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Sechzehntes Kapitel. Eine ungeschickte Frage

Eine Zeitlang spielten wir schweigend; ich gewinn, und das verbesserte Herrn Harveys Stimmung keineswegs. Er fing an, die Karten hinzuschleudern, statt hinzulegen, und bestellte sich noch ein Glas Grog.

Gelegentlich tauschten wir ein paar Bemerkungen aus, die sich aber lediglich auf das Spiel bezogen, und Philipp fluchte manchmal vor sich hin, besonders wenn ich einen glücklichen Stich machte. Der Blick, mit dem ich sein verschlagenes Gesicht beobachtete, mag nicht sehr freundlich gewesen sein, denn der betrunkene Kerl war mir in der Seele zuwider. Der feige Mörder einer alten Frau, der fortwährend über Leute, die besser waren als er, loszog und fluchte – ein Wort von mir und der Bursche saß hinter Schloß und Riegel. Wie die Hand zitterte, in der er die Karten hielt, er war schon seiner Sinne nicht mehr ganz mächtig.

Ich erhob mein Glas, das noch beinahe voll war, denn ich bin ein mäßiger Mann.

»Da Sie mir sagen, es sei Ihr Vorteil, wenn sie lange lebt,« sagte ich, »so trinke ich auf das Wohl von Fräulein Raynell und – von Fräulein Simpkinson.« Ich nahm einen kleinen Schluck.

»Danke,« murmelte Philipp, ohne sein Glas zu berühren.

Unhöflichkeit ist mir verhaßt, und ich fing wieder an: »Auf das Wohl der reizenden Fräulein Simp –«

Mit einem Schlag war Philipp Harvey wieder der Mann aus der guten Gesellschaft.

»Ich kann nicht finden, mein Herr,« sagte er von oben herab, »daß unsre ungemein flüchtige Bekanntschaft Sie berechtigt, den Namen dieser Dame in den Mund zu nehmen. Fräulein Simpkinson steht mir zu hoch, um sie zum Gegenstand eines Wirtshausscherzes zu machen.«

Ich fühlte mich halb geschlagen, aber mehr noch gereizt; die vollständige Umwandlung in der Stimme wie im Wesen entging mir nicht.

Er liebt sie, dachte ich bei mir, und sie ist die Braut seines Bruders.

Er wollte dem Gespräch einen andern Inhalt geben – er sollte ihn haben. Was ich jetzt sagte, entsprang aus Trotz und Haß, und nicht aus kluger Ueberlegung – zu guter Letzt sind wir doch alle eben nur Menschen und haben zuweilen unsre kleinen Schwächen.

»Es wundert mich gar nicht, daß Sie die Dame hochschätzen,« sagte ich, während ich die Karten abhob, »aber wie mag das Fräulein über Sie denken, seit sie neulich einen Blick in Ihren schwarzen Koffer gethan hat?«

Philipp Harveys Hände sanken mit samt den Karten schlaff herunter und eine Sekunde lang starrte er mir in wilder Bestürzung ins Gesicht. Dann warf er mir mit einem Ruck, so schnell, daß ich nicht Zeit hatte, mir seine Absicht klar zu machen, den ganzen Pack ins Gesicht, und gleich darauf flog sein mit Grog gefülltes Glas den Karten nach. Diesmal hatte ich Zeit, den Kopf zur Seite zu biegen, und das Wurfgeschoß zerschmetterte nur einen hinter mir hängenden Spiegel. Daraufhin stand er auf und verließ, ohne noch ein Wort oder einen Blick an mich zu verschwenden, das Zimmer, so aufrecht, als es ihm eben gelingen wollte.

Recht verdrießlich und gedemütigt blieb ich zurück. Die Art und Weise, in der ich behandelt worden war, empörte mich natürlich und empörte mich um so mehr, als ich mir sagen mußte, daß es nicht unverdient geschehen war. Es war ein Bubenstreich gewesen, mit solcher Roheit an die Tragödie des schwarzen Koffers zu rühren, und es war überdies ein herzlich dummer Streich gewesen. Ich, der ich bisher mit solchem Erfolg und solcher Vorsicht zu Werk gegangen war, hatte mich von einem kindischen Zorn übermannen lassen; von dem Verlangen erfüllt, meinem Gegner etwas »hinzureiben«, hatte ich ihm nur eine verfrühte Warnung zukommen lassen.

Sobald ich etwas ruhiger geworden war, sagte ich mir, daß es nun höchste Zeit sei, mich des Mannes zu versichern, und der zerbrochene Spiegel kam mir dabei sehr zu statten. Ich ließ den Wirt rufen – bei dem Klirren der Glasscherben war sofort ein Kellner erschienen – und sagte, daß ich soeben von einem Herrn, den ich kaum kenne, aufs gefährlichste angefallen worden sei. Dieser Vorfall schien ihm keinen besondern Eindruck zu machen, aber er geriet in große Entrüstung, als er den zerschmetterten Spiegel ins Auge faßte. Der Mann könne zahlen, sagte er, und schickte sich an, in sein Zimmer zu stürmen, um ihn gleich jetzt dazu zu zwingen.

»Der Mensch ist betrunken,« sagte ich, ihn zurückhaltend, »und Sie werden heute abend nichts mehr herausschlagen als Schimpfreden.«

»Ja, ja, das ist schon wahr,« meinte der Wirt unschlüssig, »aber mein Geld muß ich deshalb doch haben.«

»Warten Sie bis morgen früh,« rief ich rasch, »und treffen Sie Maßregeln, daß er Ihnen nicht entwischen kann.«

Das war der Weg, meinen eigenen Mißgriff wieder gut zu machen; der Wirt mußte mir ihn bewachen helfen.

»Er ist jetzt nicht in der Verfassung, daß man mit ihm reden könnte,« sagte ich, »und morgen müssen Sie ja zu Ihrem Geld kommen.«

»An verschiedenen Thüren in diesem Haus ist außen ein kleiner Riegel, und das ist mir schon oft zu gute gekommen bei Kunden, die über Durst trinken. Auch an seiner Zimmerthüre ist ein solcher und in einer Stunde, wenn er eingeschlafen sein wird, schiebe ich ihn sachte vor. Zum Fenster hinaus wird er vom zweiten Stock nicht so leicht springen.«

Das vernahm ich mit großer Erleichterung und ging wesentlich beruhigt nach meiner Stube, konnte aber die ganze Nacht kein Auge zuthun bei dem Gedanken, daß ich unter demselben Dach lag mit dem Mann, dem meine unvorsichtigen, bösartigen Worte am Herzen fraßen und der wohl mit Zittern dem Morgen und dem, was dieser bringen würde, entgegensah.

Was der Morgen wohl bringen würde! Ich selbst hatte nur eine sehr unklare Vorstellung von dem, was ich erwartete und wünschte, und ahnte nicht, was für eine erstaunliche Entdeckung mir beschieden war.


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