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VIII.

An diesem Abend war Konrads Sehnsucht nach seiner Flossie so groß, daß er seinen Stolz überwand und gegen neun Uhr bei ihrem Vater, dem Konsistorialrat, anrief. Es meldete sich Doralies. Es war Konrad unmöglich, sofort nach seinem Kind und seiner Frau zu fragen, und so kam eine gequälte Unterhaltung zwischen ihm und seiner Schwägerin zustande. Als sie binnen kurzem einander nichts mehr zu sagen hatten und Doralies nicht die geringste Anspielung auf die Ereignisse machte, fragte Konrad, zwar mit gepreßter Stimme, aber geradezu: »Sag, Doralies, kann ich mal meine Frau sprechen?« – Das Erstaunen der Schwägerin, die schon von dem Anruf überhaupt überrascht gewesen war, wurde scheinbar noch größer. »Ja – nein – natürlich – selbstverständlich – ich weiß nicht – eigentlich – ach, bitte einen Augenblick!«

Der Arzt saß vor seinem Schreibtisch, er hielt den Hörer in der rechten Hand, in der linken eine Zigarette. Er sah sich in dem Zimmer um, das nur von der Schreibtischlampe unsicher erhellt war. Jetzt überkam ihn ein bitteres Gefühl, daß er hier allein im unheimlich stillen Zimmer sitzen und eine ihm fremde Person darum bitten mußte, seine eigene Frau sprechen zu dürfen. Dürfen! Er legte den Hörer auf die Holzplatte des Tisches, die Zigarette in die Aschenschale, bedeckte mit beiden Händen das Gesicht. Seine kalten Hände reichten von dem bebenden Unterkiefer beiderseits bis zu der heißen, trockenen Stirn, die Kühle tat ihm wohl.

In dem Hörer blieb alles still, endlich zirpte es, er nahm den Hörer langsam auf, das Herz schlug ihm bis an den Hals: »Flossie, du?«

»Nein«, meldete sich die Stimme, »ich bin es, Mutter.«

Es war die Konsistorialrätin, die seit Jahren von ihrem Schwiegersohn mit Mutter angesprochen sein wollte, so schwer es Konrad auch fiel. Auch jetzt kam es ihn hart an, die richtigen Wort zu finden. »Entschuldige bitte, wenn ich so spät abends störe –«, und nach einer Pause, »– Mutter!«

»Stören? Wie denn das?« antwortete die Konsistorialrätin voll gemessener Wärme, wie früher in ihrem Amt als Leiterin einer Diakonissenanstalt. »Dein lieber Anruf ist uns stets willkommen.«

»Ja, ja –«, begann Konrad zum drittenmal, besonders deutlich sprechend, weil die alte Dame etwas schwerhörig war, »hat dir Doralies denn nicht gesagt, ich hätte doch gern mit Flossie gesprochen, und ich habe besonders an Doralies –« Leider hatte er die letzten Worte etwas undeutlich gesprochen, jetzt war es zu spät, sie zu wiederholen.

»Ja, natürlich, Doralies«, unterbrach ihn die alte Dame, sofort einfallend, »Doralies soll wohl noch mal an den Apparat kommen? Ich dachte, du wolltest mich sprechen.«

»Dich natürlich auch! Wie geht es dir?«

»Mir geht es gut! Und Vater auch!« antwortete die Konsistorialrätin prompt.

»Und meiner Frau? Flossie? Und Otto?«

Die Konsistorialrätin, die bis jetzt immer sofort geantwortet hatte, schwieg. Nach einer Weile sagte Konrad, die Stimme heiser vor Erregung: »Bist du noch am Apparat, Mutter?«

»Wo soll ich sein, Konrad?« fragte sie zurück.

»Kann ich denn meine Frau nicht endlich sprechen?«

Jetzt wurde die Pause noch länger. »Ich muß meine Frau sprechen!« sagte er sehr erregt.

»Bitte, nur einen Augenblick!« sagte die alte Dame. »Ich gebe eben den Hörer weiter!«

Der Arzt atmete auf. Jetzt konnte er darauf rechnen, daß sich endlich die Stimme seiner Flossie melden würde, aber statt dessen ertönte die etwas heisere, ausgeschriene Stimme seines Schwiegervaters aus dem Apparat: »Deutschen Gruß, Freund Konrad!«

»Guten Abend, guten Abend! Sag bitte, kann ich denn meine Frau nicht mal einen Augenblick sprechen?«

»Wen? Flossie? Hab' ich's euch nicht gesagt, Mutter und dir, Doralies, ihr sollt rechtzeitig – jetzt schickt ihr mich an die Front, ihr feiges Pack im Unterrock! Also: mein Sohn, deine Frau kannst du natürlich nicht bei mir sprechen.«

»Will sie nicht? Oder ist sie nicht bei euch?« Lange Pause. »Du verstehst mich doch, Vater?!« – (›Vater‹ war zwischen ihnen, anders als zwischen ihm und seiner Schwiegermutter das ›Mutter‹, nur für feierliche Gelegenheiten aufgespart.)

Der Wehrkreispfarrer begriff. »Was mich anbelangt, ich verstehe dich ja voll und ganz.«

»Sag mir bitte, was ist denn los mit ihr? Ist sie bei euch? Was soll denn das alles!«

»Sie ist nicht hier.«

»Und wo ist das Kind?«

»Dem Kind geht es gut. Sehr gut. Hat zugenommen und läßt grüßen, Otto, meine ich.«

»Danke, Vater. Kannst du mir nicht wenigstens die Adresse Flossies sagen?«

»Ich könnte wohl, aber ich darf nicht. Beim besten Willen nicht, Söhnchen, solange sie nicht selbst diesen Wunsch hat. Einfach: ich soll nicht.«

»Aber Vater, das siehst du doch ein, sie kann als meine Frau nicht einfach unser Haus verlassen und mit dem kleinen Kinde fort. Ohne Vorbereitung. Ohne Geld. Gegen meinen ausdrücklichen Wunsch. Ihre Schlafsachen sind noch alle hier, auch die Kinderbadewanne hat sie vergessen.«

»So, das hat sie vergessen.« Pause.

»Und wenn sie vielleicht doch noch bei euch ist –«

Jetzt setzte der donnernde Baß des Pfarrers sofort ein. »Wie ist das gemeint? Setzest du Zweifel in meine Worte? Ein Offizier der deutschen Armee sollte etwa lügen? Was also soll das heißen, ›und wenn vielleicht‹ –«

»Nicht so, lieber Vater! Du bist doch auch ein Mann, du solltest mich nicht mißverstehen!«

»Sicherlich! Sicherlich doch! Wir verstehen einander! Und ob ich dich verstehe, Sohn! Ich sagte es eben noch mal meinen Damen hier, und dabei bleib' ich. Diesfalls kann ich meinen beiden Kücken nicht recht geben. Auch Mutter findet es sonderbar. Ich wag's, ich klag's, ich sag's! Weib gehört zum Manne, komme was mag! Ja, gerade dann besonders.«

Konrad seufzte.

»Nichts zu seufzen, du arme Leberwurst! Laß dir von dem Weiberzeug die Pferde ja nicht scheu machen. Jetzt bist du mal hier, und Rolf, der Strolch, ist nun mal auch da. Hau du ihn heraus! Er ist doch dein Fleisch und Blut. Man kann ihn nicht absacken lassen. Du stell dich vor ihn. Richte nicht, das tun andere. Jetzt zeig den Leuten die Zähne! Und was man von dem Bengel sagen kann, dem Rudolf, Murr hat er, Murr über Murr! Er war in O. S., er hat zum Siege mitgeholfen, er hat sich nicht versagt, als ihn das Vaterland schickte, mit den Kommunisten in Eisleben kurzen Prozeß zu machen. Wer viel geliebt hat, dem wird viel verziehen. Laß ihn nicht fallen. Daß er sich an dem schmutzigen Geld eines Kriegsschiebers vergriffen hätte, glaub' ich nicht. Und wenn ihm das ruchlose, gottverdammte Kokain, diese Judenerfindung, körnerweis aus den Poren gespritzt wäre, das traue ich ihm nicht zu. Nein. Das sage ich dir, und ich bleibe dabei.«

»Gewiß, gewiß, ich danke dir, daß du dich seiner annimmst! Nötig hat er es gewiß. Aber meine Frau?«

»Ach, immer kommt er mit seiner Frau. Wo sie ist, das kann ich dir eben nicht sagen. Sie haben mir hier im trauten Familienkreis mein deutsches Wort abgelistet, daß ich reinen Mund halte.«

»Und mein Kind?«

»Jetzt fragt er gar nach dem Kind! Ich sage ja, es geht ihm gut. Was gibt es da für Neuigkeiten? Immer das gleiche: es ißt, es kackt. Es lacht nicht, aber dafür kann es kreischen, daß einem die Ohren gellen, und es nimmt zu, Gott sei Dank. Es weiß noch nichts von euren komischen Ehewirren und von Flossies anderer Sache –«

»Was ist das? Was für eine andere Sache?«

»Na, was wird das groß sein, Mensch, verstehste deutsch?«

»Vater, bitte sehr, ja?« hörte Konrad gedämpft, und gleich die Antwort des Pfarrers im Donnerton: »Still dort, ihr Weibsvolk am Spinnrocken da hinten, ich höre schon. Sonst bist du ja so harthörig, Mutter, und jetzt hörst du wie ein Hase. Schon gut! Ich schweige. Wenn auch sehr gegen meinen Willen. Ich sag's dir, Schwiegersohn, wenn man sich nicht draußen vor dem andächtigen deutschen Christenvolk unter dem Stahlhelm mal ein wenig Luft machen könnte, daheim –. Aber sie sollen nicht triumphieren und uns in die Ferse beißen, Landgraf, bleibe hart.«

»Ich weiß nicht –«

»Was weißt du nicht?«

»Ich habe vielleicht Flossie doch etwas unrecht getan. Wir müssen uns aussprechen, wir müssen –«

»Ach, das macht untereinander aus. Eine Tracht Prügel wäre mal auch nicht schlecht. Gerade sag' ich es. Frieden muß sein am häuslichen Herd, der Mann ist die Kraft und daher auch der Herr, auch dann, wenn so etwas noch keine hundertzwanzig Pfund wiegt wie du. Du hast recht gehandelt. Halt Widerpart, steh fest dawider! Dann zieht der Teufel den Schwanz ein. Er stinkt, aber er weicht. Vielleicht paukst du den Bruder doch noch raus. Wozu sitzest du denn an der Quelle? Die Weiber gehören nach hinten, in die Wagenburg.«

»Ich weiß nicht, ob du die Sache ganz richtig siehst.«

»Was ist da viel richtig zu sehen? Geht's nicht so, geht es so. Gehen muß es. Kurz gesagt: du haust ihn heraus!«

»Also schön; ich danke dir.«

»Warum so geknickt? Fasse dich, du schwaches Herz! Ist Strohwitwer sein nicht auch ganz nett, jetzt im Sommer? Ja, ich bin schon ruhig, ihr zwei Nornen dort an der Nähmaschine, daß euch nur ja der Faden nicht reißt! Sag mal Junge, sind wir also einig? Flossie mag betulich tun, was weiß die, was ein rechter Mann ist? Laß Rolf nur wieder hochkommen. Das Kokain muß er lassen! Deutscher Wein, der gibt reinen Rausch. Aber der wird noch mal, der Rolf. Männer brauchen wir, Schützen. Ziele werden wir ihm schon geben, andere Ziele als arme Polizisten am Kiosk in der Nacht. Nicht in der Nacht, am Tage soll er schießen – aber treffen soll er wie bisher! Leute, bei denen es knallt, gibt's heute die Menge, aber wir werden dieser Jugend zeigen, wofür es zu knallen hat!«

»Aber, lieber Vater, du kommst immer mit Politik.«

»Und?«

»Es gibt doch auch andere lebenswichtige Fragen. Für deine Tochter, für mich ... Flossie hat mir von einem neu zu gründenden, groß angelegten Heim für Flüchtlingskinder aus O. S. gesprochen, könntest du dich nicht dafür einsetzen, daß ich ...«

»Ach was, was geht mich solches Kroppzeug an? Wo bleibt dein Idealismus? Alles hat deinem Volk zu gelten. Kinder? Frau? Laß sie betteln geh'n, wenn sie hungrig sind, hat schon der verdammte Judenbengel Heine gesungen.«

»Das ist nicht dein Ernst!«

»Und ob er es ist! Zum letztenmal, jetzt schlägt es dreizehn! Doralies und Mutter, wenn ihr das Tuscheln nicht laßt, ich, ich drohe nicht umsonst, ich nehme euch die Schere fort und – schneide die Telephonschnur durch, dann könnt ihr sehen, was ihr mit eurem hämischen Schnickschnack angerichtet habt! Laßt mich! So wie ich bin, bin ich gut.«

»Ich danke dir, lieber Vater, und ich schreibe noch heute an Flossie.«

»Nein, das hat keinen Zweck. Sie weiß doch, wo du zu erreichen bist, laß sie, laß sie nur! Ich sage es als Vater. Sie ist mein echtes, liebstes, armes Kind! Sie leidet vielleicht mehr als du, ihr seid ja beide höllisch dumm. Ich habe sie nicht so erzogen. Ich war im Felde. Fremde Hände haben daran herumgepfuscht. Aber ihr könnt immer auf mich rechnen. Überlege alles gut! Kannst du denn dein Spezialfach, deinen Beruf so ohne weiteres ändern? Du sollst doch schon allerhand darin geleistet haben.«

»Ich muß es ja!«

»Wer muß müssen? Wir müssen, wo wir wollen. Das ist die Freiheit eines Christenmenschen!«

»Also vielen Dank, Vater! Den Brief schreibe ich. Sage nicht nein! Es ist meine erste Bitte! Gib ihn sofort weiter! Ja? Vielleicht sehe ich dich bald!«

»Immer, wann du willst. Gib mir auch möglichst umgehend Nachricht über den Schlingel. Seine Sache soll bereits viel besser stehen. Halte du ihm das Seil! Er wird schon klettern! Ich bürge für ihn. Gute Nacht, altes Haus.«

»Gute Nacht, lieber Vater. Gruß an die Mutter und Doralies!«


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