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Die Freunde Flaubert und Maupassant

Wenn ein schöpferischer Geist vom ersten Augenblick an Reife, Sommer, Ernte, Fülle und Frucht gibt, dann gab er dies alles, der nun alternde Dichter, der vollkommene.

Knotige, polyedrische Fäuste eines Schiffbaumeisters zu äußerster Kraft waren ihm angeboren; aber die feinen Fingerspitzen umschwebten mit unbeschreiblicher Zartheit die Welt: Bäume, Menschen, das Faßbare und das Unfaßbare, die Luft und die Seele. Eines Gemmenschneiders liebend tastendes Gefühl verklärte seine Stärke.

Hier war, wenn je, Handwerk und Genie vereint.

Aber dem anderen, der, ewig jünglingshaft, in gespanntem Schwung und gelöstem Flug der irdischen Zeit, der zeitlichen Erde sich neigte, ihm war es gegeben, sich hineinzuschmiegen in aller erdhaften, tönernen Masken wiegenhafte Wölbung: in die blecherne Starre alter Generäle, in oval hinfließende Falten seidener Frauenkleider, in den spiralig nach rückwärts gewandten Kopf eines edlen Pferdes, in den verlotterten Laternenschritt einer abgemagerten Dirne, in die schmachtende Locke auf der niederen Stirn einer bürgerlichen Dame. Ihm war es gegeben, auch aufwärts zu streben, zu steigen vom bürgerlichen Bild zu dem lautlos hinstürzenden, sausend aufsteigenden Dämon; dies zeugte der jugendliche Dichter, Freund des alternden.

Noch war der Jüngling umgeben von dem zartesten, knabenhaften Hauch, als die Freundschaft begann: Es entrann auf eines Atemholens Pause der Alte seiner Arbeit. Stöhnend über der Last seines Handwerkes, fand er seine Meißel immer stumpf. Mit welcher Liebe, mit welcher Wut warf er die wirbelnde Kraft seines Genius über den toten Stoff, ein göttlicher Riese: göttlich den toten Stoff zu beleben, den Faden zu entfalten bis ins feinste. Göttlich sammelte er alles; Feuer, Erde, Geist und Äther, um das größte Werk menschenbildender Kraft zu bilden; er wollte, er mußte den Tod der Materie aufbrechen, den Stein malen in seiner Schwere, er wollte eine Statue der ewig quellenden Luft der Kunst abzwingen; und dies war sein letztes Ziel; die unbeschreibliche Unvollkommenheit des Menschen, die grauenhafte Gestaltlosigkeit menschlichen Lebens dennoch zu gestalten. Biographie und Dichtung sollten eines werden, aber nie konnten sie das. Er war gesegnet, er war verdammt, an diese Arbeit zu wenden, was er hatte. Der Schweiß der längsten Sommertage, der blaue Hauch reiner traumwandelnder Nächte, Wissen und Intuition, alles war vergebens. Hier war Vollendung nicht gegeben. Hier zuerst und zuletzt stand unüberschreitbar die große Grenze zwischen der Kraft und der Gnade, zwischen Tat und Leiden, zwischen Mensch und Gott.

Aber wie süß, wenn er, der Alte, die Hacke auf der Schulter, aus dem ewigen Weinberg seiner Mühsal trat und dem Antlitz des Jünglings begegnete: Rührend umwallte die Abendsonne das schwarze Porzellan des dichten Haares, das der Knabe trug; mädchenhaft glitt der Schatten über die matte Stirn, die aus sich selbst leuchtende. Der Knabe hielt die Augen gesenkt, er sprach nicht, wenn er den Blick hob und seine schweren Wimpern wie gespannte Saiten die tiefen Stufen der Augenlider schlugen, dann war es eines edlen Tieres großer Blick. Die Hände, abendsonnenfarben, waren innenher gestreichelt von gestreckten Adern, die bläulich schimmerten wie Tod. Doch unvergänglich schien seine Jugend jetzt, unversiegbare Stärke schwieg aus seiner Ruhe, wenn er die Hände beide gespannt hielt um die kantige Wölbung seiner gebeugten Knie.

Mönchisch umfasert gab sich der Alte. In derber Heiterkeit lugte sein bäurisch pfiffiger Blick, aber seiner Seele war gegeben: über alle Zeit Weisheit, Umfassen fernster Flächen alter Menschlichkeit, Wissen jeglichen Handelns, Griffe jeglichen Handwerks – Sprache und Stimme jeglicher Kreatur konnte er sprechen, er konnte zeugen jedes Tier, bis auf eines: das dumme. Ein zauberkräftiger Mönch, so ragte auch er über Sphären der Sinne und der Sinnlichkeit. Von Dämonen waren seine gewaltigen Schultern umwittert.

Aber hier, aber heute begegnete er, in väterlich treuer Würde, der mühelos sprossenden Jugend. Der Gigantische beugte sich nieder, ein Kamerad, angehaucht vom Duft der voll erntenden Frühe. Denn in der Frühe seiner Zeit erntete der Jüngling. Nicht aus mönchischer Reinheit gebar sich ihm Keim und Kelter, Form und Gehalt, er fand die Garbe gesegneter Vollendung sogleich und überall.

Selbst dort, wo der Schmutz am schmutzigsten war, wo die trübste Lauge des täglich erneuten Tags sich fing, auch dorther zog er Inhalt, Form und Stoff: Stoff waren ihm Jäger nach schönen Frauen, schnellem Wild, nach großer Mitgift und hoher Erbschaft; schwer befleischte Dummköpfe, von ihrer herrlichen Torheit wie Lampen vom Öl zehrend; Frauen, schön mit ihren kleinen Köpfen, denen hufeisenförmige Nadeln im japanisch aufgezäumten Haare glänzten; junge Mädchen mit eng gehöhlten und breit aufströmenden Hüften, überraschelt vom gerafften Taft; elegante Figuren; schmutzige Herzen; senffarbige Gesichter, unbeschreiblich in ihrer dürftigen Häßlichkeit, in denen dennoch die Reinheit der Seele ruhte, alles liebte er: Er liebte unendlich die Gegenden der Wüste Sahara, gesenkt am Rande, wie der Erde geglättete Fläche gegen Abend ermüdet: Marokkos staubige, hochgezackte Gebirge, Landschaften und Einsamkeit, Städte und Menschen, Gletscher und Kloaken: Betrüger, Diebe, Mörder, Erbschleicher, Tierquäler, Menschen der Mitte, Sportsleute, eisern auf ihren gestählten Schenkeln, Greise, triefend verfließende Seelen, Seelen ohne Unterlaß strömten ihm zu, um zu lecken am Quell seines Blutes. Selbst die sprachlose Kreatur, der Hunde jammerndes Herz, die Himmel alle und die Nebel, der blauen Mondstrahlen gewichtlose Verführung: Alles war sein.

Sie waren zwei Freunde, beide von Dämonen umflügelt. Aber der Alte, der zauberkräftige Greis, ritt sie, ehern gespornt, wie gotische Erzgeister, über die dumpf erzitternde Erde, und hatte sie.

Den Jüngling aber übergossen die Dämonen wie eine Wolke mit lautlos fallender Schwärze. In heimlicher Nacht kamen sie über ihn als Gespenst und Bedrückung, wenn er naiv wie ein Tier und schön wie ein Tier und krankheitslos, todesfern wie ein Tier in sich selbst ruhte: Von seiner Ruhe, aus seiner Lebensfreude trieben sie ihn auf, hetzten ihn, warfen seine Seele hin und fingen sie flugs wieder auf in ihren sicheren Fängen, denen nichts entglitt.

Noch freute es den Jüngling, auf dem im Sommer platzenden Spiegel des Flusses im Augustglimmer zu rudern in seinem schmalen, spitzigen Einboot, dem Skiff. Die eisernen Ausleger seines Kahnes fraßen die Hitze ein so wie sein in Gesundheit tief metallisches Gesicht, in dem die dunkelbraune Welle seines Bartes feingekräuselt inmitten schwebte über den schweigsam wollüstigen Lippen.

Es tat ihm wohl, mit Freunden nachts nach schweren Weinen und überwürzten Gedecken wortlos die langen Straßen zu durchstreifen, die Rauchwolke abzuwarten, die der erste Frühzug im Bahnhof Saint Lazare ausatmete; tief atmete der Mann die Ferne ein aus dem tiefen rußgeschwärzten Schacht – er gedachte froh der bergigen Gestade, der Meeresferne, des stundenlosen Daseins als Fischer, der Nachmittage im Schilf, des fremden Lautes, wenn er die flachen Köpfe der gefangenen Fische an den Steinen des Strandes zerschellte.

Bald aber waren die Flüsse seiner herrlichen Jugend befahren von unheimlichen Dämonen. Gesicht bekamen und Flüstersprache gegen seinen Willen die unbelebten Dinge. Zu eines Raubmörders ungeheuer logischer Fratze wandelte sich ihm seines treuesten Dieners ruhiges Antlitz.

Wenn mit feinen Schnüren seidene Mädchenkleidung neben dem Liebeslager schimmerte, war das nicht Mahnung, zuzugreifen und sich selbst zu erwürgen und dem eigenen Willen mit eigenem Willen ungeheuer logisch die Kehle abzuschnüren mit sicherstem Griff?

Tod brach aus der Erde rings um den Lebemann. Der Edle vergaß seine Haltung, der Kristall seines Seins verdunkelte sich innenher mit fürchterlicher Drohung.

Welche Zeit zwischen Wirklichkeit und Wahn!

Welches Leben, zwischen der gehaltenen Gestalt des Gestalters und den aufflatternden Gesichten des Kranken!

Es war nur ein Spiel: Ein böser Urgeist spielte nur mit den Falten seines Kleides, noch zerschmetterte er den Unseligen nicht, er raubte ihm nur, wie zum Scherz, Sprache und Stimme. Dem Jäger, Tänzer und Ruderer verlernte er den Gang und machte ihn auf Samtfüßchen gleiten. Der Mann durfte leben, heulen bei geschlossenen Türen, denken bei geschlossenem Gehirn. Er war und war nicht. Eines adeligen Menschen sich selbst zerstörende Reste hausten hinter breiten, weißen Zellentüren in der einsamsten Einsamkeit; selbst von sich selbst war er verlassen. Hier endete er, höllischer als ein gemartertes Tier, im dunklen Winkel, schüchtern geduckt.

Der andere aber, ein Erzengel mit gesammelter Kraft, schmerzlos und unzermalmt, stieg auf, hoch auf geflügeltem Tier emporkreisend, verließ er die Zeit. Er durchbrach sie, wie der Kondor eine Wolke durchbricht, mit gepanzertem Fittich. Er starb und war.


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