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[Der Film hat keine Tradition]

In jeder darstellenden Kunst, in der es auf Anteilnahme und Tiefenwirkung bis in die Masse ankommt, scheint ein gewisses Maß von Tradition oder Kultur unentbehrlich zu sein, also vor allem beim Drama und beim Film. In der reinen Dichtung liegt diese Überlieferung oder Tradition zum großen Teil schon in der Sprache, sie muß nicht erst von der letzten Generation, nicht vom einzelnen Künstler von Grund aus aufgebaut werden. Sowohl Aischylos wie Shakespeare sind Endergebnisse, denen Jahrhunderte schöpferischer Arbeit vorausgegangen sind.

Der Film hat keine Tradition, bloß eine mehr oder minder schlechte, auf jeden Fall schwächliche Vergangenheit. Die eigentlichen Kunstmittel des Films: Motivierung durch das Bild, nicht durch den Verstand, nicht durch das Wort, die Überzeugungskraft des geradezu protokollarisch Deutlichen durch die Fotografie, sind nie in endgültiger Form, also nie klassisch, nie für die Dauer ausgenützt worden.

Was auf dem Gebiet der Filmkomposition (denn von Filmdichtung darf man nicht sprechen) noch zu leisten wäre, ist unabsehbar. Die Dichter des Wortes wären nur als Künstler überhaupt, als absolute Gestalter, als Großherren der Phantasie imstande, hier mitzuwirken, ebenso wie jeder deutsche Maler, Bildhauer, ja vielleicht vor allen eine Art von Künstlern, die sich nur durch den Film ausdrücken können, die sich dem Film auch bis ins letzte hinzugeben bereit sind.

Es gibt unter den Dichtern, die jetzt leben, viele, die gern hier wirken wollten, aber es fällt ihnen von Natur aus schwer, auf ihre Form zu verzichten. Diese Schwierigkeit erhöht sich noch dadurch, daß sie wohl allgemein von der Filmindustrie nicht ernst genommen werden. In keinem andern Betriebe ist die Unsicherheit, die Unzuverlässigkeit, die Unsachlichkeit so groß wie beim Film. Der Film hat längst sein Millionenpublikum (das seine Gewohnheiten und Lieblinge hat), er hat sein Millionenkapital (das er verzinsen muß), er hat heute auch jeden Darsteller, den er will. Aber er will keine Dichter, keine Maler, er will keine endgültigen Leistungen, die nur das Resultat intensivster Zusammenarbeit des Film-Schöpfers mit seinem Material (Darsteller, Landschaften, bildliche Zusammenhänge, Atmosphäre, Musik) sein könnten. Mit einem bloßen Manuskript, dem dann die Industrie, nicht der Schöpfer das entsprechende Gesicht gibt, ist es nicht getan. Der Schöpfer müßte mitwirken, er müßte sachverständig werden, da er es jetzt nicht ist und nach der Lage der Dinge, wie sie sich durch Massenwirkung und Amerika-Export entwickeln, nicht werden kann.

Ich fasse zusammen: Es liegt nicht an den Künstlern, denen bisher die Industrie nie wahre Werkfreude, sondern nur Zufallsmöglichkeiten, nur den Klang und die Dauer der täglichen Publizistik und relativ geringe und unsichere Geldentlohnung geboten hat; sondern an der industrialisierten Produktion, die von ihrem allzuschnellen Wachstum überrascht, sich vor ihrem eigenen Schatten fürchtet. Eine Reform ist hier von einzelnen nicht durchführbar, heute auch nicht zu erwarten, künstlerisch gelungene Filme werden Zufallsleistungen bleiben, wie sie es sind.


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