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Eyjolf von Aud gezüchtigt

Inzwischen hatte Gest erfahren, Eyjolf wolle den Kundschafter Helgi neuerdings zur Speerföhrde schicken. Da erschien in Otternkluft Gests Neffe Havard, ein frischer, junger Bursch, der erbot sich aus freien Stücken, ihn zu begleiten. Das nahm Helgi gern an, und sie brachen zu zweit auf. Alle Schluchten und Wälder durchforschten sie unermüdlich nach Gisli, und endlich eines Abends, als es schon zu dunkeln begann, sah'n sie ihn aus dem Buschwerk neben dem Strom auftauchen, der hinter dem Hause vorbeifloß: er watete durchs Wasser, schlich durch das dichte Weidicht am Strande und stieg die steile Kluft im Norden hinan. Sie folgten ihm vorsichtig im Walde. Manchmal entschwand er ihnen, dann sahen sie ihn wieder durch die Stämme hindurch, wie er emporklomm. Arg abhetzen mußten sie sich, ihn nicht aus den Augen zu verlieren, und plötzlich, es ward schon hübsch finster, war es, als wäre er in den Berg hinein durch die Felswand getreten. »Seine Höhle ist's dort,« flüsterte Helgi, »schnell zu Eyjolf, es ihm zu melden, aber vorher noch geschwind ein Steinmal gerichtet, daß wir die Stelle auch wiederfinden, denn kreuz und quer ging es hinter ihm her!« Sie fingen an, Steine herbeizuschleppen und sie zu einem Haufen zu schichten, den sie vom Tal aus schon sehen könnten. Da sagte Havard nach einer Weile, so ginge es nicht mehr weiter: nun könne er wirklich nicht mehr, und auch Helgi würde vermutlich bald am Rand sein mit seinen Kräften; jetzt wollte er einmal rasten und schlafen und danach sollte es Helgi. »Sonst bringen wir erst recht nichts zustande!« Und er warf sich zu Boden und fing alsbald an mächtig zu schnarchen. Da schleppte Helgi allein, bis er die Arme nicht mehr rühren konnte, totmüd hinsank und fast im selben Augenblick einschlief. Jetzt sprang Havard auf, aber keine neuen Steine trug er hinzu, sondern, so wie er sich überzeugt hatte, daß der andre nichts mehr sah und nichts hörte, begann er in aller Hast das Mal wieder abzutragen, bis keine Spur mehr davon war. Dann hob er ein mächtiges Felstrumm mit beiden Händen hoch und schmetterte es dicht neben Helgis Kopf hin, daß der Boden erdröhnte und der Schläfer entsetzt auf die Füße fuhr. »Was war das?« »Ja,« meinte Havard, »mich wundert's, daß du nicht eher erwacht bist. Es sind schon ein paar solcher Dinger von der Höhe da über uns herabgekommen, während du schliefst: 's wird wohl der Waldgänger aus der Höhle sein, der uns erspäht hat und uns zu verscheuchen versucht.« »Der Gisli!« Helgi wandte sich jählings und sauste bergab, glitt aus, stürzte, sprang auf und rannte. »So hetz doch nicht so, du Narr, durch die Nacht!« schrie Havard ihm nach, »sind dir denn deine heilen Knochen nichts wert?« Aber der andre hörte ihn nicht und hielt erst ein, als er im Tal unten über dem Fluß war.

»Jetzt stellen wir ihn in seiner Höhle, den Bären!« rief Eyjolf, als ihm der Kundschafter Helgi berichtet hatte von seiner Fahrt. Und sofort machte er sich mit den Leuten, die er zur Hand hatte, auf den Weg. Aber soviel sie da auch nach einem Steinmal in den Schluchten spähten und solang sie im Bergwald danach suchten, sie fanden keines. Helgi schüttelte den Kopf und sah Havard an. »Der Gisli hat's abgetragen!« »So wird's sein!« stimmte Gests Neffe zu. »Gewiß,« sprach Eyjolf, »aber wartet nur, Burschen, ist er listig, so schlagen auch wir ihn mit Listen!« Er schlug auf den Beutel an seinem Gurte. »Ich sah mich schon vor! Härter als Silber ist Stahl, und dennoch dringt jenes oft tiefer als Schwert und als Speer ein!« Sie ritten zum Hause der Aud, traten ein und begrüßten die Wirtin – Gisli aber saß zu der Zeit im Erdgemach drunten. »Ich habe wohl letzthin ein wenig rauh mit dir geredet, Hausfrau,« begann Eyjolf, »doch war's nicht so schlimm gemeint, wie es klang. Heut hab ich dir einen Vorschlag zu machen. Ein kluges Weib heißen sie dich allerorten, und ich denke, du wirst es auch diesmal bewähren. Die Sache steht so, daß wir nunmehr ganz bestimmt wissen, der Gisli steckt hier in deiner Nähe. Doch könnte es uns freilich noch manchen guten Mann kosten, bis wir ihn mit Händen zu greifen bekämen, einen Kämpen wie ihn, und das wollten wir gerne vermeiden. So hör mir denn aufmerksam zu: verloren ist Gisli in jedem Falle – weisest du uns aber sein Versteck – sieh her!« Er knüpfte den Lederbeutel von seinem Gurte und warf ihn auf den Tisch vor sich, daß die Geldstücke klirrten. »Hundert Mark sind's in reinem Silber, das alles ist dein; und für eine gute Heirat als Ersatz will ich dir außerdem sorgen.« Aud errötete flüchtig, schlug die Augen nieder und ward blaß. Dann sah sie auf. »Was du da von einer neuen Heirat sagst, Eyjolf, ist nicht nach meinem Geschmacke. Aber freilich, Geld regiert die Welt, und der beste Trost für die Hinterbliebenen, heißt's, ist das Erbe. Auch habe ich, wie du richtig sagst, den Ruf meiner Gescheitheit zu wahren. Doch laß mich die Münzen erst einmal sehn.« Er legte ihr den Beutel in den Schoß. Sie knüpfte ihn auf und fing an zu zählen ...

Gisli saß in seinem Erdgemach auf der Bank und schnitzte im Schein eines brennenden Kienspans an einem Speerschaft. Da tappten hastige Schritte heran, und schluchzend stürzte Gudrid zu ihm hinein. »Flieh, Ziehvater, flieh! Die Mutter, von Sinnen gekommen ist sie: sie will dich an Eyjolf verraten!« Er lächelte, legte den Schaft nieder und nahm sie bei der Hand. »Sei ruhig, Kind, so lange meinem Leben von niemand anderm Gefahr droht als von Aud, ist es nicht schlimm.«

Indessen hatte die Hausfrau oben das Silber gezählt und tat es Stück um Stück zurück in den Beutel. »Es ist richtig,« sagte sie, »gehört nun das Geld mir, und kann ich damit tun, was ich will?« »Aber gewiß,« sagte Eyjolf hocherfreut. Da schnellte sie wie eine Flamme hinter dem Tisch empor, schwang den Beutel und schlug ihn ihm mitten ins Gesicht, daß er zurücktaumelte an die Wand und ihm das Blut zur Nase hinausschoß. »Ich, meinen Gatten verraten! Du Schurke! Ehrlos wähnt alle auf Erden der Arge! Habe dir das zur Schmach dein Leben lang, daß eines Weibes Hand dich züchtigen mußte!« »Packt das Weibsstück! Nieder mit ihr, ganz gleich, Hund oder Hündin!« schrie Eyjolf und wollte sich auf sie stürzen. Da warf sich Havard dazwischen und nach ihm die andern, und sie drängten den Eyjolf zur Türe hinaus. Selber werde er ihnen später danken bei ruhigem Blute, daß sie ihn davor bewahrt hätten, sich an einem gekränkten Weib zu vergreifen, rief Havard. Ehe er aber als letzter die Stube verließ, sprach Aud und zog einen Goldring vom Finger: »In deiner Schuld stehn wir, Gisli und ich, nimm das hier als Abschlag!« – An diese Schuld hätte er sie niemals gemahnt, sagte er. – Um so mehr müßten sie daran denken, sprach Aud.

Sowie Havard draußen war, sprang er in den Sattel und ritt stracks von Eyjolf weg zu seinem Oheim Gest, der lobte ihn: recht gemacht hätte er's!


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