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Gisli auf der Hergilsinsel

Ingjald hieß der Bauer auf Hergilseiland mitten in der Breitenföhrde, zu dem flüchtete Gisli im Kahn; auf dem Thinge zu Falkengries hatte er ihm einst zu seinem Rechte gegen einen Gauhäuptling verholfen. Ingjald war ein wackrer Kerl, vierschrötig, wie aus einem Eichenklotze gehauen, und fest wie in seinem Aussehen auch in seinen Taten und Worten. Er nahm Gisli mit offenen Armen auf, und einen Zufluchtsort, der sicherer wäre, konnte der gar nicht finden. Niemand hauste auf der kleinen Felseninsel außer dem Bauern und seinem Weibe, dem Knechte und der jungen Magd. Und dann war noch ein Sohn da, aber der zählte kaum mit: so groß und stark er heranwuchs, war er ein vollkommener Narr, lag im Winter in der Asche vorm Herde, wälzte sich in der guten Jahreszeit auf den Wiesen herum und fraß Gras wie ein Stück Vieh. Gisli blieb den Sommer über bei ihnen, half ihnen bei der Arbeit, flickte die Netze, ruderte mit dem Bauern zum Fischen hinaus und brachte im Herbste mit ihm die Heuernte ein von den spärlichen Grasplätzen zwischen den Felsen. Im Winter aber, als alles tief im Schnee lag, wagte er sich zu Aud hinüber. Und im Frühjahr, ehvor die Wege auftrockneten, kehrte er wieder auf die Hergilsinsel zurück. So gut gehabt hatte er es schon lange nicht mehr, und manche meinen, es wäre daher gekommen, weil Grim Geiernase vergessen hätte, bei seiner Verwünschung, daß Gisli nicht Ruhe noch Rast finden solle, die Eilande zu nennen.

Indessen zerbrachen sich Börks und Eyjolfs Gesellen die Köpfe darüber, wohin ihnen Gisli so spurlos entwichen sein könnte, nachdem sie ihn doch schon von allen Seiten eingekreist hatten. Eyjolf, der Graue, ließ den Kundschafter-Helgi abermals kommen und bat und ermahnte ihn, er möge nun sein Bestes hergeben, der Lohn solle auch gewiß danach werden. Da strich Helgi um die ganze Breitenföhrde von Tal zu Tal und fragte und forschte überall, ob ihm nicht etwas zu Ohren käme, was ihn dem Waldgänger auf die Spur bringen könnte. Aber es war, als wäre er von der Oberfläche der Erde verschwunden.

Einmal, als Helgi auf einem Gehöfte in der Nähe von Furt am Bardistrande zu Nacht saß, unterhielt sich der Bauer mit seinem Weibe von ihrem Nachbarn zur See auf der Hergilsinsel, da meinte der Hausherr: »Wo er sein schönes neues Boot nur her hat, möchte ich wissen. Fleißig ist er ja, der Ingjald, vom frühen Morgen an bis in die Nacht und ein tüchtiger Fischer, doch ein geschickter Handwerksmann, das war er nie, und der Sam, sein Knecht, ebensowenig! Sonst aber ist kein Mannsbild auf der Insel! Oder glaubst du, die Götter haben seinen Sohn, den Trottel, plötzlich mit Wunderkräften begabt, daß der ihm den Nachen gezimmert? 's ist rein nicht zum Begreifen, wie er dazu gekommen ist, denn gekauft hat er ihn auch nicht, das weiß ich gewiß!«

Am nächsten Tage mietete sich Helgi ein Boot und ruderte zum Hergilseiland hinüber.

Sobald Gisli dem Strande ein Fahrzeug nahen sah, pflegte er sich in den Raum unter den Boden hinter der Küche zu verstecken. So tat er auch diesmal.

Ingjald war ein gastfreier Gesell; er begrüßte den Helgi aufs freundlichste und forderte ihn auf, die Nacht da zu bleiben. Das nahm der an und bat, am nächsten Morgen mit ihm zum Fischen hinausfahren zu dürfen. Als ihn der Bauer aber in aller Frühe weckte, sprach er mit heiserer Stimme, daß man es kaum vernahm, er sei krank geworden über Nacht, furchtbar erkältet, dazu fing er an zu stöhnen und hielt sich den Kopf mit beiden Händen, als fürchtete er, daß ihm der Schädel zerspringe. Da sagte Ingjald, er solle ja zu Bette bleiben und sich schonen, und ging allein zum Strande hinab. Helgi aber fuhr fort zu stöhnen und zu ächzen, und dabei gab er genau acht auf alles, was im Hause geschah.

Seine Schlafkammer war nur durch einen Verschlag von der Küche getrennt. Er hörte die Hausfrau eine Weile drinnen hantieren und dann irgendwohin weggehn. Da hob er sich aus dem Bette, klomm an der Bretterwand des Verschlages hoch und blickte hinüber: auf dem Herde stand eine tüchtige Schüssel voll Grütze gerichtet. In dem Augenblick trat die Hausfrau durch die Falltüre aus dem Gemache unter der Erde hervor. Helgi duckte sich stracks, verlor den Halt und stürzte unter Krachen und Poltern zu Boden. »Hoho!« rief sie verblüfft, was denn da los wäre, daß er an den Wänden hinaufkröche, der Kranke? »Vor Schmerz,« stöhnte der, »vor rasendem Kopfschmerz! Mutter, komm, hilf mir ins Bett, alle Knochen sind mir wie zerschlagen!«

Mitleidig packte sie ihn unter den Achseln, schleppte ihn zum Lager und verstaute ihn dort sorgsam unter den Decken. Kaum aber hatte sie ihn verlassen, hob er sich wiederum aus dem Bette und schlich ihr vorsichtig nach in die Küche: die Schüssel Grütze war vom Herde verschwunden, und die Falltüre stand offen. Er lugte hinein, und da sah er den drunten im Dämmer, den er nicht sehen sollte, und den er gesucht hatte, so lang!

Als Ingjald am Abend heimkam und ans Bett des Kranken trat, sagte Helgi, nun hätte es ihm ganz bedeutend gebessert, und wenn der Bauer ihn morgen zur Plattinsel übersetzen wollte, wäre er ihm sehr dankbar. Denn dort würde er Fahrgelegenheit genug finden nach Heiligenberg, wo er den Thingherrn des Ingjald, Börk den Dicken, besuchen müsse notwendig. Das versprach ihm Ingjald und schaffte ihn andern Tages in der Frühe hinüber ...

Eines Morgens war der Bauer mit Gisli und dem Gesinde in zwei Booten hinausgerudert zum Fischen. Da sahen sie in der Ferne eine mächtige Schute voll von Männern, alle in Waffen von Kopf bis zu Fuß, auf die Insel zusteuern, und es währte nicht lange, da erkannte Gisli vorne an seinem gewaltigen Leibesumfange Börk. »Das gilt mir?« sagte er, »was sollte er sonst wohl mit einem solchen Haufen und so schwer in Waffen holen wollen bei dir! Was tun wir nun, Bauer?« »Da ist nicht viel zu überlegen! Wir fahren heim, nehmen unsere Waffen und wehren uns, bis wir fallen, denn gegen ihre Übermacht aufkommen werden wir schwerlich!« »Die Antwort konnte man erwarten von einem Manne wie dir, aber ein schlechter Dank wäre das für all das Gute, das du an mir getan hast, den Tod dir zu bringen! Nein, da hab' ich mir was andres ersonnen: laß mich das Gewand tauschen mit deinem Knechte und zur Dirn ins Boot hineinsitzen, ihr beiden aber, du und der Sam, rudert zurück auf die Insel. Ich will's dann schon so richten, daß deren Fahrt da vergeblich gewesen sein soll!« Sie taten, wie er gesagt hatte: Gisli und der Knecht tauschten ihr Gewand und die Plätze in den Booten, und danach fuhren sie auseinander.

»Paß nun auf!« sprach Gisli zur Dirn, »wir rudern jetzt ganz gemächlich zu auf die Schute, da werde ich der Sohn des Bauern sein, verstehst du, der Narr, und mich darnach aufführen hier im Boot. Sie werden allerhand wissen wollen von dir, darauf antworte du ihnen frisch, wie dein Verstand es dir eingibt, und ich denke, dann wird es recht sein!« Er zog sich das Netz über den Kopf und wickelte es um sich, viele Male, daß es wie ein dichter Schuppenpanzer über ihm lag.

Als die drüben in der Schute dem Boote auf Speerwurfweite nahe gekommen waren, hielten sie ein mit Rudern und spähten hinüber. Da fing Gisli an, sich hin und her zu werfen unterm Netz und zu gröhlen. Sie lachten. »Was hast du denn da für einen Wal erbeutet?« riefen sie hinüber. – »Ach, der da! Ingjalds Sohn ist's, der Narr!« »So bist du Ingjalds Magd?« fragte Börk. – Ja, das wäre sie. – Ob sie da nichts davon wüßte, daß der Bauer seit geraumer Zeit einen Gast insgeheim bei sich halte? – Insgeheim grade nicht, aber da wäre schon einer! – »Groß von Wuchs?« – »Ja, hübsch ein Langer!« – Ob der jetzt wohl daheim sei? – Sie wies nach der Insel hinüber. »Seht ihr sie nicht, die zwei? Da landen sie grade vom Fischen!«

Die Schutenfahrer wären gerne noch eine Weile geblieben, dem verrückten Treiben des Narren zuzuschauen im Boote. Doch Börk trieb zur Eile: nötigeres zu tun hätten sie, als sich mit solchen Kindereien zu befassen. »Der Fisch, der anbiß, ist deshalb noch lang nicht geborgen!« Da legten sie sich in die Riemen, und die Felseninsel wuchs im Sonnenschein schnell vor ihnen auf aus der See. Am Strande standen zwei Männer, ein breiter und ein langer. »Kannst du sie erkennen, Helgi?« fragte Börk. Der hielt die Hand über die Augen. »Der kleinere ist Ingjald!« Da ging der Große ins Haus.

Knirschend stieß die Schute am Strand auf. Sie sprangen von Bord und stürmten los auf den Bauern. »Du Schuft,« schrie Börk, »mein Thingmann willst du sein und birgst den Mörder meines Bruders vor mir! Heraus mit dem Gisli! Sonst binden wir dich und führen dich weg, und dann soll dein Kopf auf den Schultern bis übers nächste Thing nicht mehr halten!« Ingjald blickte ihm fest ins Gesicht. »Sieh, Börk, hübsch abgenutzt ist das Gewand hier an mir, aber ehe ich Gisli verrate, ist mir's lieber, ich trag's nicht mehr vollends auf!« »Sucht das Haus aus!« schrie Börk ...

»Wir haben ihn!« brüllten die Fahrtgenossen und schleppten einen langen Menschen in ihrer Mitte herbei. Der Bauer lachte auf. »Der Sam, mein Knecht ist's!« Da hob sich's blökend und lallend aus dem Grase neben dem Stalle, ein struppiger Kopf mit den Haaren bis über die Augen. »Was ist das für eine Scheuche? Wer ist's?« »Mein Sohn, mit dem die Götter mich straften, der Narr!« Vor die Stirn schlug sich Börk. »Nun wird's klar. Wir sind die Narren! Und der uns genarrt hat drüben im Boote, das war der Gisli!« ...

Nordwärts, dem Bardistrand zu ruderten Gisli und die Dirn aus Leibeskräften, daß es von ihnen dampfte und der Magd das Blut zu den Fingern hinabschoß. Es fing an stark zu dämmern, und sie waren dem Land nicht mehr fern, da schoß auch die Schute hinter ihnen immer schneller heran und wuchs immer größer. Schon konnten sie im Zwielicht die Gesichter unter den Helmen erkennen – kaum einen Pfeilschuß weit noch waren sie auseinander. Da ward es Nacht. »Nur eine kleine Weile noch halte aus, Dirn,« knirschte Gisli, »auf die Klippeninsel dort fahre zu!« Er ließ die Ruder los, streifte sich den Goldreif vom linken Arme und warf ihn der Magd vor die Füße. »Mein letzter ist's! Bring ihn Ingjald und sag ihm, freilassen sollte er dich, wenn ich ihm was wert wär: verdient um mich hast es du. Alle guten Geister geleiten dich!« Er griff nach Schild und Speer unter sich und schnellte mit einem Satz aus dem Kahn zur Klippeninsel hinüber, die ragte schwarz im Dunkel vor ihm.

Gleich danach fuhr die Schute am Sand auf. Der erste, der vom Bord sprang, war Börks Neffe Stein. Über dem Felsen vor sich sah er im Dunkel eines Mannes Gestalt klimmen, er stürzte ihm nach. »Vorsicht, Stein!« schrie Börk. Aber schon krachte er zu Boden, von einem Speer aus dem Geklüfte durchbohrt. Da schien es ihnen nicht rätlich, allzu hitzig vorzugehn, den andern, und sie traten flüsternd zum Rate zusammen. Plötzlich rief einer, der abseits am Strand stand: »Still da, was ist das? Hört ihr's nicht plätschern vor uns in der Ferne?« »Er schwimmt zum Festland hinüber!« schrie Börk ...

Triefend hob sich Gisli am Strande aus dem Wasser und horchte. Weiter links von ihm hatten sie angelegt mit der Schute. Vor ihm hallte ihr Rufen durch den Wald und zog sich hinüber nach rechts: sie kreisten ihn ein ... Er schlich zwischen die Stämme. Da sah er ihre Fackeln aufflammen rings um sich. Den Schild hatte er auf der Insel von sich geworfen, sein Schwert unterm Schwimmen verloren: waffenlos war er und so müd, daß er bei jedem Schritt meinte, er stürzt ...

Ref hieß ein Bauer am Bardistrand. Seine Hütte stand am Waldrand, keine hundert Schritt weit von der See. Ein schlauer Fuchs war der Ref, und seine schöne junge Frau war mindestens ebenso verschlagen wie er. Wenigen noch war es zum Vorteil geraten, die mit ihnen zu tun gehabt hatten, aber untereinander kamen sie gut aus, die zwei, und hatten sich rechtschaffen lieb. »Gleich zu gleich gesellt sich gern« heißt es ja auch. Sie lagen heut schon zu Bette, da stand der Bauer noch einmal auf. »Was ist das unruhig die Nacht! Hörst du das Schreien, Alfdis? Männerrufe sind das, meine ich, und keine Füchse, die bellen!« Er sah zur Fensterluke hinaus. »Fackeln im Walde, hoho! Da hetzen sie was, aber kein Wild ist's auf vier Füßen!« In dem Augenblick polterten draußen hastige Schritte her auf die Hütte, krachend barsten die Riegel an der Haustüre, sie flog auf, und ein riesiger Mann stürzte hinein, vom Gewand troff ihm das Wasser. »Bergt mich,« herrschte er heiser, »schnell, sie sind mir auf den Fersen, der Börk mit den Seinen!« Der Bauer pfiff auf. »So bist du der Gisli, der Waldgänger! Da schau her! Aber 's ist recht: dem Börk, dem faulen Wanst, dem hochmütigen Freßsack einen Streich zu spielen, gelüstete es mich lang. Alfdis, heraus aus den Decken! Einen Gast ins Bett schaff ich dir heut!« Er riß das Stroh auf der Bettstatt auseinander. »Da hinein, Gisli, geschwind, und halte dich still!« Über ihm warf er die Schütte wieder zu, breitete ein Linnen darüber und hieß seine Frau sich niederlegen darauf. »Und wenn jetzt wer kommen sollte ins Haus, so zeig es, was du drin hast in deiner Kehle und was deine Zunge vermag!« Da brachen sie schon zu sechst in die Stube, Börks Gesellen mit Fackeln. »Habt ihr den Gisli gesehen? Hierher, zur Hütte nahm er den Weg!« »Ich, den Gisli?« staunte Ref, »den Waldgänger meint ihr, den der Börk so lang schon verfolgt? Habt ihr ihn, seid ihr ihm auf der Spur?« »Bauer, das Haus aussuchen müssen wir dir!« »Nur zu, Gesellen, nur zu! Mir selber ist's lieber, als daß solch ein Verdacht haften bliebe auf mir!« Da gellte es hinter dem Bettverschlage hervor: »Was sind das für Lumpenhunde, die bei Nacht einbrechen in friedlicher Leute Häuser? Und du, Jammerkerl, du Lappen von einem Mannsbild, du geflicktes Hosenstück du, du tust ihnen noch schön! Aber wart, ich komme dir morgen mit dem Schürhaken über den Schädel! Und ihr schert euch hinaus, ihr Leutschinder, ihr Lumpen, ihr Lümmel! Zur Hel mit euch in den untersten Schlund, wo solche Schurken hingehören wie ihr!« »'s ist nur mein Weib,« sprach der Bauer, »eine gute Haut, aber etwas scharf mit der Zunge: ich gewohnte es lang. Achtet nicht weiter darauf und laßt euch nicht stören.« Sie suchten nun alle Winkel aus, aber bei dem Gekreisch und Gebelfer der Alfdis achteten sie doch weniger auf manches, als sie sonst getan hätten. So zogen sie denn mit leeren Händen ab und mußten zu den Flüchen, die ihnen hageldicht um die Ohren gellten, den Bauern noch um Entschuldigung bitten.

Gisli schenkte dem Ref und der Alfdis ein silberbeschlagenes Messer und seinen Gürtel, das war alles, was er noch an Wertsachen hatte. Und in der Nacht darauf brach er zur Speerföhrde auf, denn nun, da es zu Wasser und zu Lande rings um ihn wimmelte von Verfolgern, meinte er, dort immer noch am sichersten zu sein in seinen Felsenverstecken, in der Nähe der Frauen, die ihn warnen konnten und ihn mit Lebensmitteln versehen. Börk aber und Eyjolf waren über die Maßen ergrimmt, denn sie besorgten, zum Spott der Leute zu werden: fanden die doch seit geraumer Zeit schon, etwas reichlich Unglück hätten die beiden Vettern mit ihrer Jagd auf Gisli.


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