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Dreißigstes Kapitel. Austin haut den Knoten durch

Während ich mich mühsam die Treppen hinaufschleppte, sagte ich mir immer wieder vor, alles sei vergebens und das Gesetz müsse seinen Lauf haben. Bei Licht betrachtet hatte ich keinen persönlichen Anteil an der Sache, und wenn die Behörden einen Mißgriff machten, hatten sie allein die Verantwortung zu tragen. Schließlich war er der erste nicht, der unschuldig gehängt wurde, und wenn er sich eines Verbrechens, das er niemals begangen hatte, schuldig bekannte, so war es sein Schaden. Ich mußte ihn einfach seinem Schicksal überlassen, und doch –

Ich öffnete die Thüre meines Wohnzimmers und vor mir stand Austin Harvey.

Ja, er war es, und zwar stand er hinter dem Tisch zwischen den beiden Fenstern mit dem Gesicht gegen das Licht, was mich aber nicht hinderte, zu bemerken, wie blaß und abgehärmt er aussah, und wie die Fieberglut aus seinen hellen, blauen Augen leuchtete. Die Arme über die Brust gekreuzt, stand er da in seinem langen Pastorenrock, kraftvoll und hübsch, und in seiner ganzen Haltung lag eiserne Ruhe.

»Was gibt es?« fragte ich, sobald ich zu Atem gekommen war. »Weshalb sind Sie hier, Herr Harvey? Was wollen Sie von mir?«

»Ich möchte Sie sprechen,« versetzte er dumpf, »und eine Frage an Sie richten. Ist es wahr, daß Philipp verhaftet ist?«

»Natürlich ist es wahr,« gab ich ihm sofort zurück, ohne zu beobachten, ob sein Ton wirklich ein fragender gewesen. »Sind Sie zu mir gekommen, um mich danach zu fragen?«

»Mein Kommen hat noch andre Zwecke,« erwiderte Austin drohend. »Ich glaube, daß es wahr ist, obwohl ich die Morgenblätter nicht gelesen habe; ich wagte nicht, mir eins zu kaufen. Haben Sie eine neue Zeitung?«

»Nein, aber ich weiß, daß Philipp gefangen ist. Seine Schuld gilt für bewiesen und in acht bis vierzehn Tagen wird er am Galgen hängen. Und nun sagen Sie mir, Sie Totschläger und Brudermörder, weshalb kommen Sie hierher und winseln mir vor? Machen Sie, daß Sie nach Hause kommen und das Mädchen heiraten, das Ihren Bruder liebt.«

Während des Sprechens hatte ich mich dem Glockenzug, dem einzigen, der sich im Zimmer befand, nähern wollen, Austin aber hatte den Zweck meiner Bewegung erfaßt und sich vor der Ecke, der ich zustrebte, aufgepflanzt.

»Sie möchten mich festnehmen lassen,« sagte er wegwerfend, »aber diesmal, guter Freund, werden Sie sich gedulden müssen, so lange es mir beliebt.«

Seine Ruhe hatte etwas Unheimliches, und ich fühlte mich gezwungen, ihn anzuhören. Ich sah ihm fest in die Augen und ersuchte ihn, sich auszusprechen.

»Sie glauben also ernstlich und aufrichtig,« sagte Austin, »daß Philipp Harvey verurteilt werden wird?«

»Ja, er hat ein Geständnis abgelegt.«

»Und die Behörden glauben an seine Schuld?«

»Gewiß, ich aber weiß, daß Sie der Mörder sind, Sie Feigling.«

»Und weshalb wollen Sie mich verhaften lassen, wenn Sie Ihre Anklage nicht beweisen können?«

»Das wird sich finden,« versetzte ich wütend. »Die Wahrheit muß doch an den Tag kommen.«

Ehe ich diese Worte ganz herausgebracht hatte, war Austin auf mich zugestürzt und preßte mir seine große, kräftige Hand auf den Mund. Er riß mich zu Boden, und ehe ich einen Laut von mir geben konnte, band er mir die Hände mit einem seidenen Taschentuch. Die Arbeit wurde rasch und gut ausgeführt, und dann umschnürte er meine Beine mit dem Tischteppich. Hilflos war ich der Riesenkraft des Mannes preisgegeben, und auch in diesem Augenblick mußte ich wieder denken, wie richtig meine Vermutung in Beziehung auf den Kampf in Paris gewesen war; er hätte mich damals mit Leichtigkeit zermalmen können.

Nachdem er mit dem Binden zu Ende war, stand er auf, stellte sich vor mich hin und zog mit der linken Hand langsam einen blanken Revolver aus der Hosentasche. Beim Anblick einer solchen Waffe in der Hand dieses Menschen mochte ich nicht ganz Herr meines Gesichtsausdrucks sein.

»Keine Angst,« sagte er in schwermütigem Ton. »Töten werde ich Sie nur, wenn Sie selbst mich dazu zwingen.«

Ich vermochte ihm nicht zu antworten, aber in meinem innersten Herzen rief es: »Eher mußt du mich niederschießen, als daß ich deinem unglücklichen Bruder Unrecht geschehen lasse,« und doch konnte ich mich eines gewissen Mitleids nicht erwehren, wenn ich in sein hübsches, verzweifeltes Gesicht sah.

»Und nun hören Sie mich an,« fuhr er fort, »und merken Sie sich jedes Wort, was ich sage. Es steht mir frei, dies Land für immer zu verlassen – ich habe das Vermögen meiner Tante in Händen. Begreifen Sie das?«

Ich nickte zustimmend.

»Es steht mir auch frei, Ihnen die Kehle zuzuschnüren und damit allem Gerede über meinen Anteil an dem Mord ein Ende zu machen.«

Wieder nickte ich bejahend.

»Ferner stünde mir auch frei, Ihre Bande zu lösen, von hier fort zu gehen und Sie Ihre Auffassung des Thatbestands der Welt verkündigen zu lassen. Sind Sie der Ansicht, daß Sie irgendwo Glauben fänden?«

Ich rührte mich nicht.

»Sind Sie der Ansicht, daß Sie irgendwo Glauben fänden?« wiederholte er ärgerlich und stieß meinen hilflosen Körper mit dem Fuß an.

So sehr es mir widerstrebte, ich mußte den Kopf schütteln. Er hatte recht, kein Mensch würde mir glauben.

»Niemand würde Ihnen glauben,« sagte er, »und doch haben Sie recht, und die ganze Welt hat unrecht. Hören Sie das? Philipp ist unschuldig; ich bin der Mörder. Und, wenn ich Sie jetzt befreie, was wollen Sie mit diesem Geständnis anfangen? Es auf der Polizei zur Anzeige bringen? Man wird Ihnen ins Gesicht lachen, und wenn ich den Leuten sage, Sie seien geistig gestört, so wird man mir antworten, das wüßten sie längst.«

Der Mann konnte einen wahnsinnig machen mit seiner kühlen Ueberlegenheit. Vergebens wälzte ich mich in meinen Fesseln umher; er lächelte nur bitter und verächtlich.

»Bleiben Sie noch eine Weile ruhig liegen und hören Sie das übrige. Wie ich Ihnen schon sagte, Sie haben recht, und die Polizei irrt sich. Ich habe meine Tante ermordet, nicht um des Geldes willen, wie Sie vielleicht denken, sondern um meiner Liebe willen. Seit Wochen ging das Gezänke um Fräulein Simpkinson hin und her. Ich liebte, vergötterte sie! Philipp erschien mir ihrer unwürdig; ich war mir bewußt, ihr ein besserer Gatte zu werden, und das glaube ich heute noch. Meine Tante mit ihren wechselnden Launen machte mich ganz rasend. Ich wußte, daß ich in ihrem Testament zum Erben eingesetzt war, aber allmählich änderte sie ihre Absichten. Aus irgend welchen Gründen hatte sie sich in Kopf gesetzt, Philipp solle Fräulein Simpkinson heiraten, und am Sonntag nachmittag erklärte sie mir aufs bestimmteste, sie werde Montag früh nach London fahren, ihr Testament umstoßen und das Vermögen zwischen uns teilen. Sie wolle Frau Simpkinson vor ihrer Abreise nach Paris von dieser Veränderung in Kenntnis setzen, sagte sie, und diese könne sich dann danach richten. Diesmal war es ihr ernst, das sah ich, und wenn sie ihren Plan ausführte, wenn sie nach London fuhr, war Edith Simpkinson für mich verloren. Ich liebte das Mädchen mit Leidenschaft; ich konnte nicht ohne sie leben. Meinen Bruder haßte ich, weil es ihm gelungen war, ihr Herz zu gewinnen, denn ich wußte es wohl, daß sie meine Werbung nur ihrer Mutter zuliebe und aus Empörung über ein paar leichtsinnige Streiche meines Bruders, die ich zu ihrer Kenntnis hatte kommen lassen, annahm. Es liegt mir nichts mehr daran, Ihnen zu verschweigen, daß diese Geschichten, die ich ihr hinterbringen ließ, zum mindesten gesagt, stark übertrieben waren. Wenn meine Tante ihre Pläne ausführte, war Edith für mich ewig verloren, und den Gedanken vermochte ich nicht zu tragen.

»Unmittelbar vor dem Abendgottesdienst an jenem Sonntag kam Philipp zu mir. Er wollte Geld und hatte zu viel getrunken, was ich ihm auch sagte; während seines Besuchs zog er sein Taschentuch heraus und schleuderte damit den Hausschlüssel aus der Tasche, der auf den Kaminvorsetzer fiel. Ich bückte mich, hob ihn auf und steckte ihn zu mir. Von diesem Schlüssel ging alles Unheil aus; hätte ich den nicht gehabt, es wäre mir nie in Sinn gekommen, abermals zu meiner Tante zu gehen, denn ich hatte sie an diesem Tag schon zweimal gesprochen. Sie hatte sich ganz unbeugsam gezeigt, und bei unsrer zweiten Unterredung war es sogar zu einem Wortwechsel gekommen. Als ich den Schlüssel aufhob, hatte ich keinen andern Gedanken, als den, daß Philipp ihn verlieren könnte. Noch einmal muß ich sagen, hätte er ihn nicht fallen lassen, wäre alles weitere nicht geschehen.

»Als ich um halb zehn Uhr aus der Kirche kam, rannte ich nach Hause. Den ganzen Gottesdienst über hatte der unselige Schlüssel förmlich in meiner Tasche gebrannt – ich konnte nicht anders, ich mußte die Tante heute noch einmal sehen, denn morgen würde es zu spät sein. Ich mußte ihr noch einmal Vorstellungen machen, möglich war es ja immerhin, daß sie mir jetzt Gehör schenkte. So schloß ich die Hinterthüre auf und nahm das Fahrrad heraus, dessen ich mich schon einigemale bei Nacht bedient hatte, weshalb, das gehört nicht zur Sache. Als Student war ich ein ausgezeichneter Radfahrer gewesen, hatte den Sport aber seit meiner Anstellung ganz aufgegeben. Ich wußte, daß ich zu spät kommen würde, wenn ich zu Fuß ging; meine Tante ging immer ein paar Minuten nach zehn Uhr zu Bett, und so eilte ich per Fahrrad hin, und ich kann Ihnen schwören – aber folgen Sie mir denn auch?«

Wieder stieß er mich leicht mit dem Fuß an, und ich nickte trotzig.

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich nicht im entferntesten die Absicht hatte, ihr ein Leides anzuthun. Rasend vor Liebe, ein Verzweifelnder war ich, und hatte die Idee, ein letzter Ansturm könnte mir zum Sieg verhelfen. Als ich das Haus erreichte, war alles dunkel; ich schloß mit Philipps Schlüssel auf. Ich wußte, daß außer der alten Zimmervermieterin, die im Souterrain eingeschlafen oder wenigstens eingenickt sein mochte, niemand im Hause war. Die von meiner Tante bewohnten Zimmer befanden sich im Erdgeschoß, nahe bei der Hausthüre. Im Wohnzimmer war die Lampe ausgelöscht, meines Bruders Thüre war geschlossen, die zum Schlafzimmer der Tante angelehnt. Ich stieß sie leise auf; eine Kerze brannte auf dem Toilettentisch; meine Tante lag vollständig angekleidet am Boden, unmittelbar vor der Verbindungsthüre, die zu Philipp führte. Sie war nach vorwärts gefallen und mit dem Kopf an die Sofalehnen angeschlagen. Ich erkläre mir den Vorgang in der Weise, daß Philipp ihr einen derben Puff versetzte und zugleich seine Thür so heftig zuschlug, daß er das Geräusch ihres Falls überhörte. Vermutlich war sie mit dem Fuß in ihrem Kleid oder am Teppich hängen geblieben.

»Ich trat näher; sie atmete und war unruhig; es war nur ein Zustand der Betäubung, aus dem sie augenscheinlich bald wieder zu sich kommen würde. Einen Augenblick blieb ich vor ihr stehen und sah sie an, und blitzschnell tauchte die ganze Möglichkeit vor mir auf. Ich beugte mich nach der Thüre und hörte Philipps tiefe Atemzüge. Auf seinem Tisch stand ein Fläschchen mit Chloroform; ich schlich hinein und konnte in der schwachen Beleuchtung wohl unterscheiden, daß er sich in den Kleidern quer übers Bett geworfen hatte und schlief (er muß sich wohl erinnern, daß er am andern Morgen angekleidet erwacht ist, und wenn ich das ihm auch nicht anführen konnte, hat es doch seine Unsicherheit sicher gesteigert). Seife ging ich mit der Flasche zurück, goß ihren Inhalt auf meiner Tante Taschentuch und tötete sie, indem ich es auf ihr Gesicht preßte. Das alles war das Werk weniger Sekunden. Edith war dadurch mein, ich aber mußte mich retten und sicher stellen, und den Verdacht auf meinen Bruder lenken. Das war die einzige Möglichkeit, mir Edith für immer zu sichern, und er verdiente es nicht besser, weshalb hatte er sich unterfangen, sie mir entreißen zu wollen?

»Die Umstände waren mir günstig. Ich schleppte Philipps Koffer aus seinem Zimmer, packte ihn hastig aus und schichtete die Bücher in dem nächsten besten Wandschrank auf. Dann packte ich die Leiche hinein. Ich glaube wenigstens – ich glaube es wahrhaftig – daß sie schon tot war.« Sogar ihn überlief ein Schauder. »Ich schloß den Koffer ab und schnürte den Strick darum, wie er vorher gewesen war. Den Kofferschlüssel nahm ich zu mir und gab am andern Morgen vor, ihn im Zimmer meiner Tante gefunden zu haben; den Hausschlüssel steckte ich in Philipps Rocktasche.

»Ich brachte das Bett in Unordnung und trank das Glas Milch aus, das im Wohnzimmer für sie bereit stand, denn es war jedenfalls gut, wenn man annahm, der Mord sei in der Frühe geschehen. Leise schlüpfte ich zum Haus hinaus und erreichte auf dem Fahrrad meine Wohnung in kürzester Zeit, stellte das Rad an seinen Platz und klingelte dann an der vorderen Hausthüre. Als ich die Treppe hinaufging, machte ich meine Wirtin darauf aufmerksam, daß es eben halb elf Uhr war. Wenn nötig, hatte ich auch noch sonstiges Zeugnis dafür beibringen können, daß ich die übrige Nacht im Hause verbrachte.«

Dafür hatte er allerdings gründlich gesorgt, der Heuchler!

»Am andern Morgen begleitete ich Philipp bis London. Alle glaubten, Fräulein Raynell sei schon mit dem ersten Zug dahin abgereist. Sobald ich die That vollbracht gehabt, war eine wunderbare Sammlung und kühle Gelassenheit über mich gekommen und mein einziges Bestreben war nun, die Verdachtsgründe gegen Philipp zu häufen. Bei unsrer Ankunft besorgte ich das Gepäck, und als ich auf dem Londoner Bahnhof etwas warten mußte, zeichnete ich Philipps Koffer mit den Buchstaben P. H. und zwar gerade so, wie er sie zu machen pflegte. Ich ahmte seine Schrift aus dem Gedächtnis nach, denn ich kannte sie ja genau.«

Räuberisch überfallen, geknebelt mußte ich da liegen und die Geschichte des Mordes anhören – doch behielt ich meine Weisheit diesmal für mich.

»Zugleich,« fuhr er fort, »riß ich den in Southend aufgeklebten Kofferzettel, der halb abgelöst war, vollends weg, und zwar, weil ich mir einbildete, die Buchstaben werden um so eher sichtbar sein, je weniger der Koffer verklebt wäre. Und ich wollte ja, daß man sie sehen sollte. Daß der Koffer unter die andern hineingeraten werde und die Buchstaben zugedeckt würden, konnte ich doch nicht wissen. Hätte ich weiße Oelfarbe gehabt, ich würde Philipps Namen riesengroß darauf gemalt haben, so zeichnete ich ihn so gut ich konnte. Den Kofferzettel warf ich weg.«

Wiederum hätte der Mann, der hilflos vor ihm lag, ihn eines Bessern belehren können.

»Und nun komme ich zu dem einen großen Mißgeschick in der ganzen Geschichte. Fräulein Simpkinsons Koffer und der meines Bruders wurden in Charing Croß verwechselt und sie selbst dadurch in die Angelegenheit verwickelt. Was hätte ich nicht darum gegeben, ihr das ersparen zu können! Wie die Sache kam, kann ich nicht sagen, Philipp hatte darauf bestanden, nach dem Gepäck zu sehen, und mich sehr wider meinen Willen veranlaßt, so lang bei den Damen zu bleiben. Wir hatten sie in dem Hotel, wo sie die Nacht zugebracht, abgeholt, und all unser Gepäck war auf ein und demselben Omnibus zur Bahn gebracht worden; vermutlich hatte dann die Jungfer selbst den unrichtigen Koffer als den ihres Fräuleins bezeichnet.

»Mein Bruder sollte nur bis Dover mit den Damen reisen und dort bleiben. Durch jenen verhängnisvollen Zufall, der die beste Hilfstruppe der Polizei ist, reiste der Koffer mit dem Leichnam meiner Tante gleichfalls nach Frankreich und wurde auf dem Pariser Zollamt geöffnet. Meine Absicht war gewesen, daß Philipp ihn mit nach Dover nehmen und dort selbst den Inhalt entdecken sollte. Die Leiche wäre dann in seinem Besitz gewesen und jedenfalls aller Verdacht auf ihn gefallen.

»In diesem einen Punkt hatte ich Unglück, während alles andre günstig für mich verlaufen war. Wahrscheinlich sagt Ihnen Ihr gesunder Menschenverstand nun auch, welchen Gebrauch ich von Ihrer Hilfe machte, die mir äußerst gelegen kam. Aber Sie gingen weiter, als mein Wunsch war, und brachten mehr heraus, als ich erwartet hatte. Das alles thut jetzt nichts mehr zur Sache. Ich schwöre Ihnen, daß ich von Anfang an die Absicht hatte, Philipp rechtzeitig aus England zu entfernen, und daß ich einzig auf dies Ziel los arbeitete. Gott weiß, daß ich mir redlich Mühe gab – durch Sie wollte ich ihn in Schrecken jagen und zur Flucht veranlassen, und hätte er entwischen können, so wäre alles gut abgelaufen. Ich hätte hier freies Spiel gehabt und würde drüben für ihn gesorgt haben. Seine Verhaftung ändert die ganze Sachlage, denn an den Galgen bringen will ich ihn nicht. Ueberdies, was auch geschehen mag, Edith habe ich doch verloren. Sie schrieb mir gestern, daß sie mich nie geliebt habe, daß ihr Herz Philipp gehöre, daß sie ihn jetzt nur noch mehr liebe, da er in Not sei, und ihm treu bleiben wolle, ob er ein Mörder sei oder nicht. Das ist meine Beichte. Verwerten Sie mein Geständnis, wenn Sie können, wenn es Philipp nützen kann, mir ist es einerlei. Sagen Sie Edith, daß ich sie stets geliebt habe, daß ich sie noch liebe.«

Mit erhobener Stimme hatte er die letzten Worte hervorgestoßen, dann setzte er mit fester Hand den Revolver an seine linke Schläfe und drückte ab. Er hatte beabsichtigt, nach hinten zu fallen, aber die Erschütterung des Schusses brachte den Körper ins Wanken und er fiel dumpf aufschlagend quer über mich her.

Ich versuchte zu rufen – ich vermochte es nicht, ich versuchte meine Hände frei zu machen – es war vergebens. Da lag der tote Körper noch warm, aber regungslos, und sein Gewicht zermalmte mich fast. Meine Lage war grauenvoll – bald verlor ich das Bewußtsein.

 

Ich habe nichts mehr hinzuzusetzen. Die Thatsachen arbeiteten sich durch ans Licht; die Polizei erkannte ungern, aber dennoch, was sie erkennen mußte; der ganze Fall ward vertuscht. So viel ich weiß, hat Fräulein Simpkinson ihren armen, nichtsnutzigen Geliebten nach Australien oder Neuseeland gebracht und ihn dort geheiratet. Ich hoffe, sie sind glücklich geworden, obwohl es mir zweifelhaft ist, falls Philipp nicht Herr wurde über seine Neigung zum Trinken. Man sagte mir, er habe sich überwinden lernen und sei überhaupt infolge dieser gewaltigen Erschütterung ein andrer Mensch geworden. Selbstverständlich fiel durch Austins Tod das Vermögen seiner Tante ihm zu.

Wenige Monate nach den hier geschilderten Vorgängen gab ich meinen Beruf als Fahnder auf, und die letzte Zeit meiner Thätigkeit darin bot nichts, was an Bedeutung auch nur halbwegs der Tragödie gleichkäme, die einem kleinen Häufchen Menschen unter dem Namen des »Schwarzen Koffermords« unvergeßlich bleiben wird.

Ich habe meine Geschichte erzählt, so gut ich konnte. Daß ich kein Schriftsteller bin, habe ich gleich zu Anfang gesagt und ich hoffe, daß der Leser meiner Erzählung ihre litterarischen Mängel des interessanten Inhalts halber zu gute halten wird.

 

Ende.


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