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VI.

Konrad brauchte die Tür zu seiner Wohnung nicht zu öffnen, Flossie stand strahlend, aber nicht ganz so strahlend wie sonst, in ihrem hellgrünen Musselinkleidchen, mit roten Glasperlen um den Hals, vor der offenen Tür und nahm ihm sofort die Aktentasche ab.

»Was? Mein Immelein hat seine Stullen alle wieder heimgebracht?«

Der Arzt sah seine Frau an. Wollte sie nichts wissen?

Der Tisch war gedeckt, die alte Minna kam und trug auf. Konrad ließ die Achseln hängen und aß nichts. Die Frau seufzte auf, beide schwiegen. Auch die Frau aß nichts, obgleich ihr »der Wolf im Magen saß«, denn sie hatte Bärenhunger. Während sie mit ihren schönen, langfingerigen Händen die bunten, nicht mehr ganz frischen Blümchen in einer Vase ordnete, ließ sie ihre Blicke zwischen dem Gesicht ihres Mannes und den gefüllten Tellern abwechselnd umherschweifen. Schließlich faßte sie sich ein Herz und stand auf. Leise, um ihr im ersten Nachmittagsschlaf liegendes Töchterchen Otto nicht zu wecken, trat sie hinter den Stuhl ihres Mannes und faßte ihn von rückwärts an den Schultern. Er zuckte zusammen, die Schultern waren seine schwache Seite. Vielleicht war der Druck zu stark, aber ihre Hände blieben da, in den gestreckten Armen zeigten sich auf beiden Seiten an den Ellenbogen niedliche, weiche Grübchen in der glatten Haut. Sie beugte sich lächelnd über ihn und sah ihn innig an. Ihr Kopf mit dem schönen weizenblonden Haar über den unregelmäßig geschnittenen Zügen rückte mit jedem warmen Atemzug von rückwärts näher an seine kalte Wange. Mit ihren kleinen Ohren rieb sie sich so lange liebkosend an ihm, bis er zu lächeln anfing, schwer, zögernd, aber doch. Als hätte sie nur darauf gewartet, lief sie um den Stuhl herum, schob den Tisch etwas heftig fort, so daß es klirrte, dann setzte sie sich ihm auf den Schoß und steckte ihm eine Kirsche nach der anderen, nachdem sie sie in einem Wasserglas gewaschen hatte, in den Mund. Die Kerne nahm sie ihm mit einem Suppenlöffel ab. Nachdem die schöneren, frischeren und festeren Kirschen von ihm verzehrt waren, begann auch sie welche zu nehmen, die minderen und weicheren, und dann auch etwas von dem Kotelett und ein winziges Kartöffelchen nach dem anderen, etwas für die liebe Imme, etwas für sich, und als das Mädchen wieder zum Abservieren kam, gab sie ihr einen Wink, alles da zu lassen, wie es auf dem Tische stand, denn sie wollte sich ein Herz fassen und den Stier bei den Hörnern packen.

Es war ein ungeschriebener Vertrag in ihrer Ehe, das wußte sie und das war lange Zeit, besonders in den Jahren vor Otto, ihr Schmerz gewesen, über »ihn« zu schweigen. Aber auch viele andere Fragen hatten die Gatten in ihrer bisher vollkommen harmonischen, beneidenswert glücklichen, in ihren Kreisen geradezu als mustergültig bezeichneten Ehe nie besprochen. Wozu auch? Jeder der beiden Gatten regelte, was in seinem Bereich lag, und beide wußten sich im wesentlichen einig. Sie hatten nie Streit gehabt, nicht einmal einen kleinen. Heute wußten sich beide keinen Rat. Konnte man »ihn«, Rudolf, auch jetzt noch mit Schweigen übergehen? Sie konnte es nicht und wollte es nicht, obgleich ihr vor einer Stunde ihr Vater, der Konsistorialrat, unbegreiflicherweise diesen Rat gegeben hatte.

Flossie war von Konrads etwas unbequemem Schoß wieder herabgeglitten. Sie hatte vor Worten keine Angst. Sie war sich bewußt, daß sie »guten Willens« war, und sie hatte während des ganzen Vormittags schon die Schritte überdacht, die sie, ihr Mann und ihre Angehörigen unternehmen müßten, und dabei war ihr klargeworden, daß vor allem einmal alles zur Sprache gebracht werden müßte.

Wie gern wäre der Arzt die gleichen Konflikte, alles, was mit der Verhaftung seines Bruders, mit dessen Vergangenheit, dessen Zukunft zusammenhing, für sich allein in Gedanken durchgegangen! Hätte er nur die fünfzehn Minuten auf dem Heimweg für sich gehabt! Aber der gute Kaplan Jarausky war nicht von ihm gewichen, und er hatte sich nicht sammeln können.

Jetzt zog er sich in sein Arbeitszimmer zurück. Seine Frau wollte ihn nicht allein lassen, sie kam ihm nach. Während er sich in dem alten Ohrensessel niedergelassen hatte, fegte sie mit ihren etwas schweren Schritten, so daß das Tintenzeug auf dem Tische klirrte, im Zimmer umher, mit einer stereotypen Bewegung strich sie über die Buchreihen der Bibliothek, um zu sehen, ob nicht da oder dort noch Staub lag, denn Staub haßte sie ebenso wie Lüge, Krankheit, Feigheit – und die Polen, die Kommunisten. In einem der grünseidenen Vorhängchen, die über einen Teil der Bücherei gespannt waren, hatte sie verdächtige Stellen bemerkt. Doch nicht Motten in ihrem Haus?! Aber neben der Erfüllung ihrer Hausfrauenpflichten, die ihr zur zweiten Natur geworden waren und denen sie oft ganz mechanisch nachkam, gingen ihr heute mittag andere Gedanken durch den Kopf. Daß ihr Mann so lange schwieg, schien ihr ein böses Zeichen. Hätte er ihr den Tatbestand, alles, was sie schon am frühen Vormittag durch ihre alte Freundin, Frau von Ohr, erfahren hatte, mitgeteilt, so hätte sie versucht, sich mit den Tatsachen abzufinden, vor allem aber ihr »Immenherz« zu verstehen, auch wenn sie es nicht verstand. Aber er preßte die dünnen Lippen nur um so fester zusammen. Die Kraft der Rede, die er in Gegenwart des Untersuchungsrichters entwickelt hatte – denn er konnte reden, wenn er mußte, und sogar sehr leidenschaftlich seine Meinung verteidigen – war dahin. Konnte aber Flossie zuwarten, sich noch länger in Geduld fassen? Durfte sie das? Wen konnte sie fragen außer ihren Imme? Imme hieß alles: Immer! (abgekürzt), Imme (die fleißige Biene), I. M. (innigstgeliebter Mann), in zahllosen zärtlichen Abarten, die ihr bei Tage unter der Arbeit, sogar nachts im Traume einfielen.

»Aber du, mein geliebtes Immenherz«, begann sie, »wir müssen jetzt beide flink die Augen aufmachen, Blindekuh gilt nicht. Du brauchst nichts zu sagen, ich weiß, wie schwer es dir fiele, schließlich ist es doch dein Fleisch und Blut, und wie wäre es mir, wenn ich dir, mein alter Junge, erzählen sollte, Doralies hat gestohlen, einen goldenen Federhalter oder so, und sitzt im Gefängnis, es wäre mir furchtbar, lieber bisse ich mir die Zunge im Munde ab. Ich versteh' dich also gut, aber es hilft uns nichts, diesmal ist Reden Gold und Schweigen Silber. Nun, hörst du gut zu? Ich mag diese dummen Falten auf der Sorgenstirn nicht sehen, mach doch glatt, du Dummer! Glaubst du, ich weiß nicht, wer du bist und wer der andere ist? Das kann überall passieren, von dem gesündesten Baum klatscht einmal eine wurmstichige Birne herunter. – Jetzt mach dir's bequem, ich will dir den Kragen abknöpfen, ist wirklich ganz verschwitzt und muß dich ja würgen, du armer Immenwurm. Siehst du, und hier, wo der dumme Kragenknopf sitzt, da hast du eine rote Stelle, die möcht' ich zu gern wegküssen, du weißt janicht, wie rasend gern aus ganzem Herzen ich dir alles ersparen möchte, was dich drückt. Ist dir jetzt leichter, du Ärmster aller Armen? Doch! Denk an das Gute im Leben! Wir haben ja auch schon massig schwere Zeiten durchgemacht, verzagt wird nicht bei uns, verzagen sollen die anderen!! Erinnerst du dich an unser Verlobungsessen, an die rote Pferdefleischmarke, und wir haben doch kein Pferdefleisch gegessen! Hab Vertrauen zu mir! Flossie, die dämliche Kreatur, wird immer wissen, wo hinaus. Denk nicht daran, versprich es mir, nicht an ihn, meine ich, du alte Kummerstimme, was aus ihm wird, schlag's der Hagel! Nur an uns denk, an dein Kind und an mich, dein Mädilein, deine ehrbare Gattin, meine Winzigkeit! Es ist ja Lenz, Pfingsten kommt. Denkst du, du bist der einzige, der zu stöhnen hat? Aus! Aus! Stöhne nicht! Atme tief! Gestern hat mein Papi gepredigt in der Garnisonkirche vor der Reichswehr, wie ein Stahlgewitter hat es eingeschlagen, und immer mit der Faust aufs Bibelpult und mit dem Buch aufs Kanzelgitter, daß es nur so dröhnt! Es kann ja in der Welt so nicht weitergehen, wir müssen raus! Rauf! Ran! Wir müssen uns ermannen, und der Teufel soll die Weichlinge holen, mit den Starken aber ist Gott. Oft denke ich, wie traurig, daß mein allerliebster Herzensmann nicht neben mir im alten Familienkirchenstuhl sitzt, mitten in unserer alten Gemeinde. Und unser Kind von dem alten Speckkragen, dem polnischen Pfaffen, das heißt Pater, getauft, mein Kind! Wärest du unser, versteh mich recht, liebster Immenmeyer, alles wäre anders gekommen. Wir knien nicht soviel, wir betteln nicht um Gott, Frieden ist ja Quatsch, nicht? Um unseren deutschen Gott brauchen wir nicht zu betteln, wir holen ihn uns, das ist unser Pfingsten, das Fest der Auferstehung. Du sollst tief atmen, durch die Nase rein, diese prachtvolle Frühlingsluft, und durch den Mund wieder heraus! Aber du machst es ja umgekehrt, du stöhnst ja, so habe ich es nicht gemeint! Nein, du komisches Purzelchen, ganz verkehrt – jetzt hab' ich dich doch abgeschleckt, ich – mir ist ja zu wohl bei dir, dir auch? Mir ist wohl. Vorhin, während des ganzen Vormittags, war mir so nach dir, ja, du alte Flossie, hab' ich mir da gesagt, ich muß dir schon sagen, du bist oft ein kleinmütiges Schaf. Da hab' ich mir die alte Violine aus dem Kasten geholt und dem Kind, unserer Otto, einen alten Marsch vorgekratzt auf der Geige, ein bißchen rostig klang es wohl, aber der Takt war schon der rechte, und das Kind hat nach dem Fiedelbogen gegriffen und gekreischt und die Beißerchen gebleckt. Beinahe hätte Otto gelacht. Aber ganz doch nicht! Da könnt' ich es fressen und denk' mir, wie müßten wir drei glücklich sein! Und wir werden es auch sein, verlaß dich auf mich! Ich bin bärenstark, kein Wiesel, sondern solid in Knochen, mich wirft nichts um. Da habe ich nicht begreifen können, daß ihr zwei sollt Brüder sein wie ich und Doralies Schwestern. Es will und will mir nicht ein, immer mache ich mir vor, alles ist ein Fez, ein dummer Ulk, und Rudolf ist kein Dieb und kein Landstreicher und kein – ich schweig' schon, ich kann schweigen wie ein Massengrab – tausend drunter und nicht ein Name droben! Im Schweigen bin ich groß. Du kennst mich noch gar nicht. Aber was hilft's, die Leute munkeln und tuscheln nicht mehr, sondern nennen ihn ganz frech mit unserem Namen, das Blatt bringt »ihn« sicherlich großgedruckt, erste Seite. Alles er. Jetzt wissen es alle. Wir müssen es büßen. Heute nachmittag sollte Kaffeekränzchen hier sein, aber die Damen haben alle durch die Bank abgesagt. Ich hatte schon ein Achtel Schlagsahne bestellt, rechtzeitig habe ich noch abgerufen. Sie kommen nicht, jetzt kommen auch die nicht mehr, die uns bisher noch nicht gemieden haben.«

Die Frau hatte sich auf die Platte des Schreibtisches gesetzt, den Kopf auf den linken Ellenbogen aufgestützt, die blonden Haare etwas zerrauft. Jetzt atmete sie hörbar, sie dachte angestrengt nach. Niemals war dem Arzt seine Frau so begehrens- und besitzenswert erschienen wie jetzt. Ihre korallenfarbenen, zart geschwellten Lippen, seit der Geburt der Tochter etwas weicher geworden wie das ganze unregelmäßige Gesichtchen mit den Rosenfarben – Purpurrose die Wangen und Teerose die Stirn und der Hals, und in den ebenmäßigen Zähnchen die Farbe der weißen Rose, nicht ein kalkiges Weiß, sondern ein ganz leicht cremefarben getöntes, alles Zeichen einer herrlichen, strahlenden Gesundheit. Niemals hatte Flossie einen Arzt gebraucht, nie war sie beim Zahnarzt gewesen. Es entströmte ihr ein feiner Duft, er erhob sich von der feuchten, hell schimmernden, faltenlosen Stirn, wo das blonde Haar ansetzte, von den Ellenbogen, den Achselhöhlen, dem kindlich geöffneten Mund. Konrad sah sie an und – dachte an seinen Bruder. Er hatte sich eben erinnert, daß schon in dem alten Feldpostbrief seines Vaters von Rudolfs »Eigentumsdelikten« die Rede gewesen war, und diese Eigentumsdelikte spielten vielleicht jetzt bei den Verhören und der Verhandlung eine große Rolle.

Er stand leise auf, streichelte seiner Frau im Vorübergehen das Haar und holte aus dem Geigenkasten des Vaters, der wie ein älterer Bruder neben Flossies Geigenkasten stand, das alte Exemplar der Feldzeitung. Jetzt sah er am Fenster die stark vergilbten Blätter mit der fast unleserlich gewordenen Schrift der verblichenen Kriegstinte an. Mühsam fand er eine Stelle, sie war weniger umfangreich, als er gedacht hatte, eigentlich nur wenige Worte: »Er leidet unter Angst«, dieser Satz fiel ihm zuerst in die Augen, dann las er die anderen: »Kümmere Dich, liebster Konrad, besonders um Rudolf, um den ich mich törichterweise sehr viel sorge. Er ist ein prachtvoller Kerl, das sieht man ihm an... Er braucht vielleicht mehr den Arzt als den Richter ...«

Konrad hatte nicht mehr die Geduld, die Stelle zu suchen, wo von den Eigentumsdelikten die Rede war. Schwer entschloß er sich, den letzten Brief seines geliebten Vaters zu vernichten, aber er tat es um derer willen, die über seinen Bruder zu Gericht sitzen und alles zu seinen Ungunsten auslegen würden. Ohne daß ihn, wie er glaubte, Flossie sah, ging er ins Speisezimmer zum Ofen und wollte das Schriftstück dort verbrennen.

»Besetzt!« rief Flossie plötzlich mit ihrer hellen Stimme vom Schreibtisch her, und tatsächlich sah er im Ofeninnern etwas Weißes schimmern. »Das sind meine Geheimnisse, du Immentor«, sagte sie, »hier habe ich im Sommer meine Mottenkiste, Wollstrümpfe, aber auch mein seidenes Hochzeitspaar, das heben wir auf, bis ich Großmütterchen bin, Handschuhe, Jumpers, Schlumpers, alles fest in Papier verpackt und in die Ofenhöhle gestopft! Mein Rezept! Die Direktorsfrau macht's jetzt auch! Da müssen all die kleinen Motten weinen, vor dem Ofenloch sitzen sie, müssen ihr Ränzlein schnüren oder Hungers sterben, und ich soll wohl nicht lesen, was du da hast? Ja, gut so! Zerreiße das dumme Zeugs nur in tausend Stücke. Wenn mein Mann nicht will, daß ich etwas weiß, so soll ich es auch nicht wissen – eine deutsche Frau ist ihrem Mann aus Liebe Untertan. Nicht sklavisch, sondern immer nur frei, nur aus Liebe! Das ist Goethes Wahlspruch gewesen, im Petschaft eingekratzt, und, weißt du, ich bin nicht so, wie viele da bei uns im Lande. Denn wenn ich etwas von Goethe höre, dann stehe ich stramm. Zum Lesen komme ich nicht, aber das eine weiß ich, Goethe war deutsch, denn er hat alles verstanden, selbst eine Kindesmörderin, und das ist noch ärger als ... einfach das Gräßlichste von allem. Ich will versuchen, deinen Bruder zu verstehen, siehst du, ich kann nicht einmal sagen »mein Schwager«. Wäre er nicht dein Bruder, in weitem Bogen wiche ich ihm aus. Ja, sag, du brave Musterimme, du Herzensmann, weiß er denn, was er uns angetan hat? Oft, wenn ich's mir überdenke, ich begreife es nicht, mir ist, als wäre er irr. Aber dann käme er doch auch nach »Waldfrieden« wie deine Mutti, nicht? Und siehst du, dort ist es gar nicht so schlimm, die Leute können sich nur gegenseitig was antun, und das ist doch nicht so schade, nicht? Aber auf die anderen unschuldigen Menschen werden sie nicht losgelassen. Dein Bruder müßte doch fühlen, daß er ums Leben das nicht hätte tun dürfen, das alles. Wir werden hier nicht mehr leben können, du weißt ja, wie ich mit dir an jedem Stückchen hier hänge, selbst den dummen Schwedenpark liebe ich von Herzen, weil hier ein gewisser Jemand und eine gewisse Jemandin sich einmal hier unter dem Faulbaum beim Bismarckdenkmal den ersten Jugendschmatz gegeben haben. – Aber es hilft ja nichts, wir müssen rücken, am besten in aller Stille bei Nacht und Nebel. Denn kannst du dir denken, daß wir bei Frau Postinspektor und beim Herrn Rolandapotheker und bei meiner alten Schuldirektorin zum Abschied die Karten abgeben und sagen, ja, Dr. Konrad und seine Frau Flossie und Familie – wie süß jetzt die Otto schläft! – ja, die alle müssen fort, weil der Herr Bruder einen Raubmord – oder gut, soll es ein gewöhnlicher Mord sein – begangen hat? Sieh mich nur nicht so finster an, du Immenmürre, ich habe ja keine Waffe je gehabt, nicht einmal ein Gänslein kann ich schlachten, das müssen andere besorgen, Blut mag ich nicht sehen, auch keine Wurst aus rohem Blut, wie es manche fressen. Bei Männern ist das vielleicht anders, und draußen, im Kriege überhaupt, da ist es etwas Heiliges, ein Psalm mit roter Schrift, auf dem braunen Erdengrund, sagt Papi, schön! Nicht? War er, der Rolf, doch kurz vor Schluß noch in den Graben gekommen und dort gefallen und dein Papi wäre dafür heimgekommen! Oder war er noch länger gegen die Kommunisten gezogen und sie hätten besser getroffen, die dämlichen Kerle! Nein, ich bin schon still davon. Ich will nicht richten, richten sollen Männer. Aber was hilft's, wir müssen fort, die himmlische Wohnung hier räumen und abhauen und die Sachen auf den Speicher stellen. Aber solange ich noch da bin, will ich ihm helfen, da kannst du, mein liebstes Konradieschen, auf mich rechnen. Laß das mir! Du verreist, Vater möchte gern, daß du dir erst mal das neue evangelische Kinderheim in M. ansiehst, du könntest da ein paar Wochen bleiben, dich einarbeiten, bist ja nicht dumm, vielleicht hast du Spaß dran, denk nur, lauter kleine, unschuldige, bildschöne Kinder – nein, auch kranke und schwächliche –, na ja, und gar so bildschöne wie unsere Otto werden sie ja nicht alle durch die Bank sein, es sind ja viele armselige Waisen und Proletenblut –– aber immer noch besser als das Gesindel, mit dem du dich hier abgeben mußt –«

»Nein, so einfach wird das leider nicht gehen, Flossie!«

»Doch, ganz einfach. Du sollst sehen, wie ich inzwischen für deinen Bruder sorgen werde. Er soll essen wie ein Prinz. Er kann gleich heute zu essen bekommen, das ist ihm erlaubt, der Direktor hat es gesagt. Er soll auch Sachen zum Anziehen bekommen, die Pyjamas von dir, aber ohne Schnur, nur mit Knöpfen, da werde ich mich wohl heute noch hinsetzen und die Knöpfe annähen, Perlmutter wohl, denn wegen Selbstmordgefahr darf er keine Senkel und Strippen im Gefängnis behalten. Pantoffeln wird er auch brauchen. Die neuen nimmst du mit auf die Reise, aber wir haben noch alte hier, und der Fußboden dort wird kalt sein. Ich will doch alles tun, habe schon den Bleistift gespitzt, will alles notieren, damit es nicht heißt, Flossie, das sture Kamel, hat wieder mal vergessen. Kann ich noch etwas tun?«

»Nein, liebes Kind!«

» Wie du das sagst! Wie eingelernt! ›Nein, liebes Kind!‹ Aber ich verstehe dich. Es kam dir zu überraschend, wie dem Kalb der Schlag mit der Axt vors Köpfchen, da sieht sich mancher staunend um. Laß endlich deine alte Flossie für alles sorgen! Ich bin so bärenstark! Wenn die Sonne scheint, muß ich lachen, wenn's aber hagelt und gießt wie aus Kannen, da schrei ich vor Vergnügen und kreisch! Solange ich da bin, wird dir und unserem Kind nicht ein Haar gekrümmt. Auch in die Zeitungen sollst du nicht kommen. Tun sie es doch, geh ich hin und zerreiße ihnen die Blätter und werf sie ihnen ins Gesicht. Wir sind doch zu gut dazu, du, mein Vater und meine ganze Familie. Nur erst einmal fort von hier. Hinter uns mag's brennen. Du sollst den Namen niederlegen. Mein Vater hat gute Wege zum Ministerium des Innern, man kann es uns nicht verwehren. Du willst etwas sagen? Nein, sag nichts! Ich muß die Pläne machen, da soll mich niemand stören. Siehst du, wie komisch, dann heiße ich wieder ebenso wie als Mädchen – die Leute werden glauben, ich bin dir davongelaufen. Aber ich lauf' nicht, mich wirst du nicht los, Kamerad! Für ihn im Zuchthaus wird gesorgt. Warum soll es nicht auch dort gepflegt zugehen? Vorläufig ist es ja bloß Untersuchungshaft, bis dahin kann noch manches passieren, geb es Gott! Nein, hör nicht hin, das war nur so gesagt, gib acht, wir machen es ihm dort im Gefängnis so gemütlich, daß er gar nicht mehr wird fortwollen. Dort ist es am sichersten für ihn, und was er schon arbeitet, kann er auch dort tun, nicht?«

»Nein!«

»Ja, du siehst es also auch ein, ja? Willst du nicht doch noch was Ordentliches essen? Nein? Die Kirschen waren doch nur zum Naschen! Nein? Ich will nicht klagen, aber wenn ich denke, daß dein leibhaftiger Bruder dort ist, wo unsereins, du und v. Ohr und mein Vater, nur als Vorgesetzte und Anstaltsbeirat ihren Fuß hingesetzt haben, und daß er als Doraliesens Schwippschwager –«

»Nein, Flossie! Jetzt mach einen Punkt! Du siehst es nicht so, wie es ist. Seine Schuld ist lange nicht erwiesen, der Staatsanwalt selbst ist im Zweifel. Ob der unselige Junge aller seiner Sinne damals beim Kiosk mächtig war, bei seiner Sucht, muß sich erst erweisen. Es ist heute nicht an der Zeit, über ihn den Stab zu brechen, und es gibt Wichtigeres, als an Doralies zu denken, die nicht das geringste mit: der Sache zu tun hat, liebes Kind!«

Flossie wurde knallrot, ihre Augen blitzten und ihre Finger krampften sich zusammen. Aber sie beherrschte sich und sagte: »Wenn ich dich verletzt habe, habe ich es nicht gern getan. Mit Willen sicherlich nicht. Ich wünsche ihm alles Gute. Er soll freigesprochen werden und recht, recht lange leben zu unserer aller Freude und Trost!«

»Ich glaube, du weißt nicht recht, was du sprichst! Wünschest du ihm, daß er zugrunde gehen soll? Ist das dein Ernst, liebes Kind?« »Jetzt schon zum zweitenmal ›liebes Kind‹! Warum? Was habe ich dir getan? Solche heuchlerische Waschlappenschmeichelzärteleien will ich nimmer von meinem Manne hören. Und da, sieh mich an«, sie war aufgesprungen, und mit ihrer mächtigen, vierschrötigen Figur, der vollen jugendlichen, leidenschaftlich bewegten Brust, den blitzenden Augen stand sie fest da, griff an und suchte sich zu verteidigen, »bist denn auch du süchtig? Siehst du nicht, in welche schauerliche Rue de Kack, mit Verlaub gesagt, wir durch das Untier geraten sind? Was wäre es nun für ein Unglück, das frage ich dich und jeden redlichen Menschen, wenn er plötzlich von selbst krank würde und uns die scheußliche Schmach und Schande ersparen würde? Was tun andere? Bevor sie sich ins Zuchthaus zerren lassen, knallen sie sich eins vor den Dez, und die Sache wird stillschweigend beigelegt!«

»Schweig! Halt den Mund! Genug!«

»Was, schweig? Halt den Mund? So etwas hört deine Frau heute zum ersten- und hoffentlich zum letztenmal von ihrem Mann! Will ich sehr hoffen! Verstehst du? Nein, du Mäuschen, versteh nicht, hör nicht hin, ist ja alles schnurzegal, wir wollen in einer solchen Stunde die Worte nicht auf die Wortwaage, nein, heißt wohl: Goldwaage, legen, nicht? Du bist ja mein allergetreuester Konradin, und ich bin wie immer. Gehen wir aus diesem Zimmer, hier liegt Zwietracht in der Luft. Und die Scharteken muffeln! Nein? Also auch gut! Mach doch die Stirn glatt, Liebster! Allerliebster! Oberimmeimmelein! Wir müssen ja jetzt zusammenhalten! Was soll denn sonst aus uns werden? Da darfst du mir nicht zürnen, nein? Lach doch lieber! Lachen hilft immer! Lache wer kann, weine wer muß! Und wenn du das nicht kannst, so atme tief, das kann die arme Seele noch am Fuß vom Galgen, dann rutscht es besser.«

»Laß mich jetzt bitte allein!«

»Nein, das will ich nicht. Bittebitte, verzeih mir, wenn ich was Ungezogenes gesagt habe, aber wir wollen jetzt nicht jeder für sich grübeln. Ich halte es nicht aus, ich halte es nicht aus!«

»Schrei nicht so! Schrei nicht, du weckst mir das Kind!«

»Schrei nicht! Du weckst das Kind? Und wenn ich es wecke, ist es deins? Bist du 48 Stunden in den Wehen gelegen? Und hast nicht gemuckt! Du oder ich? Da, da nimm dir deinen Bruder«, sie warf ihm die Aktentasche zu, in der sie Rudolfs Akten aufgehoben glaubte, »und laß mir mein unschuldiges Kind! Zwei Menschen ermorden und dann noch herkommen!! Das darf sein? Das ist dir recht? Wir müssen fort, bei Nacht und Nebel, mein armes Kind und ich, fort von dem Ort, wo unsere anständige Familie seit 1786 ununterbrochen und unbemakelt lebt, und ich soll noch nicht einmal den Mund auftun dürfen? Was, du glaubst doch nicht, daß ich mich an den Herd stelle, um für den Mordbrenner und Landstreicher zu braten und zu kochen? Im Leben nicht!«

»Dann laß es! Dann bekommt er Essen aus der Restauration!«

»Aber nicht von meinem Haushaltsgeld! Du hast kein Geld für ihn auszugeben! Zu verfügen habe ich. Ich spare, ich mache die schwerste Arbeit fast allein, mach du einmal einen solchen Haushalt sauber, scheuern und stöbern und putzen, überall muß es blitzen und blinken, aber von alleine kommt nichts. Ja, Menschen abknallen, das kann man allein, das macht keine Schwielen. Im Kriege habt ihr es ja gelernt. Nein! Sieh meine Hände an, hart und voller Nietnägel, was weiß ich von Handschuhen bei der Arbeit und von Maniküre, kaum daß ich Zeit finde, mich abends zu waschen und zu kämmen, wenn der gestrenge Herr heimkommt von seinen Sektionen und Visitationen. Du arbeitest ja auch? Du nennst es ja auch arbeiten! Aber besorge du einmal Kinderwäsche und Leibwäsche und Bettwäsche und Kochen und Plätten und Schrubben und Ausbessern und Gäste empfangen und Kleider instandhalten und flicken – mit 238 Mark im Monat, abzüglich Versicherung und tausend solchem Kram – alles mit einer alten, ungeschickten, ungelehrigen, unmodernen Dienstperson, das meiste allein, ich bin ja so allein, nicht, Imme?«

Sie legte den Kopf auf die Schreibtischplatte und begann zu weinen. Doch weinte sie vorsichtig so, daß die Tränen nicht auf die neue, aus weichem Holz bestehende, brünierte Tischplatte fielen, sondern auf die Falten ihres Rockes; es war Waschstoff, an dem die Tränen keinen Schaden anrichten konnten. An ihrem kleinen, aber dichten Haarknoten, den sie im Nacken trug, hatte sich eine Nadel gelockert. Flossie fand es so schön, sich jetzt in aller Ruhe ausweinen zu können, daß sie die Nadel auf den Boden fallen ließ. Und während sie in ihrem echten Schmerz mit ihrem Schluchzen den nicht solid gebauten Schreibtisch erschütterte, dachte sie daran, ob ihr »Immelein« die Nadel vom Boden aufheben und ihr ins Haar zurückstecken würde. Dann kannte sie eine alte Liebkosung, eine von denen, die sie zuerst erfunden hatte, kurz nach ihrer Verlobung, in den traurigsten, unruhigsten Zeiten der Inflation nämlich ihren Nacken gegen seine innere Handfläche zu pressen und dann wieder nachzulassen, etwas, das ihm wohltat und was sie immer bis ins Innerste hatte erbeben lassen. Aber diesmal kam es nicht zu dieser unschuldigen Liebkosung. Sie hörte zwar, wie sich ihr Mann aus dem Ohrenstuhl erhob und sich nach der Nadel bückte, aber er steckte sie ihr nicht ins Haar, sondern legte sie neben seine häßlichen Akten hin. Aber er war nicht kalt, nicht böse, nicht trotzig, sie kannte ja ihren Allergetreuesten, sie war nicht überrascht, als er sie bei den Ohren faßte, ganz sanft, fast so sanft wie bei der Nackenliebkosung, und ihr verheultes, nassen Gesichtchen zwischen seinen kühlen Händen nahe an sich hob: »Flossiechen, Liebes, du mußt Vernunft annehmen, du mußt mich begreifen!«

»Aber Konradin, was will ich denn anderes? Ich habe doch nur dich! Was ist mir Doralies, was ist mir der Direktor und der Apotheker? Ich kann doch ohne dich nicht eine Stunde ruhig leben, und ich möchte so gern, daß alles wieder ist wie gestern abend – noch vor diesem scheußlichen Anruf. Verstehst du mich denn nicht?« »Doch, mein liebes Kind, nein, das willst du ja nicht hören –« »Ja, ich will alles hören, auch ›liebes Kind‹, alles was du mir sagst, und alles tun, was du mir aufträgst, wir wollen ja immer das gleiche! Wie zwei starke Männer, nicht? Ich meine es ja gut mit dir! Und mit ihm auch. Er soll nachts die gelbe Daunendecke haben, ich brauche sie nicht unbedingt. Aber du mußt dich lossagen. Fort und nicht zurückgeguckt!«

Er schüttelte stumm den Kopf.

In Flossie regte sich der Zorn. Sie weinte selten, jetzt schämte sie sich ihrer Schwäche, um so mehr, als alles vergeblich schien. Absichtlich ihren Mann mißverstehend, sagte sie, während sie aufstand, um von nun an in dem Zimmer umherzugehen, was, wie sie wußte, dem ruheliebenden Konrad ein Greuel war. »Also die Decke braucht er nicht, meinst du. Hast ja recht, wie oft mag er auf freiem Felde geschlafen haben, nur von einem Heuschober zugedeckt. Er kann auch Anstaltskost essen, viele Arbeitslose und Kleinrentner würden sich alle zehn Finger ablecken, wenn sie es so fein hätten, alles ins Haus geliefert und ohne Arbeit! Ist es für die anderen gut, so ist es auch für ihn gut. Hab' ich recht?«

»Nein, meine Flossie, du hast nicht ganz recht. Er ist mein einziger Bruder. Was immer er auch geworden ist, mein Bruder ist er und bleibt er. So wie ich dich liebe, so liebe ich ihn auch.«

»So?« fragte sie höhnisch. »Das ist ja eine zu große Ehre. Prosche Panje! Küsse die Hand Euer Gnaden!«

»Flossie, nein! Laß das! Das steht dir nicht. Das ist deiner nicht würdig. Was soll ich denn tun? Du mußt dich in meine Lage versetzen!«

»Wozu denn? Auch das noch? Denke ja gar nicht daran!«

»Flossie, du mußt! Wenn dir etwas an unserem Frieden liegt, mußt du anders denken. Vielleicht ist es besser, wenn du jetzt auf ein paar Wochen von hier fortgehst. Du machst eben unsere Urlaubsreise nach Bayern allein. Lasse mir alles. In absehbarer Zeit ist alles geordnet, ich kann es mir nicht anders denken, und dann –«

»Und dann? Was? Du glaubst im Ernst, ich werde mich vor dem verkommenen Menschen, dem hergelaufenen Verbrecher davonmachen? ›Ein paar Wochen‹, sagst du so obenhin, und wenn es –«

»Hergelaufen? Mein Bruder? Hergelaufen bist höchstens du.«

»Also deine Frau! Danke schön! Immelein kann also auch stechen! Nein, ich gehöre hierher. Er nicht. Ich lasse mir den Mund nicht verbieten. Tu, was du willst, tut, was ihr wollt, ihr beiden treuen Kameraden, ich gehe nicht. Auf einige Wochen? Auf ein paar Jahre! Nach Bayern? Warum nicht gleich nach Amerika, nach Sibirien, nach –«

»Flossie, noch einmal«, sagte der Arzt, sich mit größter Mühe bezwingend, »ich meine es gut. Glaube mir. Laß es genug sein! Wir haben bis jetzt nie über ihn gesprochen.«

»Dumm genug! Feig genug! Niederträchtig genug!«

»Du sprichst, liebes Kind«, sagte der Arzt im Zorn, »wie ein Maschinengewehr schießt. Aber glaube ja nicht, daß jeder Schuß trifft! Also genug! Frieden! Laß uns nicht jetzt gegenseitig in die Flanken fallen. Du brauchst mich, und ich kann ohne meine Flossie nicht sein. Was soll ich denn tun? Soll ich ihn hassen?«

»Wer nicht hassen kann, der ist kein ganzer Mann. ›Die ganze Nacht: hab' ich gehaßt‹, hat mal Bismarck gesagt. Der war aber auch ganz drahtig. Ihr seid ja lauter Memmen. Wo ist denn euer Murr? Ist ja zu scheußlich! Wie komme ich zu euch? Dein Bruder und du! Du hast den Buckel außen, und dein Bruder hat den Buckel innen, Brüder seid ihr eben doch!«

Der Arzt war erblaßt. Er antwortete nicht.

Flossie trat zu ihm. Sie bereute sofort und war froh, daß er jetzt nicht vor ihr zurückwich. Mit dem sanftesten Stimmchen, das aus ihrer Kehle hervorzubringen war, begann sie von neuem. Dabei hatte sie ihre schönen langfingrigen Hände in seine Taschen gesteckt. In der vorderen Brusttasche links hatte der Arzt Bleistift, einen Taschenspiegel, Taschenlampe und andere Kleinigkeiten, welche die Frau jetzt Stück für Stück ausräumte, »es beult dir den Anzug gar zu sehr aus, nicht?«, und dabei liebkoste sie durch Rock und Hemd hindurch seine Brust, und in ihren Augen lag Angst, Liebe und eine tiefe Unruhe, wie er sie in den vielen Jahren nie an ihr gesehen hatte.

»Ich habe nichts gesagt«, begann sie dann, »nimm den großen Schwamm, lösch es aus. Ich habe das nie gesagt. Es sieht ihn auch kein Mensch. Ich nur weiß davon, als deine Frau. Das ist ja weniger als nichts, es macht dich nur interessant! Du weißt, wie ich dir gut bin. Für mich bist du und nur du und immer du der schönste, himmlischste Mensch auf Erden, das habe ich immer bewiesen, du bist schön, nicht wie ein geschminkter, veraffter Filmheld, nein, geistige Schönheit, das ist mehr wert. Ich bin ein niederträchtiges Geschöpf, ich hätte das nicht sagen dürfen, alles, gelt? – Nur das nicht. Manchmal regt sich richtig der Schweinehund in einem, bellt und grunzt! Verzeih mir bitte! Und nie mehr –! Glaub nicht, daß ich ohne Schuld und Fehler bin, auch ich habe meine Sünde, ich habe oft Schmu gemacht, ich habe Ersparnisse zusammengekniffen, und das ist auch schon ein Verbrechen. Wir sind ja alle schlecht, nur hat der eine mehr Pech, wie dein Bruder eben. Ich will jetzt alles für ihn geben! Bis 30 Mark, ich weiß, kann er jeden Monat im Untersuchungsgefängnis Erleichterungszuschuß haben, die will ich von meinen Ersparnissen ihm abgeben, das soll meine Strafe sein. Lieber, Liebster! Liebester , das ist beides in einem, so sollst du von heute an heißen, Lieber und Bester in einem Wort, das habe ich eben erfunden. Nur tu doch du auch etwas dafür! Bleib also ruhig hier. Nur das eine, ja? Versprichst du mir, daß du, nur bis nach der Hauptverhandlung, nicht zu ihm hingehst. Ist einmal das Urteil gesprochen, dann ist es etwas anderes, dann ist es Christenpflicht. Lutherisch wie evangelisch wie katholisch. Ganz gleich. Und wenn es selbst Zuchthaus wäre! Gewiß, Liebimme, dann sofort gehen wir zusammen hin, einmal in einem halben Jahr darf man, glaube ich – und du sollst sehen, wie ich mich überwinde. Wenn ich dann nicht will, gebe ich mir einfach eine Backpfeife und sage, ›Flossie, du Biest! Los!‹, und dann muß ich parieren. Es soll nicht heißen, daß ich dem armen gottverlassenen Mann hinter den schwedischen Gardinen nichts gönne. Alles soll er haben. Nur dich nicht! Nein, dich nicht! Nun fang' ich wieder an zu flennen! Dumme Flossie, ermanne dich, Schluß!«

»Flossie, es geht nicht.«

»Was, mein Immelein, geht nicht? Alles geht!«

»Daß ich so lange von ihm fortbleibe, bis das Urteil gesprochen ist. Er ist Kokainist, das weißt du. Man muß ihn davon befreien.«

»Recht so! Nur viel zu spät!«

»Gewiß spät, aber noch nicht zu spät! Er ist 25. Nur um ein Jahr älter als du. Er muß noch leben, aber ohne Kokain. Das ist ein sehr schwerer Eingriff in die seelische und körperliche Verfassung.«

»Eingriff? Verfassung? Dummes Zeug! Warum denn, was denn, wie denn?« fragte Flossie ungeduldig.

»Schwer, sehr schwer! Sogar der Staatsanwalt nennt es eine Roßkur. Ich kann ihn da nicht allein lassen. Er ist grau geworden.«

»Und du machst ihn goldblond?! Konrad, du großes Kind! Du wirst ihm auch nicht helfen. Du sollst nicht! Nein, du sollst nicht!« – Sie hatte gedankenlos begonnen, ihm die Kleinigkeiten wieder in die Taschen hineinzustopfen, und dabei stieß sie ihn bei jedem Gegenstand mit dem Finger an, jedesmal heftiger.

»Laß doch! Was soll das?« fragte Konrad und machte sich los. »Du kannst das eben nicht verstehen. Du kannst mir die Verantwortung nicht abnehmen.«

»Doch kann ich es. Ich verstehe alles viel besser als du. Du kannst studieren und spekulieren, aber ich bin praktisch. Ich nehme glatt alle Verantwortung auf mich. Ich will es, und was ich will, setze ich durch. Es geschieht. Schüttle du nur lange den Kopf, ich bleibe doch dabei. Du hast nicht ins Gefängnis zu gehen, zu ihm! Du hast die Hand von ihm zu lassen. Schluß! Er sei blond oder blau oder grau – du hast abzurücken, so schnell wie möglich! Was zur Erleichterung seines verpfuschten Lebens geschehen kann, es wird geschehen, laß Papa Ohr und meinen Vater und mich dafür sorgen. Wir werden auch einen Verteidiger bestellen, einen ordentlichen Mann, denn das muß sein. Du, alte Imme, laß die Hände davon. Ich als deine angetraute Frau und die Mutter deines Kindes erlaube es nicht, daß du ihm auch nur einen Finger reichst. Schüttle nur, schüttle nur, ich bleibe bei dem, was ich sage. Genug! Genug geliebt! Bist du denn eine Knechtsseele? Sich einem verbrecherischen Irren unter die Füße zu legen – aus lauter Liebe?! Das ist ja krankhaft! Ist denn das Liebe? Ist ja gegen die Natur! Genauso unnatürlich wie sein Kokoin!«

»Kokain!«

»Ja, sehr wichtig, daß du mich unterbrichst! Kikain oder Kokoin, du weißt ja doch, was ich meine. Du bist seine Krankheit, du hast ihn verhätschelt und bepuppt, ist ja zu komisch! Und er ist deine Krankheit, dein Kokain. Ist es jetzt richtig? Es ist ja keine dumme Laune von mir, kein neues Kleid, das ich von meinem Einzigen durchaus haben will. Kannst du denn nicht vernünftig und normal sein? Du kannst doch, du kannst es gut, ich weiß es. Ob ich hier seinetwegen noch eine Zeitlang bleiben kann, wird zu erwägen sein. Ich kann den Leuten die Stirne bieten. Du aber mußt auf jeden Fall den Menschen aus den Augen, und zwar am ehesten. Und anderswo etwas Neues einrichten! Gib dir nur Mühe! Das heißt, wenn dich der Untersuchungsrichter reisen läßt, aber natürlich läßt er dich reisen, denn niemand kann dich zwingen, auszusagen gegen deinen Bruder.«

»Für ihn.«

»Ach zum Teufel noch mal! Heiliger preußischer Himmelhöllendonnerwetterhund! Du sollst mich nicht unterbrechen, sag ich! Hör zu, Mensch! Du hast nicht zu warten, bis der Scharfrichter draußen im Entree klingelt, der für deinen Herrn Bruder gekommen ist oder, wie es der gnädige Herr sagt, gegen ihn! Du sollst nicht und du wirst nicht. Es wäre ja zu fürchterlich für dich. Fort, nur fort! Sag ihm, du hast nie einen Bruder gehabt, er sei als Kind ertrunken! Und wenn es ›nur‹ Zuchthaus ist! Du sollst alles so hell und rein und sauber haben wie ich! Tu es doch! Tu es deiner Flossie zuliebe, deinem Töchterchen Otto! Ich habe bald vielleicht eine Überraschung für dich, du mußt mir erhalten bleiben, ungebrochen, Immenheld, du mußt das von dir abwerfen, was du in deiner Güte und Humanität dir aufgeladen hast. Human sind nur die Krüppel. Du bist ja sonst nicht so weich! Mich läßt du bitten und flehen, und ja, verzerrst nur den Mund und ziehst die Schultern wieder mal noch höher! Du sollst doch nicht! Quäl mich nicht! Ich sag es dir! Diese Flossie kennst du noch lange nicht! Ich habe auch meine Rechte.«

»Willst du nicht endlich stille sein?«

»Nein, nicht bevor wir alles gesagt haben, was zu sagen ist! Laß läuten, das alte Telephon, mich kann jetzt die ganze Welt ...«

Er ging zum Telephon. Es war sein Schwiegervater, der seine Tochter sprechen wollte. Sie schüttelte nur mit dem Kopf. Er mußte noch einmal ans Telephon, den Konsistorialrat bitten, später noch einmal anzurufen. »Ja, alter Bursche, warum denn? Ist denn meine Tochter nicht da?« – »Meine Frau bittet dich, doch bald noch einmal anzurufen.«

Er hatte gehofft, seine Frau würde sich inzwischen beruhigt haben. Aber sie begann sofort wieder: »Ja, hättest du ein so weiches Herz auch gegen mich oder für mich und meine Kinder! Nur bei ihm bist du so butterlich. Als dein Vater fiel, da konntest du seelenruhig mit eurer Hilda Halma spielen. Viel Tränen hat man an dir nicht gesehen. Du kannst dich also auch beherrschen. Mal ein Menschenleben weniger, so ein bißchen geschossen, vergiftet, verbrannt? ›Sehr, sehr interessant, da muß ich gleich den Mikroskopkasten aufmachen, ja?‹ Und dann gehts los mit zehn Pferdekräften bis drei Uhr in der Früh. Ich kann hier oben warten, ich bin ja nur deine Frau. Aber wenn es dein geliebter Rudolf ist, dem das Blut nur so von den Pfoten tropft, ja, dann siehst du zartfühlend weg. Du seufzt, du schweigst. Du beherrschst dich zu wunderbar. Los, mach, los! Jetzt beherrsche dich nicht, sonst wird es bald zu spät. Ach, der Arme ist so grau! Du hängst dich ihm an und wo soll's enden, wenn nicht in der Hölle? Graut es dir denn nicht vor deinem Bruder? Kannst du so ruhig an der schwarzen leeren Villa des armen Teufels, des alten Zollikofer, vorbeigehen, macht es dir nichts aus, wenn du in den grausigen Schwedengängen an den Kiosk kommst, wo dein Bruder die braven Polizisten im Dienst niedergeknallt hat? Hast du denn kein Stäubchen Gerechtigkeitsgefühl? Bist du ein Deutscher oder nicht? Einer darf massenhaft Menschen abschlachten, und du streichelst ihm noch die Hand, bloß, weil er dir wohlgefällt, nur, weil es dein Bruder ist? Was heißt denn Bruder? Sonst weißt du als Gerichtsarzt nie was von »Bruder«. Wo bleibt denn das Recht? Ich soll dir keine Vorwürfe machen, es steht mir wohl nicht zu, was? Ja, was ist dir denn das alles? Ich kenne ja diese scheußlichen Bücher hier, diese ganze Giftkammer, an der du dich nicht sattsehen kannst, worin du noch stöberst am Abend, wenn ich meine Pfennigrechnungen im Haushaltsbuch zusammenkrabbeln muß. Ich, mich nennen sie nur die Pfennigkönigin auf dem Buttermarkt, weil ich so markten muß. Und ich muß ja. Du nicht. Aber du fühlst dich in all dem Graus wohl. Und doch ist es nichts als Scheuel und Greuel. Nein, ich Kamel versteh' nichts davon. Als ob ein Bröselchen abgestorbenes Männerblut oder Weiberblut nicht ganz das gleiche wäre. Und was hast du geschafft, wenn du herausbekommst, daß das eine Bröselchen stammt von einem, der Hosen getragen hat, und das andere von einem Unterrock? Na, sprich doch, erklär es mir armem, dummem, unbelesenem Wesen! Was liegt denn daran, ob jemand so rum oder links herum erdrosselt oder erhängt worden ist? Das nennt sich wohl auch Medizin? Das soll wohl auch hohe Wissenschaft sein wie Theologie oder doppelte Mathematik oder die neue Astrologie? Wie lebst du denn? Was hat ein anständiger Mensch wie du bei einer Hinrichtung zu tun? Dann willst du dich an einen Tisch mit uns setzen und Zeitung lesen? Bist du ein Richter? Bist du ein Pfarrer? Bist du Beamter im Strafvollzug? Was du da alles treibst, es trägt ja nichts als nur ein lächerliches Schandgehalt, ein guter Operateur oder geschickter Zahnarzt verdient das, was sie dir im Monat geben, an einem einfachen Wochentag! Und was soll erst werden, wenn uns mal mehr Kinder kommen? Und wenn ich gar nicht an mich und meine dumme Wirtschaft denke, sag, du Kluger, was nützt es der Welt und deinem armen Volk, wenn du nachweist mit deinen Lexikas und Spektro- und Mikroskops, ob da ein bißchen Arsenik mehr oder minder in der Graberde ist, wen macht der Herr Doktor damit wieder lebendig? Oder ob jemand tot oder lebend noch, oder halb und halb, ins Wasser oder Feuer geraten ist? Laß doch die Toten die Toten begraben. Kümmere dich um die Lebenden!

Es haben es, Gott weiß, viele nötig. Es soll ein Heim gegründet werden für die Flüchtlingskinder aus O. S. – die Flüchtlingsfürsorge sucht nur noch einen Wohltäter mit einer halben Million, könntest du nicht an einem solchen Werk als Doktor mitarbeiten, national und human und gut bezahlt, hoff´ ich, alles, was der Mensch sich wünscht! Und alles Gute in einem Brei! So wäre es auch für mich ein anderes Leben! Erinnerst du dich, immer habe ich mir gewünscht, ich möchte mitarbeiten. Dümmere Arztweiber helfen ihren Männern, es erspart eine Hilfskraft und trägt. Glaubst du, es ist ein Märchenspiel, wenn ich nichts als in der Küche stehe und emsig Zwiebeln schneide zum Hackepeter? Wenn ich dich dann mit einem Kuß bedenken will, muß ich mir mit Zitronenscheibchen die Lippen abreiben, bis es feste brennt. Das ist mein Parfüm. Die Violine kenne ich schon eine Ewigkeit nicht mehr. Glaubst du, es füllt mein Leben aus, Rezepte für Resteessen zu machen, daß ja nicht ein Hühnerflügelknöchelchen in unserem Haushalt verlorengeht, erst in den Mund genommen und alles Fleisch abgenagt und dann montags durch den Wolf gedreht und dann Mehlschwitze daran und Parmesankäse, deutschen, versteht sich, zerrieben und das Ganze in einem hohlen Apfel oder in einer neuen Kartoffel ausgebraten. So muß ich mich plagen, und ich tue es ja gern, aber abends, wenn ich unter der Hängelampe bei dir sitze, Liebster, denkst du nicht, daß ich es da so recht, recht von Herzen gemütlich haben möchte mit meinem einzigen Mann? Aber was tut der Mann? Er verfaßt Gutachten und Bösachten über Verbrannte und Erhängte, Selbst- und andere Mörder, Irre und Zuchthäusler, und ich bin ihm Luft.«

»Aber das bist du niemals! Man muß doch nicht alles aussprechen. Was braucht es das zwischen uns? Und was hat das alles mit Rudolf zu tun?«

»Du kannst noch fragen? Alles! Alles und noch mehr! Das ist ja sein Leben, nicht das meine. Aber neben ihm würdest du nicht so still sitzen und in den muffigen Zeitschriftenbänden kramen und mir die Nadeln aus dem Nähkörbchen stibitzen und die Seidenfädchen aus dem Flockknäuelchen ziehen, um dir Lesezeichen zu machen. Da würdest du sprechen, würdest erzählen, was du Schönes und Gutes tagsüber erlebt hast. Eine Hausfrau ist ja auch ein Mensch! Ich will ja verstehen, so dumm ich auch bin. Aber mich liebst du ja nicht! Ihn, den Halunken mit der ondulierten Tolle, den liebst du!«

»Flossie, wie kannst du so etwas sagen? Wie kannst du nur einen Augenblick –«

»Das sind ja alles nur polierte Redensarten! Das ist keine Natureiche. Mich läßt du gehen. Ihn willst du behalten. Nimm ihn doch als Schlafburschen! Aber er geht ja nicht zu dir! Nimm ihn nur an dein Herz! Er gibt dir einen wackeren Rippenstoß oder einen abgefeimten Jiu-Jitsu-Griff! Wozu brauchst du eine Frau? Was soll dir ein Kind? Er ist dir ja das Kind und die Frau! Geh doch hin in das Kittchen und wache über seinen Schlaf und füttere ihm sein geschminktes Maul! Mich laß in Frieden! Nein, ich lasse dich nicht gehen. Du sollst mir nicht den Mund verbieten. Habe ich nicht alles getan, Liebster, was eine Frau tun kann? Ich habe dich ja geheiratet, ich Dumme, und habe gewußt, in was für eine Familie ich hineinheirate. Ihr seid ja alle nicht recht gesund, die Mutter in ›Waldfrieden‹, auf unsere Kosten, Hilda, das schwindsüchtige Seelchen, in einsamer Zelle, in frommen Jungfraugebeten, Rudolf auch in der Zelle, vor Gericht, und unschuldig ist er nicht, ich schrei es heraus, ich fürchte ihn nicht! Und doch will ich mich immer noch an dich hängen, du alter Undank, du gräßliches Scheusal! Schüttle mich nicht ab! Du weißt, du darfst das nicht! Jetzt besonders nicht! Laß das Kind rufen, ich werde schon kommen, das Mädchen ist ja auch noch da! Ich gehe schon, aber nur mit dir! Laß das Telephon klingeln. Ich will rangehen, aber erst, wenn ich weiß, daß alles wieder ist wie zuvor. Doch! Bitte, Konradchen, doch! Bitte! Honigimme! Bitte! Du sollst mich wieder liebhaben, nur mich, ich will kein Zankweib sein, kein Maschinengewehr! Weißt du denn, wie du mich kränkst?«

»Nicht mit Willen! Nimm Vernunft an, und alles ist vergessen.«

»Ich soll Vernunft annehmen, ich ? Du, du mußt! Du mußt heute abend noch fort. Ich will dir packen helfen. Den kleinen Schweinsledernen sollst du haben, unsern schönsten. Ich will nicht, daß du noch eine Stunde hierbleibst. Vorhin habe ich verdächtige Gestalten auf der Straße umherlungern sehen, es sind sicher Journalisten, Pressephotographen. Sie nehmen dich auf der Straße auf, wer kann sich wehren, Schnappchen, und du bist verewigt, und du, mein Geliebtester, sollst dann an allen Bahnhöfen für 20 Pfennig als der Bruder des Raubmörders zu verkaufen sein? Nein, das wäre mein Tod, wo wäre dann unsere Ehre, ich ertrüge es nicht!«

»Nein, Flossie, was du verlangst, ist unmöglich. Wenn ich zu meinem Bruder gerufen werde, gehe ich. Das ist abgemacht. Dein Rat ist gut gemeint, aber ich kann ihm nicht folgen. Du weißt, ich kann auch nicht viel Worte machen. Du mußt dich damit abfinden. In ein paar Tagen denkst du selbst ganz anders darüber.«

»Niemals. Ich ertrage die Schande nicht. Die Leute werden mit Fingern auf uns zeigen.«

»Das werden sie erst recht, wenn ich ihn jetzt im Stich lasse.«

»Nein, du sollst ja an einen Ort, wo dich niemand kennt, und sollst vorläufig unseren Namen annehmen. Tu es! Tu es doch! Tu es für mich! Das ist für mich eine Frage auf Leben und Tod, auf Bleiben und Scheiden!«

»Hast du dir wohl überlegt, was du sagst?«

»Ich weiß, was ich sage. Ich bin nicht mehr das dumme Bäslein aus unserer Verlobungszeit. Wenn du den Menschen dort nicht aufgibst, bist du Flossie los.«

»Wie meinst du das? Drohst du mir? Was soll das sagen?«

»Ich will nicht.«

»Du willst dich also scheiden lassen?«

»Wenn du nicht nachgibst, ja.«

»Das Kind würdest du verlieren.«

»Laß es darauf ankommen. Kommt, holt es euch! Aber kommt nicht ohne Gesichtsschuster wie bei einer Studentenmensur! Paßt nur auf, wenn euch eure Augen lieb sind! Ich möchte wohl das deutsche Gericht sehen, das der Tochter meines Vaters zumutet, einen solchen Namen zu tragen und meinen Kindern auch.«

»Es ist das erstemal, daß du die Tochter deines Vaters gegen mich ausspielst.«

»Ich kann ja nicht anders, du treibst mich zum Äußersten. Du liebst mich ja nicht.«

»Ich will dir das Wort nicht zurückgeben. Willst du dir nicht noch einmal alles in Ruhe überlegen? Morgen können wir weitersprechen, jetzt möchte ich allein sein.«

»Morgen? Damit du heute die ganze Zeit bei dem armen ergrauten Kind im Gefängnis hocken kannst? Ja, Ottochen. Deine Mutti kommt schon. Nun, Konrad, sprich! Sag ja! Ich habe überlegt.«

»Ich möchte allein sein. Ich habe zu arbeiten. Ich will mich auch mit einem Anwalt in Verbindung setzen.«

»Wegen der Scheidung oder wegen der Verteidigung?«

»Überlaß das mir!«

»Nein, das überlasse ich dir nicht! Soll es zur Scheidung kommen, dann werde ich es sein, die sie eingereicht hat.«

»Gut. Und jetzt kümmere dich um das Kind, bitte, ja?«


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