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Vestein kehrt heim

Indessen ging der Winter zu Ende, es ward Frühling und Sommer, und Vestein kam immer noch nicht heim. Aud begann unruhig zu werden, aber Gisli sprach: »Sorge dich nicht! Sieh, Aud, mit so gleichem Schlage klopft uns beiden das Herz in der Brust, deinem Bruder und mir – wenn ihm was Schlimmes zugestoßen wäre, ich glaube, ich müßte es spüren!« Als aber das Birkenlaub in goldenen Blättern von den Zweigen fiel und das kahle Weidicht am Strande in bläulichem Dämmer starrte, sprach Aud: »Nun geht es ins dritte Jahr, daß er außer Landes bleibt, und ich hoffte bestimmt, heuer noch würde er kommen!«

»Ich hoffe es nicht,« sagte Gisli, »denn je länger er draußen bleibt, um so eher, meine ich, macht er Gests Worte auf dem Frühjahrsthinge zuschanden!«

Es war damals Sitte unter den Heiden, wenn der Herbst zu Ende ging, »den Winter zu begrüßen«, das heißt, Wintersanfang mit Opfern und Gelagen zu feiern. Nun hatte Gisli zwar vom Opfern gelassen, seit er in Jütland gewesen war, aber an den alten Bräuchen hielt er darum doch fest. So hatte er auch jetzt wieder eine ziemliche Anzahl Gäste nach Wang geladen, darunter Erik Erikssohn vom Quellentale und Erik, den Reichen, vom andern Ufer der Föhrde, Bjartmars Söhne, die Oheime der Aud und andere mehr. Da kam, es war schon nach Mitternacht, Önund aus Mittental angeritten, der während Gislis Auslandsreise ihm die Wirtschaft geführt hatte. Als der Hausherr selber ihm den Gaul abnehmen wollte, sah er, das Tier zitterte an allen Gliedern und war weiß vor Schaum an den Flanken. »Spät kommst du, und eilig gehabt hast du es, scheint's, Nachbar!« Önund nickte und nahm ihn beiseite: soeben habe er sichere Nachricht erhalten, Vestein sei zurückgekommen und in der Kesselföhrde gelandet. – »Da schulde ich dir freilich Dank, Nachbar, für jeden Peitschenschlag, den du deinem Hengste gegeben!« rief Gisli, und sofort ließ er seine beiden verlässigsten Knechte vor sich rufen, den Atli und den Swart; da dämmerte es schon. »Ich habe einen Auftrag für euch,« sprach er zu ihnen, »dazu braucht's flinke Füße und helles Hirn! Ihr sollt zu meinem Schwager Vestein hinüber nach Hengststetten an der Kesselföhrde, so schnell es nur geht; es kommt nicht drauf an, wenn ihr dabei auch ein paar Gäule zuschanden reitet! Dem richtet es von mir aus, er solle ja nicht dran denken, uns hier auf Wang zu besuchen, sondern sich still daheim halten, bis ich selber hinkomme, und das soll nicht lange anstehn. Als Wahrzeichen von mir aber weist ihm dieses!« Er zog aus dem Beutel am Gurte sein Stück der Münze hervor, die er seinerzeit in Veborg geschmiedet hatte, und gab sie dem Atli in die Hand.

Die Knechte jagten davon, daß der Dreck aufspritzte unter den Hufen der Gäule, setzten im Boote über die Föhrde, holten sich beim Bauern am jenseitigen Ufer frische Pferde, jagten nordwärts zum Joche hinan, über die öde Schafbergheide hin, die Bärenschlucht hinab, und als sie nach Moosfelden kamen, wählten sie den schlechteren Pfad über die Dünen, weil er der kürzere war.

Zu derselben Zeit aber ritt Vestein unter ihnen auf dem gewöhnlichen Wege am Strande zur Dyriföhrde.

Als sie in Hengststetten anrasten, fanden sie Gunnhild allein mit dem Gesinde. Sofort kehrten sie um und hetzten ihm nach. Während sie durch die Bärenschlucht sprengten, sahen sie ihn weit droben, wie er mit einem schwerbepackten Saumrosse am Zügel zum Passe hinanritt. Sie schrien, was sie konnten, aber er hörte sie nicht. Hinter der Wasserscheide erst, auf der Schafbergheide, erreichten sie ihn. Sie richteten ihm Gislis Auftrag aus. Er hörte sie schweigend an, und als sie ihm das Wahrzeichen vorwiesen, wurde er rot bis unter die Haare. »Zu spät kommt ihr,« sagte er und zog die Brauen herab. »Hättet ihr mich eher getroffen, ich hätte nach Gislis Rate getan. Aber nun laufen schon alle Wasser der Dyribucht zu, und auch mein Herz zieht es dahin. Reitet nur voraus und sagt es Gisli und der Schwester, ich käme!«

Sie taten, wie er sie hieß: knapp vor Einbruch der Dämmerung kamen sie nach Wang und berichteten Gisli, wie es ihnen mit Vestein gegangen war; dicht aneinander vorübergeritten seien sie, ohne einander zu sehen. Da sprach Gisli: »Das sollte so sein!«

Vestein aber ritt langsam zur Föhrde hinab und dachte darüber nach, was es wohl sein könne, weswegen sein Leben hier in Gefahr sei. Am Strande unten begrüßte er eine Verwandte, die dort seit langen Jahren als Pächterin auf dem Gehöft saß, und bat, sie möchte ihn nach Sandgemünd hinüberrudern lassen von ihren Knechten. »Das will ich tun,« sprach die, »freilich, ob ich dir damit einen Dienst erweise, weiß ich nicht: jedenfalls wirst du gut tun, Vestein, wenn du jenseits bist, nicht bloß vor dich zu sehn, sondern auch hinter dich!« Er stutzte, doch mochte er nicht weiter fragen, daß es nicht scheine, als fürchte er sich.

Von Sandgemünd war es noch ein ziemliches Stück Weges bis nach Wang am Strande entlang. Als er an einem Bauern vorbeikam, der grade hinterm Zaun pflügte, hielt der seine Ochsen an und rief: »Ei sieh, der Vestein wieder im Land! Wohinaus?« »Nach Wang.« »Soso, na ja, da wirst du deine Augen auftun müssen: es ist da manches anders geworden im Habichtstal, seit du weg warst!«

Mittlerweile war es Nacht geworden, aber der Vollmond schien hell vom klaren Himmel. Auf Seehof trieb Geirmund, Thorkels Pflegesohn, das Vieh in den Stall, und drinnen band es Halla, die Dirn, an die Krippen. Da sah der Junge einen großen Mann im Helm am Zaun herreiten, blickte schärfer hin und lief zum Gatter hinab. »Vestein, du?« flüsterte er hastig, »mach daß du wegkommst von hier, und sei auf der Hut. Thorkel ist von Gisli weg zu Thorgrim gezogen!« Nun wußte es Vestein auf einmal, wie er daran war, und ritt schnell weiter nach Wang.

Unterdessen war die Dirn vor die Tür getreten, schneuzte sich und wischte sich mit dem Handrücken die Nase. »Wo kommt denn der Vestein her auf einmal?« rief sie dem Jungen zu, der vom Zaune zurückschritt. – »Was für ein Vestein?« sagte der: »Önunds Sohn von Mittental ist's, ich sah ihn doch näher als du, der reitet nach Wang.« »Nicht wahr ist's! Ich werde den Vestein doch wohl noch kennen!« Sie stritten so laut und so lang, bis Thorgrim herauskam und fragte, was es gäbe. »Ach die da, die blinde Kuh, behauptet, es wäre Vestein gewesen, der grade vorbeiritt, derweil war's Önunds Sohn Hauk!« »Da lügt jemand, scheint es mir,« sagte der Gode, »und wir werden es bald herausbekommen, wer's ist!« Er schickte die Dirn nach Wang hinüber, sie solle schaun, daß sie es erfrage, wer alles heut nacht im Hause sei, aber unauffällig müsse sie es machen! Die Dirn machte sich auf den Weg, und es schien ihr eine schwere Aufgabe zu sein. Sie seufzte und dachte so lange und so angestrengt nach darüber, bis ihr alles im Kopfe herumging.

Gisli stand in der Türe, als sie durch den Zaun kam. Sie grüßte ihn. Er dankte und fragte, ob sie eintreten wolle. – Nein, das nicht, aber die Gudrid wollte sie sprechen, die Schwester des Geirmund. – Gudrid kam. Da wußte sie mit der nichts anzufangen und verlangte nach der Hausfrau. – Aud trat in die Türe. Aber nun kam sie erst recht in Verlegenheit, wie sie ihre Sache anbringen solle, schwatzte wirres Zeug und schwieg. – Ja, meinte Gisli, wenn sie denn durchaus nicht eintreten wolle, zum Herumstehen in der Tür wär's eigentlich doch zu kalt heute nacht, ob sie das nicht auch finde? – Da gab sie ihm recht und trollte sich heim, dümmer noch, wenn's möglich gewesen wäre, als sie gekommen!

Auf Wang aber saßen sie bis tief in die Nacht auf, Gisli, Vestein und Aud. Von der Wand herab brannte der Kienspan. Die Rechte des Bruders auf dem Tische hielt Aud in Händen, und Gisli redete lange auf ihn ein. Vestein saß stumm mit niedergeschlagenen Augen. »Gefehlt hab ich freilich,« sprach er endlich, »aber ich hoffte, vergessen machen und wieder gut machen könnte ich's mit der Zeit, doch stärker als wir, ist, scheint es, das Schicksal!« »Gewiß,« sagte Gisli, »aber deswegen laß ich das Steuer im Sturme nicht fahren!«

Am andern Morgen packte Vestein die Geschenke aus, die er auf dem Saumrosse nach Wang mitgebracht hatte für Aud, Gisli und seinen Schwurbruder Thorkel: drei Waschschüsseln mit Gold verkleidet, ein feines Kopftuch von zwanzig Ellen, darein drei Borten aus Goldbrokat gewoben, und einen herrlichen Teppich, sechzig Klafter lang, zum Wandschmuck bei Festen und Gelagen. Da ging Gisli nach Seehof hinüber, gab die Ankunft seines Schwagers bekannt und bat Thorkel, er möchte hinüberkommen zu ihnen: prächtige Geschenke hätte Vestein ihnen gebracht, die solle er sich anschaun und davon für sich nehmen, was ihm beliebe. »Ach, wie käm' ich dazu,« meinte Thorkel, »Geschenke von Vestein zu nehmen? Da habt ihr beide euch ganz anders verdient gemacht um ihn! Auch weiß ich ja gar nicht, ob ich ihm je seine Gaben so werde vergelten können, wie sich's gehört! ein, nein, behaltet ihr nur alles für euch!« »Thorkel,« sprach Gisli, »jetzt will ich dich etwas fragen: verjährt nicht jede Schuld endlich, zumal wenn sie bereut wird? Der Hehler, heißt's, ist gleich dem Stehler, und wer dem Hehler vergibt und ihn an sein Herz nimmt, darf der den Stehler verfolgen?« – Er sei kein Rechtskundiger, sagte Thorkel, darüber sollte Gisli den Gesetzessprecher befragen am Thinge! Und er blieb dabei, von den Geschenken nichts nehmen zu wollen.

Kaum war Gisli weg, ging er stracks zu den Frauen hinüber und fragte Asgerd, ob sie nicht Lust hätte, ihren Vater an der Bartenföhrde zu besuchen, sie hätte es ihm doch schon lange versprochen. »Gern!« rief Asgerd, »mit Freuden!« Morgen schon, wenn es ihm recht sei, in aller Frühe könne sie reiten.


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