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Der Krieg in der Literatur

1

Ludwig Renns Buch »Krieg« ist ein erschütterndes Buch und doch kein herzbewegendes. Eine ungeheuere Schilderung von Tatsachen. Gesehen aus einer so unmittelbaren Nähe, wie sie wohl nur das »wirkliche« Leben geben kann. Ohne Kunst geschrieben. Oft nur dilettantisch Tag an Tag gereiht. Und doch hat sich der Autor bemüht, seinem unermeßlichen, übermenschlich gewaltigen Stoff bewußt eine entsprechende Form zu geben, ihn zu »fassen«. Er schreibt an einer Stelle: »An den Schriftstellern fiel mir oft auf, wie willkürlich sie die Worte setzten, obwohl es doch eine klare Notwendigkeit gab, wie man die Worte setzen muß, daß nämlich die Worte immer in der Reihenfolge stehen, wie sie der Leser erleben soll. Um mir über das Wichtigste klar zu werden, stellte ich mir stets das wichtigste Bild mit allen Einzelheiten vor, mit Beleuchtung, jedem Geräusch und jeder seelischen Regung. Dann schrieb ich erst und ließ alles weg, was nicht unbedingt notwendig war. Aber dieses Schema nützte für die Darstellung der wichtigsten Dinge gar nichts. Dafür fehlten mir stets die Worte.« Deutlicher, prägnanter kann kein Autor seinen Willen zur Sache, sein Streben nach Wahrheit, nach vollkommener Überzeugungskraft auseinandersetzen. Aber ebenso deutlich wird es ihm und auch uns, die wir die vierhundert Seiten seines Buches atemlos durchflogen haben, daß »ihm der Gott nicht gegeben hat zu sagen, was er leidet«.

Dann werden es vielleicht bloß Tatsachen sein, was er gegeben hat, nur Rohmaterial für die Kulturgeschichte jener apokalyptischen Jahre 1914-1918? Nein. Dieses Buch ist mehr. Es ist möglicherweise eine neue Gattung deutscher Literatur, in der Mitte zwischen Kunst und Reportage. Der Reporter ist der Zeitungsleser, der gleichzeitig Zeitungsschreiber ist. Er sieht die Welt aus der Perspektive des Alltagsmenschen, kann sie aber kraft der Wirkung des Selbstverständlichen, weil historisch Dagewesenen, andern überzeugend vor Augen führen, evident machen. Die Dinge sind dagewesen, aber sie sind damit nicht erledigt, sondern sie bleiben wegen ihrer besonderen Eigenart merkwürdig, aber merkwürdig nicht im Sinne der Kunst, das heißt, mit einem Anspruch auf innere Dauer, sondern merkwürdig im Sinne der Aktualität, im Sinne des unentrinnbaren, aber auch nie auf ewig festzuhaltenden Augenblicks. Mit diesem Zirkel, dem »unentrinnbaren, aber auch nie auf ewig festzuhaltenden Augenblick« ist aber dieses Werk Ludwig Renns nicht vollständig zu umschreiben. Ist es das erste Buch der Masse? Kein Individuum wird in diesen vierhundert Seiten sichtbar, auch kein Typus. Der »brave Soldat Schwejk« ist ein Typus. Der Schreiber dieses Buches, sein Held, seine Hauptperson, sein unsichtbarer Mittelpunkt – das ist kein Typus. Die Lektüre dieses Buches gibt das schauerlichste Gefühl von Leere. Gottverlassenheit. Menschenverlassenheit. Der Autor ist gestaltlos. Wir wissen nicht, was er liebt, was ihn treibt, was ihn zurückstößt. Er nennt sich und bleibt im tiefsten Sinn anonym. Alles interessiert ihn, alles läßt ihn kalt. Er sieht. Er beschreibt. Ein Kämpfer, guter Soldat, braver Soldat. Wogegen kämpft er? Kein Wort des Hasses gegen irgendeinen Feind. Also kämpft er nicht, dieser bravste Soldat, sondern er zerstört nur, wenn er als Maschinengewehrschütze sein gut durchkonstruiertes Gewehr bedient. Oder bedient die Waffe ihn? Unlösbare Frage. So wie der Krieg hier geschildert wird, hat er jeden Sinn verloren. Keine auch nur entfernte Ähnlichkeit mit den Kämpfen der Helden vor Troja, der Nationen bei den Thermopylen, der Genies und Systeme in den Napoleonischen, den mitteleuropäischen Kriegen des neunzehnten Jahrhunderts. Er erinnert nur – dies aber mit der erschütterndsten Intensität – an das methodische, lebhafte, sachliche und konsequente Treiben verbrecherischer Kinder und gewisser Idioten. Keine ethische Wertung. Keine künstlerische Verklärung, Festigung, Heiligung zur Gültigkeit auch des Abstoßendsten. Der Autor scheint sich klar darüber zu sein (er sagt es an vielen Stellen), daß nur fotografische Bilder, Erinnerungsprotokolle aus ihm kommen und nicht mehr, freilich auch nicht weniger: »Ich sah das alles und sah es nicht.« Oder: »Da hatte ich neben dem Einjährigen fast zwei Stunden gesessen, und wir hatten nichts gefunden, das sprechenswert wäre. Ich stand auf und ging ein Stück nach rechts. Dort stand ich eine Weile. Aber was sollte das? Ich ging zurück und setzte mich wieder. Wenn man nur etwas Richtiges zu denken hätte?« Wie erschütternd ist dieses stille Wort eines unter dem Schutt einer zusammenstürzenden Zeit rettungslos Begrabenen: »Wenn man nur etwas Richtiges zu denken hätte!« Alle Irrwege der Nachkriegszeit bis zu den Fememorden sind in diesem »anonymen« Ausspruch eines Mannes aus der Masse eingeschlossen. Es gibt nicht nur eine Einsamkeit des Isolierten, sondern auch eine des in der Masse Erdrückten. Die Masse denkt eben nicht. Und dieses Werk ist die tatsachentreue Schilderung einer kosmischen Massenkatastrophe. Es enthält deshalb trotz aller Fürchterlichkeit nicht den leisesten Schimmer von Tragik. Es enthält deshalb auch nicht die zarteste Andeutung von Humor. Schwejk hat beides. Schwejk ist ein Mensch – und was für einer! Die ganze Nation in den einen schmutzig-diabolisch-phlegmatisch-genialen Kerl gebannt auf ewige Zeiten! Aber Renn ist dies alles nicht. Er ist kein Einzelwesen. Daher auch keine Ähnlichkeit mit dem Simplicius Simplicissimus, dem deutschen Schwejk des Dreißigjährigen Krieges, der so herrlich ergreifende, menschenhafte Züge eines »Schalksnarren wider Willen« trägt.

Aber grandios ist Renn. Und der Grandiosität dieser schweren, apathischen Schilderungen wird man sich nie entziehen können. Die Konsequenz der Durchführung ist bewundernswert, die Fülle des Erlebten, des Gesehenen ist fast zuviel für den Leser. Welche Szenen! Sie stehen da, und keine Gewalt der Erde reißt sie aus der Erinnerung. Und doch waren sie ergebnislos in ihrer Gegenwart. Der Held dieses Buches geht aus dem Krieg wie er in den Krieg gegangen ist, eine unbefleckte Jungfrau der Seele. Er hat DAS gesehen und kann doch weiterleben. Er steht vor dem enthüllten grausigen Abgrund der Welt, vor dem blutbefleckten Schoß des Schicksals von Menschen und Völkern, und was tut er: Er beschreibt und schweigt.

Vielleicht machen Bücher dieser Art Epoche. Ein Beispiel haben sie nicht in der Literatur. Dieses Buch spricht nicht gegen den Krieg. Es spricht gegen den Menschen. Deshalb geht man mit Entsetzen aus diesen vierhundert Seiten Prosa heraus. Man lese folgende Stelle, wahllos herausgerissen aus tausend, man vergleiche sie mit den Schilderungen eines Tolstoi, Stendhal, Zola, und man sieht die ungeheuere Kluft. »Ich ging langsam weiter. An einer Stelle waren ein paar Drähte gespannt. Ich stieg vorsichtig durch und sah am Boden eine Hand liegen. Sie lag schwarz und wie aus Leder ausgestreckt am Boden. Kleine, tiefschwarze Käfer bewegten sich darauf. Ich beugte mich nieder: Vielleicht kannte ich die Hand? Nein, sie war mir fremd. Vor meinem Unterstand traf ich den einen Gewehrführer von Schatz. Er schien mich zu erwarten.

›Kannst du uns nicht die Lage hier mal sagen? Schatz sagt uns nichts. Und wem unterstehen wir hier eigentlich?‹

›Wenn es darauf ankommt, mir ...‹«

Wer ist dieses ICH? Hat es sich gewandelt? Und wenn es sich nicht gewandelt hat, hat es gelebt?

2

Ein Buch ganz anderer Art ist Erich Maria Remarques Werk »Im Westen nichts Neues«. Das Werk eines ganz Jungen, Glückhaften, Lebensbegabten. In diesem herrlichen Buche sind nur zwei Stellen unglaubwürdig. Die eine ist der Vorspruch: »Dieses Buch soll weder eine Anklage noch ein Bekenntnis sein. Es soll nur den Versuch machen, über eine Generation zu berichten, die vom Krieg zerstört wurde – auch wenn sie seinen Granaten entkam.« Die zweite Stelle ist der Schluß: »Er fiel im Oktober 1918, an einem Tage, der so ruhig und still war an der ganzen Front, daß der Heeresbericht sich nur auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden. Er war vornüber gesunken und lag wie schlafend an der Erde. Als man ihn umdrehte, sah man, daß er sich nicht lange gequält haben konnte – sein Gesicht hatte einen so gefaßten Ausdruck, als wäre er beinahe zufrieden damit, daß es so gekommen war.«

An den Untergang einer Generation glaube ich nicht, die Künstler wie diesen Remarque hervorbringt, noch auch glaube ich an den Untergang des Autors dieses autobiographischen Werkes. Wer die Kraft zu diesen Schilderungen hat, wer so »gefaßt« ist, daß er über das Unsagbare noch berichten kann, einer, der jenseits des Todesstroms gewesen ist und dennoch wiederkehrt und kündet, der hat eine Probe von Kraft, von innerer Bewährung abgelegt, die unverkennbar ist. Nicht ohne Grund fühlt sich jeder, auch wer nicht dies alles »vorn in der ersten Linie« erlebt hat, in dieses Geschehen mit einbezogen, es ist das Fürchterlichste ertragbar nur deshalb, weil man fühlt: die menschliche Einzelexistenz ist nicht immer ganz vergeblich. Dieser junge Kriegsfreiwillige ist nie ganz allein. Zwar hat er niemand hinter sich. Er ist selbst ein Werdender. Ein unbeschriebenes Blatt, das die Weltgeschichte mit brennendem, grausamem Griffel eher durchreißt als beschreibt. Aber er findet sich im Weltuntergang, er kann sprechen, er hat Kameraden, er empfindet menschlich. Er ist nicht so grandios wie Renn, aber wir folgen ihm, vielleicht weil er es leichter hat bei aller Schwere, weil ein zarter Zauber um seinen Aufgang und seinen Niedergang und Wiederaufgang gewebt ist. Es gibt in diesem Werke neben den einfach klassischen und durchaus unerreichbaren Schlachtenschilderangen kleine menschliche Züge, die unmittelbar ergreifen, die so wahr sind bei aller Nichtigkeit – wie eine Blüte, wie eine Wolke, ein sinkender Abendhauch. Wenn die Kameraden sich aus dem Schlachtengrauen auf eine Nacht zu schönen Französinnen retten und nachher bloßfüßig zurückwandern: »Wir verabschieden uns herzlich und schlüpfen in unsere Stiefel. Die Nachtluft kühlt unsere heißen Körper. Groß ragen die Pappeln in das Dunkel und rauschen. Der Mond steht am Himmel und im Wasser des Kanals. Wir laufen nicht, wir gehen nebeneinander mit langen Schritten. Leer sagt: ›Das war ein Kommißbrot wert!‹«

Das ist auch Humor aus der Welt Schwejks.

Das Düstere überwiegt in dem Buch. Es fehlt nicht an Szenen, die ebenso schauerlich sind wie die in Renns grandiosem Buch. Aber man versteht sie, man ist nicht wie »erschlagen« von ihnen. Eine von diesen Szenen schildert einen Tobsuchtsanfall eines Rekruten im Trommelfeuer. Er beginnt zu toben: »Laßt mich los, laßt mich raus, ich will hier raus!« Auch hier das ergreifende Stammeln einer zerdrückten Kreatur. Aber man kommt ihm nach. Nicht daß man sentimental wird. Auch der Autor wird es nicht. Er antwortet, er handelt, er greift ein. »Der Rekrut hört auf nichts und schlägt um sich, der Mund ist naß und sprüht Worte, halb verschluckte, sinnlose Worte. Es ist ein Anfall von Unterstandsangst, er hat das Gefühl, hier zu ersticken und kennt nur den einen Trieb, herauszugelangen. Wenn man ihn laufen ließe, würde er ohne Deckung irgendwohin rennen. Er ist nicht der erste. Da er sehr wild ist und die Augen sich schon verdrehen, hilft es nichts, wir müssen ihn verprügeln, damit er vernünftig wird. Wir tun es schnell und erbarmungslos und erreichen, daß er vorläufig wieder ruhig sitzt. Die andern sind bleich bei der Geschichte geworden; hoffentlich schreckt es sie ab ...« Wer verkennt hier den Ton männlicher Güte, positiver, nie verzweifelnder Menschenkraft, die sich dem Unerbittlichen entgegenstellt, nicht bittend, da es sich ja nicht erbitten läßt, sondern wirkend, tätig, der Sache gerecht und das möglichste versuchend, bevor er untergeht. »Der Rekrut von vorhin tobt wieder, und zwei andere schließen sich an. Einer reißt aus und läuft weg. Wir haben Mühe mit den beiden andern. Ich stürze hinter dem Flüchtenden her und überlege, ob ich ihm in die Beine schießen soll. Da pfeift es heran, ich werfe mich hin, und als ich aufstehe, ist die Grabenwand mit heißen Splittern, Fleischfetzen und Uniformlappen bepflastert. Ich klettere zurück. Der erste scheint wirklich verrückt geworden zu sein, er rennt mit dem Kopf wie ein Bock gegen die Wand, wenn man ihn losläßt. Wir werden nachts versuchen müssen, ihn nach hinten zu bringen. Vorläufig binden wir ihn so fest, daß man ihn beim Angriff sofort wieder losmachen kann. Kat schlägt vor, Karten zu spielen – was soll man tun, vielleicht ist es leichter dann ...«

Hier ist das Geheimnis der ungeheuren Wirkung dieses Buches: dieselben unerhörten Ereignisse wie bei Renn, aber menschlich nahegebracht. Hier ist einer, der wirklich gefaßt ist, der nach solchen Höllenerlebnissen Karten zur Hand nehmen kann und spielen kann. Wenn er zum Schluß des Kapitels sagt: »So pressen wir die Lippen aufeinander – es wird vorübergehen – es wird vorübergehen – vielleicht kommen wir durch«, so sind wir mit dem ganzen Herzen bei solchen Männern, denen das Schicksal nicht Zeit gelassen hat, Jünglinge zu sein. Aber es bleibt immer ihr Trost, es ist nicht der einzelne, den das Schicksal zum Schauplatz des Untergangstheaters ausersehen hat. Jeder leidet mehr als ein Hiob gelitten hat, jeder leidet tiefer als Hiob, weil keiner einen Sinn darin zu erkennen vermag – darin sind Remarque und Renn gleich. Aber die Menschen von 1918 leiden nebeneinander. Es ist die andere Seite, die tröstlichere, des Massenerlebnisses, und wenn die Soldaten im Massengrabe ohne Uniform aufeinander gelagert werden, so haben sie wenigstens im vorangegangenen Leben alles miteinander geteilt, Gefahr ebenso wie eine geklaute gute Zigarre aus dem Proviantdepot oder eine fette Gans, deren Fang sehr humorvoll und doch nicht ohne Blutdurst geschildert wird. Die Unterschiede zwischen Jagd auf Tiere und Jagd auf Menschen verwischen sich eben, man ist den Menschen nahe, sticht aber doch, weil es eben sein muß, einem in den gleichen Grabentrichter flüchtenden mageren Franzosen das Bajonett in die Kehle und liegt dann neben ihm durch Stunden, bis er stirbt: ohne Haß, aber ebensowenig sentimentalen Gefühlen hingegeben. Remarque ist ein nicht ebenso brauchbarer Soldat wie Renn, aber immer ein ganzer Mann in jedem Augenblick des Lebens, in jeder Situation. Eben ein Mensch, der das Glück hat, noch in der großen Gemeinschaft aufgehen zu können, sich Hunderttausenden Lesern in allen Sprachen verständlich zu machen, so wie er sich im Schützengraben seiner Kameradschaft hat verständlich machen können; der große Kamerad oder, wie das Jugendbuch heißt, »Der gute Kamerad«. »Es ist eine große Brüderschaft«, sagt er, »die einen Schimmer vom Kameradentum der Volkslieder, dem Solidaritätsgefühl von Sträflingen und dem verzweifelten Beieinanderstehen von zum Tode Verurteilten seltsam vereinigt zu einer Stufe von Leben, das mitten in Gefahr, aus der Anspannung und Verlassenheit des Todes, sich abhebt und zu einem flüchtigen Mitnehmen der gewonnenen Stunden wird, auf gänzlich unpathetische Weise.« Dieser Mensch ist auch nicht in der Leere des »Nichts-Rechtes-denken-Können« eingeschlossen wie Renn. Er denkt. Er denkt zwar nur von einem Tag zum andern. Aber sein Leben dauert auch nur von einem Tag zum andern, und anderes gibt es nicht. »Es ist darin enthalten, wenn Tjaden (einer der Kameraden) bei einem gemeldeten feindlichen Angriff in rasender Hast seine Erbsensuppe mit Speck auslöffelt, weil er ja nicht weiß, ob er in einer Stunde noch lebt. Wir haben lange darüber diskutiert, ob es richtig sei oder nicht. Kat (ein anderer Kamerad) verwirft es, weil er sagt, man müsse mit einem Bauchschusse rechnen, der bei vollem Magen gefährlicher sei als bei leerem...« Hier ist Tragikomik, das Zweifeln des armen Schwejks, Schalksnarren wider Willen, ob er das zeitliche Heil der Erbssuppe mit Speck oder das ewige des besser heilenden Bauchschusses vorziehen solle. So hat der Heroismus – wie er als positives Ergebnis, als herrlicher Pessimismus am Ende dieses Werkes stehen müßte, weil er organisch aus diesem Mann und diesen Taten hervorgeht – etwas bei aller Furchtbarkeit leise Humoristisches. Die Schrecknisse der Welt sind dazu da, von dem »gefaßten« Mann unter sich getreten zu werden. Man kann sich gut vorstellen, daß der Mann, der die folgenden Worte spricht, dabei lacht oder lächelt, aber er wird nicht aufgeschrien haben, wird nicht verbissen wie Renn in sich hinein gebrütet haben: »Ruhr, Grippe, Typhus – Würgen, Verbrennen, Tod. Graben, Lazarett, Massengrab – mehr Möglichkeiten gibt es nicht.« Wer sich so mit dem Dämonischen, dem Unterirdischen, dem Höllischen der Welt abfindet, der hat fröhliche Wissenschaft in sich. Sein Werk wird mit diesem Buche nicht zu Ende sein. Er wird die polare Einsamkeit der frosterstarrten Menschenseele nicht zu fühlen bekommen, nicht nächtelang auf den Telefonanruf der apathischen Geliebten, die ihn nicht liebt, lauern müssen, er wird sich verschenken, weil er will, nicht aber sich vergeuden, weil er muß, er wird sich nicht fragen, welche Lücke der doch grenzenlosen und uferlosen Welt er mit »seinem Lehm« auszufüllen habe wie weiland Cäsar. Die tiefe unauflösbare Trauer, die auf dem Grunde großer Seelen liegt, tristezza cosi perenne, wird auf dem Boden dieser Seele nicht liegen; nicht, weil diese Seele nicht groß genug wäre, sondern weil sie gefaßt ist, weil sie männlich ist zu ihrem Glück und zu unserem.


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