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Cervantes zu Ehren

Was die Bühne selbst in ihrem letzten, schäbigsten Abklatsch noch so wertvoll für den einzelnen macht, was sie im tiefsten Grunde zur reinsten Spiegelung dem Universum entgegenträgt, so daß wir, immer mit dem Gefühl einer Identität, von einem Welttheater reden dürfen, das ist die uns allen eingeborene Bestimmung, entweder tragische oder tragikomische Figuren zu sein. Niemand scheint von dieser Bestimmung ausgeschlossen, das weltbewegende, weltbewegte Genie ebensowenig wie der Trödler, der in der dunklen Gasse getragene Kleidungsstücke mit dem Ernst eines chinesischen Mandarinen verkauft, oder der Postbeamte, dessen Leben sich zwischen den engsten Grenzen seines Amtes, der Anciennität und der immer aktuellen Gehaltsregulierung vollzieht.

Unkenntnis des Gesetzes gibt kein Recht auf Ausnahme. Kenntnis des Gesetzes erwirbt an sich niemals Rang und Rechte. Denn selbst der Mann, der nichts von dem Gesetz weiß, ja nicht einmal sein Nichtwissen begreift (denn wie könnten sich sonst die Menschen ernsthaft damit beschäftigen, womit sie sich beschäftigen), der Gesetzesunkundige folgt seinen Sternen vielleicht mit größerer Sicherheit als der Wissende, und in der Eitelkeit seines Tagwerkes spiegelt sich in vollkommenster Glätte die Eitelkeit des höchsten Tagwerkes allzumal. Der Wissende aber ist immer nur ein Halbwissender, was ihn in allen Dingen zum Dilettanten macht, also zum Zerrspiegel der Welt und seiner selbst.

Jeder hat nur die Möglichkeit, aber nicht die Wahl, tragikomisch oder tragisch zu sein. Zur Hälfte wissend, zur Hälfte blind, ist selbst der Weiseste, aber auch der Törichte kennt kein anderes wissendes Wesen unter Gottes Sonne als sich und seinesgleichen. Mitten in den verzweifelten Kampf ewig unbekannter, unbenannter Mächte gestellt, im besten Falle mit Schildern aus Stroh, mit Dolchen aus Marzipan bewehrt, steht er, ein gemalter Held, heroisch bis zur Lächerlichkeit, mit schwachen Füßen auf seinem Quadratfuß lebender Erde und kämpft für oder gegen heiligste Güter, oder lebt ohne sie in vollster Sinnlosigkeit, bloß den täglichen Bedürfnissen zugewandt.

Und hat ihm die zwar nicht gütige, aber doch ironisch nachsichtige Natur auch den mit ihm geborenen und sterbenden Irrtum verliehen, sich auf Zeit und Ewigkeit wirkend zu fühlen, an seiner Gottähnlichkeit nie bange zu werden, nie an der Menschenähnlichkeit Gottes zu zweifeln – so hat er dafür das in der ganzen beseelten Natur scheinbar einzige Privileg, sich an Widersprüchen zu nähren.

Wohl weiß er, wie selig es sein müßte, der Verantwortung für eine im Grund unergreifliche, unbegreifliche Welt los und ledig zu sein, sich dem ruhenden Tiere, der windwärts schwankenden Pflanze zu nähern, zu vergessen, was er doch nie recht wußte, zu versinken, wo er doch nie recht aufrecht stand, denn wie sollte er dies denn auch, da er als begrenztes Wesen dem Unbegrenzten des Kosmos ewig hilflos ausgeliefert ist – wohl weiß er, wie selig es sein müßte, keine Beziehungen mit dieser ihm doch niemals und nirgends unterworfenen Sphäre anzubahnen, sich nicht zu rühren, aufzugehen, wissend zu verzichten, sich aufzulösen in dem großen Abgrund, in den ihn die Sucht und die Lust, der Zauber des Abgrundes, immer hinziehen, aber er kann nicht anders: er stürzt sich, zu seiner Ehre sei es gesagt, denn das einzig Schöne des Menschen ist sein Heroismus, er stürzt sich zwischen zwei unversöhnliche Kämpfer, drängt sich, zu ewig unvollendeter Versöhnung, zwischen Himmel und Hölle, zwischen Nein und Ja, zwischen Gut und Böse, Frieden und Krieg, Sein und Werden, Hölle und Paradies, und kehrt er, bis aufs Blut zerschunden, Don Quichotte von dem verlausten Scheitel bis zur plattgetretenen Sohle, unter dem brausenden Gelächter der weltbeherrschenden, weltbelächelnden Dämonen zurück, so nimmt er, zu allen seinen anderen Lasten, wie Hunger, Armut, Krankheit, Alter und Schwäche, auch noch diese Last auf sich, schiebt sich selbst die Schuld an der mißlungenen Versöhnung auf seinen schmalen, hochgrätigen Eselsrücken und verweist die bewundernde Mitwelt auf spätere Zeiten und besser vorbereitete Versuche, Kreuzzüge, Weltkriege, Heldenritte. In der Natur, diesem Hexenkessel brodelnder Leidenschaften, fressender und gefressener Bestien, in dieser stärksten Ansammlung von Wutfreude an Vernichtung und Unterdrückung, in dieser Arena völliger Sinnlosigkeit vom Verstandesstandpunkte der Menschen, in dieser Natur, deren kalte Teufelei jeder Kranke an sich mit Entsetzen empfindet, glaubt er eine Wunderinsel an Frieden, Ruhe, Vereinigung zu sehen, in die durchaus belanglosen Linien der Berge malt er die edelsten Schriftzeichen seiner halb zu Tode geschundenen Seele ein, in den Bäumen, von denen jeder Zweig das Industrialisierteste ist, was je ein Krupp oder Stinnes erdacht hat (man frage nur die Pflanzenanatomen und Pflanzenphysiologen), auf diese ganze Welt, die ihm im Grunde unbegreiflich ist, pflanzt er die Fahnen seines unerschütterlichen Glaubens an Frieden und den besseren Menschen und sein hohes Amt.

Der Mensch, der beste, weil einzige Komödiant der Welt, wird nie aufhören, den »Helden« zu spielen, obwohl ihn sein durch tausend Wunden zerrissenes Fell längst hätte warnen und dazu bewegen sollen, sich nicht vor die Kulissen zu wagen, hinter denen er doch, wenn auch nicht in Frieden, so doch in Ruhe sein Butterbrot verzehren könnte. Es geht die Meinung, die Menschheit teile sich in Don Quichottes und Sancho Pansas. Beklagenswerter Irrtum. Es gibt bloß Don Quichottes. Denn Sancho Pansa ist Don Quichotte in tausendmal tausendfacher Verstärkung. Quichotte hatte von seinem Standpunkt recht. Er war verrückt und handelte danach. Wäre er nicht ausgezogen, dann hätte er seine Idee nicht zu Ende gelebt. Er tat es, ging dabei zugrunde und war ein tragischer Mensch, da er an dem Herrlichsten in sich unterging.

Aber du, tausendmal vernünftigerer Sancho, millionenmal törichter Sancho! Du hattest Oliven und Olla Potrida, du hattest eine gute Frau und ein nettes Kind, du warst glücklich im Schatten der großen Weltkulisse gelandet, gingest frank und frei unter deinem breiten, sonnengebräunten Strohhut, du warst nicht mit Idealen verseucht, du warst der gesunde Menschenverstand. Und doch folgtest du dem Wahnsinnigsten aller Wahnsinnigen und warst so glücklich, ihn dabei zu übertreffen.

Und der Dritte im Bunde, der euch beide, Quichotte und Sancho, übertrumpfte, war Cervantes, euer Schöpfer, Herr und Gebieter. Er folgte euch nach, schrieb einen Ritterroman – nicht nach dem anderen –, sondern nach dem Don Quichotte, nach der unsterblichen Verhöhnung aller mit untauglichen Mitteln unternommenen Versöhnungsversuche in dieser auf immer zerrissenen Welt. Cervantes sei uns heilig. Er war heroisch. Er hat die Ehre, das ist unser aller Narrheit und heldenhaftes Symbol, gerettet.


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