnung jedes bessern Gefühls in mein Herz aufnahm, anstatt, meiner heiligen Verpflichtungen eingedenk, mich in dem Angedenken meines vielbeweinten Gatten Floriandro rein und schuldlos zu erhalten. Über Euch, der Ihr, des Vertrauens spottend, das ich in Eure Tugend setzte, mit einer so ruchlosen Tat die Treue brachet, die mir Euer Handschlag verpfändete. Über mich, die ich mich von der Sinnlichkeit verlocken ließ, meinen guten Ruf in der Meinung der Welt, wenn auch nicht in der Tat, vielleicht für immerdar zu vernichten. Über Euch, der Ihr mehr aus Unzüchtigkeit als mit Besinnung und mehr wie ein Dieb als wie ein Liebhaber unverdienterweise die unschuldigen Gunstbezeigungen eines Kindes geraubt habt. Mehr habe ich indessen über mich als über Euch zu klagen, daß ich so fahrlässig gewesen bin, die Sorgfalt für meine Tochter aus der Acht zu lassen und anstatt auf ihre Vermählung, wie es die Vernunft von mir forderte, ernstlich bedacht zu sein, meinen eignen unzüchtigen Wünschen zu frönen. Da ich nun für meinen Aberwitz zur Genüge bestraft bin, und da das Schicksal viel mehr als meine Vorsicht für sie gesorgt hat, so bin ich es zufrieden, daß sie die Eurige sei, da ja ihre Jugend Eurem Alter auch weit angemessener ist als das meinige. So soll mir der Zufall, der meine Enttäuschung förderte, gesegnet sein, und ich beteure mir, daß ich Euch in Zukunft mit geregelterer Zuneigung wie meinen Sohn lieben will. Entschlossen, ferner so zu leben, daß ich Euch sowohl wie andern jedweden Zweifel an der Aufrichtigkeit meiner Tugend benehme, will ich mich in ein Kloster zurückziehen, um dem Allmächtigen zu dienen, und in solcher Einsamkeit und Betrachtung der Schönheiten des Himmels mir das Bildnis meines Floriandro vor die Augen des Geistes führen, auf daß ich mich rühmen könne, durch die Sympathie der Liebe schon hier auf Erden die Freuden und Tröstungen des Paradieses genossen zu haben.«

Wer war froher als Beliarco, sich so wohl aus dem Labyrinthe errettet zu sehen, in das er mit Recht der Meinung war, sich durch das Celidea angetane Unrecht verirrt zu haben, und sogar anstatt der verdienten Strafe von der Großmut seiner verlassenen Geliebten die eigne Tochter zur Gattin zu empfangen! Er wollte danken, sich rechtfertigen, um Vergebung flehen; aber sie gestattete ihm nicht, darüber noch mehr Worte zu verlieren, um nicht durch abermalige Erregung ihrer Leidenschaft ihre frommen Entschlüsse wankend machen zu lassen, empfahl ihm ihre Tochter an, küßte sie und ging hinweg, indem sie das Mädchen ermahnte, dies verhängnisvolle Begegnis als den Willen des allgütigen Himmels anzusehen, der sich den Menschen jederzeit in Wundern offenbare.

Zafiras Herz war nicht wenig von den aufrichtigen Beweisen der heißen Liebe und Zuneigung ihrer Mutter gerührt, und sie gab ihr ihre Erkenntlichkeit durch häufige Tränen kund. Da sie aber im Grunde wohl einsah, wie reichlich der Gewinn eines so würdigen und liebreichen Gatten sie für die erlittene Unbill entschädige, so lehrte die Menschlichkeit selbst sie, in seinen Armen Trost suchen und finden.

Der Stern der Liebe, der seit einer Stunde am Horizonte aufgegangen war, diente mit seinem funkelnden Schimmer der wiederholten Süßigkeit ihrer innigsten Vereinigung als Hochzeitsfackel und ward vielleicht von der Beseligung dieser Liebenden gerührt, auch Celidea wieder zu lächeln, nachdem er sie sein finsteres Grollen so lange Zeit hatte erfahren lassen. Sowie die betrübte Witwe nämlich mit dem schon vorgerückteren Tage von ihrem Schmerzenslager aufgestanden war, um sich in ihren guten Vorsätzen zu stärken und zu befestigen, die vergänglichen Freuden der Welt aufzugeben und dagegen den Weg zu den ewigen, unvergänglichen Freuden des Himmels zu betreten, ward sie plötzlich durch ein helles Trompetengeschmetter aus ihren demütigen Gedanken gerissen und nahm, rasch an das Fenster schreitend, unter vielen andern Menschen vorerst ihren geliebten Floriandro auf der Straße wahr.

Der seit langer Zeit von ihr gehegte Glaube an seinen Tod jagte ihr einen solchen Schreck über ihn ein, daß sie kalte Tropfen schwitzend, starr vor Entsetzen zu Boden gestürzt sein würde, hätte sie in demselben Augenblick nicht auch ihren eigenen, Floriandro begleitenden Bruder gesehen, der ihm, indem er hatte zur Stadt hinausgehen wollen, glücklicherweise begegnet war und, als er jetzt ihr Erbleichen gewahrte und begriff, sie mit einem abermaligen Zujauchzen fröhlicher Stimmen ermutigte. Bald überzeugten ihres Floriandros enge Umarmungen und heiße Küsse Celidea besser als alles andere, daß er keine von ihr erträumte gespenstische Erscheinung, sondern wahrhaft Fleisch und Blut und ihr lebender Gatte sei, und wenn sie an der überschwenglichen Freude seines Wiedersehens nicht augenblicklich starb, so verdankte sie ihr Leben eigentlich nur den ihr Entzücken mäßigenden gesegneten Zweifeln an der Wahrheit ihres Glücks. Sie warf sich ihm laut schluchzend an die Brust, preßte ihn mit unversiegbaren Tränen in ihre Arme und konnte sich nicht ersättigen, ihm die Freude ihres Herzens auszudrücken. Sobald diese gegenseitigen Zärtlichkeiten endlich durch die Ankunft vieler Edelleute und unzähligen Volkes unterbrochen wurden, die Floriandro zu seiner Rückkehr beglückwünschten, fand Celidea Zeit und Gelegenheit, Beliarco von dem Geschehenen zu unterrichten und zu Vermeidung alles Ärgernisses durch die hintere Gartenpforte unbemerkt zu entfernen. Sie versprach ihm nicht allein, ihren Gatten zur Einwilligung in seine Vermählung dermaßen zu bereden, daß die Hochzeit noch vor Ablauf dieses Tages stattfinden solle, sondern hielt ihm auch, zur unsäglichen Zufriedenheit beider Beteiligten, Wort. Das höchste Glück war jedoch vielleicht ihr eignes, da sie, die alte Asche ihrer Leidenschaft neu entzündend, in dem unbeschränkten Genusse ihrer Liebesfreuden eine erneute Ehe mit ihrem Floriandro begonnen zu haben meinte und in seinen Armen ihre Tochter nicht um deren Seligkeit beneidete.

Es geht aus den wunderbaren Begebenheiten dieser Geschichte auf das deutlichste hervor: daß das Schicksal zuweilen durch Mittel, die sich uns als Widerwärtigkeiten darstellen, die Verirrungen unserer Leidenschaften wieder ausgleicht und uns einer unerwarteten Glückseligkeit in die Arme führt.


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