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Zwanzigstes Kapitel. P. H.

Ich schob einen kleinen Tisch vor den Lehnstuhl, in dem Philipp saß, und legte meine Nachbildung seiner Anfangsbuchstaben vor ihn hin.

»Erkennen Sie diese Buchstaben für solche, die Sie gemacht haben könnten?« fragte ich ihn.

»O, ja, das ist meine Handschrift. Was hat das zu bedeuten?«

»Das ist Ihre Handschrift und diese Buchstaben stehen auf Ihrem schwarzen Koffer in Paris.«

Ich nahm den Brief und die Karte zur Hand und verglich alles noch einmal, und zwar mit Muße, denn es war mir sehr willkommen, die mühsam weiter geführte Unterhaltung für eine Weile zu unterbrechen. So prüfte ich denn Buchstaben um Buchstaben mit einer Genauigkeit, zu der die Langeweile das ihrige beitrug, plötzlich aber schrie ich förmlich auf, faßte meinen Schützling am Arm und schüttelte ihn kräftig.

»Haben Sie Schreibpapier?« rief ich. »Und Tinte? Rasch! rasch!«

»Was wollen Sie denn?« fragte Philipp.

»Fragen Sie nicht! Holen Sie das Papier! Ist das ein Tintenzeug? Schön, und nun schreiben Sie, ohne aufzuhören, fünfzigmal die Anfangsbuchstaben Ihres Namens.«

Philipp sah mich verblüfft an, aber er gehorchte und warf die Buchstaben rasch und flüchtig auf einen großen Bogen Papier. Atemlos sah ich ihm zu und hielt mich an seinem Stuhl fest, während er Zeile um Zeile füllte. Mein neuer Einfall konnte wertlos sein, selbst wenn die Ausführung gelang, wenn seine Hand aber nur ein einziges Mal ausglitt, so war er schon von vornherein unbrauchbar. Endlich war die fünfzigste Unterschrift fertig und ich konnte aufatmen. Ich nahm das Blatt und prüfte abermals eingehend, ich verglich die Schrift mit Brief, Karte und meiner Nachbildung der Kofferadresse – es war kein Zweifel, ich hatte richtig gesehen.

Die Buchstaben aufs dem Koffer waren denen Philipps sehr ähnlich, aber er selbst hatte sie nicht gemacht.

Bei diesen ging der Grundstrich durch den Haarstrich, so daß eine ausgefüllte Schleife entstand, wie es die nachstehenden Schriftzüge zeigen:

.

Bei sämtlichen P und H, die Philipp Harvey machte, reichte der Aufstrich überhaupt nur bis an den Grundstrich heran, so daß gar keine Schleife gebildet wurde.

Sie sahen so aus:

.

So unbedeutend diese Verschiedenheit erscheinen mag, sie war vorhanden; hätte Philipp auch nur ein einziges Mal eine ausgefüllte Schleife gemacht, so wäre meine Vermutung schon hinfällig gewesen, aber weder das H in Hurra auf der Karte, noch der Brief, noch ein einziges der fünfzig H, die ich in Händen hielt, wies diese Eigentümlichkeit auf, und es war fast undenkbar, daß ein Mensch, der gewöhnt war, die Anfangsbuchstaben seines Namens so unabänderlich gleich zu bilden, in einem vereinzelten Fall von dieser Regel abgewichen sein sollte.

»Sie haben das P und H auf Ihrem Koffer nicht geschrieben,« sagte ich, indem ich das Blatt niederlegte. »Das hätte an und für sich nicht viel zu sagen, aber die Buchstaben sind in absichtlicher Nachahmung Ihrer Handschrift gebildet, und das ist sehr bedeutsam.«

Philipp wußte die Wichtigkeit dieser Entdeckung in keiner Weise zu würdigen; ihm war im Hinblick auf seine Schuld aller Mut entschwunden.

»Sind Sie ganz sicher, daß diese Buchstaben vor Sonntag abend nicht auf Ihrem Koffer standen?« fragte ich. »Besinnen Sie sich wohl; der Umstand kann von großer Tragweite sein.«

Philipp zögerte ein Weilchen und sagte dann mit einemmal: »Ja, das weiß ich gewiß; um so mehr ich drüber nachdenke, desto sicherer weiß ich auch, daß sie noch nicht darauf standen, als ich am Montag früh von Southend abreiste. Ich erinnere mich ganz deutlich, den alten Kofferzettel Greenwich-Southend gesehen und mich geärgert zu haben, daß ich ihn nicht beseitigt hatte. Wenn Buchstaben darauf gewesen wären, müßte ich sie gesehen haben – wie sahen sie denn aus?«

»Sichtlich in Eile geschrieben und ziemlich dick, so daß sie, ehe die andre Adresse darüber geklebt war, sehr auffallen mußten. Der Gummi hat natürlich die Bleistiftstriche angegriffen und jetzt sind sie verblaßt.«

»Sie waren unbedingt nicht darauf, als ich von Southend wegfuhr.«

»Daraus ergibt sich folgendes: irgend jemand hat es für der Mühe wert gehalten, am Montag morgen Ihren Koffer zu zeichnen, und zwar mit den Anfangsbuchstaben Ihres Namens in peinlich genauer Nachahmung Ihrer Handschrift. Dieser Person lag daran, den Koffer als den Ihrigen kenntlich zu machen, und sie hatte die Möglichkeit außer Acht gelassen, daß auf der Bahn der neue Kofferzettel über den alten geklebt werden könnte, wie es wirklich geschah. Philipp Harvey – wer es auch gethan haben mag, der Betreffende wußte, was der schwarze Koffer enthielt.«

Noch immer starrte mir Philipp verblüfft ins Gesicht.

»Von Anfang an hatte ich die Idee,« fuhr ich fort, »diese zwei Buchstaben, die ich in dem Pariser Polizeiamt auf der Kofferadresse entdeckte, würden mir zum Leitfaden in diesem Wirrsal werden. Möglich, daß diese Vorstellung reiner Aberglauben ist, möglich, daß sie sich als richtig erweist, genug, ich konnte sie nicht los werden. Mehr und mehr steigen Zweifel in mir auf, ob die Geschichte dieses Mords wirklich so einfach sei, als wir uns eingebildet hatten, und es erscheint mir allmählich sehr fraglich, ob Sie, Philipp Harvey, thatsächlich der Mörder sind. Meine erste Pflicht,« setzte ich nach einem peinlichen Stillschweigen hinzu, »ist, nun wieder nach Paris zu gehen und die Buchstaben auf dem Koffer noch genauer zu untersuchen. Dazu bin ich nicht genügend Sachverständiger und ich werde daher einen solchen zu Hilfe nehmen müssen. Ich fahre heute abend mit Ihnen hinüber.«

»Es ist eine sehr unbestimmte Vermutung, von der Sie da ausgehen,« sagte Philipp kleinmütig.

»Das glaube ich nicht. Irgend jemand muß diese Buchstaben geschrieben haben, und zwar vermutlich zwischen Southend und London. Dieser Jemand wußte um den Mord, und wir müssen erfahren, wer er ist.«


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