Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfzehntes Kapitel. Philipp Harvey

Die Dämmerung brach schon stark herein, als wir das »Sarazenenhaupt« erreichten, und gerade als die Droschke an dem Gasthof anfuhr, rannte ein Herr eilig aus dem Hause heraus. Bestürzt drückte ich mich in die Ecke, um nicht gesehen zu werden – es war Austin Harvey, der, sichtlich in großer Aufregung und ohne rechts oder links zu blicken, die Straße entlang eilte.

In dem Augenblick, da ich seiner ansichtig geworden, war mir blitzartig der Zusammenhang aufgegangen. »Der alte Mohr« – »das Sarazenenhaupt« – ich schämte mich wirklich der eigenen Gedankenlosigkeit. Mein guter Stern hatte mich vor das Haus geführt, in dem Philipp Harvey jenen Brief geschrieben; ein dicker Mohrenkopf glotzte mir grinsend von der Hausthüre entgegen.

Austins Anwesenheit sprach dafür, daß der Bruder gleichfalls noch in der Nähe war. Ich hatte nicht daran gezweifelt, daß ich ihn binnen zwei oder drei Tagen finden würde, freute mich aber nun, sehr viel Zeit und Mühe sparen zu können.

»So so, Herr Austin Harvey versteht sich also auch aufs Lügen,« dachte ich bei mir, sagte mir aber gleich darauf, daß dieser Vorwurf sicher ungerecht sei. Gewiß hatte er mit vollster Ueberzeugung geschrieben, daß er noch länger in Paris zu bleiben gedenke, und hatte seine Absichten erst nachher geändert. Vermutlich hatte er erfahren, daß der Bruder seinen Rat nicht befolgt habe, und war nun persönlich herbeigeeilt, um ihn zu retten.

Der ganze Zuschnitt des Wirtshauses war sehr bescheiden. Ich ließ mir ein Zimmer geben und bestellte mir auf eine Stunde später in dem Speisezimmer unten ein Kotelett.

»Wohnt noch jemand im Haus eben jetzt?« fragte ich den Kellner, als er im Begriff stand, zu gehen.

Gestern sollten eine Menge Leute da gewesen sein; heute war die Zahl der Gäste sehr zusammengeschmolzen.

»Ich bin vorhin einem Herrn begegnet, der, so viel ich weiß, hier wohnt,« sagte ich beiläufig. »Ein großer, blonder, ziemlich blasser Mann. Sie können sich nicht zufällig denken, wen ich meine und ob der Herr Thompson heißt?«

Es war ein Schuß ins Blaue, der Kellner sah verwundert aus und sagte mir dann, es sei allerdings ein Herr im Hause, auf den meine Beschreibung passe, der heiße aber nicht Thompson, sondern Harvey, und sei überdies den ganzen Tag auf seinem Zimmer geblieben und jetzt noch darin.

Das genügte mir.

»Nein, das ist der Herr also nicht, aber es hat nichts auf sich,« damit entließ ich den Kellner.

Philipp Harvey befand sich demnach unter dem nämlichen Dach wie ich und zwar unter seinem wahren Namen. Ich hatte den falschen aus dem Kellner herauslocken wollen.

Ich ging hinunter und verzehrte mein Kotelett, das wirklich gut und saftig war und zu dem ich mir, weil ich mich in gehobener Stimmung befand, statt meines gewohnten Porters eine halbe Flasche Sherry geben ließ. Meine Nachforschungen waren von solchem Erfolg begleitet, daß ich mir unbedingt einen Namen damit machen mußte. Während die französische Behörde und die englischen Fahnder sich mit dem schwarzen Koffer herumschlugen und Fräulein Simpkinson quälten, hielt ich bereits alle Fäden in der Hand. Philipp Harvey konnte mir allerdings immer noch entschlüpfen, ehe ich im stand war, die nötigen Angaben gegen ihn zu machen, aber ehe ich ihn durchkommen ließ, mußte die Familie ordentlich blechen; das war nicht mehr als billig.

Nachdem ich meine Mahlzeit verzehrt hatte, saß ich noch behaglich über meinem Wein und war vielleicht in dem gemütlichen Zimmer, in dem ich der einzige Gast war, ein bißchen eingenickt, als die Thüre geräuschvoll aufgerissen ward. Ich fuhr zusammen und der erste Blick sagte mir, daß der Eingetretene, der mit Geräusch vorwärts stolzierte, kein andrer als Philipp Harvey sein konnte. Er war wie der Bruder groß, schlank und blond, damit hatte aber die Aehnlichkeit ein Ende. Weder die frische Hautfarbe, noch die klaren blauen Augen des jungen Geistlichen fanden sich bei ihm, er war blaß und sein Blick hatte etwas Verstörtes und Scheues.

So heftig wie er die Thüre aufgerissen hatte, zog er nun auch die Klingel und begann auf dem mit Sand bestreuten Fußboden auf und ab zu gehen. Als der Kellner den Kopf hereinstreckte, bestellte er »noch ein Glas, aber heiß und stark«, er mußte von diesem Getränk schon mehr als wünschenswert zu sich genommen haben.

Schon ein paarmal hatte er mich von der Seite angesehen, nun blieb er plötzlich vor mir stehen wie einer, der einen raschen Entschluß gefaßt hat.

»Können Sie plaudern?« sagte er. »Sind Sie gesellig? Der Teufel hole es, in so einem Hundeloch muß man doch irgendwie seine Zeit totschlagen!«

»Das dachte ich eben auch,« versetzte ich mit großer Lebhaftigkeit, »und bin wahrhaftig sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Wollen wir uns dort in der Ecke ansiedeln?«

Philipp Harvey warf sich rasch auf das an der Wand stehende Sofa, während ich mir einen Stuhl nahm; der kleine Tisch stand zwischen uns. Der Kellner brachte gleich darauf ein dampfendes Glas Grog.

»Das riecht nicht übel,« bemerkte ich heiter. »Da kann ich nichts Besseres thun, als Ihnen Gesellschaft leisten.«

Harvey stieß wieder einen Fluch aus und befahl, ein zweites Glas zu bringen; seine Redeweise war fortwährend mit diesem überflüssigen Ausputz verziert.

Er brummte nun noch eine Weile über den erbärmlichen Ort und das schändliche Wetter, das nebenbei den ganzen Tag über ausnehmend schön gewesen war, und meine Versuche, das Gespräch auf allgemeine Tagesereignisse zu lenken, vereitelte er mit einem so energischen: »hole der Teufel Ihre Politik!« daß ich sie schleunigst aufgab. Sehr angenehm war der Verkehr mit Philipp Harvey entschieden nicht; ein Mensch, dem sein Gewissen keine Ruhe läßt, ist ein schlimmer Gefährte.

»Mein Name ist Spence,« sagte ich, nachdem ich eine Zeitlang auf den Busch geklopft hatte und es für angemessen hielt, der Einleitung ein Ende zu machen. »Spence aus London. Darf ich fragen, mit wem ich die Ehre habe, diesen Abend zu verbringen?«

»Zum Kuckuck, natürlich dürfen Sie. Heiße Harvey, Philipp Harvey, und schäme mich gar nicht daran.«

»Das glaube ich wohl, weshalb sollten Sie sich daran schämen? Darf ich ferner fragen, ob Sie ein Verwandter des Herrn Austin Harvey sind, des Vikars in Southend? Ich würde nicht daran gedacht haben, nur erinnerten Sie mich, gleich als Sie hereinkamen, ein wenig an jenen Herrn.«

»Es ist mein Bruder,« sagte Philipp.

»Wahrhaftig! Nein, wie merkwürdig! Ich traf Ihren Herrn Bruder in Paris, vor acht Tagen etwa – nein, es ist noch nicht einmal so lange her – heute haben wir Freitag, es muß also erst am Dienstag gewesen sein. Es wunderte mich, ihn dort zu treffen, obwohl ich eigentlich selbst nicht weiß, weshalb mir das erstaunlich vorkam.«

»Hm!« brummte mein Gefährte und zündete sich eine Zigarre an.

»Und wie befindet sich Ihre vortreffliche Tante, Fräulein Raynell?«

Er wurde leichenblaß, zitterte am ganzen Körper und hielt sich nur mit Mühe auf seinem Stuhl fest.

»Zum Henker mit dem Fräulein Raynell,« stieß er heiser heraus. »Das heißt, es geht ihr gut, der geizigen alten Vogelscheuche. Sie scheinen ja meine ganze Sippschaft zu kennen, Sie, und ich habe nie etwas von Ihnen gehört.«

»O ja, ich weiß in Ihrer Familie Bescheid und ich meine, Sie sollten sich über Fräulein Raynells Sparsamkeit nicht beklagen. Was die zusammenscharrt, kommt später Ihnen zu gute, nicht?«

Philipp Harvey schlug mit der Faust auf den Tisch. »Das thut es eben nicht,« schrie er, »und wenn Sie so genau Bescheid wüßten, wie Sie sich einbilden, so hätten Sie das nicht gesagt. Austin ist ihr Erbe – von jeher, und wenn ihr Erbe einem zu gute kommt, so ist das nur Austin. In meinem Interesse wär's, sie so lang als möglich am Leben zu erhalten.«

Er hatte die Stimme sinken lassen und den letzten Satz nur leise vor sich hin gemurmelt, ich hatte aber doch jedes Wort gehört, und die Bemerkung erschütterte mich tiefer, als ich mir selbst zugestehen mochte. An der Aufrichtigkeit des Mannes hegte ich keinen Zweifel, sein ganzes Wesen war von einer rauhen, herben Geradheit und er war unter allen Umständen eher zu offen, wie er auch jedenfalls zu rauhborstig war.

»Nun ja, was liegt auch daran!« sagte ich. »Nehmen Sie noch ein Glas? Ich will klingeln.«

»Gut, danke, und dann wollen wir das Blechschwatzen aufgeben. Spielen Sie Karten?« fragte Philipp Harvey.

»Einige Spiele, ja,« erwiderte ich nicht ohne Zögern, denn dies war sicherlich nicht der Mann, mit dem es sich angenehm spielen ließ.

»Famos! Robert! He, Halunke! Karten her!«

Die Karten kamen und wir setzten uns zu einer Partie.

Harvey war ein vorzüglicher Spieler, aber er trank zu viel. Als er die Karten mischte, machte ich eine Bemerkung, die mir ganz unerwartet kam – er war nicht links.


 << zurück weiter >>