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Ausklang

Wir alle schwiegen. Das Feuer war zusammengesunken und glomm nur noch durchs Dunkel. »Ist's jetzt schon ganz gar,« fragte der Sohnle, »mit der Geschichte?« »Viel bleibt nicht mehr zu erzählen. Der Ruhm, den Eyjolf von diesem Zug erwarb, ward, wie er vorausgesehen hatte, nicht groß. Auf der Heimfahrt starben ihnen noch zwei Mann, da waren es acht von fünfzehn, die vor dem einen gefallen, und dazu waren die meisten verwundet. Keinen Augenblick geschont hätte sich Gisli, erzählten sie später, und mit seiner ganzen Kraft gekämpft, bis ihn das Leben verließ: um nichts weniger stark seien seine letzten Hiebe gewesen als die ersten.

Einer aber ward mächtig froh, als Eyjolf selbzwölft in die Halle zu ihm trat und ihm Gislis Tod verkündete: das war Börk von Heiligenberg. Sofort ging er in die Frauenstube zu Thordis hinüber und rief: »Deines langen Kummers Ende verkünde ich dir: gerächt ist Thorgrim, erschlagen im Gewänd an der Speerbucht liegt Gisli! Eyjolf war's, der mit seinen Mannen ihn fällte. Tisch nun das Beste auf ihm zu Ehren aus Küche und Keller!« Mit großen Augen sah sie ihn an und erblich, ihre Unterlippe sprang vor und begann zu zittern. »Grütze wird gut genug sein für den Gisli-Mörder!« stieß sie's bebend hervor. Sie wandte sich ab, ihre Schulterblätter zuckten, sie schluchzte. Den schweren Schädel schüttelte Börk. »Was hast du? Warst du's nicht, die erste, die gegen ihn hetzte?« Sie fuhr herum und ihre Augen funkelten durch die Tränen. »Allzuviel Fleisch und Fett wuchs dir ums Herz, Börk! Wäre mir Gisli nicht teurer gewesen als du, nicht halb so weh getan hätte es mir, daß er mir den Gatten erschlug! Nun aber hat er's gebüßt, und der Bruder ist er mir wieder!«

Zum Abendschmause gab's für die Gäste nichts als Gerstengrütze und Molken dazu als Getränk. Börk entschuldigte sich sehr, schlecht gerüstet seien sie, solch teure Gäste zu empfangen, und auch das Bier, ausgegangen sei's ihnen leider! – »Ja,« sagte Eyjolf, »anders trifft man es manchmal, als man's erwartet!« Er saß dem Börk im Hochsitze gegenüber, und sein Schwert lag ihm zu Füßen am Boden. Thordis ging mit der Löffelschachtel an ihm vorüber, da ließ sie sie fallen, bückte sich, griff geschwind nach dem Schwert, riß es aus der Scheide und wollte es Eyjolf von unten her ins Herz stoßen, da traf's auf die Tischkante, glitt ab und fuhr ihm in den Schenkel: das Blut spritzte auf und es gab eine große Wunde. Seine Mannen sprangen von den Bänken und griffen nach den Waffen. Börk schlug Thordis ins Gesicht, daß sie taumelte. Da warf sich Snorri dazwischen, ihr Sohn, der war jetzt ein Bursch von fünfzehn Jahren, und rief seine Leute auf zum Schutze der Mutter. Thordis aber reckte sich hoch und erklärte sich vor allen in der Halle geschieden wegen Mißhandlung von ihrem Manne. Denselben Abend noch zog sie von Heiligenberg ab mit ihrem Sohne und verlangte ihre Mitgift heraus. Da saß Börk allein auf seinem Vatererbe, und die Leute fanden, er hätte weder seinen Ruf noch sein Vermögen gemehrt.

Gest Oddleifssohn zog mit seiner Mutter Thorgerd und einem stattlichen Gefolge zur Speerföhrde und half seiner Base Aud, Gisli zu bestatten und ihm den Grabhügel zu errichten. Danach verkaufte Aud ihr Anwesen und fuhr im Frühjahr mit Gudrid nach Norwegen zu ihren Verwandten und darauf weiter nach Veborg in Jütland zu den Handelsfreunden Gislis. Dort nahm sie mit ihrer Pflegetochter den Christenglauben an, alle Heiratsanträge aber wiesen sie beide zurück und blieben allein. Auf einer Pilgerfahrt nach Rom sollen sie gestorben sein an einer Seuche, beide in ziemlich hohem Alter schon.«

»Und die Flitschen,« fragte der Degelmann, »dem andern Bruder sein Weib, die Asgerd?« »Die!« Wendland lächelte. »Die blieb nicht lang Witwe, einen Monat kaum nach dem Tode ihres Mannes heiratete sie wieder, einen blutjungen Burschen; der setzte sich breit ins Gehöft und prügelte sie schier jeden Abend, den Gott gab, so daß sie stets mit blauen und braunen Flecken umherging, und es ihr an Stoff zum Erzählen bei den Nachbarinnen nie fehlte! ... So,« sagte er, »und jetzt, mein' ich, wird's Zeit, daß wir ins Stroh gehen.«

Aber keiner rührte sich. »Das waren noch andere Leute dazumal,« sagte der Student, »als die jetzt leben. Stärker und zäher im Haß und in der Liebe.« Wendland warf den Kopf auf. »Ich weiß nicht! Freilich, was die Zeitungsschreiber schmieren vom Heldentod, den manche mit dem Herz in der Hose und mit noch was anderem darin erwarten, das hängt ja wohl uns allen im Felde längst zum Halse heraus. Aber sind nicht doch viele unter uns, denen einer wie der Gisli freudig die Hand schütteln würde? Wie war's denn mit den Brüdern Husterer, den beiden, die in der Felsscharte in den Dolomiten droben einem vollen Halbzug der Feinde den Paß wehrten mit dem blanken Seitengewehr, daß die Leichen sich vor ihnen häuften, während von unten und von den Höhen über ihnen die Kugeln pfiffen und die Handgranaten der Welschen herunterhagelten?« »Und der Wiesner, der Sanitäter!« rief der Schreijack. »Ha, wie der im Feuer unter den Verwundeten herumsprang, derweil wir froh waren, daß wir die Köpfe in den Sand hineinstecken konnten.« »Geheult hat er, der Marsmann, weil er dem Hauptmann den Gaul halten mußte und nicht mitmachen konnte beim Sturm.« »Und der Streil! Mit dem verstauchten Fuß ist er zum Lazarettfenster hinaus den Ärzten davon, als er hörte, angreifen sollen's, die Leiber!« »Und unser Leutnant Rauscher auf Weeg!« sagte der Student. »Wißt ihr noch? Die Brüder droben in der Felsscharte hatte er geheißen auszuhalten und ihnen versprochen, sobald er vom Zuge wegkönnte, würde er kommen, ihnen helfen! Und er kam, als die Handgranaten schon zu Dutzenden den Hang diesseits herunterkugelten, und jedermann sah, 's ist ein verlorener Posten! Freilich, mitten auf dem Weg blieb er liegen mit einem Brustschuß! Seinen Vater hab' ich im letzten Urlaub gesprochen, der kam grad aus dem Lazarett von seinem Sohn. ›Ich hab' ihn gefragt,‹ sagte er, ›ob ihm nicht doch etwa das Gruseln gekommen sei, ehe er den Todesgang angetreten hätte; denn daß er mit der schweren Verwundung davongekommen wäre, sei doch das reinste Wunder.‹ ›Warum denn?‹ hat er geantwortet, ›ich hatte doch nichts Unrechtes getan?‹«

Wendland nickte. »›Furchtlosen Herzens, dem Frevel fremd!‹ wie es in der Edda heißt vom Lichtgotte Balder! Zusammennehmen müssen wir unsern Willen und unsere Knochen, Kameraden, wenn wir solcher Männer wert werden wollen!« Da stand der Student auf. »Ja,« sagte er, »so ist's! Und da wir heut lauter nordische Skaldenverse gehört haben, will ich euch doch noch zum Schlusse eine deutsches Gedicht sagen, das hat der Streil Ludwig gemacht – da steht er, mein' ich, mit seinem Schwabenschädel drüben am Feuer bei seinem Zuge – denn darin spricht er's aus, wie es vielleicht in der ganzen Welt nur wir Deutsche empfinden, und wenn das »hunnisch« sein soll, dann bleiben wir hoffentlich in alle Ewigkeit »Hunnen«! An seinen toten Gegner ist's gerichtet, »Mein Feind« heißt's:

»Nun liegst du bleich und stumm vor mir:
Ich habe dich erschlagen.
Du schlugst nach mir, ich schlug nach dir,
Wir können beide nichts dafür.
Ein Grab will ich dir graben.

Will dein Gewehr und mein Gewehr
Zu einem Kreuze binden;
Das meinige, es taugt nichts mehr,
Viel Tote liegen ja umher,
Ich werd' ein andres finden.

Den Ring hier schick ich nach Brabant:
Werd's deinem Weibe sagen,
Daß ich ihn nahm von deiner Hand
Und dich begrub am Grabenrand,
Sie soll so viel nicht klagen.

Das Morgenlicht bricht nun herein,
Nur noch ein einzig Sternlein irrt,
Ich muß jetzt in den Kampf hinein.
Gräbt wohl auch mich der gleiche ein,
Der mich erschlagen wird?«

 

Ende.


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