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VIII.

Inzwischen plauderte die ahnungslose Flossie mit glühenden Wangen über ihre Künste in der Wirtschaft. Sie, ihre Mutter und Doralies, die ältere Schwester, die ganze Familie des Divisionspfarrers, die grundsätzlich nur »von Karten lebten« und während der ganzen Kriegsjahre noch nicht ein Pfund Butter und nicht eine Speckseite gehamstert hatten, mußten den ganzen Grips zusammennehmen, um den mageren Tisch zu Hause zu bestellen. Welche Einfälle, welcher Eifer, welche Opfer! Welcher Stolz konnte darüber empfunden werden! – Während sie darüber sprach, spielte Flossie, selig in dem ersehnten Besitze des Kolophoniums und das Geschenk richtig als ein Zeichen von Konrads schüchterner und wortkarger, eben »grundanständiger« Liebe begreifend, mit dem würfelartigen Harzkästchen. Frau Lucie, die in Wirklichkeit nicht nur an Rudolf, sondern auch an ihrem Manne leidenschaftlich gehangen hatte (und ebenso an allem, was von ihm kam), erkannte das Kästchen sofort.

»Woher hast du das, Flossie?«

»Von Konrad! Ist das nicht süß von ihm?«

»Mußt du nicht heim? Es soll Unruhen geben. Hat deine Mutter nicht Angst um dich?« mahnte Hilda ungeduldig.

Aber Flossie, die nicht ahnte, was sie angerichtet hatte, sagte: »Ach, ich habe noch massig Zeit. Was soll mir passieren? Ich stelle mich vor die roten Maschinengewehre hin und sage: Na los! Schießt, ihr Hunde, wenn ihr Murr habt! – Aber wenn ich gehe, dann kommt vielleicht Konrad mit? Er muß doch auch ins Kolleg. Ach nein, nicht doch, er sattelt ja um, er studiert jetzt etwas anderes, Medizin, nicht?«

»Wie? Studiert Medizin?« fragte die Mutter in furchtbarer Erbitterung. Und ich erfahre es durch Flossie? – Er ändert seinen Studiengang? Kaum, daß sein Vater tot ist (ist er denn tot?), wirft er alles um, was der Vater angeordnet hat? Die Mutter biß sich in die schmalen Lippen – (es war ganz Konrads Mund) – und stand auf. »Doch! Natürlich! Ich dachte, Sie wissen davon!« sagte Flossie. »Es macht doch euch gar nichts. Im Gegenteil. Medizin ist viel wichtiger als die Juristerei und viel sozialer! Er wird sicher ein himmlischer Arzt, nicht wahr? Und ich bin dann seine erste Patientin – wenn ich darf!« – Sie hatte nicht mehr gewagt, sich als erste Assistentin ihres getreuen Konradin zu bezeichnen.

Die Mutter verließ das Zimmer und ging mit ihren schweren Schritten in die Küche. Ihr war, als sei die alte Köchin, die sie seit ihrer Jugend kannte, ihrem Herzen näher als ihre Hilda und ihr Konrad. Dabei wußte sie, daß auch dieser Gedanke eine schwere Versündigung war, eine Sünde gegen ihren Mann ebenso wie gegen ihre Kinder. Sie wußte, es war unchristlich und egoistisch von ihr, wenn sie dem unschuldigen Kinde Hilda nicht den Frieden des Herzens gönnte; das war etwas Großes. Sie wußte, daß sie der künftigen Frau ihres Sohnes, Flossie (und ihm selbst), nicht das jetzt völlig unnütze Stückchen Harz gönnte, nicht die Freude gönnte, die diese daran gehabt hatte, als sie es bekam, und ihm die Freude, als er es ihr gab. Vielleicht war das etwas Geringes; aber ob groß oder gering, in den Augen des Himmels war es Sünde, und sie wollte doch fromm und christlich sein, sie wollte in Demut tragen – die Hand Gottes, auch die strenge, küssen. Und jetzt sah sie diese Hand mager und bräunlichfahl an dem alten, goldgerahmten Muttergottesbild sich um den kantigen Griff des Schwertes schließen und es sich noch viel tiefer in die Brust, die eigene, hineinstoßen. Wie gern hätte sie jetzt ihren Rudolf gesehen! Sein schöner, herzerfreuender Anblick hätte ihr wohlgetan! Aber er war fort, war die ganze Nacht ausgeblieben.

Mechanisch ging sie mit schweren und immer schwerer werdenden Knien in der Küche umher, öffnete die leeren Schränke. Sie wollte heute einen Sonntagskuchen backen, aber es gab weder Feinmehl noch Zucker, noch Ei, noch Hefe, noch Gewürz, ja nicht einmal die kupfernen Kuchenformen waren noch da, sie wären längst abgeliefert, ebenso wie ihre schönsten Tischtücher.

Flossie, der endlich aufdämmerte, was sie angerichtet hatte, kam ihr in die Küche nach, band sich eine Schürze von Minna um, nachdem sie ihren Fuchs abgelegt hatte, und fragte: »Kinder, darf ich euch mithelfen?« – Kochen, besonders aus scheinbar unverwendbaren Zutaten etwas zusammenzuquirlen, das man dann essen konnte, war ebenso ihre Leidenschaft wie Säuglingspflege ohne Milch, Kaninchenzucht ohne Futter und Violinspiel mit Gesangsbegleitung. Alles war ihre größte Leidenschaft. Sie war (im Schweiße ihres blonden, strahlenden Angesichts) jetzt der einzige glückliche Mensch in diesem Hause der Trauer.

Sie brachte auch hier, ohne es zu bemerken, wie wenig die Mutter und die Magd darauf eingingen, die Erzählung von der Kriegslist der Obersten Heeresleitung mit dem nur angeblichen, die Feinde irreführenden Waffenstillstand vor, dann meinte sie, die Deutschen hätten es wahrhaftig noch lange nicht nötig, von wegen Hungers klein beizugeben, man könne diesen Winter und sogar das nächste Jahr noch »tadellos« durchhalten bei ein bißchen gutem Willen.

»Einen Schmachfrieden dürfen wir eben nicht annehmen, kein Volk, das Ehre hat, kann so handeln, und wir sind auch noch lange nicht besiegt. Deutschen Boden hat noch kein Fremder betreten und wird es auch nicht, solange der Kaiser oder – die Regierung eben – lebt! Die Roten müssen das – müssen das auch verstehen, sie sind doch auch deutsch gesinnt, und wenn jeder mit jedem zusammenhält und keiner hamstert, dann wird's geschafft! Keiner darf Hungers sterben! Alle für alle! Und keiner braucht frieren!« Sie berichtete von Hilfsmitteln, die Mehlrationen mit feingestoßener Baumrinde zu strecken. Aus einem Sack Bucheckern (von den Schulkindern unter Doralieses Leitung im Walde gesammelt) hatte sie ein Fläschchen ff. Öl gekeltert. Was die Kleider anbelange, so könne man aus Papiergewebe die schönsten Toiletten verfertigen, selbst Ballkleider und Uniformen, und Papier könne man jetzt »durch unsere deutsche Technik und mit deutschen Arbeitern« ohne die geringsten Materialkosten direkt aus der Luft erzeugen, wobei sie die Papierzellulose mit dem künstlichen Stickstoff für Dünger und Schießpulver verwechselte.

»Und im Sommer, da bring' ich euch wieder wunderbares Wurzelgemüse, an allen Bahndämmen wächst es, die Leute ahnen es nur nicht, wir wußten ja im Frieden auch nicht, wie reich wir sind! Auch auf den Baustellen gibt es so etwas zu pflücken und auszugraben, die Wurzeln der gemeinen Nachtkerze – ist aber gar nicht gemein, heißt nur so –, aber nur die im Schatten wachsenden Nachtkerzen, müßt ihr wissen, Kinder« (Konrad war ihr eben nachgekommen, er konnte sich an diesem Tage nicht von ihr trennen), »nur die allein sind richtig fett, an die müßt ihr euch halten. Auch die Wurzeln der schönen Glockenblume sind himmlisch, schmecken zu schön, wie echter Speck! Ich füttere dich auf, Konrad, du bist mir zu blaß! Ich koche dann für euch! Darf ich? Und man nennt sie deshalb auch treffend Schinkenwurzeln. Nun, Konrad? Darf ich euch jetzt einen Pudding machen? Ihr habt ja hier so ein Pulver, und ich weiß ein besonderes Rezept, dann schmeckt er nach Butter! Konrad, du stehst mir im Weg! – Ja, und Kaninchenfutter, das gibt es auch überall, nicht? Auch vom Stadtpark, da holt man es sich, nachts, in einem Sack, aber die Sichel gut verstecken! Früher habe ich es mit einer großen Schere versucht, aber die faßt nicht genug! Und dann, an den Blütenknospen der Sumpfdotterblume, an denen haben wir dann mal etwas ganz Besonderes: man kann sie als Kapern einlegen und dann fein zu Kartoffelsalat nehmen, wenn es erst wieder genug Kartoffeln gibt! Und wenn man besonders feines Gemüse will, dann nimmt man die Blütenblätter von Veilchen und legt sie in Essig ein. Wenn man mal Essig hat! Und geradezu das grüne Brot auf der Wiese sind Rohrkolben und Lieschkolben, im Frühjahr ist die beste Zeit dazu, ich freue mich schon heute darauf, und ihr doch auch? – Die jungen Triebe schmecken wie reiner Zucker, bis dahin ist Hildchen wieder kerngesund, und wir ziehen alle aus mit Gesang! Die Triebe kann man roh essen oder wie Selleriesalat. Und wenn man nicht weit laufen kann oder wenn Hildchen doch müde wird und schlappmacht, darf man auch die Pflanzen vom Straßenrand nehmen, egal, ob sie durch Staub ein bißchen unansehnlich geworden sind. Das macht nichts. Die Kalorien bleiben natürlich. Wir waschen dann daheim die Pflänzchen mit kaltem Wasser sauber, das ist ganz leicht, wenn man Wasser hat. Aber Wasser wird es fortan immer geben, Streik wird verboten, im Ausland sollen sie streiken, aber bei uns nicht! Es ist noch nicht aller Tage Abend, man hat es den Arbeitern gezeigt, sie dürfen nicht mehr streiken. Sonst an die Wand gestellt, und Schluß! Ihr denkt doch auch? Aber die Arbeiter sind im Herzen ganz treu, sie selbst wollen keine Proleten sein, darum haben sie Schulter an Schulter gekämpft. Und jetzt das? Nein! Das Volk will es selbst nicht, jetzt kommt bald ein ganz anderer Zug in die Sache –«

Sie sah auf ihre Armbanduhr, es war das gleiche Nickelührchen, das ihre Mutter, früher Oberschwester eines Diakonissenhauses, an einer glatten Nadel über ihrer üppigen Brust getragen hatte. Jetzt war das Ührchen rundherum in eine praktische, wenn auch sehr häßliche Zwinge gefaßt und an einem Riemchen aus »echtem« Leder um das Handgelenk der Tochter befestigt. »Goldig, nicht? Das hier – Geburtstagsgeschenk von Papi, und das – von Mutti«, sagte Flossie glücklich, während sie abwechselnd auf die Nickeluhr und auf das einst hellbraune, jetzt fast schwarze Lederbändchen zeigte, »und bitte seien Sie nicht böse«, sagte sie zu der Mutter, »ich muß jetzt wirklich schon leider gehen. Nein, nicht doch! Flossie, was bist du für ein Kamel! Jetzt hätte ich das Wichtigste beinahe vergessen! Man muß ja jetzt an soviel denken. Konrad, bleib hier! Bitte, einen Augenblick!«

Sie lief in das Vorzimmer und trug dann mit beiden Händen ein etwa einen Liter fassendes, mit einer bräunlichen, geleeartigen Masse gefülltes Konservenglas in die Küche zurück, das sie sich beim Kommen auf dem Spiegeltischchen zurechtgestellt hatte, denn es sollte eine Schluß-Überraschung sein.

»Wenn jetzt also Ihr lieber Mann kommt, so schickt Ihnen Mutti etwas zum Empfang. Darf ich vorstellen? Das ist Frau Holle! Sie wissen doch, unsere schneeweiße Häsin! Wir schafften es doch nicht mit dem Futter für die vielen Kaninchen jetzt im Herbst und nun gar erst im Winter! Und da haben wir unser Frauchen von Bekannten schlachten lassen und haben vier Gläser Frikassee davon bekommen. Aus ihrem prachtvollen, dicken, schnuckigen Fellchen machen wir wahrscheinlich Mutti zu Weihnachten süße Pantoffelchen. Und das alles von einem einzigen Kaninchen! Sehen Sie, ich lüge nicht! Hier steht: H., das heißt Frau Holle, Nr. III. Und sie müssen es bald verwenden, denn die Gummiringe sind nicht aus Gummi, und wenn Luft dazwischenkommt, ist es Essig. Aber es soll wunderbar schmecken, im eigenen Saft eingeweckt, ohne Fett, nur mit etwas Salz und mit einem Lorbeerblatt, echt, das haben wir eben noch gehabt aus Friedenszeiten.«

Plötzlich stürmte Hilda hinein, in den schokoladefarbenen Schlafrock ihres Vaters gehüllt, leichenblaß: »Sie schießen! Sie schießen!«

Tatsächlich hörte man durch die offene Tür jetzt von der Straße her das hämmernde Ticken der Maschinengewehre und in einer Pause das Rattern eines schweren Autos ohne Gummibereifung, das auf den bloßen Eisenrädern ohrenbetäubend durch die totenstill gewordenen Straßen rasselte.

»Jesus Maria, was hast du denn?« fragte die Mutter entsetzt. »Dir geschieht doch nichts! Herzenskind! Hilda, fürchte dich doch nicht!«

»O Mutti, Mutti!« jammerte Hilda, von Entsetzen geschüttelt und den Kopf mit Gewalt gegen die Brust der Mutter stoßend, als wollte sie dort hinein, sich verstecken. Unter Tränen schluchzte sie, und ohne sich um ihre entgeistert dastehende Freundin mit ihrem Glas in den Händen zu kümmern, stieß sie in einem einzigen langen Schwall hervor:

»O Mutti, ich weiß alles! Er kommt nicht zurück, nein, Vati kommt nicht zurück, Jungens haben ihn erschossen! Kinder! O Mutti, ihr habt mich betrogen und belogen, du, Konrad auch, und Flossie auch, und ich will nicht, daß meine Flossie meinen Konrad heiratet! Und ich will auch ihre Frau Holle nicht, und fort mit deinem widerwärtigen Fuchs, der ist genauso falsch wie du! Sie soll nur hinaus auf die Straße und unter die Roten, und sie sollen sie auch erschießen, gerade recht, und mich auch, ja! Sicher doch! Mich zuerst! O liebste Mutti, ich kann gar nicht mehr weiterleben, und ich will auch sterben, und ich will nicht mehr hierbleiben, ich fahre zu Vati, kommt er denn wirklich nicht mehr zurück? Es soll doch schon Frieden sein, und da darf er doch nicht mehr erschossen werden, das darf doch gar nicht sein, sag doch, Mutti, ist es denn wirklich wahr, aber du sagst ja nicht die Wahrheit, ihr lügt ja alle, und Rudolf, der stiehlt, und ich will euch nicht mehr glauben, ach, ich kann das ja gar nicht mehr ertragen, ich glaube, ich verblute mich jetzt!«

Sie sank zu Füßen der Mutter auf dem kalten Steinfußboden der Küche zusammen. Die Mutter hob sie auf und trug sie mit Konrads Hilfe in das Wohnzimmer zurück. Flossie kam mit, hielt die Hand der wie leblos daliegenden Hilda in der ihren. Dann trat sie, ihren Fuchs wieder um den schönen weißen Hals, zum Fenster. Der Lastwagen auf den Eisenrädern setzte sich wieder in Bewegung und ratterte los. Das Maschinengewehr war verstummt, nach einer sehr langen Pause, wie es allen im Zimmer erschien, begann es von frischem zu tacken, aber jetzt schon etwas weiter entfernt. Dann wieder schallte es sehr laut, wie durch ein Echo verstärkt. Dann Stille.

Konrad war bei Flossie geblieben. Die Mutter saß am Tisch und brütete finster vor sich hin, die linke Hand mit dem goldenen Ehering am Knie.

Rudolf war noch nicht daheim. Sie zitterte nur um Rudolf. Um Hilda zitterte sie nicht. Selbst um den kindlichen Schmerzensausbruch hatte sie die Tochter beneidet, so sehr war sie sich selbst entfremdet. Sie wollte nicht mehr die sein, die sie einmal war. Sie dachte nicht mehr an ihren Mann in diesem Augenblick. Sie dachte an ihr Trauerkleid, das sie aus einem Sonntagskleid, einem hellbraunen Tuchkleid, in 24 Stunden in Tiefschwarz umfärben lassen mußte. Sie hatte diese »Trauersachen promptest binnen 24 Stunden« während der vier langen Kriegsjahre immer in Inseraten der Zeitungen aller Städte, auch ihrer Heimatstadt, angekündigt gelesen und immer davor gezittert, einmal davon Gebrauch machen zu müssen. Zu früh hatte sie am 11. XI. gejubelt, zu früh der Gnade der Jungfrau Maria und des Erlösers von allem Leid getraut. Sie stöhnte dumpf auf. Auch Hilda stöhnte, aber weicher, wie jemand, der nach großen Schmerzen einschläft, beruhigt eindämmernd, die Glieder matt und sanft ausgestreckt.

Die Mutter schämte sich ihres furchtbaren Unglücks. Sie hätte sich am liebsten vor aller Welt – vor der glücklichen Welt! jeder war glücklicher als sie! – in dem finstersten Winkel der Erde verkrochen.

In Hilda hatte der Ausbruch den Krampf des Körpers und der Seele gelöst. Ihr Gesichtchen war jetzt so schön, so kindlich, so ganz entspannt, und sie begann echten, gesunden Hunger zu fühlen, was schon lange nicht mehr der Fall gewesen war. Flossie, sehr blaß und als einzige in diesem stillen Räume Tränen vergießend, näherte sich der Mutter mit ausgestreckter Hand. Aber die Hand wurde nicht ergriffen. Scheu wanderte Flossie im Kreise um den runden Tisch herum, der bauschige Schwanz ihres Fuchses schwankte hin und her, und die Glasaugen des Tieres schienen die Menschen anzustarren. Konrad gab ihr ein Zeichen, gemeinsam verließen sie das Zimmer und das Haus.

Konrad brachte Flossie durch die Straßen, die im großen ganzen ihr gewöhnliches Aussehen zeigten, heim. Bloß am Ende der Straße waren die Litfaßsäulen zerschossen, auch die Mauern der Häuser und die herabgelassenen Rolläden aus Eisenblech wiesen Schußspuren auf.

Flossies Schritte wurden langsamer, jetzt blieb sie stehen, sah Konrad an und bewegte die Lippen. Aber sie sprach nicht. Konrad wußte, was sie hatte sagen wollen, in ihrem klaren Blick lag ihr ganzer guter Wille, ihn von Herzen zu trösten. Er faßte ihren Pelz, den sie um den Hals trug, das eine Ende mit der rechten, das andere mit der linken Hand. So zog er ihren Kopf nahe an sich heran. Aber er küßte sie nicht, nur einen Augenblick lang hielt er sie so nahe bei sich im Schweigen. Dann begannen sie beide weiterzugehen, im gleichen Schritt, erst langsam, als ob sie sich schwer von der Stelle der Straße trennen könnten, und dann in ihrem gewöhnlichen Schritt, und so sagten sie einander an der Schwelle ihres Hauses adieu wie immer.

Daheim trat die alte Magd ein und trug das Mittagessen auf: eine Kriegsspeise, Kälberzähne genannt, und als Nachtisch Wrukenkompott, sacharingesüßt, mit Roterübensaft gefärbt, und Flossies Werk, einen Pudding, der aus chemischen Bestandteilen zusammengesetzt war.


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