Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Heinrich Heine

Wenn man an Heinrich Heine denkt, sieht man zuerst immer den Lyriker vor sich. Das lyrische Gedicht scheint den Grundzug seines ganzen Wesens auszudrücken. Auch das Äußere Heines, die gebeugte in sich versunkene Haltung, der in unbestimmte Fernen gerichtete dunkle Blick, das träumerische Spiel der ineinander verschlungenen Finger – das alles sind Eigentümlichkeiten des melancholischen Sängers. Dieser zarten Hand sieht man es nicht an, daß sie den polemischen Degen zu führen wußte, diesen schmachtenden, länglich geschnittenen schönen Augen merkt man es nicht an, daß sie scharf, überscharf zu sehen vermochten auch in die Zukunft – und ebensowenig war der ganzen Persönlichkeit Heines von vornherein anzusehen, daß sie in dem umfangreichsten Teil ihres Lebenswerkes sich mit den Ereignissen des Tages – was sage ich, nicht nur des Tages, sondern auch der Stunde und der Minute – beschäftigt hat. Nicht allein das Ewige, das Dauernde, das Gültige hat Heine angezogen, sondern auch der Zauber des Augenblicks, das Sonnenspiel der letzten flirrenden Sekunde – aber alles angesichts des Ewigen. Diese ganz eigentümliche Mischung von Festem und Gleitendem, von Ehrfürchtigem und Spottendem, von Sehnsüchtigem und Lachendem, von Aufbauendem und Auflösendem ist Heine eigen, und zwar in so hohem Maße eigen, daß man jede Stelle seiner Prosawerke aufschlagen kann, um immer wieder diese seltsame Mischung zu finden, zusammengefaßt und dauernd zusammengehalten durch das Siegel seiner Individualität, ein ewiger Widerspruch, seines Widerspruches bewußt, dem Augenblicke gegenüber immer wahr, nie verlogen, naiv und kindlich trotz aller trüben Erfahrungen. Ein ewig Wissender, und doch ein ewig Fragender, ein ewig Spottender – nie von seiner ganz unbeschreiblichen Anmut verlassen, die jeden seiner Sätze, auch bei seinen Gelegenheitsarbeiten adelt – das ist Heine, der Prosadichter. Aber das alles ist, nur durch die strenge Form des lyrischen Gedichtes gebannt, auch in seinen lyrischen Werken so. Und es ist eigenartig: So wie ihm die Prosa oft unter den Händen verflattert und er fast nie zu einem quadernhaft, auf Jahrhunderte festgefügten Werk kommt, wie etwa Kleist, der zu seiner Zeit lebte – so sammelt sich ihm Gedicht an Gedicht, wird zum Zyklus, zum Kreis, zum Mikrokosmos, zum winzigen Roman im Vers. Heines erste Verse erschienen 1821 in Berlin. Im Jahre 1826 kamen die ersten Bände der »Reisebilder« heraus – und schon das erste dieser Reisebilder, die berühmte »Harzreise«, beginnt mit einem lyrischen Gedicht »Ach, wenn sie nur Herzen hätten«, sagt er von den Bewohnern der Städte, von denen er sich trennen will, um auf die Berge zu steigen, »Wo die dunklen Tannen ragen. Bäche rauschen, Vögel singen, und die stolzen Wolken jagen.« Aber das erste Prosawort lautet: »Die Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Würste und Universität...« Hier zeigt sich schon sein Humor, die lächelnde Träne, mitten im Wortgefunkel seiner Prosa. Seine Gedichte sind einfach, volksliedhaft, eher zum Singen geschaffen als zum Vorlesen, aber seine Prosa ist kunstvoll, sie ist voll Geist, oder besser, voll Esprit, denn das französische Wort gibt das sonderbar faszinierend schillernde dieser Prosa besser wieder. Das, was der Dichter eben erst erlebt hat, was er mit nüchternem Verstande neben sich in Alltagshöhe eben gesehen hat, das setzt er unbekümmert neben die gewaltige Vision: »Und sie ließ mich am Leben, und ich lebe, das ist die Hauptsache. Mögen andre das Glück genießen, daß die Geliebte ihr Grabmal mit Blumenkränzen schmückt und mit Tränen der Treue benetzt. – O Weiber, haßt mich! Verlacht mich, bekorbt mich, aber laßt mich leben! Das Leben ist gar zu spaßhaft süß, und die Welt ist so lieblich verworren, sie ist der Traum eines weinberauschten Gottes, der sich aus der zechenden Götterversammlung à la française fortgeschlichen, auf einen einsamen Stern sich schlafen gelegt und selbst nicht weiß, daß er alles das auch erschafft, was er träumt... Gleichviel, ich lebe...« (»Buch le Grand«). Und zehn Seiten später spricht er spöttisch ironisch von der Kleinstadt: »Die ehemalige Friseurin meiner Mutter war Hoffriseurin geworden, und es gab jetzt dort Hofschneider, Hofschuster, Hofwanzenvertilgerinnen, Hofschnapsläden. Nur der alte Kurfürst erkannte mich, er stand noch auf dem alten Platz, aber er schien magerer geworden zu sein. Eben weil er mitten auf dem Markte stand, hatte er alle Misere der Zeit mit angesehen, und von solchem Anblick wird man nicht fett. Ich war wie im Traume ...« Dieses Wort von der Misere der Zeit ist sehr bezeichnend für Heine. Er sah die Misere der Zeit, die Kleinstaaterei, den von Zwergen gefesselten Riesen Deutschland, er sah die Reaktion, er war als Freiheitsmann landesflüchtig, und sein Spott und seine Sehnsucht waren eines. Aus Spott und aus Sehnsucht waren seine Tagesberichte gewoben, die er Jahr für Jahr aus seiner Verbannung in Paris nach Hause schrieb. Ein Meister des Wortes. Ein Mann der Freiheit. Und mit allen seinen Widersprüchen ein ewig lebender Mensch. Dürfen wir ihn unsterblich nennen?


 << zurück weiter >>