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Gislis letzte Kämpfe und sein Tod

Mit Gislis Schlafgesichten aber fing es an, ganz schlimm zu werden. Mit immer neuen Dingen kam die häßliche Traumfrau ihn zu quälen. Vor ihn trat sie, und er saß auf der Bank in der Wohnstube und konnte kein Glied rühren, eine blutige Haube hob sie in beiden Händen empor und zerrte sie über seinen Kopf, daß ihm der rote Saft das Gesicht hinabtroff. »So steht es dir gerecht,« sprach sie, »und nicht anders, denn alles, was dir meine Gesellin, die helle, versprochen hat, mache ich nun zunichte, und ihren lichten Saal sollst du nimmermehr sehn.« Einmal, er lag im Bett neben Aud, fing er an zu stöhnen, warf sich von einer Seite auf die andre, und endlich fuhr er mit einem hellen Schrei in die Höhe. Erschrocken griff sie nach ihm. »Was ist dir?« Er stierte vor sich hin und schwieg, dann seufzte er. »Ich kämpfte ganz allein in einer mächtigen Menge von Feinden, das waren Männer in Waffen, aber mit Tierköpfen alle, Wolfs- und Bärenschädeln, Fuchsfratzen und Hundeschnauzen, und so wie ich einem den Schädel spaltete, quollen zwei neue daraus.« Er nahm ihre Hand. »Das wird wohl darauf deuten, daß die Zahl derer, die mich verfolgen, im Wachsen ist, und mir scheint, meine Aud, alle Auswege sind mir nun so ziemlich verschneit.«

Es war Spätherbst geworden. Eine kalte Nacht brach an, windstill und sternenklar, und es gab einen starken Reif. Gisli im Hause drinnen bei Aud konnte nicht schlafen – bald eine Woche lang schon hatte er es nicht mehr gekonnt. Da stand er auf und sagte, hier wäre es ihm zu dumpf, sein Felsenversteck im Süden wolle er aufsuchen, ob er nicht dort eher zur Ruh käm. Die Frauen sagten, sie würden ihn nicht allein gehn lassen, so müd wie er wäre. Es war noch Nacht, aber schon fing es im Osten an heller zu werden. Gisli schritt voran mit einem Runenstäbchen in Händen und schnitzte daran herum: die Spähne fielen zu Boden. Die Frauen folgten ihm in langen Kapuzenmänteln, die schleiften hinter ihnen her über den Reif und zogen eine deutliche Spur. Als sie in der Höhle über der Schlucht angelangt waren, legte sich Gisli nieder und schlief sogleich ein, die Frauen aber setzten sich am Rande draußen hin und hielten Wacht. Da dauerte es nicht lange, und sein Stöhnen drang aus dem Dunkel. Aud wandte sich zurück und rührte ihn sacht an der Schulter. Er zuckte zusammen und setzte sich auf. »Weniger Ruhe noch gibt es im Schlafen für mich, scheint es, als im Wachen,« sprach er. – »Was war, Ziehvater,« fragte Gudrid, »besuchte sie dich wieder, die Schlimme?« »Nein, Kind, ganz seltsam war's diesmal: Schneehühner waren es in hellen Scharen, so weit meine Augen sehen konnten bis zum Himmelsrand hin, die schlugen mit den Flügeln und hackten aufeinander los mit den Schnäbeln, bis die ganze Luft voll ward von den weißen Federn und dem roten Blut, das rings um mich spritzte.«

Kaum hatte er's gesagt, da horchten sie alle drei auf: Stimmen schlugen aus der Schlucht unten gedämpft zu ihnen empor und ein Klirren klang sacht. »Eyjolf,« murmelte Gisli, »unsre Spur fanden sie, kommt!« Er stülpte den Helm auf, griff nach den Waffen und klomm den Frauen voran zum Felsenkar über der Höhle, das fiel hinter der Reiße steil ab, auf der sie emporstiegen. Aud und Gudrid hatten Knüttel in Händen. »Stellt euch dorthin,« gebot er ihnen, »wo sie mir in den Rücken emporklimmen könnten!«

Der Morgen fing an zu grauen, und sie sahen Eyjolf mit seinen Leuten deutlich heranziehn, fünfzehn Mann in Helmen und Brünnen. Vor der Höhle unten scharten sie sich zusammen. Dann kamen sie einzeln über die Reiße gesprungen, hinter- und nebeneinander, warfen sich hinter den Felsblöcken nieder und stürmten wieder vor.

Gisli stand hinter der Klippe geduckt, die Streitaxt in der Rechten, das Schwert an der Seite, aber Schußwaffen hatte er keine. Bis auf Speerwurfweite waren die vordersten an ihn herangekommen. Da schrie Eyjolf von hinten: »Nun flieh nicht länger, Gisli, und steh uns endlich, daß der Ruf deiner Tapferkeit sich nicht in Schande verkehrt!« »Nur heran,« rief Gisli, »und sorge dich nicht um meinen Ruhm: schon wartet meine Streitaxt auf dich! Aber hübsch weit von hinten her hör ich dich rufen, und fast scheint es mir, Eyjolf, andre willst du das Blutgeld verdienen lassen für dich!« »Du sollst mir's nicht schaffen,« brüllte der, »wie ich meine Mannen zum Angriff verteile!« Gisli lachte auf. »So dachte ich mir's! Nun, wen gelüstet's, seinen Kopf für den Beutel des grauen Feiglings zu wagen?«

Mehr als drei nebeneinander konnten nicht gut angreifen auf der schmalen Reiße. Eyjolf wandte sich flüsternd an den Kundschafter Helgi neben sich. »Nicht mit der Kraft ist's gegen ihn, mit der Flinkheit allein ist's zu gewinnen. Gewaltigen Ruhm gäbe es hier zu erwerben, und der Flinkste unter uns allen bist du!« Helgi dachte daran, wie er in der Nacht ausgerissen, als sie das Steinmal aufrichteten, und seine Augen funkelten. »Wenn du ihn zugleich von der Seite her angreifst!« »Ich will's!« »So klimm rechts am Abhang zu ihm empor. Gradean stürme ich.«

Eyjolf verschwand unter den Klippen. Helgi zog das Schwert, bückte sich und sprang in gewaltigem Anlauf aufs Kar. Aber schon schmetterte ihm Gislis Streitaxt in den Hals, daß es ihn zurückwarf, der Helm klirrte, der Kopf flog von den Schultern und kollerte das Geröll nieder, der Rumpf schlug zum Grunde. Da griff Eyjolfs Hand links von Gisli über den Rand des Abhangs und krallte sich um einen Felsen. Aud schnellte herbei und schlug zu mit dem Knüttel, er ließ los und stürzte hinab. Gisli stemmte die Axt vor sich auf den Boden und lächelte. »Sei bedankt, Aud, daß ich ein tüchtiges Weib habe, wußte ich, aber nicht, wie tapfer es zuschlagen könnte. Dennoch, hätte er sich aufgerichtet vor mir, der Eyjolf, mit dem Leben davongekommen wie jetzt wäre er nicht!«

Helgis Kopf lag im Geröll zwischen Gisli und seinen Gegnern, das Gesicht blutbespritzt ihnen zugewandt mit den starren Augen. Das schien ihnen keine rechte Ermunterung zum Angriff zu sein. Eyjolf kam herangehinkt, mit der rechten Hand unterm Arme. »Schafft mir die Weibsbilder erst einmal weg dahinten!« grollte er, »lockt sie herab ins Geklüft!«

Da krochen zwei zwischen den Felsrücken am Abhang empor. Zugleich erhoben die andern zwölf ein Geschrei: »Greift an! Auf, Leute, stürmt!« Gisli holte aus mit der Axt. Einer sprang vor mit der Klinge. »Lang genug narrtest du uns! Aber heut läßt du uns alles, dein Leben, dein Weib, deine Waffen!« »Was brüllst du? Hol sie dir, wenn du dich traust; mit dem Maule gewinnst du sie nicht!« Da warf der den Schild über den Kopf und raste hinauf. Mit gefälltem Spieß stürzte ein zweiter von rechts gegen ihn. »Los, Leute!« schrie Eyjolf von rückwärts ...

Aud sah die Männer zwischen den Felsen hinaufklettern: sie rief der Gudrid, und mit den Knütteln in der Hand liefen sie auf dem schmalen Grasband hinab. Auds Prügel erdröhnte hell auf dem Schild. Da fuhr der Mann darunter mit der Rechten nach ihrer Kehle, packte sie am Gewand vorn und riß sie zu Boden. Droben rang Gudrid mit den andern ...

Der mit dem Schilde über dem Kopfe gegen den Waldgänger herangerast war, krachte, seine Axt im Rücken, vor ihm zu Boden – heraus riß sie Gisli, schlug den Spieß, der von rechts auf ihn eindrang, beiseite und hieb dem Stürmenden den rechten Arm von der Schulter mit solcher Wucht, daß die Axt auf den Felsen knallte und das Blatt vom Stiel brach. Er warf sie weg, riß das Schwert heraus und schlug noch zwei nieder. Da prallten die andern zurück.

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»Gisli, wahr dich!« gellte Auds Stimme von unten. – »Vorwärts!« brüllte Eyjolf, »weg ist sein Rückenschutz, jetzt packen wir ihn von zwei Seiten!« Gisli blickte hinter sich: über den Rand des Kars tauchten zwei Helme. Wild sah er um sich – und plötzlich schrien sie alle auf, die vor ihm. Mit einem gewaltigen Satz war er über den Abgrund rechts auf eine Grashalde im Gewände gesprungen, taumelte, griff nach einem Halt in den Felsen und reckte sich auf ...

Lauter erlesene Leute waren es, die Eyjolf sich mitgenommen hatte, eine tapfere Schar. Sie konnten nicht finden, daß ihre Lage sich gebessert hätte, seit sie angegriffen hatten: vier lagen tot, Eyjolf hinkte, und sie hatten nichts als die beiden Frauen gefangen. Unverwundet stand Gisli drüben in den Felsen.

Eyjolf rief sie zusammen. »Wir müssen ihn haben! Viel Ehre ernten wir in keinem Fall mehr, aber wer von euch möchte jetzt heimkehren, mit solcher Schande beladen?« – Keiner, sagten sie, gewiß nicht, sie sähen es ein. »Greifen wir an!« »Aber nicht, daß sein Schwert uns erreicht,« rief Eyjolf, »wozu haben wir unsere Spieße? Schonen wir uns und stechen wir ihn herab von den Felsen!«

Den Schaft aus den Händen riß Gisli dem ersten, der ihn anlief, und trieb ihm die Klinge ins Hirn. Nun aber rückten sie von allen Seiten heran und stießen nach ihm mit den Speeren, bis ihm das Blut rings vom Wams niederrann. Wenn er aber vorsprang, wichen sie hinter sich. Manchen Schaft noch schmetterte er entzwei, und manchen, der sich zu nah heranwagte, schlug er zu Boden. Doch endlich hatten sie ihm mit den Erzspitzen den Leib von unten her so aufgerissen, daß die Eingeweide draus quollen. Da drückte er sie mit der Linken zurück, zog das Hemd straff, schnürte es mit dem Hüftstricke fest um den Leib, schleuderte seinen Schild in den Abgrund und trat aufrecht an den Rand der Halde. »Haltet jetzt ein, ihr, und verstoßt nicht umsonst eure Speere: haben sollt ihr es nun, was ihr begehrt!« Zu Aud im Tal unten sah er nieder, die die gebundenen Hände zu ihm emporwand, und rief mit hallender Stimme:

»Meines Lebens Freude,
O du Vielgetreue,
Sieh mich zaglos sterben,
Wie ich zäh gestritten!

Furchtlos lieber fallen,
Als in Ängsten leben,
Solchen Sinn vermachte
Seinem Sohn mein Vater!«

Vom Felsen herab sprang er mitten unter die Feinde, schmetterte dem vor sich, einem Neffen Eyjolfs, das Schwert in den Schädel und brach selbst über dem Gefällten zusammen ...

»Ja,« sagte Wendland »das war er, der Gisli!«


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