Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ein Wort zu Macbeth

Die Darstellung von Macbeth auf unserer modernen Bühne ist wohl immer und überall ein Problem für Schauspieler und Regisseure geworden. Das liegt zum Teil an den im Laufe der Jahrhunderte vollständig verschobenen Bedingungen, unter denen dieses Drama aufgeführt wurde.

Im allgemeinen gibt es zwei Typen: Entweder der Versuch, das konzentrierteste Leben, die im Anprall aneinander zündenden Funken, die sprechende, handelnde und leidende Menschenseele in ihrer stärksten Verdichtung auf die Bühne zu stellen als eine Art Expression; als treibende Kraft die Freude an den gesteigerten, oft ins Ungeheure ausblühenden Äußerungen der menschlichen Seele; Liebe, Haß, Kampf und Überwindung. Der andere Typus ist die Illusionsbühne, wie sie uns im Anschluß an die realistischen Darlegungen Zolas, Tolstois und Gorkis von Reinhardt gegeben worden ist. Hier ist der Zuschauer die Hauptaufgabe, er soll sich in die Bühne versetzen, soll das Proszenium überbrücken und ein Stück wirklichen Lebens nach Ende der Aufführung nach Hause tragen.

Wir können annehmen, daß die Darstellung zu Shakespeares Zeiten im höchsten Grade den Charakter der Expression gehabt hat, und zwar läßt sich gerade dies aus den zeithistorischen Dramen schließen. Gerade das Schicksal der eben mitlebenden oder eben vergangenen Generation, die Königsgeschicke der eben herrschenden oder eben abgesetzten Dynastie, ja selbst die Landschaft Londons, der Tower und die Brücken und Plätze der Stadt, all dies hätte niemals auf einer Illusionsbühne Platz gefunden; es bedurfte unbedingt der höchsten Zusammenballung in Darstellung und Dichtung, um nicht als Nachahmung der politischen Ereignisse zu erscheinen, die damals die politische Welt und jedes private Leben beschatteten. Wir können uns nicht denken, daß wir heute das Schicksal Nikolaus des Zweiten oder des Kaiser Wilhelm in Reinhardtscher wirklichkeitstreuer Wiedergabe ertragen könnten. Sollen diese Dinge auf uns wirken, sollen sie nicht ganz verblassen neben den Erinnerungen an das schaudernd Miterlebte, bedürfen wir eines monumental über alle Zeit gestaltenden Genies, eines Menschen, der zum zweiten Male als Gott, und als Gott in einer anderen Sphäre, die Welt zerschlägt und wieder und wieder aufbaut.

Als Darstellungsmöglichkeit könnte man sich hier nur eine durchaus stilisierte Bühne denken, wobei Stil immer Einfachheit, nicht aber Langeweile bedeutet, wo die Schöpfung auf der Ausstrahlung der aufs höchste gesteigerten Seele der Darsteller beruht, nicht aber auf Menschenansammlungen, deren grobe Mechanik dem Kommando eines Regisseurs gehorcht, der mehr Turnlehrer als Künstler ist.

Gleichgültig, wer die Dekorationen zeichnet. Vorausgesetzt, daß der Darsteller selbst imstande ist, aus sich heraus die gleichgültigste Leinwand und das konventionellste Versatzstück zu beseelen, werden wir mit den geringsten äußeren Behelfen die größte Wirkung erzielen. Ich glaube, daß nie eine Zeit günstiger ist für diese Wiedergeburt der Tragödie über Raum und Zeit aus der Seele als die unsere, denn sie hat Ehrfurcht vor dem Großen gelernt, wenn sie nicht glaubt, so hungert sie doch danach, glauben zu können; wenn sie nicht hingerissen ist, so sehnt sie sich danach, hingerissen zu sein.

Unter den Dramen, die zuerst in Betracht kämen, scheinen mir Shakespeare und die antike Tragödie zu sein. Die antike Tragödie ist freilich in den letzten Jahren diesem Ideal schon ziemlich nahe gebracht worden, da die ungeheuren Dimensionen der Seele und die durch keine Kunststücke zu brechende Rhythmik eine naturalistische Darstellung nicht zuließen. Shakespeare aber ist die Hoffnung auch unserer Generation; die Erwartungen, die sich an ihn knüpfen, können nicht zu hoch gespannt sein, die Wirkungen, die wir von ihm erwarten, werden alles übertreffen, was die übrige dramatische Darstellung im Augenblicke bieten kann.

Unter den Dramen Shakespeares sind es wieder die magischen Stücke, welche die größten Aufgaben für Darsteller und Regisseur bieten, sie gestalten am vollkommensten ein Werk, abseits der unseren und jenseits der bürgerlichen Sphäre.

Hamlet, Macbeth, Sturm, das ist der Kreis. Das Drama, das am leichtesten darzustellen ist, ist Hamlet. Sind nur für die Hauptrollen genügend starke Darsteller gefunden, kann das Drama auf jeder Bühne, unter allen Umständen und auf alle Menschen wirken. Dieses Glück verdankt es nicht der Geschlossenheit seines Aufbaues, sondern seiner vollkommenen Zerrissenheit. Die Spiegelung des Menschen im Problem, die Spiegelung des Problems im Menschen ist so grenzenlos, so bis ins letzte durchgeführt, daß die einzelnen Stücke des Werkes, Akte, Szenen, Augenblicke immer harmonieren werden, daß jede Darstellung vollkommen sein kann. Das Werk wird immer den Charakter der Zeit tragen, in der es gegeben wird, es war ganz 1900 mit Kainz, er war ganz 1920 mit Moissi. Es ist ein Kuriosum, aber wie alle Kuriosa charakteristisch, daß selbst eine Frau, Sarah Bernhardt, sich in dieser Rolle zeigte, es kann sich jede große Seele in ihr zeigen, denn Hamlet ist das Problem der Problemlosigkeit, die Frage nach dem moralischen Beginn von Schuld und Sühne, das Suchen nach dem geometrischen Ort, jeglicher menschlicher Begegnung: Vater und Sohn, Hölle und Erde, Thron und Kerker, Geist und Element. Wirklichkeit und Spiegelbild.

Ist bei Hamlet jedem phantastischen Künstler eine Welt eröffnet, in der er sich nur ausleben darf nach seiner eigensten Weise, um dem ganzen Werke Genüge zu tun, so ist bei Macbeth der Kreis der Möglichkeiten viel enger umgrenzt. Auch Macbeth ist ein phantastisches Stück. Es ist ein Drama der Dämonen. Nicht nur Hexen, Geister, Nebel und Moor sind Dämonen, sondern, was viel tiefer geht, die sogenannte Wirklichkeit, die pragmatische Weltgeschichte ist den Dämonen Untertan, sie stützt Macbeth, begünstigt sein Verbrechen, macht sich mitschuldig an seinem Mord. Der eigentliche Held des Stückes tritt nicht auf. Er spricht durch den Mund von Urwesen, er ist der Geist, der die Lady begeistert und sie mit einer unmerklichen Bewegung aus dem bewußtesten, klarsten, überlegten Geschöpf umwandelt in ein flatterndes Segel, das sich dem Hauche des Unnennbaren beugt. Gleichgültig, was den Vorwurf des Dramas zu seiner Zeit gebildet hat. Lächerlich die Königskrone, wo es gilt, im Widerstreite gigantischer Dämonen Partei zu ergreifen. Die Handlung steigt aus einer niederen Sphäre der Prophezeiung und Wirklichkeitsdeutung zu einem ganz ungeheuren Problem: Macbeth will Ehre, begehrt gierig einen Thron. Aber indem er in das Böse eintritt, wie in eine den Weg abkürzende Gasse, steigt das Böse über ihn. Nie hat ein Mörder so viel Glück im Mord und an dem Mord gehabt. Die ganze Welt ist nur im Mord und durch den Mord gestaltet, alles spricht ihm zu, nirgends ein Hindernis, nie ein Widerstand, und das Ungeheuerste: Hier ist ein Mensch geschaffen, Böses zu tun, von Gott auserkoren, die Hölle zu sein, und weiß es. Er weiß es nicht allein. Daß die einzigen Menschen, die versöhnt, die miteinander vermählt leben, Mörder sind, so furchtlos, so heimisch im Blut, im ungeheuersten Wirbel ruhig die Welt an sich vorüberziehen lassen, die tief zu ihren Füßen liegt, kaum mehr erkennbar ihren Blicken; daß Königtum, Macht, Recht und Gesetz, Freude und Dasein, Angst vor Hölle, Furcht vor dem Himmel, ja überhaupt alle menschlichen Beziehungen völlig hinschwinden unter dem Hauch dessen, den ich als unsichtbaren Haupthelden des Dramas denke, das macht das nie ganz darstellende, aber immer zu ahnende Grundproblem dieses Dramas aus. Tiefste Mystik, dargestellt durch die kälteste, von schärfster Berechnung geleitete Handlung.

Auch hier wird man das allergrößte Gewicht auf die äußerste Herausarbeitung des Seelischen geben müssen.

Macbeth ist wie Hamlet ein Mysteriendrama, keine Königstragödie. Für die Einzelheiten dieses Dramas kann keine einfache Lösung gefunden werden. Das Werk ist zu groß, das Problem zu unergründlich, als daß das Drama auf eine einfache Formel gebracht werden könnte, wie dies noch bei »Hamlet« oder im »Sturm« möglich ist.

Es haben sich im Laufe der Jahrhunderte unzählige Bearbeiter an dem Stück versucht. Wenn ich es unternommen habe, noch eine neue Fassung vorzuschlagen, so war dieser Versuch durch meine persönliche Liebe zu dieser Schöpfung begründet. Es schweben mir zwei Wege vor: entweder das Drama in seiner Urgestalt aufzuführen, und zwar unter Verzicht auf Dekorationen auf einer Andeutungsbühne. Es ist möglich, daß gerade durch die Vielfalt der einzelnen Szenen, durch den ewigen Wechsel von Menschen und Seelen, im Zusammenklang dennoch etwas ganz Einheitliches entsteht. Wohl sind die Elemente nach Größe und Tiefe ganz verschieden. Aber sie sind im tiefsten Grunde in der gleichen Weise orientiert, und selbst in den schwächsten Szenen weht noch ein Hauch der großen Idee. Es sind dies Spiegelszenen, ein Stück im Stück. In einer Beziehung das, was Kierkegaard die Paradoxie des Wahren nennt, wo das Leben mit sich selbst spielt, wo sich zwei zertrümmerte Gestirne in einer ruhenden Fläche spiegeln.

Die zweite Möglichkeit, und dies ist meine Gruppierung der Szenen, beruht in einer radikalen Herausarbeitung des Wesentlichen. Kann man die Umwelt, alle kleinen Statisten des ungeheuren Weltgeschehens, die Mitbeteiligten des gigantischen Gottesdramas, nicht vollkommen darstellen, wie sie der Dichter geschaffen hat, so muß man, wie ich glaube, ihre Äußerungen aufs allernotwendigste beschränken, die ganze Nebenhandlung, das ist die Welt der bürgerlichen Sphäre, reduzieren, die Frage nach der königlichen Thronfolge und nach den zukünftigen Geschicken Schottlands als Nebenfrage betrachten und alles den Hauptdarstellern geben. Der von allen Seiten von Dämonen umgebene Macbeth werde mit Umgehung aller zwischen seinen Rivalen sich abwickelnden sekundären »historischen« Vorgänge in einen ungeheuren Schlußakt hineingesteigert. Will man auf diese bürgerliche Sphäre nicht ganz verzichten, deute man sie nur an, etwa als den Grund, auf dem sich diese Pyramide erhebt, damit man mit Schaudern und Bewunderung die Größe menschlicher Leidenschaft, die Gottgebundenheit und den Wirbel der Hölle nebeneinander erkennt.

Da Macbeth wahr ist, wird er nie wirklich sein. Da Macbeth sittlich ist, kann eine moralisierende Wirkung nie von ihm ausgehen. Um so intensiver muß die große Linie, die Shakespeares tiefstem Meisterwerk zugrunde liegt, bis zum Ende durchgeführt werden.


 << zurück weiter >>