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Vestein wird ermordet

Gisli aber sagte, nachdem er von seinem vergeblichen Besuche in Seehof heimgekehrt war, nun sei es klar, wohin die Reise gehe. Er schlief unruhig die beiden Nächte darauf und gebarte übel im Traume, wollte es aber niemandem vertrauen, was ihn verstört hätte, auch Aud nicht. In der dritten Nacht fuhr ganz plötzlich ein Wirbelwind über Wang hin, riß die Schindeln vom Hausdach und deckte mit einem Schlage die Scheuern ab und die Schuppen. Danach prasselte ein Platzregen nieder, als wollte er das Gehöft wegschwemmen. Gisli sprang auf und rannte mit dem Gesinde hinaus, das Heu und die Vorräte zu bergen. Vestein wollte auch mit, aber Gisli rief, er solle nur drinnen bleiben bei Aud; sie hätten Hände zum Helfen genug. Das hörte der Thorir, ein greulicher Kerl von einem Knechte, ebenso faul und feig, wie er lang und breit war, und das wollte was heißen, den Hasenfuß rief man ihn nur – da streckte auch er sich noch einmal auf der Bank in der Wohnstube nieder. Vestein und Aud aber halfen einander, ihre Betten der Länge nach dicht an die Wand zu schieben, denn es regnete tüchtig herein durch die Löcher im Dache. Der Morgen fing eben an zu grauen, und sie schlummerten grad wieder ein, da stand plötzlich etwas drinnen an der Türe, das bewegte sich sachte auf Vestein zu. Eine Speerspitze erblinkte – Vestein wollte auf – da schmetterte es ihm schon durch die Brust und fuhr durch ihn hindurch! Er griff nach dem Eisen. »Das saß!« sagte er, faßte mit einer Hand nach dem Bettrand, richtete sich auf, trat auf die Füße und stürzte tot nieder. Aud fuhr aus dem Schlaf, rannte zum Bruder hin, griff ihm unter die Arme, schrie Thorir zu, er solle ihr helfen, den Speer aus der Wunde zu reißen! Der kam, an allen Gliedern zitternd, mit verstörten Augen heran; aber wie er die Leiche am Boden im Blute erblickte, ward ihm übel, in den äußersten Winkel lief er, steckte den Kopf unter die Arme und fing an, laut zu heulen. Da trat Gisli herein und sah mit einem Blick, was geschehen war, hieß den Thorir stille sein mit seinem Geheul, hob Aud von dem Toten weg, zog ihm das Erz aus der Brust, warf den Speer nebenan in die Truhe, schlug den Deckel zu, setzte sich auf den Bettrand und stützte den Kopf in die Hand.

Nach einer Weile nahm er Aud bei der Rechten, die saß wie betäubt, wortlos und tränenlos neben ihm und atmete schwer. »Du hast es gesehn, Aud, was ich mit dem Speere da in deines Bruders Brust tat – danach werde ich handeln!«

Es hieß aber damals, wer einem Erschlagenen die Mordwaffe aus der Wunde ziehe, der verpflichte sich damit, ihn zu rächen.

Nun bahrten sie die Leiche auf, und Gisli schickte die Gudrid nach Seehof. »Verkünde ihnen den Mord an Vestein, aber tu deine Augen und Ohren weit auf und merke dir alles genau, was du siehst und was du hörst drüben! Hast du mich verstanden?« »Doch, Ziehvater,« sagte sie, »ganz gewiß!« Sie warf ein Tuch um und ging schnell hinüber. Da waren sie alle schon auf in der Wohnstube und saßen in Waffen auf den Bänken rings an der Wand. Thorgrim im Helm hatte eine Streitaxt in der Hand und Thorkel sein Schwert spannenlang aus der Scheide gezogen. Auf Gudrids Gruß antworteten nur wenige, und als sie ihren Auftrag ausgerichtet hatte, schwieg alles. Dann sagte Thorkel: »Das hätte mich vor kurzem noch eine schlimme Botschaft gedünkt!« Thorgrim aber sprach, und es war Gudrid, als sehe sie ein Hohnlächeln huschen unter seinem Barte: »Da ist einer von uns gegangen, dem sind wir es schuldig, daß wir ihm alle Ehre erweisen! Wir wollen seine Ausfahrt von daheim zu einer ruhmvollen machen und ihm einen festen Grabhügel aufwerfen helfen, denn es ist wahrhaftig ein Jammer um den Verlust solcher Ehrenmänner, wie Vestein einer war! Du kannst es Gisli sagen, wir kommen noch heute hinüber.«

Sie ging und berichtete ihrem Ziehvater alles ganz genau bis aufs letzte. »So habe ich's erwartet,« sagte der und hieß Atli sofort nach Hengststetten reiten zu Gunnhild, ihr den Tod ihres Mannes zu sagen und sie zur Begräbnisfeier zu laden. Atli kam anderen Tages früh zurück und meldete, sie sei zu Bett gelegen am Gliederreißen, die Gunnhild, und könne nicht kommen, denn ihre Krankheit scheine ihr wichtiger als alles andre zu sein! Aber ihre Knaben, der Berg und der Helgi, feine Bürschchen, die hätten geweint, daß sie noch zu klein seien, den Vater zu rächen!

Vestein sollte oberhalb der Düne am Westende des Teiches bestattet werden. Thorgrim und Thorkel mit all ihren Leuten waren, wie sie es versprochen hatten, gekommen, und als sie die Leiche zum Hause hinaustragen wollten, trat der Gode noch einmal an die Bahre. »Es ist ein guter alter Brauch,« sagte er, »dem Toten die Schuhe zu binden, ehe er seine Wanderung antritt nach Walhall. Das will ich Vestein besorgen!« Er bückte sich, schnürte die Riemen zusammen, sah im Kreise um sich und sprach: »So, wenn die je wieder aufgehn, verstehe ich's nicht, Leichenschuhe zu binden, wie sich's gehört!«

Gisli aber achtete scharf auf alles, was Thorgrim tat und sprach, und merkte sich's.

Danach trugen sie Vestein hinaus auf die Düne und schlossen das Hügelgrab über ihm. Darunter saßen sie alle noch eine Weile beisammen und besprachen's, wie das so jählings gekommen sei, und wer nur seine Hand dabei gehabt haben könne, bei solch einem schändlichen Morde! Da fragte Thorkel: »Wie geht es Aud? Sie jammert wohl sehr um ihren Bruder?« »Keineswegs,« sprach Gisli, »aber du kannst dir denken, daß es ihr darum nicht leichter zumute ist, weil sie's tapfer trägt! Ich,« sagte er, »hatte schon zwei Nächte vorher schlimme Träume, und so war's das erstemal: aus einem Gehöfte – ich erkannte Haus und Hof deutlich – wand sich eine riesige Schlange, wälzte sich über Vestein im Schlafe und stach ihn zu Tode. Und das andre Mal stürzte aus demselben Gehöfte ein Wolf und biß ihm die Kehle durch, daß das Blut herausschoß. Aber ich wollte nichts davon laut werden lassen, um dem Unheil nicht selber zu rufen.«

Die Männer gingen auseinander. Thorkel begleitete Gisli nach Wang. »Ja, Bruder,« sagte er, »das sind schmerzliche Dinge, und euch hat es diesmal schlimmer mitgenommen als uns, aber schließlich: wir müssen weiterleben, die Haut ist dem Leibe näher als das Hemd, und jeder ist sich selber der Nächste. Ich wollte, ihr grämtet euch nicht gar zu arg und hieltet euch nicht einsam und fern von uns auf Seehof – du weißt ja, wie die Leute sind – daß es nicht zuletzt ein Gered gibt! Nehmen wir doch unsre Spiele im Winter am Eis wieder auf und lassen wir es zwischen uns sein, wie es einst war in unsern guten Zeiten!« »Ein gutes Wort,« entgegnete Gisli, »findet eine gute Statt! Schön, ich will darauf eingehen, aber unter einer Bedingung: daß du dich nämlich ebenso zu mir stellst wie ich jetzt zu dir, wenn sich je einmal etwas ereignen sollte, was dich nicht weniger schmerzlich trifft als mich das mit Vestein!« Das sagte Thorkel zu. Das Totenmahl wurde auf Wang ausgerichtet und Vesteins Gedächtnis getrunken.

Nicht allzu lange darauf kam Asgerd von der Bartenföhrde zurück. Sie fragte nicht nach den Neuigkeiten auf Seehof, sondern erzählte immerzu, wie lustig es zugegangen sei drüben beim Vater, und ging im übrigen Thordis ganz wacker an die Hand in der Wirtschaft. Auch späterhin fragte sie nie nach dem, was sich zugetragen hatte, während sie weg war.


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