Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vom Schwerte »Graustahl«

Thorbjörn stammte aus einem alten Geschlechte von Edelbauern in Norwegen. Hersen, d. i. Gauhäuptlinge waren seine Ahnen gewesen, so lange das Denken der Leute reichte, so auch nach des Vaters Tode Thorbjörns ältester Bruder Ari, freilich nicht allzu lange. Ein Berserker trieb sich damals im Surendal herum: das sind Besessene, die können, sowie es dunkel wird, ihre Gestalten vertauschen und sich in Bären oder Wölfe verwandeln, und wenn sie in Kampfzorn geraten, schwillt ihnen die Kraft ins Unermeßliche, wie Raubtiere heulen sie und beißen in die Ränder ihrer eigenen Schilde vor Wut. Diesem Berserker hatte bei einem Gelage in der Halle des Hersen die Hausfrau, die schöne Ingeborg, den Becher zum Willkomm geboten. Da konnte er seine Augen nicht mehr von ihr wenden, und stracks forderte er ihren Gatten, um sie ihm abzugewinnen, zum Zweikampf innerhalb dreier Tage Frist auf den Holm, so hieß man dazumal die Felseninseln vorm Strande. Ari stellte sich ihm und fiel, wie zu erwarten war. Da sprach Gisli, sein jüngerer Bruder, der hatte im Kampfe den Schild vor ihn gehalten, zum Berserker: »Nun meinst du, zottiges Ungetüm, die Beute ist dein, aber vor der Türe zu Ingeborgs Schlafstube, da stehe noch ich. Hier am selben Fleck, wo meines Bruders Blut die Erde gefärbt hat, sollst du dich über den andern Tag mit mir schlagen!« Der Berserker grinste und meinte, es mache ihm nicht so sehr viel aus, ob er einen mehr oder weniger umbringen müsse. Ingeborg daheim ward sehr bleich, als die Leute ihr berichteten, wie es hinausgegangen war, aber sie weinte nicht, sondern nahm Gisli wortlos bei der Hand und führte ihn in die Frauenstube: dort waren sie allein. Da sah sie zuerst zu Boden, dann blickte sie plötzlich auf und ihm grad in die Augen. »Nun muß ich es dir doch sagen, ob du es vielleicht auch schon selber weißt, wie mich manchmal bedünkt hat: nicht deswegen habe ich deinen Bruder zum Manne genommen, weil er mir lieber gewesen wäre als du! Nun sollst du nicht um mich in den Kampf ziehn, ohne daß ich dir helfe, so viel ich kann! Mein Vater hat mir einen Knecht mitgegeben, einen kriegsgefangenen Iren aus guter Sippe, den Kol, der hat ein Siegschwert, ›Graustahl‹ heißt es, das soll er dir leihen, wenn es mir schon nicht ganz leicht wird, ihn darum zu bitten, denn er ist sehr stolz.« Als Gisli den Stahl in der Hand hielt und die Klinge im Licht vor ihm gleißte, freute er sich. Und beim Zweikampf auf dem Holme bereitete er dem Wüten des Berserkers ein schnelles Ende: als Graustahl zum erstenmal durch die Luft pfiff, klirrte der Schild des Wilden samt dem linken Arme zu Boden, und mit dem zweiten Hiebe schlug er ihm den Borstenschädel vom Rumpf. Darauf nahm er Ingeborg zum Weibe und bestieg den Hochsitz seines Bruders als Herse. Nun aber kam Kol und wollte sein Schwert wieder haben. Gisli bot ihm die Freiheit dafür und viel Geld dazu und schließlich seinen halben Besitz als Ersatz. Aber Kol wollte die Klinge durchaus und sonst nichts, streckte die Hand nach dem Schwerte, das hing an der Wand, schüttelte seinen feuerroten Krauskopf und fing an zu schelten: eine Schande sei es für einen so großen Herrn, einem armen Knechtlein sein Eigen vorzuenthalten, und ob man das etwa anders heißen könne als Betrug? Dunkel im Gesichte ward Gisli auf diese Worte hin und sprach: »Es mag schon sein, daß du recht hast, und daß es ehrenhafter gehandelt wäre, wenn ich dir zurückgeben würde, was dein ist! aber es ist nun einmal so, und dabei bleibt's: ob du das Bußgeld dafür nimmst oder nicht – nimmermehr gebe ich in eines andern Mannes Hand Graustahl!« Da griff Kol jählings nach dem Messer im Gurte und stieß es dem Hersen in die Brust bis zum Heft. Dann wollte er fliehen. Gisli aber riß das Schwert von der Wand und hieb es ihm mit solcher Gewalt in den Schädel, daß es in zwei Stücke zersprang. Beide, der Herr und der Knecht, waren im nächsten Augenblick tot. Da trat Thorbjörn das Erbe seines Bruders an, und die Stücke des Siegschwertes kamen in seine Verwahrung.


 << zurück weiter >>