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Börk läßt Gisli durch seinen Vetter Eyjolf verfolgen

Börk auf Heiligenberg hatte durch seine Späher erfahren, man rede allenthalben am Bardistrande davon, daß Gisli wieder im Land sei. Da wandte er sich an seinen Vetter Eyjolf, den Grauen, und fragte bei ihm an, ob er die Verfolgung des Waldgängers Gisli für ihn übernehmen wolle gegen ein Entgelt von dreihundert Mark Feinsilber, das war damals eine gewaltige Summe. Eyjolf nämlich war in Streit geraten mit seinem Vater Thord, dem Brüller, und hatte sich deswegen fern vom Tälergau in der Otternkluft an der Adlerföhrde angesiedelt. Von dort war's aber zu Lande kaum eine halbe Tagereise bis zum Hause Gislis in der Wildnis, und über Wasser war's noch näher. Eyjolf kam Börks Angebot sehr zu paß, und er holte sich seinerseits einen jungen Burschen zu Hilfe, den Kundschafter-Helgi hieß man ihn überall: scharfäugig und flink zu Fuß war er und von hellem Verstande. Ihn sandte Eyjolf zur Speerbucht, um zu spähen. Er kehrte bald zurück und berichtete: im Hause selbst habe er niemanden außer den Frauen getroffen, aber im Gewände jenseits vom Fluß hätte er einen Mann klettern sehen von höherem Wuchs, als er je einen geschaut. »Das ist er, der Gisli, ganz gewiß!« rief Eyjolf, und sofort machte er sich mit sechs Mann dahin auf. Sie begrüßten Aud höflich und baten sie um Herberge. Die gewährte sie ihnen und war ganz freundlich zu ihnen. Sie blieben acht Tage, durchforschten die ganze Umgegend, fanden niemand und zogen verdrossen und ziemlich beschämt wieder ab.

Da kam Gisli aus dem Verstecke im Süden hervor.

Derweil ward es Winter, Schneestürme setzten mit Macht ein, und er brauchte nun nicht mehr so sehr auf der Hut zu sein vor seinen Feinden. Da konnte er es zuzeiten schier vergessen, daß er ein Waldgänger war, wenn er mit den Frauen ums Herdfeuer saß und ihnen wie einst in Wang Skaldenverse sprach und aus der fernen Vorzeit erzählte. Jetzt, sagte er, käme ihm öfter als die böse die freundliche Traumfrau und striche ihm, wie man einem Kinde das Köpfchen glättet, sacht mit der Hand übers Herz, bis es ganz still würde in der Brust; und einmal, sagte er, habe sie ihn in eine Halle geführt, die war so lang, daß er schier nicht ihr Ende habe sehen können; dort habe er viele Verwandte und Freunde getroffen, aber keinen, der jetzt noch lebte, und alle hätten sich an den Feuern gewärmt, an den vielen, die dem ganzen Estrich entlang brannten, davon flammten einige hoch und hell und andre wieder flackerten nieder und trüb. »Das sind deine Lebensjahre!« habe ihm die Traumfrau gesagt; »achte sie wohl und gedenke daran, daß du das Kreuzeszeichen des Christ an dir trägst!«

Als es aber Frühling ward, schlich Helgi von neuem auf Lauer in die Wälder um die Speerföhrde, und richtig sah er Gisli einstmals in der Frühe aus dem Haus treten und erkannte ihn genau nach den Anzeichen, die ihm gesagt worden waren.

Wieder ritt Eyjolf sofort und zwar selbzwölft hinüber zur Speerbucht. Diesmal hielt er sich nicht lang damit auf, Aud zu begrüßen, sondern bedrohte sie hart mit Mißhandeln und Erschlagen, wenn sie ihnen ihres Mannes Aufenthalt nicht verriete. Aber sie wandte ihm schweigend den Rücken, und auch aus Gudrid war nicht das geringste herauszubekommen. So mußte er abermals abziehn, nachdem sie das Haus von unterst zu oberst gekehrt und vierzehn Tage lang die Gegend vergeblich abgesucht hatten. Da schäumte Eyjolf vor Wut, denn er wußte, dort sein mußte Gisli, und er schwor, ehe er abritt, nicht eher würde er rasten, bis er ihn dennoch bei seinem Weibe erwische!

Als er mit den Seinen außer Sehweite war, stieg Gisli zum Gemache unter der Erde hervor und sagte, während er da unten im Finstern gehockt sei, habe die böse Traumfrau Macht über ihn gewonnen und ihm übel zugesetzt jede Nacht: immer wieder habe sie ihn in Blut tauchen wollen und ihm den Kopf einreiben mit etwas klebrigem Roten, und das bedeute ihm wohl für die nächste Zukunft nichts Gutes. »Wir müssen nun wiederum scheiden, aber weint nicht, ihr meine Lieben: nicht weiter weg von euch gehe ich diesmal, als ich muß, um, sobald es möglich wird, wieder zu euch zurückkehren zu können!«

Er machte sich nach Furt am Bardistrand auf zur alten Thorgerd, aber als er im Abenddämmer heranschlich, sah er vorm Hause welche stehn, die er als Späher Börks kannte. Er kehrte um und wanderte auf abgelegenen Pfaden zur Dyriföhrde, ob Erik Erikssohn ihn nicht für eine Weile aufnehmen wolle. Da traf er den Önund aus Mittental eines Morgens in einer Waldschlucht, und der riet ihm, er solle sich davonmachen, so schnell als er könne: bei ihm, dem Önund, bei Erik und auf vielen andern Gehöften noch an der Bucht säßen Leute zu Gast aus Heiligenberg, Gesellen des Börk. Da setzte Gisli sich auf eine Felsplatte nieder und sann: eine Schlinge war ihm gelegt, die sollte nun zusammengezogen werden, das war klar ...

Thorkel lag in seinem Schlafverschlag auf dem Rücken und schnarchte im matten Schimmer der Tranlampe zu Füßen des Bettes. Ein leises Pochen drang von der Haustüre her. Asgerd neben ihm wachte auf und stieß ihn an. »Horch, Thorkel!« Er wandte sich auf die Seite. »Landstreicher,« brummte er, »keine Herberge ist's hier für Gesindel!« Lauter tönte das Pochen. Die Augen tat Thorkel auf. »Bettlervolk, unverschämtes!« knurrte er. Da ward es still, und sachte Schritte knirschten dicht an der Hauswand heran. Nach der Axt über seinem Kopf griff er. Da tastete es an die schmale, offene Luke droben hin, und etwas fiel neben dem Bette zu Boden. Thorkel bückte sich und hob's auf. Ein Täfelchen aus Buchenholz war es mit einigen wenigen Runenzeichen darauf. »Verflucht!« murmelte er, »Gisli ist's!« »So ruf doch dem Gesinde und jage ihn weiter!« flüsterte Asgerd. – »Leicht gesagt!« brummte er, »da kennst du den schlecht, den Gisli! Noch größer würde die Schererei mir davon!« Er warf den Mantel um und ging hinaus. Gisli stand im Monddämmer vor ihm. »Was willst du schon wieder?« »Ohne Not geht keiner zu einem Bruder, wie du einer bist, Thorkel. Umstellt haben sie mich rings auf dem Land. Schaff mir ein Boot, daß ich ihnen entgehe! Und damit es dir leichter zumut wird, so wisse, das letztemal ist's heute, daß du mich siehst!« »Komm!« murrte Thorkel und schritt mit ihm zum Strande hinab.

Der Morgen fing an zu grauen. Sie hatten das Boot aus dem Schuppen gezogen. Gisli stand aufrecht darin und stemmte grade, um abzustoßen, das Ruder gegen den Kies, da blickte er noch einmal zu Thorkel am Strande hinüber und sprach: »Nun meinst du, wie der Eber im Koben mit allen vieren bis über die Knie in der Gerste zu stehen: schwerreich bist du geworden, und die mächtigsten Häuptlinge im Land sind deine Freunde. Ich aber irre ausgestoßen von einem zum andern und berge mich, wie das Wild, das von Jägern umstellt ist, im Dickicht. Dennoch verkünde ich es dir: mit fahlem Gesichte, Bruder, ein Totgeweihter, stehst du vor mir – noch ehe sie mich gefällt haben, wirst du dich in deinem Blute wälzen am Boden!« »Wenig schere ich mich um deine Weissagungen!« grollte Thorkel und ging heim, aber ihn fror.


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