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Credo, quia absurdum

Zu den tiefsten, weil immer wieder erneuerungsfähigen Monumenten menschlichen Denkens gehören die drei Worte des Kirchenvaters: credo, quia absurdum. Wie flammt in dem Worte credo schon die ganze unermeßliche Kühnheit unseres Geschlechts auf, das, von äußerer Not bedrängt, in der Dauer seiner Existenz eng begrenzt, allen Unbilden einer hassenden und gehaßten Welt fast schutzlos ausgeliefert, doch diesen herrlichen Schritt nach oben wagt: für das Sein einzutreten durch den Glauben, sich selbst nochmals zu zeugen durch die Treue des tiefsten Bewährens.

Wie liegt in dem Worte credo schon die ganze namenlose Freudigkeit des einzelnen! Gegen diese Freudigkeit gibt es keinen Beweis. Auch trotz der letzten satanischen Logik der Welt rauscht unnennbar in emporgewehtem Schwung dieses Gefühl der Freudigkeit und ist durch nichts zu erschüttern. Es ist ein Zeugnis des rasendsten Lebensgefühles, zu glauben. Das heißt: das gemußte zufällige Leben durch den gläubigen Willen nochmals dauernd zu schaffen. Das heißt es, wenn einer sagt, fühlt und beweist, er glaube: kraft des Unmöglichen.

Kann man eisig kalten Herzens angesichts des Ungeheuren, der Wirklichkeit bestehen? Gibt es Logik ohne Glauben? Es gibt eine rationalistische Erfassung der Welt, die Frage nach ihrem Range, nach ihrer Würde, nach dem Grunde aller Kraft, nach dem Vorher und Nachher aller Zeit, nach Schuld bei jeder Sünde, nach Sühne bei jeder Läuterung – aber im Sinne aller glühend Lebenden müssen diese Fragen, schon weil sie gefragt sind, den Menschen bis ins Nackte vereinsamt, bis in den Herzenskern vergiftet zurücklassen. Gut oder Böse, Gerechtigkeit und ihr Gegenteil, Strafe und Lohn – nichts von alledem. Wohl: Ordnung im Bereiche der niederen Sphären, auf den Straßen, den Gerichten, beim Kaufen und Verkaufen, beim Dienen und beim in Dienst Nehmen, beim Zeugen, Sterben, sich Verbinden und Trennen, sich Begegnen und voneinander Lassen. Aber darüber hinaus beginnt das Grenzenlose dessen, was Worte nicht sagen, Urteile nicht richten, Löhne nicht messen, Bilder nicht nachzeichnen, menschliche Stimmen nicht nachahmen werden.

Wir sind alle aus einem Höllenkreise auferstanden, der an düsterer Glut, an grauenhafter Pein, an unsagbarer Schmach alles hinter sich läßt, was die teuflische, weil logische Phantasie des Dante im Inferno geschaffen hat. Unberührt, ungerührt schreitet er, der große Magier, durch die Bezirke der Verworfenheit, der Qualen und ewig zischenden Feuer. Er schreitet aufwärts, reineren, helleren Bezirken entgegen. Aber das ist nur Schein. Sein Himmel ist nur leerer, nicht reiner, sein Läuterungsweg nur eine Verwirrung mehr, und der sich schuldlos Dünkende, dem Gottesgericht Entronnene, glaubt sich bloß emporgerafft, im Grunde ist er tiefer gesunken als die zur Hölle Verurteilten. Er verflucht seinen Gott bitterer als seine im Höllenpfuhl gemarterten Gottesleugner, wenn er ihn, diesen seinen Gott, in durchsichtigem Sternenkleide, unberührt, ungerührt, befriedigt, gesättigt und in reinster Harmonie über diesen Höllenkreisen regieren läßt, über dieser auf ewig in Millionen zersplitterten, leidenden Welt.

Auch wir alle, die wir die Jahre dieses Jahrhunderts hinter uns haben, steigen aus den Tiefen der Höllenkreise auf. Aber wir wissen keine Antwort, keine Gründe, keine Satzungen des beleidigten Gerichtes, keine billige Buße von Verbrechen, Schwächen und Vergehen, keinen Schicksalsstern und deshalb keinen Trost, keinen Richter und deshalb keinen Retter, wenn wir die Welt, die Zeit, das Menschenherz, die Macht und das Leiden nehmen, wie sie sind, wenn wir sie ernst nehmen, wenn wir sie logisch erfassen und nicht absurd. Daß wir ganz ohne Rat sind, das macht unsern Jammer aus, wir finden keine Lehrer, die uns dies deuten, keine Meister, die uns das Werk weisen, keine reinen Ahnen, die uns, mit dem überlebenden Teil ihres redlichen, längst verblichenen Lebens, in ihrem Andenken zur Seite stehen. Aber die Welt, durch den Weltenkrieg so grauenhaft aus jeder Harmonie gerissen, hat sich auch geöffnet. Wir sind kommender Dinge gewärtig, so groß, wie nie in einer Zeit zuvor, so tröstlich, so hold, so mild, wie sie nie menschliche Kreaturen ersehnt haben.

Die Griechen, die in ihrer Seele unverlierbar herrlich alle Elemente dieser Harmonie vereinten, hatten in jedem Winkel ihrer tausendtorigen Tempel Raum für viele andere Götter, kommende. Auf jedem Gestirn ihres wolkenlosen Nachthimmels flimmerte in mildem Schein ein weites Gelände für einen neuen Schöpfer. Diesen Griechen waren alle Schrecknisse klar, alles Grauen zu deuten, alles Fürchterliche zu ergründen. Die eleusinischen Kulte faßten alle Geheimnisse, nur die Hybris nicht. Denn die Hybris, der Größenwahn, war ihnen einzig das Greuel, vor dem die Welt erschauert, von dem sie sich abwendet, das sie nie und nimmer erträgt, mag sie daran, in Stücke zerschmettert, versinken. Größenwahn hieß ihnen der Gott, der als einzig alleiniger Herr die Unendlichkeit der Welt auf seine Schultern laden will. Größenwahn und Hybris war der Gottmensch Prometheus, der die zwischen Mensch und Gott auseinandergebäumte Welt vergeblich in seiner Faust zerstörend-lösend zusammenpressen will. Größenwahn war die Sehnsucht des einzelnen, der Frieden für sich verlangt, damit eines einzigen Hohen Fittich ihn gut und dunkel überbreite. Größenwahn war das Machtgefühl der Herrscher und Cäsaren, der Kalifen der persischen Millionenheere, die Gier der Goldgierigen, der Durst der Bluttrinker, der ewig nach Macht hungrigen Kaiser und Götzen und Götter. Der Himmel der Griechen duldet keine reinen Götter, sie sind menschlich, und das versöhnt uns mit ihnen, die Hölle der Griechen kennt keine reine Pein, keine ohne Aufhören schwelende, quälende Flamme, und das versöhnt sie mit uns.

Für unsere Zeit, für unser Geschick reicht aber keine Hybris aus. Es kann nicht sein, daß wir vor unserem Sturz eine Schuld auf uns geladen, eine Überschuld begangen haben, die diesen in der Geschichte der Menschheit unerhörten Sturz begründen kann. Aber jetzt, aber hier, aber heute, Angesicht in Angesicht mit allem, wovor uns kein Verbergen hilft, kein Totschweigen schützt: Nehmen wir die Welt, wie wir sie 1914–1918 erlebten, dann müssen wir verzweifeln.

Aus dieser völligen, in der Erde und ihrem Irdischen begründeten Verzweiflung könnte uns, die wir weiter leben, weiter schaffen und zeugen müssen, nur Sentimentalität, Witz, Zynismus als Gesinnung erwachsen. Für die praktische Lebensführung bliebe uns als Ziel nur die Sättigung der erbärmlichsten Instinkte, Lohnkämpfe, bei denen es nur Kampf, aber keinen Sieg und kein Ziel gibt, Belastungsproben im Sport oder im Geld – oder Gleichgültigkeit, tödlicher als Tod. In der Kunst nur blinde, taube Darstellung der äußersten Schale aller äußeren Dinge oder wehmütiges, seelenlos leeres Klingen und Verklingen. Kein Trost bedeutete uns der Aufblick zu den Sternen, die noch einem Kant Trost gebracht haben. Keine Entführung in »bessere Welten« hätten wir den Waldhornklängen einer Beethovenschen Symphonie zu danken, die noch Nietzsche beseligt haben. Und wie sollen wir uns an Menschen freuen? Wie können wir das? Wir und ich, denen der höllische Urgrund all dessen, was Mensch heißt, in die Haut mit glühenden Eisen eingebrannt ist?

Heute, hier, jetzt verstehen wir erst dieses ungeheure UND-DOCH, das der Heilige mit seinem credo, quia absurdum zu uns spricht.

Wir fühlen – und sind hier am Ende des geistig noch zu Erfassenden, sind an der Grenze des weither Ersehnten und im innersten Urkeim des innerlichst Geahnten – wir fühlen, daß die eine Grenzscheide in uns liegt, nur die eine, die andere aber in der höheren Sphäre, die wir wissend nicht erreichen können. Nicht, daß sie uns beschieden ist, nicht, daß wir sie finden können, ist das Herrliche, das Tröstende an ihr, sondern daß sie da ist, unzugänglich, unerreichbar und dennoch alles lösend. Dieses Unddoch ist das Absurde. Wir sind selbst absurd, wenn wir das Absurde glauben. Wir sind absurd, wenn wir glauben, um des Glaubens willen, nicht um des Beweises willen. Nicht des Trostes willen, nicht um der zeitlichen Glückseligkeit willen und nicht der ewigen Seligkeit willen. Denn ewig ist das immer Zeitliche. Wir sind absurd wie die wahnsinnigen Figuren, die Goethe in jenem Schloß eines neapolitanischen Prinzen fand. Denn in uns begegnen sich die Widersprüche des Universums. Oder, wenn man es tiefer faßt, der Mensch als kosmische Erscheinung ist ein Absurdum, ein Widersinn für alles andere, ein Sandkorn zwischen den Augenlidern der Welt. Unentrinnbar bleiben wir dem Absurden eingefügt. Unser Glaube ist nur die Rückkehr dorthin, von wo wir uns nie hätten fortrühren sollen und wo manche Stämme erdenbewohnender Menschen immer geblieben sind.

Im Angesichte dieser Erde, und mag sie noch so schwellend sein, wenn sie der reinste Frühlingshauch umduftet, werden wir doch nie selig werden: weder im Leben noch im Tode. Aber darüber hinaus – und mögen wir auch dieses Darüber-Hinaus nie ganz erfassen, mögen wir es auch nie in Worte fassen können, mögen wir es nie in Zungen sprechen lassen –, und doch, darüber hinaus kann es beginnen, in einer anderen Weise. Aus keiner andern Wurzel kann es entspringen als der, die wir kennen, aber einer anderen Blüte soll es entgegenblühen. »Darüber hinaus« soll nicht heißen, daß wir in atemlosem Steigen das verleugnen, was wir erlebt, erlitten und andere leiden gemacht haben. Wir müssen diese niedere Sphäre durchdringen. Vor keinem Schmutze sollen wir uns scheuen, da der Gott unseres Glaubens vor keinem Schmutze sich gescheut hat. Niederstes zu berühren darf uns kein Greuel sein, da Niederstes in der einzigen, absurd einzigen, absurd einigen, absurd ewigen-zeitlichen Welt unseres Gottes ist, wenn er ist, wie wir ihn absurd glauben.

Wir wollen nicht mehr sagen: Zeit oder Ewigkeit, nicht mehr scheiden: leibliche Hölle, ewiger Himmel, denn unsere Himmelfahrt geht nicht erst nach der Todesnacht an.

Der Mensch, der eisige Vernunft hat und nichts als diese logische Vernunft, wird es nicht fassen, aber es faßt ihn, ob er will oder nicht. Er mag stolz seinen kleinen Kreis seines Daseins zu beherrschen glauben, dort, wo er ist, unvertreibbar, wie er sich wähnt, in seinem Büro, auf der Börse, auf dem Sportplatz, in seinem Tanzkreis, oder bei Weib und Kind, in seinen Geschäften, seinen Plänen, seinem Besitze, seinem Hause, seiner Zeit, den Kalender auf dem Tische, die Uhr in der Hand, die Augen im Kopfe, das sichere Gewisse zu seinen Füßen. Er ist nicht sicherer als wir, die wir glauben müssen kraft des Unmöglichen.

Uns allen ohne Ausnahme ist nicht der winzigste Teil eines winzigen Teiles ganz zugeeignet. Keine Kugel, und hätte sie nur die Größe des feinsten Kornes, werden unsere Augen von allen Seiten zugleich betrachten und erfassen können. Aber auch das Weiteste, das Tiefste wird uns anderen wenigstens in einer Ahnung offenbar. Es kann uns nicht ganz entgehen.

Wir müssen uns nicht in die Kirche flüchten, denn gemauerte Dächer werden uns nie decken. Wir wollen nicht Worte lehren, denn in ihnen gibt die Welt nur ihren Nachhall, einen trügerischen, ihrer selbst, mit ihrer falschen Harmonie, ihrem heuchlerischen Gleichklang und lügnerischen Frieden. Das Absurde der Welt, dort, wo es tröstlich zu werden beginnt, wird uns nicht in Kirchen gezeigt, nicht in gebundenen Worten erklärt.

Aber wir wissen es dennoch, wir sind dessen gewiß. Denn: Kamen wir nicht aus dem Sprachlosen zur Sprache? Aus dem Gestaltlosen zur Gestalt? Aus dem Namenlosen zum Namen? Es war eine Zeit, da wir nicht waren. Nicht wir noch die Erde unter uns, die Bäume um uns, die Tiere neben uns, die Wolken und Lüfte über uns. Wie absurd wäre es den damals Seienden, damals Zweifelnden, gewesen, an uns, die Kommenden, Selig-Unseligen, zu glauben. Und doch kamen wir, zu einem elenden, aber doch zu einem Leben. Zu einem Wissen kamen wir, das zwar keines Wertes ganz gewiß ist, das aber alle Werte ahnt, die höchsten wie die niedersten. Zu einer Freude sind wir gekommen, die zwar in Bitterkeit ihre Flügel taucht, aber doch zu einer Freude. Und es ist absurd, aber es ist dennoch unser Glaube, kraft des Unmöglichen: Unendliches erwartet uns.

Wir bleiben nicht am Rande der endenlosen Sphären. In der Mitte der Zonen werden wir schweben.

Die Unendlichkeit des Todes hinter uns. Die Unendlichkeit des Todes vor uns. Die Hölle dieser Erde zu unseren Füßen. Aber, unserm Blicke unerreichbar, dennoch aber uns zukommend in gewaltigstem Lebensgefühl: das andere Ende, die Lösung des Absurden, die Bekräftigung des Glaubens, die Gewißheit des höheren, tieferen Sinnes, die Krone der erkorenen Bestimmung. Das ist es, weswegen wir noch leben.


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