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Gisli verrät sich

Inzwischen war's Winter geworden. Da zeigte sich eine Absonderlichkeit an Thorgrims Grabe, darüber konnten die Leute nicht genug staunen: der Hügel über ihm gefror nicht, und aller Schnee, der darauf fiel, schmolz sofort weg. Da meinten die meisten, der Gott Frey sei es, der bewirke das Wunder, weil er nicht leiden wolle, daß es je kalt werde zwischen ihm und seinem Goden. Eines Tages, als schon die Vögel wieder ganz leise zu zwitschern begannen, saßen im Sonnenschein am Grabhügel die Frauen und Mädchen von Seehof und Wang, Thordis darunter und Asgerd, die lebte jetzt ganz leidlich mit Thorkel zusammen. Sie plauderten untereinander und sahen dabei dem Ballspiele der Männer auf dem Teiche unten zu. Börk war mit großem Eifer dabei: er war nach Gisli weitaus der Beste, aber heut tat er sich hart, denn diesmal spielte Gislis Nachbar gegen ihn, der starke Thorstein, der Sohn der Rannweig, die den Grim Geiernase zum Bruder hatte, den Hexer. Schließlich, als er gar nicht gegen ihn aufkam, wurde Börk wütend und schlug ihm das Ballscheit aus der Hand und in Splitter. Thorstein aber packte und schleuderte ihn übers Glatteis, daß er auf dem Hintern zum Ringe der Spieler hinausschoß. »So ist's recht, Thorstein,« rief Gisli und trat ihm an die Seite, »gib's ihm tüchtig, dem Dicken! Da, nimm mein Scheit, ich richte das deine derweil!« Mit dem zersplitterten Schlägel unterm Arm ging er zum Rande des Teiches, blickte zum Hügel Thorgrims empor, lächelte und summte es sacht vor sich hin:

»Schneefrei wölbt das Dach sich
Ob des Stolzen Wohnung,
Jenes rauhgesinnten
Riesenschreckengrimmes!

Seine Heimstatt dankt er
Mir, der Heldenschwender:
Ich war's, der das Land da
Ihm zu Lehen schaffte.«

Thordis aber unterm Hügel vernahm die Worte, so leis er sie hinsprach, und erbleichte, stand sofort auf und ging heim: sie hatte den Sinn der Rätselweise erraten! ...

Kurze Zeit darauf kam auch Börk vom Spiele zurück, ziemlich übel gelaunt. Dennoch fiel es ihm auf, wie schweigsam Thordis war. »Was hast du,« fragte er, »du schaust so blaß?« »Es ist nichts,« sagte sie, »doch eines, Börk, möchte ich von dir hören – du bist doch schon viel mit Skalden zusammengewesen, was heißt das in ihrer Dichtersprache: der Riesenschreckengrimm?« – Oh, das sei ziemlich deutlich gesagt, meinte Börk: »Thor, der Donnergott ist der Schrecken der Riesen, und der Riesenschreckengrimm ist kein andrer als Thorgrim! Aber wie kommst du darauf, Thordis?« Durch ihr Gesicht ging ein Zucken. »Wenn du mir etwas zulieb tun willst, so frage mich nicht darnach. Zu seiner Zeit, wenn wir von hier weg nach Heiligenberg ziehen, sollst du's erfahren.«

Sie redete kein Wort mehr den Abend, und die ganze Nacht durch weinte sie, daß Börk es nicht höre, mit zusammengebissenen Zähnen in ihr Kissen, denn sie hatte nächst Thorgrim Gisli am liebsten gehabt auf der Welt, ihren Bruder, den Stolz ihrer Sippe. Am Morgen darauf aber ging sie der Wirtschaft nach wie alle Tage und ließ sich nichts merken.


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