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Gisli kehrt an die Speerföhrde zurück

Thorkel zu Senkenhausen am Bardistrand hatte sein Vermögen mit den Jahren mächtig gemehrt trotz seiner Trägheit, denn andre für sich arbeiten zu lassen, das verstand er. Asgerd war unter den Nachbarinnen beliebt, denn so gut plauderte sich's nicht leicht mit einer andern: es war, als könnte sie durch alle Kisten und Kasten hindurch in den Haushaltungen schaun, und was sie nicht wußte, das wußte er. Eines Abends, als sie in der Wohnstube saßen, klopfte es an die Haustür. Thorkel ging hin und öffnete. Da stand ein Mann in der Tür von gewaltigem Wuchs, mit langem Barte, das Gesicht sonnenverbrannt und verrußt, in zerfetztem Gewande. Mit gerunzelten Brauen starrte Thorkel ihn an und wollte grad den Knechten rufen – da prallte er zurück. »Gisli, du!« stammelte er erschrocken, »du lebst noch? Und wir glaubten – ja, wie kommst du denn hierher?« Asgerd stand sofort auf, wie sie den Namen »Gisli« hörte und ging hinaus, aber hinter der Tür blieb sie stehen und horchte ... »Du wirst es vielleicht nicht verstehen,« sprach er mit dumpfer Stimme, »zu meinem Weib zieht's mich, in ihre Nähe!«

»Allerdings!« rief Thorkel: das sei doch die größte Torheit! Hier würden sie ihn gleich heraus haben und ihm auf den Hacken sein, der Börk und die Seinen! »Aber was willst du von mir? Davon kann doch keine Rede sein, und das wirst du selber nicht glauben, daß ich dich etwa aufnehme bei mir!« »Nein,« sagte Gisli, »dazu kenne ich deine Sinnesart nun zu genau. Aber schau mich an, Thorkel, die bittre Not treibt mich. Wo soll ich Unterkunft finden ohne Entgelt? Und die Leute auf den Straßen zu berauben, wie mancher gezwungen tut, der es lieber ließe, das ist mir nicht gegeben. Vielleicht ist es da selbst von deiner Bruderliebe nicht zuviel verlangt, daß du mir hilfst!« Da hob Thorkel die Schultern und sprach großartig: »Ich will dir Geld geben. Doch beding ich mir's aus, daß du mir fernbleibst und mich nicht in deine Händel hineinziehst!« ...

Thorgerd, die Mutter des weisen Gest zu Furt am Bardistrand saß auf der Bank vor ihrem Hause und rastete nach der harten Arbeit des Tages. Es dämmerte, und die Sterne fingen grad an, am bleichen Himmel zu schimmern, da trat aus dem Wald jenseits ein großer Mann und ging quer über die Wiese aufs Haus zu. »Seid Ihr nicht die Thorgerd, Gests Mutter, Oddleifs Witwe?« Sie blickte ihn forschend an, er sah ziemlich zerlumpt aus, und nickte. – »So hab' ich ein Anliegen an Euch: nehmt mich auf, Frau, für eine Weile und wißt« »'s ist schon recht, Söhnchen,« fiel sie ihm ins Wort, »du bist nicht der erste und wirst der letzte nicht sein, den ich berge, aber von Euren Geschichten, was Ihr alles angestellt habt und wer Ihr seid, da will ich lieber nichts hören!« »Diesmal, Mutter, ist's anders: kein Galgenstrick bin ich, den die Häscher verfolgen, sondern, wenn du von mir schon gehört haben solltest, der Gisli!« Da stand sie auf – der Buckel wuchs ihr schon ein wenig zum Nacken empor – und rieb sich heftig die Nase. »Der Gisli, ist's möglich? Ja ja, mag schon sein, vor Jahren sah ich dich einmal, ein schöner Mann warst du damals. Sind das etwa graue Strähnen da in deinem Barte? Oh, wie haben sie dich zugerichtet, die Verfluchten! Ja, Gisli, da steht es nun so: willkommen sollst du mir sein, aber mehr als Weiberhilfe vermag, kann ich dir nicht geben.« – Das würde ihm reichen, entgegnete Gisli, denn um die Männerhilfe stünde es neuerdings so, daß gar kein Verlaß darauf sei, und wenn es der eigene Bruder, der leibliche wäre ...

An der Speerföhrde fing das Laub an zu falben. Es ging gegen Abend. Aud stand vorm Herde und wartete aufs Sieden des Wassers im Kessel, da polterte Gudrid durchs Haus, riß die Tür auf und rumpelte in die Küche. »Mutter!« schrie sie; ihr Gesicht lachte, und dabei stürzten ihr die hellen Tränen über die Backen. Aud starrte sie an, und plötzlich schoß ihr alles Blut aus den Wangen zum Herzen! Da stürmte auch schon Gisli herein und hielt sie umschlungen. Sie weinte an seiner Brust und stammelte wie ein kleines Kind immerzu, aber lang ging es her, bis ein klares Wort daraus wurde. Da schloß sie die Hände um seinen Nacken, legte ihm ihren müden Kopf an die Schulter und sagte: »Sieh, die Gudrid und ich, alle Tage, die du weg warst, haben wir davon gesprochen, wie es sein würde, wenn du kämst, und nun ist's ganz anders geworden, und doch viel schöner noch, als wir's uns aussinnen konnten und viel lieber!« Indessen bereitete Gudrid ihnen das Bett. Aber zum Schlafen kam keines von den Gatten die ganze Nacht durch, und erst als der Tag schon herandämmerte, schlummerten sie, übermüdet von der Herzensfreude, ein nebeneinander. Da schlich Gudrid den ganzen Morgen auf den Zehen durchs Haus!

Am Abend des andern Tages sprach Gisli zu den Frauen: »Eins werdet ihr gewöhnen müssen an mir, ihr Lieben. Stark im Träumen war ich ja allezeit, Aud, aber nun, während der finstern Winternächte in den Schneewüsten droben ist es so weit mit mir gekommen, daß ich mich schier jede Nacht übel gehabe und nicht selten schreie. Es sind nämlich zwei Traumfrauen, die haben in den Einöden unter dem Räubervolk angefangen, mich heimzusuchen, eine böse und eine, die freundlicher ist. Und wenn die böse kommt, geht es oft wild zu!«

Er half nun den Frauen bei der Arbeit und richtete sich zwei Verstecke her; eins im Gewände jenseits des Stromes im Norden und ein andres im Süden, wo er sich verbergen und eine Weile leben könnte, wenn man ihn suchte bei Aud. Auch grub er sich ein Gemach unter der Erde, mit einem Gange ins Haus und dem Ausgang drunten am Flusse ins Freie. Und das sollte er bald nötig gebrauchen!


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