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Gisli, vors Herbstthing geladen, zieht in die Einöde an der Speerföhrde

Mittlerweile war es Zeit geworden, Gisli vors Herbstthing nach Heiligenberg zu laden, vierzehn Tage spätestens vor Beginn der Versammlung. Da brach Börk mit dreißig Mann auf, darunter waren seine beiden Schwestersöhne Thorodd und Stein und sein Handelsfreund aus Norwegen, ein verwegener Gesell. Sie ritten zum Bardistrand nach Senkenhausen hinüber, dort schloß sich ihnen Thorkel an mit einer Schar von zehn kräftigen Burschen. Da waren sie vierzig Köpfe stark ohne die Führer, als sie sich aufmachten nach Wang.

Thorir Hasenfuß mähte auf der Hauswiese mit den anderen Knechten, da kam ein Bürschlein bloßfüßig auf nacktem Gaul dahergejagt und schrie, den Hausherrn müsse er sprechen, sofort. Thorir wies ihn in die Wohnstube, legte den Finger an die Nase und sprach: »Wenn uns das was Gutes bedeutet, dann will ich verdammt sein, alle Tage Steine zum Gartenwalle zu wälzen!«

Drinnen in der Wohnstube aber sprach Gisli zum Jungen, und Aud blickte ihm sorgenvoll in die hellen Augen: »Vierzig Mann, sagst du, um mich vors Herbstthing zu laden?« »Jawohl.« »Und wer hat dich denn geschickt?« »Mein Vater, und zu dem hat es Euer Bruder Thorkel gesagt, als sie vorbeikamen bei uns, er solle es tun. Aber es eilt, denn sie sind nicht mehr weit weg. Auch war da ein großer Dicker vorne dran, der sprach, wenn er Euch selber anträfe, wollte er's so machen, daß er Euch nicht mehr zu laden brauchte, und dabei hob er die Axt« ...

Als Börk mit seinem Haufen um das Vorgebirge von Salzhorn ritt, sahen sie weit vor sich am Strande einen Schlitten auf niederen Rädern mit zwei Gäulen bespannt, dem Walde entlang sausen, auf dem Kutschbock der Knecht im Flausrock, dahinter in hohem Pelzhut und blauem Mantel der Herr. »Er ist es, Gisli!« rief Börk und hieß Thorkel mit dem großen Haufen linksab nach Wang reiten, er selber aber mit Thorodd und Stein und dem Norweger sprengte gradaus dem Schlitten am Strand nach.

Gisli hatte die Verfolger bemerkt, aber Thorir nicht, der saß auf dem Kutschbock, brummte, den Kopf zwischen den Schultern und schmählte gewaltig: so sei's in der Welt, für einen tüchtigen Kerl wie für ihn, da hätten die Herren nichts als Scheltworte und Schläge. Aber wenn's ihnen an den Kragen ginge, ei ja, da wäre der Thorir recht, daß er sie errette mit der Gefahr seines eigenen Lebens. Und mehr wünsche er sich nicht als grad für einen Tag die Gewalt, daß er anstelle der Herren die Knechte setzen könnte und an deren Stelle die Herrn; die würden schaun! – Sie bogen eben hinter eine steile Klippenwand ein. Da hieß Gisli ihn halten, stieg aus dem Schlitten und sah ihn an von oben bis unten. »Du Jammerkerl,« sagte er dann, »du willst dein Geschick mit mir tauschen? So sei's denn nach deinem Willen!« Er riß ihm die Kappe vom Kopf, stülpte ihm den Pelzhut über und warf ihm den blauen Wollmantel um die Schultern. »So, sitz hinein, wo der Herr hingehört!« Grinsend lehnte sich Thorir hinten im Schlitten zurück, und Gisli hieb ein auf die Gäule. Aber es dauerte nicht lange, da hallte Hufgestampf hinter ihnen und dröhnte schnell näher. Thorir ward unruhig. »Herr, hört Ihr's? Wer mögen die sein? Was können sie wollen?« »Börk ist's mit den Seinen, wer anders? Und was sie wollen? Unser Leben, denk ich, wird's sein!« Nach seiner Schulter griff angstvoll der Knecht. »Ja, Herr, was tun wir da, Herr?« »Schild und Speer nehmen und kämpfen!« Kaum war das Wort heraus, so sprang Thorir aus dem Schlitten, stürzte der Länge nach hin, raffte sich auf und raste hinein in den Wald.

Da dröhnten auch schon die Verfolger heran. »Das war er!« schrie Börk und riß die Zügel an, »der dort floh, mit der Pelzmütze, der Gisli!« Thorodd und Stein sprengten im Eifer, ohne auf ihn zu hören, dem Schlitten nach. Der Norweger aber fuhr straks aus dem Sattel zu Boden und rannte mit dem Speer in der Rechten hinter dem Flüchtling im Wald her. Börk folgte ihm schnaufend: zwischen den Stämmen sah er den Mann im blauen Mantel wegstürmen, dahinter den Norweger, der tat plötzlich einen gewaltigen Satz, holte aus und schleuderte den Speer: mitten zwischen die Schultern sauste dem vorne das Blatt hinein bis zum Schafte, und er krachte zu Boden. »Heil deinen Händen!« rief Börk und keuchte heran, »ein edleres Wild fällte noch niemals dein Speer!« Sie wandten den Toten um auf den Rücken. Da starrte ihm Börk ins Gesicht und wurde blutrot. »Verflucht, was für eine Krähe erwischten wir da statt des Falken! Thorir, der Hasenfuß ist's!«

Sie gingen auf die Straße zurück. Da lief Stein, außer Atem, ihnen entgegen. »Wo ist Thorodd?« rief Börk. »Tot liegt er drüben im Walde: dort ist's nicht geheuer! Der verdammte Knecht, Ohm Börk, bog plötzlich ab unter die Bäume, und als wir ihm nachritten, war der Schlitten weg, und er stand in Helm und Schild unversehens vor uns, warf dem Thorodd den Speer durch den Leib, daß er aus dem Sattel stürzte, und den meinen, den ich gegen ihn schleuderte, fing er im Fluge, da machte ich, daß ich davonkam!« »Das war der richtige Gisli,« rief Börk, »ihm nach, Bursche, haben müssen wir ihn!« Stein redete ab, es sei zu schwer, an ihn zu kommen im Dickicht. Aber schon schlich der Norweger vorgebückt, den Speer wurfbereit, durch die Stämme: scharf spähte er um sich. Da sah er, im Laub einer Birke, dicht neben einem moosigen Felsblock rührte sich sachte ein Zweig: er hob den Schaft, zielte, warf und reckte sich auf, dem Schuß nachzuschauen. In dem Augenblick schwirrte von drüben ein Spieß ihm in die Kehle, daß die Spitze zum Nacken hervordrang. Zu Boden schlug er dumpf auf den Rücken ... »Komm, Ohm,« flüsterte Stein hastig und zog Börk am Ärmel zurück, »'s ist alles umsonst, er sieht uns lang, ehe wir ihn sehn!«

Auf Wang lagerten unterdessen Börks Scharen über der Wiese vorm Hause. Aud, am Türpfosten hochaufgereckt, sah, die Arme über der Brust, auf sie nieder. Vor ihr hob Thorkel die Achseln. »Der Vorteil, den ihr von mir habt, Schwägerin, ist kein geringer! Ins Haus brechen wollten sie und Küche und Keller dir räumen! Aber ich hab's verhindert, ich! Denn wo ich bin, muß es nach dem Gesetz gehn – nach dem Gesetze streng und nicht anders!« Aud gab ihm keine Antwort.

Da kamen Börk und Stein angeritten mit finstern Gesichtern. Thorkel fuhr herum. »Wo ließt ihr die andern?« Aud lachte hart auf. »Die kommen nimmer oder ich kenne Gisli nicht, meinen Mann!«

Nun erließ Börk vor der Türschwelle die Vorladung an den abwesenden Gisli zum Herbstthing und rief seine Mannen alle sich zu Zeugen, daß es richtig geschehn wäre. Dann holten sie die beiden Leichen im Walde und machten, daß sie wegkamen. Wenig Ruhm hatten sie eingeheimst und zwei ihrer besten Leute verloren.

Am Abend saß Gisli wieder daheim in der Wohnstube mit Aud. Seine rechte Wade war verbunden, in die hatte ihm des Norwegers Speer ein tüchtiges Loch gerissen. »Nun ist unseres Bleibens nicht länger auf Wang,« sprach er, »wir müssen das Land verkaufen und in die Einöde ziehn!« Aud weinte, dann legte sie ihm die Arme um den Hals und den Kopf an die Schulter. »Verzeih mir die dummen Tränen, mein Gisli. Schwer wie aus einem Wunschland ist mir's, aus der Heimat zu ziehen! Aber wir gehn ja zusammen, und so zieht es mit uns, unser Glück!«

Gisli verkaufte Wang an Erik vom Quellental gegen Bargeld, davon hatte der genug, und ritt zu den Oheimen seines Weibes. Er bat sie, ihn auf dem Thing gegen die Klage Börks zu vertreten und die Ermordung Vesteins gegen die Thorgrims ins Gewicht zu werfen, so daß es ohne Landesverweisung abginge und zu einem Vergleiche mit Börk gegen Geldbuße käme. Das versprachen sie. Da kehrte er wieder heim, kaufte sich ein Schiff, verstaute seine Habe darin, Bauholz vor allem und einiges Vieh und fuhr mit Aud und Gudrid, seiner Ziehtochter, am Strande entlang zur Dyriföhrde hinaus, um Hauskap herum südwärts durch die Adlerbucht hin, bis in ihren innersten Winkel, die Speerbucht. Dort war es noch Wildnis weitum. Da baute er sich eine Schutzhütte zunächst, und dann ging er daran, mit Hilfe der Frauen ein richtiges Wohnhaus zu zimmern.


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