Jakob Wassermann
Christian Wahnschaffe
Jakob Wassermann

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12

Crammon und Johanna Schöntag wollten zu Hagenbeck nach Stellingen fahren, und Crammon bat Christian um das Auto. Sie stiegen gerade in den Wagen, als Christian aus dem Hotel trat. »Warum kommst du nicht mit?« fragte Crammon. »Hast du was Besseres vor? Komm doch mit, es ist lustiger zu dreien.«

Christian wollte ablehnen, da bemerkte er Johannas dringlich auffordernden Blick. Sie konnte viel Wunsch in ihre Augen legen, hinüberziehenden Wunsch, und man wurde widerstandslos. Er sagte: »Gut, ich fahre mit,« und setzte sich neben Johanna. Aber er blieb den ganzen Weg schweigsam.

Es war ein sonniger Oktobertag.

Sie wanderten durch den Park, und Johanna machte drollige Bemerkungen über die Tiere. Bei einem Seehund blieb sie stehen und rief: »Er sieht aus wie der Direktor Livholm. Nein?« Mit einem Waschbären sprach sie wie mit einem geringen Mann aus dem Volk und warf ihm Zuckerstücke hin. Die Kamele erklärte sie für unglaubwürdig; sie verstellten sich nur, weil sie in den Naturgeschichtsbüchern so beschrieben seien. »Beinah so häßlich, wie ich selber,« fügte sie hinzu; und mit einem Verziehen des Mundes: »Aber nützlicher; wenigstens hab ich in der Schule gelernt, daß ihr Magen eine Wassersparkasse ist. Wunderbar, was es alles gibt auf der Welt.«

Weshalb spricht sie stets verächtlich von sich? dachte Christian. Sie beugte den Nacken über eine Steinbrüstung, und da rührte ihn dieser Nacken. Er erschien ihm wie ein Gefäß von armen und verletzten Dingen.

Crammon sagte: »Mit Tieren ist es eine eigne Sache. Die Gelehrten behaupten, sie hätten eine Menge Instinkt. Was ist aber Instinkt? Ich finde sie meistens grenzenlos dumm. Auf dem Gutshof, wo ich meine Kindheit verbrachte, hatten wir ein Roß, ein dickes, blödes, lammfrohes Roß. Es hatte nur ein einziges Laster: es war sehr kitzlich. Bei strenger Strafe war uns, mir und meinen Spielgefährten, verboten worden, es zu kitzeln. Der Erfolg war natürlich, daß uns beständig der Kitzel quälte, es zu kitzeln. Wir waren fünf, ich und vier aus der Nachbarschaft, fünf Kerle nicht höher als die Tischbeine. Jeder verschaffte sich ein Filzhütchen, und darauf befestigte er eine Hahnenfeder. Und als das Roß glotzend vor dem Stall stand, gingen wir hin, einer hinterm andern, und marschierten mit unsern Federn auf dem Kopf unter dem Bauch des dummen Viehs durch. Die Federn kitzelten es aber so schrecklich, daß es mit allen Vieren ausschlug und einen förmlichen Negertanz verübte. Noch heute ist es mir ein Rätsel, daß wir mit heiler Haut davon gekommen sind; aber es war nett, es war erbaulich, und vom sogenannten Instinkt war weit und breit nichts zu merken.«

Sie gingen ins Affenhaus. Viele Leute standen um eine kleine Tribüne, auf der ein zierliches junges Äffchen unter der Leitung eines Wärters seine Kunststücke zeigte. »Affen sind mir ein Greuel,« sagte Crammon; »sie belästigen meine Erinnerung. Ich soll mich ihnen verwandt fühlen, die Wissenschaft fordert es, aber man hat ja schließlich seinen Stolz. Nein, ich erkenne sie nicht an, diese teuflischen Atavismen.« Er kehrte um und verließ den Raum, um draußen zu warten.

Johanna, bei Christian allein, übertrieb in ihrer Schüchternheit eine Wallung von Mut; sie zog ihn am Arm vor die Tribüne des Äffchens. Sie war berückt, ihre Freude war kindlich. »Wie lieb, wie süß, wie arm!«rief sie aus. Christian schlug eine Wärme entgegen, der er sich hingab, weil er ihrer bedurfte, und die brüchige Stimme des Mädchens erregte in ihm Sinnlichkeit und Angst. Sie stand dicht an seiner Seite; er spürte ihr Erbeben, diese ihm so wohlbekannte Wirkung einer in ihm verborgenen erotischen Macht, und was sonst in ihm drängte, wurde stumm.

Er nahm ihre Hand in seine; sie widerstrebte nicht, ihre Züge spannten sich schmerzlich.

Da geschah es, daß das Äffchen in seinen possierlichen Sprüngen stutzte und den lichtlosen Tierblick erschrocken auf die Zuschauer heftete. Eine scheue Wahrnehmung hatte ihm Furcht eingeflößt; es war wie Denken und Sichbesinnen. Als es die vielen Gesichter erblickte, schien sich das Nebelhafte des Bildes in seinem Auge zu Umrissen zu klären; es sah vielleicht eine Sekunde lang die Welt und den Menschen, und damit verband sich ein ungeheuerliches Entsetzen. Es zitterte am Leibe, wie wenn es geschüttelt würde; es stieß einen gellenden Pfiff aus, der Jammer und Grauen enthielt; es flüchtete, und als der Wärter nach ihm griff, sprang es vom Podium und suchte mit verkrampften Bewegungen ein Versteck; seine Augen glitzerten von Tränen, die Zähne klapperten, und trotz des bestialischen Gepräges dieser Äußerungen waren sie zugleich so menschlich und seelenhaft, daß nur wenige Unempfindliche zu lachen wagten.

Christian wehte etwas an von einer fremden Sphäre, von Erde, Wald und Einsamkeit. Seine Brust weitete sich und zog sich dann zusammen. »Gehen wir,« sagte er, und seine eigne Stimme klang ihm nicht angenehm.

Johanna lauschte zu ihm empor. Alles in ihr war Lauschen, Spannung, Unterwerfung.

13

Randolph von Stettner war angekommen. Er hatte noch einige Tage vor sich bis zur Abfahrt des Schiffes und wollte nach Lübeck, um von einer dort verheirateten Schwester Abschied zu nehmen. Christian zögerte, zu versprechen, daß ihn Stettner bei seiner Rückkehr noch in Hamburg finden würde; erst nach langem Drängen des Freundes sagte er es zu.

Sie aßen am Abend in Christians Zimmer und unterhielten sich über Verhältnisse in der Heimat, über gemeinsame Erinnerungen. Christian, einsilbig wie immer, wunderte sich im stillen, wie fern das alles war.

Als der Kellner abgedeckt hatte, erzählte Stettner, was ihn zu dem Entschluß getrieben, über den Ozean zu gehen. Während er sprach, schaute er mit dem gleichen Blick und Ausdruck fortwährend auf das Tischtuch.

»Es ist mir in den letzten Jahren eng geworden in des Königs Rock; du weißt es. Außer den gemessen voneinander liegenden Stationen des Avancements sah ich kein Ziel. Es gibt welche, die setzen ihre Hoffnung auf Krieg. Schließlich, Krieg: da könnte man sich bewähren und erweisen. Aber wer wird darauf warten? Andre nützen ihre Beziehungen aus; andre angeln nach einer vorteilhaften Heirat; andre verlieren sich im Sport und im Jeu. Für mich waren das keine Ziele. Der Dienst befriedigte mich in keiner Weise. Ich erschien mir im Grunde als ein Müßiggänger, der anspruchsvoll auf fremde Kosten lebt.

Sieh mal: Man steht auf dem Kasernenhof; es regnet; der Sand glänzt feucht; die paar armseligen Bäume triefen; die Mannschaft wartet auf das Kommando mit der Wachsamkeit dressierter Hunde; das Wasser läuft von ihren Monturen herunter, der Wachtmeister brüllt, die Unteroffiziere knirschen vor Eifer und Wut; du aber denkst beständig, mit der Eintönigkeit, mit der die Regentropfen auf deine Mütze fallen: was wird heute abend sein? Was wird morgen früh sein? Was wird morgen abend sein? Das Jahr liegt vor dir wie eine aufgeweichte Landstraße. Du denkst an deine öde Stube mit den drei Dutzend Büchern, den nichtssagenden Bildern an den Wänden und dem Teppich, der von Fußtritten abgeschürft ist; du denkst an den Rapport und an die Kantinenrechnung und an die Stallinspektion und an den nächsten Offiziersball, wo du mit den namenlos prätenziösen Frauen der Vorgesetzten tödlich langweilige Konversation wirst machen müssen; denkst es im Kreis herum, immer dasselbe Nichtige, Unfrohe, Graue, Regnerische; ist das zu ertragen?

Ich legte mir eines Tages die Frage vor: was leistest du eigentlich und was wird dir dafür gewährt? Die Antwort war: die Leistung ist, von einem menschlichen und geistigen Gesichtspunkt aus betrachtet, gleich null. Gewährt wurde mir dafür ein Privileg, vielmehr eine Summe von Privilegien, die zusammen eine hohe soziale Rangstufe ausmachten, allerdings um den Preis des vollkommenen Verzichts auf Persönlichkeit. Ich hatte nach oben hin zu gehorchen, nach unten hin zu befehlen, weiter nichts. Dabei war die Befehlsmacht bedingt durch die Gehorsamspflicht. Jeder, ob er nun über oder unter mir stand, hatte dieselbe Aufgabe: nach oben zu gehorchen, nach unten zu befehlen. Man war einfach ein Schaltapparat in einer komplizierten Leitung. Nur die Untersten, die große Masse hatte ausschließlich zu gehorchen; die Verantwortungen nach oben hin verloren sich irgendwo ins Ungewisse. Das Gebäude der militärischen Organisation hat ja trotz seiner Primitivität letzten Endes eine sehr geheimnisvolle Struktur; zwischen der Willkür einzelner und der unbegreiflichen, erschütternden Unterwerfung der Masse bewegen sich die Glieder nach ehernem Gesetz, und wer da versagt oder sich auflehnt, wird zermalmt.

Viele behaupten, daß dieser Zwang sittliche Wirkungen ausübe und zu einem höheren Grad von Freiheit erziehe. Ich selbst war lange der Ansicht. Ich konnte sie auf die Dauer nicht aufrechthalten. Ich fühlte das Versagen kommen, die Auflehnung gärte mir im Blut. Ich nahm mich zusammen; ich bekämpfte Zweifel und Kritik in mir; es war umsonst. Es ging nicht mehr. Die Sicherheit im Befehlen schwand, und gleichzeitig fiel mir der Gehorsam schwer. Ein quälender Zustand. Ich sah über mir lauter unerbittliche Götzen und unter mir lauter wehrlose Opfer. Ich selbst war Götze und Opfer in einem, unerbittlich und wehrlos zugleich. Wo mein Pflichten- und Tätigkeitskreis begann, hörte die Menschheit auf, so schien es mir. Mein Leben erschien mir nicht als ein Teil des allgemeinen Lebens, sondern als eine durch die Formeln Befehl und Gehorsam bewirkte fossile Versteinerung.

Das konnte natürlich nicht verborgen bleiben. Die Kameraden rückten von mir ab. Ich wurde beobachtet, und man mißtraute mir. Ehe ich Zeit gewann, die Dinge zu reinlichem Austrag zu bringen, kam mir ein Ereignis zu Hilfe, das mir die Entscheidung abzwang. Ein Regimentskamerad, Rittmeister von Otto, war mit der Tochter eines Gerichtspräsidenten verlobt. Die Hochzeit, die schon festgesetzt war, konnte nicht stattfinden; er mußte wegen einer leichten Erkrankung der Lunge Urlaub nehmen und ging nach dem Süden, um sich auszuheilen. Etwa vier Wochen nach seiner Abreise war Kaisergeburtstagfeier, und unter den geladenen Damen befand sich auch die Braut des Rittmeisters. Alle waren an diesem Abend in ziemlich ausgelassener Stimmung; besonders übermütig war aber ein lieber Freund von mir, Georg Mattershausen, der eben an dem Tag zum Oberleutnant befördert worden war, ein harmloser, frischer, freundlicher Mensch. Die Braut des Rittmeisters, die seine Tischnachbarin gewesen war, hatte sich von seiner Lustigkeit mitreißen lassen, und auf dem nächtlichen Heimweg, während er kurze Zeit mit ihr allein war, bat er sie um einen Kuß. Sie schlug ihm die Bitte ab, da wollte er sie mit Gewalt küssen. Nun begegnete sie seiner Zudringlichkeit mit Ernst, er kam zur Vernunft, bat herzlich um Verzeihung, und noch vor der Tür des elterlichen Hauses versprach das Mädchen feierlich, mit keinem Menschen über das Vorgefallene zu sprechen. Als aber ihr Verlobter zurückgekehrt war, siebzehn Wochen später, wurde sie von Gewissensbissen geplagt, und sie glaubte ihm bekennen zu müssen, was sich zwischen ihr und Mattershausen begeben. Die Folge davon war eine Forderung. Die Bedingungen waren außerordentlich schwer: zehn Schritt Distanz, gezogene Pistolen, eine halbe Minute Zielzeit, abwechselndes Schießen bis zur Kampfunfähigkeit eines der Gegner. Ich war Mattershausens Sekundant. Von Otto, der Beleidigte und Fordernde, hatte den ersten Schuß; er zielte sorgfältig nach dem Kopf des Gegners, ich sah es. Die Kugel ging am Ohr vorbei. Als Mattershausen schoß, versagte die Waffe. Der Versager gilt als Schuß, es wurden neue Pistolen genommen, von Otto zielte wieder mit großer Genauigkeit, diesmal nach der Mitte des Körpers, und nun traf er Mattershausen ins Herz. Der Tod trat sofort ein.

Findest du die Strafe für eine Unbesonnenheit und ein jugendliches Überschäumen nicht ein wenig hart? Ich fand sie ungewöhnlich hart. Ich fand, daß an dem jungen Menschen ein Verbrechen begangen worden war. Die Kaste, die fossile Kaste hatte einen Mord verlangt. Es war zwei Tage nachher, im Kasino, als ich diese meine Meinung unverhohlen äußerte. Man war befremdet. Es wurde schroff repliziert. Man fragte: Hätten Sie denn in einem solchen Fall nicht gefordert? Ich antwortete: Ich glaube nicht, daß ich gefordert hätte, bestimmt nicht; nun und nimmer könne ich einen Ehrbegriff gutheißen, der in krankhafter Übersteigerung ein Menschenleben wegen einer Bagatelle vernichtet; wenn sich schon das junge Mädchen bemüßigt gesehen habe, ihr allzu zartes Gewissen zu erleichtern und die gelobte Verschwiegenheit zu brechen, hätte ich weiter kein Wesens daraus gemacht und das Geschehene geschehen und vergessen sein lassen. Darüber war man empört; ich sah Kopfschütteln, unwillige Mienen, ratlose Gesichter, bedeutsames Blickewechseln. Aber ich war einmal im Zug; Mattershausens schmähliches Ende war mir verdammt nahgegangen, ich wollte mir den Groll von der Seele reden. Wäre ich an Mattershausens Stelle gewesen, fuhr ich fort, ich hätte es ruhig abgelehnt, mich zu schlagen, was auch immer die Folgen gewesen wären. Das Wort fiel wie ein Keulenschlag, und es entstand ein peinliches Schweigen. Ich glaube, Sie hätten sich doch eines Bessern besonnen, lenkte der rangälteste Major ein, ich glaube nicht, daß Sie alle Folgen auf sich genommen hätten. Gewiß, alle Folgen, beharrte ich. Da erhob sich Rittmeister von Otto, der am Nebentisch saß, und fragte frostig: Auch das Odium der Feigheit? Ich erhob mich ebenfalls und antwortete: Unter diesen Umständen selbstverständlich auch das Odium der Feigheit. Rittmeister von Otto lächelte verzerrt und sagte mit einer Betonung, die nicht zu mißdeuten war: Dann begreife ich nicht, daß Sie sich mit Offizieren Seiner Majestät an denselben Tisch setzen. Sprachs, grüßte steif und ging hinaus.

Damit waren die Würfel gefallen. Man war nicht neugierig, was ich tun würde, man zweifelte gar nicht daran, daß mir nur eines zu tun übrigblieb. Aber ich war entschlossen, bis zum logischen Ende zu gehen. Der Befehlsgötze, diesmal Ehrenkodex genannt, hatte sein Diktum erlassen; ich war entschlossen, ihm den Gehorsam zu verweigern und die Folgen auf mich zu nehmen. Als ich am Abend nach Hause kam, warteten schon zwei Kameraden auf mich, um mir ihren Beistand anzubieten. Ich lehnte höflich ab. Sie schauten mich an, als wäre ich verrückt geworden, und entfernten sich mit etwas lächerlicher Eile.

Es kam dann, was kommen mußte. Daß ich in derselben Luft nicht länger atmen konnte, nach all dem, wirst du verstehen. Man schlägt nicht ungestraft den gültigen Anschauungen ins Gesicht. Ich hatte mich vor Schimpf zu wahren und erfuhr, was Ächtung ist. Ächtung ist etwas sehr Schlimmes, und man hat selten Phantasie genug, sie sich vorher in ihrer ganzen Abscheulichkeit auszumalen. Ich sah, daß in meinem Vaterland kein Platz mehr für mich war. Der Ausweg ergab sich von selbst.«

Christian hatte den Bericht mit unbewegter Miene angehört. Er stand auf, ging ein paarmal durch das Zimmer, setzte sich dann wieder und sagte: »Mich dünkt, du hast das Richtige getan. Es ist schade, daß du von uns weggehst, aber es ist das Richtige.«

Stettner blickte empor. Wie sonderbar das klang: das Richtige. Eine Frage schwebte ihm auf den Lippen, aber sie verbot sich; der Ausdruck in Christians Gesicht wurde plötzlich konventionell; er fürchtete die Frage und sperrte sich zu.

14

Christian, die beiden Brüder Maelbeck, die aus Holland mitgereist waren, Botho von Thüngen, ein russischer Staatsrat namens Koch und Crammon saßen beim Mittagessen im Speisesaal.

Das Gespräch drehte sich um einen an einer Prostituierten verübten Mord. Den Täter hatte die Polizei bereits dingfest gemacht. Es war ein Mann, der einst der guten Gesellschaft angehört hatte, aber nach und nach verkommen war. In einer Matrosenherberge hatte er das Mädchen erdrosselt und beraubt.

Nun hatten alle Prostituierten der Stadt einhellig beschlossen, der ihrem Beruf zum Opfer gefallenen Kollegin im Angesicht der Welt die letzte Ehre zu erweisen und ihrem Sarg zum Grab zu folgen. Darin erblickten die anständigen Bürger eine Herausforderung; es wurde Einspruch erhoben, aber die Behörde hatte keinen Rechtstitel, gegen die Veranstaltung einzuschreiten.

»Man müßte sichs ansehen,« sagte Crammon, »ein solches Schauspiel ist ein Verdauungsschläfchen wert.«

»Dann wäre keine Zeit zu verlieren,« bemerkte der ältere Maelbeck und schaute auf die Uhr; »punkt drei versammeln sich die Leidtragenden vor dem Trauerhaus.« Er lächelte; die Worte Leidtragende und Trauerhaus sollten witzig klingen.

Christian erklärte, mitgehen zu wollen; das Auto brachte sie an einen Straßenzugang, der durch Polizei abgesperrt war. Sie verließen den Wagen, Herr von Thüngen verhandelte mit dem Polizeioffizier, und sie durften passieren.

Eine dichte Menschenmenge umgab sie alsbald, Matrosen, Fischer, Arbeiter, Zuhälter, Weiber und Kinder, lauter geringes Volk. In den Häusern waren die Fenster Kopf bei Kopf besetzt. Die Maelbecks und Staatsrat Koch blieben stehen und riefen Thüngen, der sich zu ihnen gesellte. Christian ging weiter. Ihr Verhalten berührte ihn aus irgendeinem Grunde nicht angenehm. Die Art der Neugier, von der er sie erfüllt wußte, war ihm plötzlich nicht angenehm. Auch er empfand Neugier, aber sie war nicht von derselben Beschaffenheit, so schien es ihm wenigstens.

Crammon blieb an seiner Seite. Das Gewühl wurde beängstigend. »Wohin gehst du denn?« fragte Crammon mürrisch; »es hat ja keinen Zweck, weiterzugehen; laß uns einfach warten.«

Christian schüttelte den Kopf.

»Genug. Hier wird Posten gefaßt. Hier stehe ich,« entschied Crammon und trennte sich von Christian.

Christian schob sich bis in die Nähe des alten, schmutzigen Hauses, vor dessen Toreinfahrt der Leichenwagen stand. Es war ein nebliger Tag; der schwarze Wagen wirkte wie ein Loch im Grau der Luft. Er wollte noch ein paar Schritte weiter gehen, aber mehrere Burschen verhinderten ihn durch absichtliche Unbeweglichkeit daran. Sie drehten die Köpfe und musterten ihn. Sie witterten seine Welt. Ihre Kleidung war von frecher und billiger Eleganz; Blick und Miene machten ihr Gewerbe erkennbar. Einer war von riesenhaftem Wuchs. Er überragte Christian noch um Stirnhöhe; seine Brauen waren zusammengewachsen. Am Zeigefinger der linken Hand trug er einen Siegelring mit einem Karneol.

Uneingeschüchtert sah sich Christian um. Er sah Hunderte von Mädchen, Aberhunderte; alle Altersklassen zwischen sechzehn und fünfzig; alle Abstufungen zwischen Frische und Fäulnis, alle Grade zwischen Luxus und Elend.

Es waren die gekommen, die auf bewegter Bahn den Zenit überschritten hatten, und die, die noch am Anfang standen, kaum den Kinderschuhen entwachsen, leichtsinnig, sanguinisch, gefallsüchtig und schon mit allem Schlamm der Großstadt vertraut. Sie waren da von allen Straßen, allen Nationen, allen Gesellschaftsklassen; aus umfriedeter Jugend und aus verlorener; aus tieferer Verworfenheit gestiegen, aus der Höhe gestürzt; solche, die sich als Parias fühlten, mit dem Haß des Parias in den Mienen, und andere, die einen gewissen Standesstolz zur Schau trugen und sich absonderten; die ausgehaltene Kokotte, das Mädchen mit dem behördlichen Schein, die von ihrer Gefängnisluft gebleichte Bordellbewohnerin, die aufgetakelte Kasernierte und Nachtwandrerin, die kranke, vertierte Vettel, die unsichere Novize mit Überbleibseln von Selbstbesinnung und Erinnerung an Reinheit und Harmlosigkeit.

Er sah sorgenvolle Gesichter und zynische, liebliche und verrohte, gleichgültige und verstörte, gierige und sanfte, gepflegte und verwahrloste, bemalte und fahle, die seltsam nackt wirkten.

Er kannte sie aus vielen Gassen und Häusern vieler Städte, wie jeder Mann sie kennt. Er kannte den Typus, die Prägung, die eingelernte Gebärde und den Blick, diesen harten, starren, stumpfen, saugenden, taglosen Blick. Aber er hatte sie nie anders gesehen, als ihrem Zweck überliefert, hinter den Gittern des Berufs, verstellt, einzeln und einzeln ausgelöscht, unter dem Fluch des Geschlechts. Sie von all dem abgeschnitten vor sich zu haben, viele Hunderte, sie ohne den Reiz und Anhauch trüber Sexualität als Menschen zu erblicken, das riß ihm eine Wolke von den Augen weg.

Er dachte: ich muß noch Auftrag geben, das Jagdhaus zu verkaufen und die Rüden.

Der Sarg wurde aus dem Hause getragen. Er war hoch bedeckt mit Blumen und Kränzen. Goldbedruckte Schleifen flatterten herab. Christian spürte Neugier, zu lesen, was auf den Schleifen stand, aber es war nicht möglich. Der Sarg hatte kleine, gedrechselte, versilberte Füße, die Tiertatzen ähnlich sahen; jedoch war durch irgendeinen Zufall einer abgebrochen. Das berührte Christian als etwas entsetzlich Armseliges, er wußte selbst nicht, weshalb. Hinter dem Sarg schritt ein altes Weib, das eher ärgerlich und verdrossen als bekümmert aussah. An ihrem schwarzen Kleid war unter der Achsel die Naht gerissen. Auch dies war entsetzlich armselig.

Der Leichenwagen setzte sich in Bewegung, sechs Männer mit brennenden Kerzen voraus. Das Geplauder und Stimmengewirr verstummt. Die Dirnen, in Reihen sich ordnend, folgten dem Wagen. Christian blieb stehen, an die Mauer gedrückt und ließ alle vorbeiziehen. Nach einer Viertelstunde war die Straße verödet. Die Fenster in den Häusern schlossen sich. Er stand ganz allein in der Straße, im Nebel.

Als er weiterging, dachte er: ich habe meinem Vater die Ringsammlung in Verwahrung gegeben; es sind über viertausend Ringe, seltene und kostbare Stücke; auch sie könnte man verkaufen. Wozu brauch ich sie, dachte er; ich brauche sie nicht, ich will sie verkaufen.

Er ging und ging, und ohne daß es ihm recht zu Bewußtsein kam, verfloß Stunde auf Stunde. Es wurde Abend, die Lichter glommen irisierend aus dem Nebel. Alles war feucht, sogar die Handschuhe, die er trug.

Er dachte an den fehlenden Silberfuß am Sarg der ermordeten Dirne und an das alte Weib mit der gesprungenen Naht unter der Achsel.

Er schritt über eine der großen Elbbrücken und ging dann am Ufer entlang. Die Gegend war einsam. Unter einem Gaskandelaber blieb er stehen, schaute eine Weile ins Wasser, zog dann die Brieftasche heraus, entnahm ihr einen Hundertmarkschein und betrachtete ihn aufmerksam. Er betrachtete ihn bald von der einen, bald von der andern Seite, schüttelte ein wenig den Kopf und warf ihn mit einer Gebärde des Ekels ins Wasser. Er nahm einen zweiten und machte es ebenso. Es waren zweiundzwanzig Hundertmarkscheine in den Fächern des Portefeuilles. Er nahm einen nach dem andern heraus und ließ sie, mit einem Ausdruck von Ekel und Zerstreutheit mehr aus den Händen gleiten als daß er sie warf.

Er sah sie, von den Lichtern des Gaskandelabers eine Strecke weit beleuchtet, auf dem schwärzlichen Wasser davonschwimmen.

Er lächelte und ging weiter.

15

Als er ins Hotel kam, verspürte er ein heftiges Bedürfnis nach Wärme. Er betrat nacheinander den Lesesaal, den Konversationssaal, den Speisesaal; trotzdem in allen Räumen ziemlich stark geheizt war, genügte ihm die Wärme nicht. Er gab der Feuchtigkeit schuld, in der er so lange gewandert war.

Er fuhr mit dem Lift in das Stockwerk, wo seine Zimmer lagen. Er wechselte den Anzug, hüllte sich in eine Decke und setzte sich dicht vor den Heizapparat, in welchem der Dampf zischte und wie ein gefangenes Tier an den Ventilen lärmte.

Es wurde ihm noch immer nicht warm. Da merkte er endlich, daß das Frösteln nicht von der Feuchtigkeit und vom Nebel herrührte, sondern eine innere Ursache hatte.

Gegen elf Uhr erhob er sich und ging in den Korridor. Die stuckverkleideten Wände des Flurs waren in große Felder mit goldenen Randleisten abgeteilt; den Boden entlang lief ein Teppich, der aus Stücken zusammengefügt war und die Schritte dämpfte. Christian empfand Abneigung gegen die auf Täuschung berechnete Scheinpracht. Er näherte sich der Mauer, befühlte prüfend eine der Goldleisten und zuckte geringschätzig die Achseln.

Auf dem Teppich blinkte ein Schlüsselchen, von dem der Bart abgebrochen war. Er bückte sich, hob es auf und steckte es in die Tasche.

Am Ende des langen Korridors lagen Evas Gemächer. Ein paarmal war er schon an den Türen vorübergegangen; als er jetzt wieder hinkam, hörte er die Töne eines Klaviers. Es wurden nur einzelne Tasten leise angeschlagen. Nach kurzem Besinnen öffnete er die Doppeltüre, klopfte und trat ein.

Susanne Rappard war allein im Zimmer. Sie saß im Pelz am Klavier. Auf dem Notenständer lag ein Buch, in dem sie las; ihre Finger huschten dabei gespenstisch rasch über die Tasten und schlugen nur bisweilen, wie aus Versehen, eine an. Sie wandte den Kopf und fragte unwirsch: »Was wünschen Sie, Monsieur?«

Christian antwortete: »Ich möchte Madame sprechen, wenn es noch möglich ist. Ich möchte sie etwas fragen.«

»Jetzt? in der Nacht?« wunderte sich Susanne. »Wir sind müde. Wir sind jeden Abend müde in diesem hyperboräischen Klima, wo man die Sonne nur vom Hörensagen kennt. Der Nebel greift uns an. Gott sei Dank, in vier Tagen haben wir unsre dritte und letzte Vorstellung, dann verlassen wir das Graue und begeben uns wieder ins Blaue. Gott sei Dank. Wir sehnen uns nach Paris.«

»Ich wäre sehr froh, wenn ich Madame noch sehen könnte,« sagte Christian.

Susanne schüttelte den Kopf. »Sie haben eine merkwürdige Geduld, Monsieur,« entgegnete sie boshaft. »Ich hätte nicht vermutet, daß Sie so romantisch veranlagt sind. Sie fahren schlecht mit dem, was Sie tun; glauben Sie mir, denn ich weiß es. Übrigens können Sie es ja versuchen. Gehen Sie hinein. Ce petit laideron est chez elle, demoiselle Schöntag. Sie versieht das Hofnarrenamt und findet alles in der Welt komisch, sogar sich selbst. Auch das wird ja bald ein Ende haben.«

Man hörte Stimmen und helles Lachen. Die Tür zu Evas Gemächern ging auf, und Eva und Johanna traten auf die Schwelle. Eva trug ein einfaches, weißes Gewand ohne andern Schmuck als einen großen Chrysopras, mit dem es auf der linken Schulter befestigt war. Ihre Haut leuchtete wie Bernstein, die Bewegung der Nasenflügel verriet geheime Reizbarkeit. Die schöne Frau und die häßliche nebeneinander: jede weiblich wissend, die eine, daß sie schön, die andre, daß sie häßlich war; die eine blutendstes, gefährlichstes, umwittertstes Leben, Bewußtsein, Adel, Freiheit; die andere Anbetung, sehnsüchtiges Emporlangen nach diesem Leben und dieser Freiheit.

Johanna hatte den Arm um Eva gelegt, zart und behutsam. Sie bog den Kopf, bis ihre Wange Evas bloße Schulter berührte und sagte mit ihrem bizarren Lächeln: »Wie gut, wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß'.«

Sie hatten Christian noch nicht bemerkt; erst eine Gebärde Susannes machte sie aufmerksam. Christian stand im Schatten an der Tür. Johanna erblaßte, ein scheuer Blick ging von Eva zu Christian; sie ließ den Arm von Eva, beugte sich rasch, küßte Evas Hand, flüsterte ein »Gutenacht« und ging, an Christian vorüber, hinaus.

Obwohl Christians Augen gesenkt waren, hielt er Evas Erscheinung umfaßt. Er sah die Füße, die er einst nackt in seinen Händen gehalten, er sah hinter dem dünnen Stoff die wundervollen festen Brüste, er sah die Arme, die sich um ihn geschlungen, die vollendet schönen Hände, deren Liebkosungen er erfahren, von deren Feinheit und Glätte alles, was an ihm Haut und Leib war, noch wußte; er sah sie da vor sich, ganz nah, hoffnungslos unerreichbar, und es war letzte Lockung, letzter Verzicht.

»Monsieur hat ein Anliegen,« sagte Susanne Rappard spöttisch und stand auf, um zu gehen.

»Bleib nur,« befahl Eva und hatte für Christian einen Blick wie für einen Lakaien.

»Ich wollte dich fragen,« begann Christian leise, »was der Name Eidolon bedeutet, mit dem du mich früher gerufen hast. Ich komme damit ein wenig spät, es ist albern, ich weiß es,« er lächelte verlegen, »aber es quält mich, sooft ich darüber nachdenke, und ich hatte mir vorgenommen, dich um Aufklärung zu bitten.«

Susanne lachte heimlich im Winkel, denn die Frage klang in ihrer Verspätung und grundlosen Dringlichkeit in der Tat recht einfältig. Auch Eva schien ergötzt, verbarg es aber; sie blickte ihre Hände an und antwortete: »Es ist schwer zu sagen, was es bedeutet. Ein Ding, das man opfert, oder einen Gott, dem man opfert, ein schöner, heiterer Genius. Eines von beiden, vielleicht auch beides zugleich. Wozu daran erinnern? Es gibt keinen Eidolon mehr. Er ist mir zerschlagen worden, und man soll mir nicht die Scherben zeigen. Scherben sind häßlich.«

Sie schauderte ein wenig, ihr Blick funkelte, und sie wandte sich zu Susanne. »Laß mich morgen schlafen, bis ich von selbst erwache,« sagte sie. »Ich träume jetzt so schlecht in der Nacht, erst frühmorgens finde ich Ruhe.«

16

Als Christian wieder über den Korridor ging, fiel sein Blick auf eine Gestalt, die unbeweglich im Halbdunkel stand. Er erkannte Johanna, und er sah, es mußte so sein, daß sie hier stand und auf ihn wartete.

Sie schaute ihn nicht an; sie schaute zu Boden. Erst da er vor sie hintrat, hob sie die Augen, blickte aber schüchtern an ihm vorbei. Ihre Lippen zuckten. Ein Warum war es, das darauf zuckte. Sie war unterrichtet von allem, was zwischen Christian und Eva vorgefallen war. Daß die beiden einmal zueinander gehört hatten, war ein enthusiastischer Gedanke für sie; was jetzt sich abspielte, eben noch war sie fliehende Zeugin gewesen, dünkte ihr schimpflich, und sie begriff es nicht.

Phantasievoll und sensitiv, liebte sie die Stolzen und litt, wenn Stolz und Würde fielen. An einem idealisierten Begriff von Vornehmheit hing ihr ganzes Herz; mißverstand sie ihn zugunsten äußerlicher Formen und Moden, so litt sie doppelt durch diesen Zwiespalt, dem sie nicht gewachsen war, und der sie der Frivolität überlieferte.

»Es ist spät,« flüsterte sie scheu; es war keine Aussage, es war ein Rettungsversuch. Drei Signale gab es, die sie aufhorchen gemacht hatten, jedesmal, wenn von Christian die Rede gewesen war: der Elegante, der Hochmütige, der Eroberer aller Herzen. Das rief, das rührte auf; das war eine Vereinigung von Vorzügen, um die Tage eines Jahres mit Begierden zu füllen.

Sie war Crammon ins Abenteuer gefolgt, obgleich sie schon eine Stunde, nachdem sie ihn kennengelernt, von ihm gesagt hatte: »Er ist ein Gebirge von Komik.« Sie war ihm gefolgt wie eine Sklavin, die sich auf den Sklavenmarkt führen läßt, in der Hoffnung, das Auge des Khalifen auf sich zu ziehen.

Aber sie glaubte an keine Kraft in sich. Sie zerstückte ihre Leidenschaften in kleine Gelüste, freiwillig und mit Fleiß; und litt wieder; und lachte über sich. Zum Raub fehlte der Mut; Naschhaftigkeit ersetzte den Schwung des Genießens. Und sie mokierte sich über ihre verunglückte Natur; und litt.

Da stand er nun vor ihr. Sie erschrak und wunderte sich, trotzdem sie ihm aufgelauert hatte. Sie wollte ihn verwegen finden, weil er nicht wich; da es nicht gelang, wurde sie sich gleich Auswurf. »Es ist spät,« flüsterte sie, nickte ihm grüßend zu und öffnete die Tür ihres Zimmers.

Christian bat stumm, mit einer Miene, die unwiderstehlich war. Er schritt hinter der Zitternden über die Schwelle. Ihr Gesicht wurde hart, aber sie konnte nicht Komödie spielen. In ihren Augen war fließende Hingebung, bevor noch das Blut davon wußte. Die Blässe, die ihr Gesicht überstrahlte, ließ es in einer neuen Anmut schwimmen. Nichts Häßliches war mehr darin; die stürmische Erwartung, genommen zu werden, straffte die gebrochenen Linien und sammelte die sonst unharmonisch verstreuten Teile von Weichheit, Sanftmut und Zärtlichkeit.

Ihrer sinnlichen Wirkung war sie ziemlich sicher; sie hatte das Fluidum an manchen erprobt, denen man Halbes gab, um Halbes zu empfangen. Man hatte sich irgendwie betäuben müssen und hatte mit falschem Geld bezahlt, ohne den Ernst der Forderungen anzuerkennen: ein stillschweigendes Übereinkommen innerhalb ihrer Gesellschaftsschicht. Hier bewährte sich die Übung nicht mehr. Nichts war läßlich, alles streng; der Nacht, die ihr entgegentrat, ergab sie sich, ohne an Zukunft und Verantwortung zu denken.

17

Stephan Gunderam mußte nach Montevideo reisen. Es gab dort einen deutschen Arzt, dem eine geschickte Behandlung nervöser Zustände nachgerühmt wurde. Der stiernackige Riese litt an Schlaflosigkeit und nächtlichen Wahnbildern. Außerdem fand in Montevideo eine Regatta statt, und er hatte schon große Summen beim Totalisateur gesetzt.

Er ernannte Demetrios und Esmeralda zu Aufsichtspersonen über Lätizia. Er sagte zu ihnen: »Wenn der Frau etwas passiert, oder wenn sie sich Ungehöriges zuschulden kommen läßt, schlag ich euch die Knochen im Leib entzwei.« Demetrios grinste, Esmeralda verlangte eine Schachtel langues de chat als Mitbringsel und Belohnung.

Der Abschied zwischen den Gatten war rührend. Stephan biß Lätizia ins Ohrläppchen und sagte dumpf: »Bleib mir treu.«

Alsbald ging Lätizia daran, ihre Wächter mild zu stimmen. Sie schenkte Demetrios hundert Pesos und Esmeralda ein goldnes Armband. Sie stand in geheimem Briefwechsel mit dem Schiffsleutnant Friedrich Pestel; ein Indianerknabe, dessen Verschwiegenheit und Willfährigkeit sie sicher sein durfte, war der Bote. In acht Tagen sollte Pestels Schiff nach Kapstadt auslaufen, also war nicht mehr viel Zeit zu verlieren; erst im nächsten Winter, im Mai, glaubte er wieder in Argentinien sein zu können. Lätizia liebte ihn sehr.

Zwei Meilen von der Estanzia entfernt, lag mitten in den Pampas eine Sternwarte. Ein reicher Viehzüchter, ein Deutscher, hatte sie erbaut, und ein deutscher Professor hauste darin mit zwei Assistenten und beobachtete Nacht für Nacht das Firmament. Lätizia hatte schon oft den Wunsch geäußert, die Sternwarte zu besuchen; Stephan hatte es ihr stets verweigert. Jetzt wollte sie es tun und Friedrich Pestel dort treffen. Sie sehnte sich nach einer Aussprache mit ihm.

Die Sternwarte als Zufluchtsort für Liebende: es war eine Vorstellung für Lätizia, die sie beglückte und jedem Wagnis geneigt machte. Tag und Stunde wurden verabredet, die Umstände begünstigten sie; Riccardo und Paolo waren auf die Jagd geritten, Demetrios war von seinem Vater auf eine nördlich gelegene Farm geschickt worden, die Alten schliefen; nur Esmeralda mußte noch getäuscht werden. Zum Glück hatte sie Kopfschmerz, und es gelang Lätizia, sie zu überreden, daß sie sich zu Bett begab. Die Dämmerung war nahe, da zog Lätizia ein helles, duftiges Kleid an, in welchem sie auch reiten konnte; trotz ihrer Schwangerschaft trug sie kein Bedenken dagegen; dann verließ sie, scheinbar harmlos wandelnd, die Estanzia und ging zur Palmenallee, wo der Indianerknabe, der sie begleiten sollte, mit zwei Ponnies auf sie wartete.

Es war schön, in die unendliche Ebene hinauszureiten. Im Westen stand noch rötlicher Dunst, in dem, zart wie Ahnung, Umrisse einer Hügelkette schwammen. Die Erde litt unter Trockenheit; es hatte lange nicht geregnet, und überall zeigten sich Risse und Sprünge. Hunderte von Barreras, Heuschreckenfallen, waren in den Feldern aufgestellt, und die zwei bis drei Meter breiten Gruben daneben waren voll von den Insekten.

Als sie zur Sternwarte kamen, war es dunkel geworden. Das Gebäude glich einem orientalischen Bethaus. Auf einem länglichen Ziegelunterbau erhob sich eine mächtige Kuppel aus Eisenkonstruktion, deren oberer Teil um eine bewegliche Achse rotieren konnte. Die Fensterläden waren geschlossen, und man sah nirgends Licht. Friedrich Pestel stand am Tor; sein Reittier hatte er an einen Pfahl gebunden. Er berichtete, daß der Professor und die beiden Assistenten seit einer Woche abwesend seien; sie könnten aber in das Observatorium hinauf; der Pförtner, ein alter, fieberkranker Mulatte, den er aus dem Schlaf geklopft, habe ihm die Schlüssel gegeben.

Der Indianerknabe zündete die Laterne an, die am Sattelzeug seines Ponnies hing, Pestel nahm sie und ging Lätizia voran, erst durch einen öden Steinflur, dann über eine Holzstiege, dann über eine eiserne Wendeltreppe. »Das Glück ist uns hold,« sagte er; »nächste Woche ist eine Sonnenfinsternis; es kommen Astronomen aus Europa in Buenos-Aires an, und der Professor ist mit seinen Assistenten hinübergefahren, sie zu empfangen.«

Lätizias Herz schlug erregt. In dem hochgewölbten Observatorium verlor sich das Licht der Laterne kraftlos. Das große Teleskop warf einen furchteinflößenden Schatten; die Zirkel, Winkel und Meßinstrumente auf dem langen Tisch und der photographische Apparat auf dem Stativ sahen aus wie Tiergerippe; die Karten an den Wänden, mit mysteriösen Zeichen und Linien bedeckt, ließen an Zauberkünste denken. Der ganze Raum gemahnte an die Höhle eines Zauberers.

Ein kindlich neugieriges und befriedigtes Lächeln wich nicht von Lätizias Lippen. Einer solchen Stunde bedurfte ihre verschmachtete Phantasie. Sie vergaß Stephan und seine Eifersucht, die ewig streitenden Brüder, den bösen Alten, die zänkische Donna Barbara, die tückische Esmeralda, das Haus, in dem sie gefangengehalten wurde, sie vergaß es völlig, und es gab nur noch diesen Raum mit den Zaubergeräten, diesen Abend, das trübe Flämmchen in der Laterne, und den reizenden jungen Mann, der sie bald küssen würde. Sie hoffte es wenigstens.

Aber Pestel war verlegen. Er trat an das Teleskop, schraubte die blitzende Messingkapsel ab und sagte: »Wir wollen die Sterne anschauen.« Er schaute hinein, dann forderte er Lätizia auf, hineinzuschauen. Lätizia sah milchigen Qualm und aufzuckendes, hüpfendes Feuer. »Sind das die Sterne?« fragte sie mit koketter Melancholie in der Stimme.

Da erzählte Pestel von den Sternen. Sie hörte mit strahlenden Augen zu, obwohl es sie nicht im geringsten interessierte, zu wissen, wieviel Millionen Meilen der Sirius oder der Aldebaran von der Erde entfernt waren und was es mit dem geheimnisvollen Kohlensack des südlichen Himmels für eine Bewandtnis hatte.

»Ach,« hauchte sie bloß. Nachsicht und träumerische Skepsis lagen in dem Ach.

Der Schiffsleutnant, von Kosmos und Unendlichkeit sich abwendend, sprach von sich, von seinem Leben, von Lätizia, von dem Eindruck, den sie auf ihn gemacht, und daß er nur an sie denke, Tag und Nacht nur an sie.

Lätizia blieb mäuschenstill, um ihn nicht aus der Bahn zu bringen und die süße Spannung, die in ihr war, nicht zu stören.

Als gewissenhafter Charakter, der er war, hatte Pestel seinen Zukunftsplan bereits entworfen. Wenn er in sechs Monaten wiederkehrte, sollten der Scheidung und neuen Ehe die Wege geebnet werden. An Flucht denke er nur für den äußersten Notfall.

Er sagte, er sei arm; ein kleines Kapital bloß sei für ihn in Stuttgart deponiert. Er war ein Schwabe. Er war treuherzig und genau.

»Ach,« hauchte Lätizia wieder, halb erstaunt, halb betrübt. »Es macht nichts,« sagte sie entschlossen, »ich bin reich. Ich habe einen großen Wald. Meine Tante, die Gräfin Brainitz, hat ihn mir als Heiratsgut geschenkt.«

»Einen Wald? Wo denn?« fragte Pestel lächelnd.

»In Deutschland. Bei Heiligenkreuz in der Rhön. Er ist so groß wie eine Stadt, und wenn man ihn verkauft, kann man viel Geld dafür bekommen. Ich bin nie dort gewesen, aber jemand hat mir erzählt, daß ein riesiges Erzlager in ihm verborgen sei. Man müßte es finden und ausbeuten, dann wäre man noch viel reicher, als wenn man den Wald verkaufte.« Dies war eine Phantasie Lätizias, Ausgeburt eines wünschenden Traums, der in ihr Festigkeit und Gestalt gewonnen hatte, seit sie hier in Argentinien Leibeigene war. Sie log nicht; sie wußte selbst nicht mehr, daß sie es erfunden hatte; sie wünschte, und damit war Wirklichkeit entstanden.

»Es wäre ein unfaßliches Glück,« antwortete Friedrich Pestel nachdenklich.

Die Worte rührten Lätizia. Sie begann zu schluchzen und warf sich ihm an die Brust. Ihr junges Leben dünkte ihr hart; sie sah es häßlich und von Gefahren umstellt. Nichts von dem, was sie erwartet, war in Erfüllung gegangen; es waren Seifenblasen gewesen, die im Wind zerplatzten. Ihre Tränen kamen aus der Erkenntnis davon und aus der Angst vor den Menschen und vor dem Schicksal. Sie sehnte sich nach starken Armen, die ihr Schutz und Sicherheit boten.

Pestel umfing sie erschüttert und wagte einen Kuß auf ihre Stirn. Sie schluchzte noch heftiger, da küßte er sie auf den Mund. Sie lächelte. Er wolle sie bis an seinen Tod lieben, stammelte er; niemals sei ihm eine Frau wie sie begegnet, nie habe er Ähnliches empfunden.

Sie gestand ihm, daß sie von dem Mann, an den sie unliebend gekettet war, guter Hoffnung sei. Pestel drückte sie innig an seine Brust und sagte: »Das Kind ist Blut von deinem Blut und ich will es wie mein eignes ansehen.«

Die Zeit drängte zum Aufbruch. Sich bei den Händen haltend, gingen sie die Treppen hinunter. Mit dem Versprechen, einander täglich zu schreiben, schieden sie.

Ich will mit ihm auf ein Schiff gehn und fliehen, wenn er von Afrika zurückkehrt, beschloß Lätizia, als sie durch die kühle Pampasnacht langsam der Estanzia zuritt; alles andere ist häßlich und langweilig. Wär es nur bald, wär nur alles schon vorüber, dachte sie mit Sorge und Herzweh. Und die Neugier regte sich in ihr, wie sich Pestel benehmen, wie er der Schwierigkeiten und Hindernisse Herr werden würde. Sie glaubte an ihn und begann schon zarte und verführerische Bilder der Zukunft zu malen.

In der Estanzia hatte man sie vermißt, und Leute waren ausgeschickt worden, sie zu suchen. Auf Umwegen schlich sie ins Haus und in ihr Zimmer und kam dann mit unschuldiger Miene zum Vorschein.

18

Stettner war zurückgekehrt; das Schiff, mit dem er fuhr, sollte am selben Abend die Anker lichten. Er hatte noch einige Geschäfte in der Stadt zu besorgen; Christian und Crammon warteten auf ihn, um ihm das Abschiedsgeleit zu geben.

Crammon sagte: »Ein Husarenrittmeister, der mir plötzlich in Jackett und Stehkragen entgegentritt – ich kann mir nicht helfen, es hat etwas Verzweifeltes. Es macht mir ein Gefühl, als müßt ich ihm immerfort mein Beileid ausdrücken. Schließlich ist es doch Deklassierung. Ich liebe nicht Deklassierung. Die Unterschiede der Stände sind eine gottgewollte Institution; wer sich daran vergreift, leidet Schaden an seiner Seele. Einen Beruf schmeißt man nicht fort wie einen faulen Apfel. Es sind heikle Dinge; der gemeine Verstand setzt sich darüber hinweg, der höhere behandelt sie mit Ehrfurcht. Was sucht er denn bei den Yankees, was kann ihm da Gutes blühen?«

»Er ist seiner Neigung nach Chemiker und hat viel in dem Fach studiert; das wird ihm helfen,« antwortete Christian.

»Bah, danach fragen die Yankees nicht. Man stellt ihn irgendwohin, wo tags zuvor einer an Auszehrung krepiert ist, und wenn er da nicht klein beigibt, wird er langsam geviertelt oder gerädert. Mit dem Stolz in der Mannesbrust ist's vorüber. Es ist ein Land für Diebe, Kellner und Renegaten. Mußte es denn sein, mußte es so weit kommen?«

»Ich glaube, ja,« entgegnete Christian.

Eine Stunde später waren sie mit Stettner am Hafen. Es wurde noch Ladung und Gepäck verstaut, und sie wanderten, Stettner zwischen Christian und Crammon, in einer schmalen Gasse auf und ab, die aus Baumwollballen, Kisten, Fässern und Körben gebildet war. Von den hohen Masten gossen die Bogenlampen übermäßiges Licht; Lärm von Karren, Kranen, Motoren, Glocken, Ausrufern und Bootsführern durchtoste den Nebel. Der Asphalt war naß; einen Himmel gab es nicht.

»Vergeßt mich nicht ganz, ihr im alten Lande hier,« sagte Stettner. Es entstand ein Schweigen.

»Ich weiß nicht, obs uns fürder so wohl bleiben wird im alten Lande,« begann Crammon, der jetzt manchmal pessimistische Anwandlungen und Gesichte hatte; »bislang ists uns ja leidlich gut ergangen. Küche und Keller waren wohlbestellt, wir hatten nicht zu klagen; auch für die höheren Bedürfnisse war gesorgt. Aber die Zeiten werden schlechter, und täusch ich mich nicht, so zieht sich allerlei politisches Gewölk am Horizont zusammen. Sich mit guter Miene aus dem Staub zu machen, ist daher kein so übler Gedanke von Ihnen, mein lieber Stettner, und ich hoffe nur, daß Sie sich da drüben einen Sitzplatz sichern, von dem aus Sie das Schauspiel unsres Debakle in aller Ruhe genießen können. Und wenn die Wellen ganz hoch gehen, dann denken Sie auch unser und lassen Sie eine Messe für uns lesen, d. h. für mich, denn dieser da ist ja ausgestoßen aus dem Schoß der heiligen Kirche.«

Stettner lächelte zu diesen Reden, wurde jedoch gleich wieder ernst. »Ja, mir scheint, man ist hier ziemlich in der Mausefalle,« erwiderte er. »Ich fühl mich Deutscher wie noch nie, gerade jetzt, wo ich gehe, wahrscheinlich für immer gehe. Aber es ist etwas Schmerzliches um das Gefühl; mir ist, als sollt ich von einem zum andern laufen und warnen. Wovor warnen, warum warnen, das kann ich nicht sagen.«

Crammon versetzte gewichtig: »Meine alte Aglaja schrieb mir neulich, sie habe eine ganze Nacht lang von schwarzen Katzen geträumt. Sie ist ein tiefes Wesen, ein prophetisches Gemüt, und so ein Traum von ihr bedeutet Schlimmes. Es ist denkbar, daß ich in ein Kloster gehe, es liegt im Bereich der Möglichkeiten. Lache nicht, Christian, lache nicht, darling, du kennst mich noch nicht.«

Es war Christian gar nicht eingefallen, zu lachen.

Stettner blieb stehen und reichte beiden die Hand. »Leben Sie wohl, Crammon,« sagte er herzlich, »Dank für das Geleit. Leb wohl, Christian, leb wohl.« Er drückte Christians Hand fest und lange, dann riß er sich los, eilte gegen die Schiffsbrücke und verlor sich im Gewühl.

»Ein netter Kerl,« murmelte Crammon, »schade um den netten Kerl.«

Als sie zum Auto kamen, sagte Christian: »Ich möchte noch ein wenig gehen, zu Fuß ins Hotel zurück oder wohin immer. Gehst du mit, Bernhard?«

Crammon antwortete: »Wenn dus wünschest, bon; um mitzugehen bin ich da.«

Christian schickte den Wagen weg. Es war ihm eigentümlich zumute; er hatte die Empfindung, daß ein Schicksal auf ihn warte.

»Ariels Tage hier sind nun gezählt,« sagte Crammon. »Mich meinerseits ruft die Pflicht. Ich will bei meinen beiden Damen nach dem Rechten schauen; dann muß ich zu Franz Lothar in die Steiermark; Auerhahn, du weißt; dann hab ich dem jungen Sinsheim versprochen, nach Sankt Moritz zu kommen. Und du? Was sind deine Pläne?«

Ein gewaltiges Monument erhob sich vor ihnen. »Der Herr von Bismarck,« sagte Crammon anerkennend. »Ich möchte nicht das ganze Jahr versteinert dastehen und fürchterliche Musterung halten. Also, was planst du, Herzchen?«

»Ich fahre morgen oder übermorgen nach Berlin.«

»Nach Berlin? Was suchst du denn um Gottes willen in Berlin?«

»Ich will arbeiten.«

Crammon blieb stehen, machte den Mund auf und vergaß ihn wieder zu schließen. »Arbeiten?« keuchte er fassungslos und war mit zwei Sprüngen wieder an Christians Seite. »Arbeiten? Was denn, wie denn, du Unglückseliger?«

»Ich will Vorlesungen an der Universität hören. Ich will es mit der Medizin versuchen.«

Crammon schüttelte entsetzt den Kopf. »Arbeiten . . . Vorlesungen . . . Medizin . . . heilige Gnade! du hörst es, Ewiger! Als ob nicht genug Schweiß in der Welt wäre, nicht genug Stümperei, nicht genug Afterweisheit, nicht genug Streberei und Handlangerei. Das kann doch dein Ernst nicht sein.«

»Du übertreibst, Bernhard, wie immer,« antwortete Christian lächelnd. »Laß doch das Jammern. Es ist ja etwas Einfaches und Selbstverständliches, was ich tue. Auch probier ich's ja nur mal erst; ich weiß ja noch gar nicht, ob ichs können werde. Aber probieren muß ichs, daran kannst du nichts ändern.«

Crammon erhob die Hand mit gestrecktem Zeigefinger und sagte feierlich düster: »Du wandelst einen schlimmen Pfad, Christian, glaube mir, einen verderblichen Pfad. Mir ahnt Gräßliches, schon lange, lange schon. Der Schlaf meiner Nächte ist bitter geworden deinetwegen; der Gram nagt an mir, meine Ruh ist hin. Wie soll ich im Schneegebirge den Auerhahn schießen, wenn ich dich bei den Pharisäern weiß? Wie soll ich ein Rakett schwingen und einen Angelhaken schleudern, wenn mein innres Auge dich über schmierige Folianten gebeugt und an bresthaften Leibern herumstochern sieht? Mir wird kein Wein mehr heiter im Glase perlen, mir wird kein Mädchen mehr freundlich blicken, mir wird keine süße Birne mehr schmecken.«

»Doch, doch, Bernhard,« lachte Christian. »Ich hoffe sogar, daß du manchmal zu mir kommen wirst, um dich zu überzeugen, daß du mich nicht ganz zu verwerfen brauchst.«

Crammon seufzte. »Ich muß wohl,« erwiderte er, »muß wohl kommen, und das bald, sonst wird der böse Geist übermächtig in dir, und das verhüte Gott.«


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