Richard Voß
Römisches Fieber
Richard Voß

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27. Sommertage

Prisca war verschiedene Male bei dem Kunsthändler gewesen, um von diesem Herrn die Adresse des rätselhaften Bestellers zu erfahren. Aber der Mann konnte sie ihr nicht angeben: seine Anfrage sei unbeantwortet geblieben, und ohne die besondere Genehmigung der betreffenden Persönlichkeit dürfe er den Namen nicht nennen.

Mit diesem Bescheid mußte Prisca vorderhand sich begnügen; übrigens befand sich ihre Kopie der Salome nicht mehr im Verkaufslokal. Prisca fragte nicht danach, und das dafür empfangene und zum großen Teil bereits ausgegebene Geld brannte ihr auf der Seele.

Und doch war jene Bestellung ein Glück für sie gewesen. Sie lebte davon und konnte noch den ganzen Sommer davon leben. Da sie seit ihrem ersten römischen Bild nichts verkauft hatte, wäre es ihr ohne jene Summe herzlich schlecht ergangen – schon jetzt! Und das trotz aller Arbeitslust und Schaffenskraft, die freilich seit dem Beginn der heißen Zeit merkwürdig matt geworden war, beängstigend matt bei einer von Gesundheit und Leben strotzenden Natur wie die ihre.

Unter diesen Umständen konnte sie sich nicht voll und rein darüber freuen, daß Steffens' Prometheus bereits im Ton verkauft und ein Teil des bedeutenden Preises bei einem der römischen Bankhäuser hinterlegt worden war. Der Käufer, ein Amerikaner, hatte die Statue in Bronze gewünscht und Steffens sich damit einverstanden erklärt.

So war denn für diesen Künstler wirklich ein neuer Lebensanfang gemacht! Täglich wiederholte er Prisca: das sei einzig und allein ihr Werk; aber sie litt zu sehr unter ihrer Untätigkeit, die sie zugleich Untüchtigkeit nannte, um sich darüber so recht von Herzen freuen zu können. Steffens arbeitend und verdienend, sie aber nichts verdienend und als seine Frau von der Arbeit ihres Mannes lebend – der Gedanke quälte sie unausgesetzt.

Und die Hitze quälte sie. Sie begriff nicht, daß Steffens so eifrig arbeiten konnte, und hatte für das Entzücken, in das ihre Freundin Friedrike über die Poesie des römischen Sommers verfiel, keinerlei Teilnahme.

Tag für Tag dieser wolkenlose, schon früh morgens von der Gluthitze umdunstete Himmel, Tag für Tag diese gelben, grellen Lichtfluten, dieses Flimmern und Schimmern, dieser blendende, brennende Glanz, der sich über Himmel und Erde ergoß, alle Dinge zu durchdringen, alle Schatten aufzuzehren schien.

Steffens drang darauf, daß seine Verlobte Rom verlasse, die Freunde stimmten dringend bei, und Prisca entschloß sich zu einer Villeggiatur. Diese mußte möglichst billig, auch von Rom nicht allzusehr entfernt sein. Die Wahl fiel auf Rocca di Papa.

In Begleitung Friedrikens reiste Prisca ab. Friedrike wollte mit ihr ein Zimmer wählen, sie ordentlich untergebracht sehen. Jede zweite Woche sollte Steffens, sollten die Freunde sie besuchen. Es war sehr hübsch ausgedacht.

Die beiden benutzten die Bahn bis Frascati. Wie hatte sich die Landschaft verwandelt! Aus einem unabsehbaren bunten Blütengefilde war eine versengte braune Öde geworden, die unter einem fahlen Himmel sich ausdehnte und im Dunstgewölk sich verlor. Diese sommerliche, mit Ruinen übersäte Campagna erschien Prisca wie die letzte Szene einer Tragödie. Es war Ende und Tod.

Auch das wonnige Frascati lag unter dem Alpdruck des römischen Augustmonates. Der heiße Brodem schlug bis zu diesen schönen Höhen empor, der weiße Staub bedeckte jeden Baum an der Landstraße. Als der Zug durch die Oliveten den Berg hinaufkroch, langsam, wie ein von der Gluthitze ermatteter Mensch, machten die Zikaden einen solchen Lärm, daß er das Fauchen der Maschine übertönte.

In Frascati wurde ein Wagen gedungen. Schon bei der Abfahrt in Rom zeigte sich Fräulein Friedrike darüber sehr erregt. Man würde ihnen einen unverschämten Preis abverlangen; aber sie, Fräulein Friedrike, würde handeln! Der Vetturin sollte sofort sehen, mit wem er es zu tun hatte: mit einer alten Römerin! Sie würde ihn im Dialekt und per Du anreden und – nun, Prisca würde ja erleben, wie man's anfangen mußte. Prisca war denn auch höchst erwartungsvoll.

Auf dem Bahnhof stand zwar ein Omnibus, der für einen bestimmten, sehr mäßigen Tarif die Reisenden nach dem hochgelegenen Bergort beförderte. Aber Fräulein Friedrike hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, zu handeln und ihr uraltes Römertum durch ein glänzendes Abkommen mit dem Vetturin zu erweisen. Womöglich würden sie im eignen Wagen noch billiger als im Omnibus fahren. Anerbieten kamen denn auch sogleich von allen Seiten: Villa Mondragone, Villa Falconieri, Castell Gandolfo, Albano, Rocca di Papa.

Rocca di Papa!

Sogleich wollten sämtliche Kutscher die beiden Frauen fahren.

Fräulein Friedrike stand unbeirrt inmitten des tosenden Schwarmes, musterte mit Kennerblick die Konkurrenten und entschied sich endlich für einen mißfarbigen grauen Gaul, der vor ein zweirädriges, sehr seltsames Vehikel gespannt war und von einem blutjungen, verschmitzt aussehenden Burschen gelenkt wurde.

»Du! Rocca di Papa! Wieviel?«

Auf den horrenden Preis, der genannt wurde, war Fräulein Friedrike gefaßt,– ihre einzige Antwort bestand in einem Hohnlachen. Jetzt pries ihr der Lenker des alten Grauschimmels Pferd und Wagen mit einigen verstümmelten deutschen Worten an. Mit deutschen Worten! Darauf war Fräulein Friedrike denn doch nicht gefaßt. So etwas mußte ihr geschehen! In Frascati vor sämtlichen Vetturins und versammeltem Publikum, in Gegenwart Priscas – sie war fassungslos. Bevor sie sich von ihrem Entsetzen erholt, hatte Prisca die Sache abgemacht: einen behaglichen Wagen, ein mit roten Rosetten und hohen Fasanenfedern zierlich geschmücktes munteres Rößlein, einen freundlichen bildhübschen Kutscher, und alle drei guten Dinge für die Hälfte des zuerst geforderten Preises. Tiefgebeugt über die erhaltene Niederlage ließ die als Deutsche erkannte alte Römerin alles schweigend über sich ergehen und stieg ein.

Zuerst führte die Landstraße eintönig und wenig anmutend durch Weinfelder, deren Reben in ihrer dichten weißen Staubschicht Versteinerungen glichen. Aber vor ihnen erglänzte hoffnungsvoll der Monte Cavo, an dessen, Rom zugewendeter, steil abfallender Seite die ehemalige Sommerresidenz des Papstes klebt, ein Wirrwar grauer Hütten, aus Felssteinen ausgemauert, darunter einige Häuser mit himmelblau getünchten Wänden. Sogar eine Reihe rosenfarbener Landhäuser leuchtete unterhalb des Städtleins über dem dunkeln Rande des Kastanienwaldes.

Es dauerte einige Zeit, bis Fräulein Friedrike sich so weit erholt hatte, um in allerdings noch matten Tönen über die böse neue Zeit zu lamentieren, die sogar den Berg Cavo erklommen, der einstmals das höchste Heiligtum des Landes, den Tempel des Jupiter Latiaris, auf seinem Gipfel trug, und die nun auch das ehrwürdige, so malerische Mäusegrau von Rocca di Papa mit abscheulichen Farbenklecksen entweihte, von den modernen Villen gänzlich zu schweigen.

Als die Straße, das Weinland verlassend, zwischen Hecken und Gräben, welche von erblühten Affodillen gefüllt waren, die Höhe hinanstieg, wurde die Atmosphäre freier und frischer. Man kam durch hochstämmigen Kastanienwald, wo es grünes Gras und gelbe Blumen gab, und wo es abends wonnig kühl sein mußte. Blickte Prisca zurück, so befand sie sich hoch über einem fahlen Brodem, der von der Meeresküste und den Sabinerbergen nichts erkennen ließ und sogar das nahe Rom unsichtbar machte.

Sie erreichten Rocca di Papa, dessen Hauptstraße für Fuhrwerke schwer zu passieren ist. So machte denn der Wagen bei einem schönen Brunnen, dem Geschenk eines Papstes, unterhalb Rocca Halt. Fräulein Friedrike hegte heimlich die Hoffnung, der Frascataner Kutscher, der den ganzen Weg über mit Prisca – sie, Friedrike, ignorierte den jungen Mann! – munter geplaudert hatte, würde beim Bezahlen sein wahres Gesicht zeigen, das Geld auf die Erde werfen und das Doppelte des ausbedungenen Fuhrlohns fordern. Dann aber würde sie reden! Auch per Du, auch im Dialekt, und in einem sehr kräftigen. Prisca zahlte. Fräulein Friedrike machte sich kampfbereit, aber der Frascataner steckte vergnügt sein Geld ein, dankte höflich für die halbe Lire Trinkgeld und erkundigte sich sogleich, ob er »die andre Signora« nach der Bahn zurückfahren solle.

Nein, die andre Signora werde mit dem Omnibus fahren.

Die »echt römische Stimmung« des berühmten Bergnestes, die engen, finsteren, oft in die Felsen gehauenen Gassen, die kleinen schwarzen, grunzenden Schweine, die mit zu den Bewohnern gehörten, die vielen alten, häßlichen Weiber, die Herden zerlumpter Kinder, der Schmutz, das Geschrei, das Anbetteln und Nachlaufen, das Stücklein ultramarinblauen Himmels, das durch einen Spalt des grauen Mauerwerks herableuchtete, es war alles viel zu schön, um Fräulein Friedrikens empfindlich gekränkte Seele nicht aufzuheitern und sehr bald in den gewöhnlichen glückseligen Instand weißglühender Begeisterung zu versetzen.

»Zier bekommst du wenigstens eine Idee davon, wie es in solchem Neste aussieht. Das nenn ich Romantik! Italienische Romantik, natürlich! Siehst du in die Häuser hinein? Die wahren Höhlen! Die Fenster haben nicht einmal Scheiben. Und das Feuer, daran sie sich ihre Minestra kochen, mitten auf dem Boden, der nicht einmal gepflastert ist ... Und diese Menschen! Sahst du soeben die junge Frau? Mein Gott, sind die Menschen hier schön, besonders die Frauen!... Ist Fürstin Romanowska nicht aus Rocca di Papa? Wie ungeheuer interessant!«

Rocca di Papa der Geburtsort der Fürstin Romanowska! Daran hatte Prisca gar nicht gedacht, auch Steffens nicht, wie es schien.

Prisca blieb stehen und sah sich um: Friedrike hatte recht, es war ein wunderbares Land! An solchem Orte hauste ein Menschengeschlecht, daraus so viel Schönheit hervorgehen konnte.

»In solchem Nest ist ja alles untereinander verwandt,« meinte Friedrike. »Wir müssen uns jedenfalls erkundigen. Wahrscheinlich lebt noch die Familie hier. Übrigens hast du ja den ganzen Sommer über Zeit, Nachforschungen anzustellen. Es ist wie eine Novelle ... Jetzt müssen wir aber nach einem Zimmer für dich suchen. Dieses Mal laß mich machen. Ich bin eben doch etwas länger in Rom und weiß mit den Leuten umzugehen.«

Prisen versprach feierlich, diesmal Friedriken nicht ins Handwerk zu pfuschen. Aber – hier ein bewohnbares Zimmer! Wenn es nicht in einer jener vornehmen Villen war, die natürlich nicht in Betracht kamen.

Fräulein Friedrike machte jedoch meisterlich den Cicerone. Aus all dem Winkel- und Höhlenwerk, den Felsenstiegen und dem Gassenschmutz, der um den Gipfel der ehemaligen Arx sich lagerte, trat Prisca plötzlich auf einen kleinen Platz, dessen eine Seite frei war und wie eine Terrasse hoch über der in goldigem Mittagsdunst schwimmenden Landschaft lag. Ganz wohnlich aussehende Häuser, einige davon leider mit jener schmählichen bunten Tünche bedeckt, und eine behagliche Trattoria » Al sole« umgaben die Piazza von Rocca di Papa.

Die alte Dame lief wie ein junges Mädchen bis an die Brüstung vor und rief in Ekstase:

»Es ist zwar eine entsetzlich unmalerische Beleuchtung, aber darum ist es doch einzig in seiner Art. EZ ist, was Gregorovius in der Landschaft den epischen Stil nennt. Was du hier übersiehst, ist ein Völkerepos, liebe Prisca! Wäre die Marina nicht gar so umwölkt, so könntest du das Land der Aneide sehen, von der Tibermündung bis zum Circekap. Das berühmte Circekap, weißt du, das ganz mythologisch ist: antik mythologisch, meine Teure! ... Und dicht unter uns der Albanersee mit Castell Gandolfo! Ja, ich bitte dich! Dort lag einstmals Albalonga. Du kennst natürlich die berühmte Geschichte vom Kampf der drei Horatier und Kuratier und von der Zerstörung der Mutterstadt Roms? Es soll eigentlich alles nicht wahr gewesen sein. Ich glaube es aber doch und will von diesen ekligen Gelehrten, die einem alle Illusionen rauben, und wenn es auch der berühmte Theodor Mommsen selber ist, nichts wissen.«

Um die beiden Frauen hatten sich einige Weiber und Kinder versammelt, und plötzlich begann Friedrike diesem Publikum einen populären Vortrag zu halten. Angesichts der Landschaft der Aneide erzählte sie von der Landung des Äneas bis zur Gründung Laviniums, um von der Dichtung ohne weiteres zur Sage und Geschichte überzugehen: nach Virgil Livius! Die ganzen ersten Kapitel dieses Historikers trug sie vor, hoch erhoben über der Stätte stehend, welche der Schauplatz so vieler erstaunlicher und erhabener Vorgänge gewesen war.

Mehr und mehr Volks sammelte sich an und hörte mit leidenschaftlicher Teilnahme zu. Fräulein Friedrike stand mit leuchtenden Augen, verklärten Angesichts und dozierte in ihrem besten Berliner Italienisch, untermischt mit jenem merkwürdigen Idiom, das sie »römischen Dialekt« nannte. Ihr Publikum verstand sie nicht immer oder nicht ganz, lauschte jedoch nichtsdestoweniger atemlos und überschüttete die Rednerin bei den Effektstellen mit enthusiastischem Beifall.

Prisca fand die Lektion aus der römischen Geschichte und Sage unter freiem Himmel, auf öffentlichem Marktplatz mit dieser Dekoration, dieser Zuhörerschaft und in dieser Umgebung dermaßen köstlich, daß sie während derselben im Geiste ein Bild komponierte, welches in Rocca di Papa gemalt und welches gut werden sollte.

Als Friedrike geendet hatte, verlangte ihr Publikum stürmisch, genau wie im Theater, die schöne Stelle: wie der »General Annibale« von ihrem Rocca aus das gewaltige Rom belagerte, da capo. Also wurde die Geschichte noch einmal erzählt, worauf Fräulein Friedrike ein besonderes »Evviva« erhielt. Als sie danach noch vortrug, weshalb sie nach Rocca di Papa gekommen wäre und daß sie für ihre junge Freundin ein hübsches und billiges, ein sehr billiges Zimmer suche, wurden die beiden Frauen im Triumphzuge von einem Hause zum andern geschleppt. Sie sahen alles mögliche und unmögliche, was an Unterkommen zu finden war; und wenn die Padrona den Preis nannte, so handelte wiederum nicht Fräulein Friedrike, auch nicht Prisca, sondern das gesamte Gefolge, Fräulein Friedrikens ganzes Auditorium. Auf solche Weise erhielt Prisca die beste und billigste Unterkunft in der Nähe des Platzes, ein leidlich reinliches Gemach mit einem guten, sehr sauberen Bett und einer Loggia, von wo aus sie die ganze Herrlichkeit des alten Latinerlandes übersah, von den etruskischen Waldbergen bis zum Circekap.

Nachdem dies zur Zufriedenheit Priscas und zum Entzücken Friedrikens erledigt war, wurde in der Trattoria ein bescheidenes Festmahl eingenommen, bestehend aus Schinken mit Salat nebst einem » Fritto misto«, und alsdann bei der Wirtin Erkundigungen nach der Familie der Fürstin Romanowska eingezogen. Natürlich war das glänzende Glück der schönen Maria von Rocca in ihrem Heimatsorte allgemein bekannt und die Wirtin des Sole so stolz darauf, als wenn es ihrer eignen Tochter begegnet wäre. Sie sollte übrigens schon einmal verheiratet gewesen sein, irgendwo in »Germania« oder »Francia«. Wer ihr erster Mann gewesen, wußte man nicht, jedenfalls kein Principe oder sonst ein »Gransignore«, da sie nach dem Tode desselben gar armselig zurückgekommen war.

Verwandte von ihr lebten nicht mehr, sonst wäre sie gewiß einmal nach Rocca gekommen. Nun, jetzt war sie eine große Dame und kümmerte sich nicht mehr um ihre Heimat, wo man sie nur anstaunen würde, sollte sie noch einmal kommen. Aber sie kam eben nicht mehr.

Am späten Nachmittag mußte Fräulein Friedrike aufbrechen, um mit dem Omnibus zur Station zu fahren. Prisca begleitete sie bis zur Abfahrtsstelle, und ihre letzten Worte waren:

»Hättest du in Frascati mich mit dem jungen Menschen, der uns fuhr, handeln lassen, ich hätte den Wagen sicher um die Hälfte billiger bekommen. Du sahst ja doch, wie ich mit diesen Leuten sprechen kann. Aber war es nicht wundervoll? Und ist es nicht schön, in diesem Lande leben zu dürfen, selbst mit einem großen Kummer im Herzen? Ach, mein armer, armer Peter Paul!«

Rocca di Papa, im August.

Hier bin ich nun über dem Dunst und Dampf der glühenden Tiefe! Freilich ist es auch hier immer noch heiß genug, und ich habe Visionen, darin ich die Wellen des Starnberger Sees rauschen höre und in den Buchenwäldern von Großhesselohe wandle.

Es ist schmählich, daß ich den römischen Sommer so schlecht vertrage und hier oben in kühleren Lüften weile, während Steffens mit den Freunden dort unten den erbarmungslosen Sonnenbrand dulden muß. Allerdings leiden sie nicht darunter, preisen es als das höchste Mysterium des römischen Gottesdienstes, fühlen sich beseligt dabei, was ich ihnen indessen nicht recht glaube. Den Sommer in diesem Lande als die wundersamste aller wundersamen römischen Jahreszeiten zu proklamieren, gehört nun einmal zum echten Italienschwärmer so unzertrennlich, wie zum Vatikan die Sixtinische Kapelle. Der Sommerenthusiasmus ist der Stempel, der erklärt: du bist würdig, hier zu leben, bist aufgenommen in die Gemeinde derer, die da auserwählt wurden und berufen sind!

Ich sollte an Steffens schreiben. Statt dessen sitze ich und schreibe an mich selbst auf diesen leeren, blanken Blättern, die ich in so überflüssiger Weise mit Worten fülle. Auch dem Glöcklein müßte ich endlich meine Verlobung melden. Es wird jedoch ein entsetzliches Geläute anheben, und ich müßte der treuen, kindlichen Seele wohl gar ernstlich böse werden. Ich möchte den Schmerz, den sie empfinden wird, nach Möglichkeit für sie hinausschieben. Am besten wär's, sie erführe das große Ereignis erst, nachdem es geschehen ist.

Ich habe meinem jungen Siegfried gar nicht Lebewohl gesagt. Wenn ich nach Rom zurückkehre, ist er längst fort. Auch ihm möchte ich schreiben. Was? Daß ich ihm goldene Lebenstage wünsche, weiß er ja.

Ich arbeite.

Welches Glück in dem einen kleinen Worte liegt, welche Kraft daraus strömt für den, der voller Zuversicht aussprechen darf: Arbeit! Es ist gleichbedeutend mit Segen und Glück. Und auch das ist solche Spende gütiger Götter, daß der Künstler während seiner Arbeit nicht denkt: wird sie gefallen, wird sie Erfolg haben, wirst du damit Geld verdienen, Ruhm ernten? Er arbeitet eben! Er schafft, erschafft und empfindet staunend und schauend, daß er in sich eine Kraft hat, die Schöpferkraft ist. So ergeht es wenigstens mir, wenn ich so recht, recht arbeiten kann; so arbeiten, daß ich darüber alles, aber auch alles vergesse, sogar ob meine Arbeit denn auch wirklich gut ist. Diese Frage kommt früh genug und mit ihr Zweifel, Angst, Qual, eine Qual ohnegleichen, die indessen doch nicht – nein, nein! die doch nicht größer ist als jenes Glück der Arbeit.

Ich versuche die sommerliche Stimmung dieses Ortes auf die Leinwand zu bringen. Es ist unaussprechlich schwer; denn dieses flimmernde, flammende Licht, diese glimmende, glitzernde Luft, dieser glühende Glanz auf dem Mauerwerk und den Felsen sind gar nicht zu fassen, und ich vermisse meinen verständigen und nachsichtigen Lehrer, der meinen Geist leitet. Aber da ich hier oben gesund bin, so freut mich auch der Kampf, ohne den es eben keinen Sieg gibt. Daß mein Können an der schönsten Bildung der göttlichen Künstlerin Natur, am Menschen, so jammervoll scheiterte, ist eine Niederlage, die ich mir nicht verzeihe, die ich wieder wettmachen muß. Ich will es erzwingen, und – Steffens wird mir helfen.

Ich befreunde mich mit diesem Ort und seinen Bewohnern, darunter Gestalten von wahrhaft heroischer Schönheit sind. Ich verstehe jetzt, daß aus solchem Menschengeschlecht ein Wunderwerk wie jene Maria hervorgehen konnte, die allerdings einzig bleiben wird.

Meine Padrona ist eine Kindheitsfreundin der Fürstin, was ich gleich in der ersten Stunde meines Hierseins erfuhr und seitdem jeden Tag von neuem hören muß. Die Frau bestätigte, daß die Fürstin schon einmal verheiratet war. Sie erhielt damals einen Brief, darin ihre des Schreibens unkundige Freundin ihr die Heirat mitteilen ließ, erinnert sich nicht mehr, woher der Brief kam, dem eine Photographie des Bräutigams beigelegt war, meint ihn jedoch noch zu besitzen und nur verkramt zu haben. Da mich alles, was die Fürstin betrifft, nun einmal leidenschaftlich beschäftigt, so interessiert mich auch diese erste Heirat der schönen Frau, von der Steffens anscheinend nichts weiß.

Ich mache mir Vorwürfe, daß ich auf die Vergangenheit meines Verlobten so gar nicht eifersüchtig bin, und kann diesen gänzlichen Mangel an vielleicht kleinlicher, aber doch echt weiblicher Empfindung durchaus nicht etwa »großartig« nennen. Ich könnte mich entschuldigen, könnte sagen: diese Maria ist zu schön, die Leidenschaft, die sie jedem Manne einflößen muß, ist zu begreiflich, gar nicht zu reden von einem Künstler, der in ihr ein erfülltes Ideal sieht.

So könnte ich sagen, und wäre es auch nur, um mich selbst etwas besser zu verstehen. Aber ich sage nicht einmal das, mache mir Vorwürfe und vermag beim besten Willen von jener echt weiblichen Eifersucht nichts zu empfinden.

Ich wünschte von ganzem Herzen, mehr wie ein Frauenzimmer zu fühlen, sollte ich auch dafür nur wie ein Frauenzimmer malen können. Wie es jetzt ist, ist es doch nicht das richtige.

Meine Padrona sucht nach dem Briefe der einstmaligen »Maria von Rocca«, findet auch nicht das Bild des ersten Gatten, besteht aber darauf, beides müsse noch irgendwo im Hause sein, und hat immer noch keine Erinnerung, woher der Brief kam. Ich nannte ihr sämtliche großen Städte in Frankreich und Deutschland. Als ich »Monaco« sagte, stutzte sie und meinte, das könnte es gewesen sein, um gleich darauf zu behaupten, es wäre ein andrer Name gewesen, und die Leute, denen sie damals den Brief und die Photographie zeigte, hätten behauptet, die Stadt liege in »Prussia«, aus welchem Lande der »Bismarco, quel gran generale« wäre. Der junge Ehemann mußte übrigens ein »bei pezzo d'uomo« gewesen sein.

Gott sei Dank, fühlte ich frauenzimmerlich genug, um auf diesen Brief und dieses Bild neugierig zu sein. Friedrike schrieb mir heute, sie hätte gehört, denn sie hört ja alles, der Fürst befinde sich »seltsamerweise« noch immer in Polen, die Fürstin noch immer im Kloster. Die Römer munkelten allerlei, was aber wohl Klatsch wäre, denn in Rom klatschten die Leute, ein Laster, Roms gänzlich unwürdig! Es müßte indessen zu tief in der menschlichen Natur stecken, sonst würde man doch in Rom, wo man so viele »höhere Dinge« hätte, nicht mit Klatsch und Tratsch sich abgeben.

Sie schreibt viel von Peter Paul, und sie schreibt über ihn wie eine Mutter von ihrem schwerkranken Kind, das nur die hingebendste Pflege, eine Sorge bei Tag und Nacht dem Tode abringen kann. Und seitenlang schreibt sie von Steffens, wie er arbeitet, wie er auflebt, wie glücklich er ist. »Er arbeitet mit leuchtenden Augen, lächelnden Lippen, deinen Namen in der Seele. Und wenn er abends bei uns sitzt, immer nur du, immer, immer nur du! Es wird alles sehr schön werden, ihr werdet sehr glücklich sein ...«

Friedrikens Brief hat nicht weniger als drei Nachträge. In dem einen Postskriptum teilt sie mir mit: »Dein junger Siegfried ist noch immer in Rom. Wir sehen ihn jedoch wenig. Aus seiner Verlobung scheint nichts zu werden.«

Aus seiner Verlobung scheint nichts zu werden ...

Wie leid mir das tut!

Die Umgegend von Rocca hat denselben großen Stil, den ich bei manchen Gestalten seiner Bevölkerung finde. Auch hier wieder eine Galerie von Rottmann. Ach, meine lieben, schönen Rottmann unter den Arkaden des Hofgartens, ihr Kindheitsfreunde und Jugendgefährten! Wie ihr die Sehnsucht nach diesem Lande, die mein elterliches Erbteil ist, genährt habt, wie ihr locktet und locktet mit dem Sirenengesang eurer Farben, eurer Konturen! Jetzt bin ich hier, von euch und meiner Sehnsucht gewaltsam hergezogen, und jetzt hat sich hier mein kleines Frauenschicksal erfüllt.

Leider kann ich die Umgegend nicht so frei durchstreifen, wie ich gern möchte, wie mir's in tiefster Seele wohltun würde. Erstens ist auch hier oben an Spazierengehen im deutschen Sinne nicht zudenken. Erst gegen Abend, wenn die Sonne sinkt, begebe ich mich aus meinem sorgfältig verschlossen gehaltenen dunkeln Zimmer hinaus, wo es noch immer heiß genug ist und eine sengende Glut den Mauern entströmt. Gewöhnlich steige ich durch den um diese Stunde von Menschen, Schweinen, Hunden und Hühnern wimmelnden, mit Geschrei und Getöse erfüllten Ort aufwärts. Jeder Blick ist ein Bild, würde Friedrike sagen und mehr als recht haben, denn aus jedem Blick läßt sich ein Dutzend Bilder machen, und was für welche! An Regentagen wäre solches Gemälde ein Motiv grau in grau. Denn grau sind hier nicht nur die Häuser, sondern auch die Menschen, deren Kostüm keine lebhafte Farbe und daher einen düsteren Eindruck macht, der zu den meist strengen und stolzen Gesichtern gut paßt. Wenn über den grauen Ort der Purpur des Sonnenuntergangs, das Violett und Veilchenblau der Dämmerung sich ergießt, so – aber das läßt sich so wenig malen wie sagen.

Über dem Städtlein ragt mit steilen Wänden eine einsame Bergkuppe auf: die Rocca, die bereits in vorhistorischen Zeiten die Arx trug. Gegen die Ebene und Rom zu wachsen verkrüppelte Steineichen aus dem Felsen, der im übrigen vollkommen kahl ist. Die Silhouette dieses Gipfels, von einem meergrünen oder hyazinthenfarbenen Abendhimmel sich abhebend, ist für ein Künstlerauge von aufregender Herrlichkeit; es sind nur wenige einfache Linien, nur wenige Farbentöne, aber diese wären auf die Leinwand zu bringen, so wie das Auge sie sieht. Oft ist hier für das Künstlerauge allein das Sehen Entzücken und Verzweiflung zugleich.

Als ich das erstemal auf die andre Seite des Felsens gelangte, stieß ich einen Ruf der Überraschung aus. Ich stand unter dem Gipfel des Monte Cavo, am Rande eines weiten, kreisrunden Hochtals, mit üppigem Graswuchs bedeckt, von werdenden Pferdeherden bevölkert, und trotz dieser Staffage von einer solchen weltentlegenen, wilden Einsamkeit, daß es mir unmöglich schien, mich in unmittelbarer Nähe eines Ortes zu befinden, wo sogar die elegante römische Welt Villeggiatur hielt. Hier hinauf steige ich nun allabendlich, beobachte das Schwinden des Tages, das Hereinbrechen der Dämmerung, das Wachsen der Schatten, und bleibe so lange, bis die Dunkelheit mich nötigt, wieder heimzugehen.

Auch ein andres Bild ist schön. Die Stätte, die ehemals die Burg einnahm, dient jetzt den Frauen von Rocca als Trockenplatz. Auf den Köpfen ihre Lasten feuchter Wäsche, steigen sie von dem großen Brunnen langsam, langsam herauf, oft in der Haltung von Karyatiden; und ist die Trägerin eine jugendliche schlanke Gestalt, so vermag man sich keine edleren Linien zu denken. Ich muß mir die Fürstin vorstellen, wie sie, wäre sie die Maria von Rocca geblieben, zu der Höhe ihrer Vaterstadt die Last Linnen auf ihrem stolzen Haupte emporträgt. Sie wäre sicher wie mit einer Krone auf dem Haupte dahingeschritten.

Meine wackere Padrona bereitet mir die Mahlzeiten im Hause. Der Hitze wegen kann ich jedoch nur des Abends etwas genießen und dann nichts als Gemüse und Früchte. Ich nehme diese Vegetarianerkost auf meiner Loggia ein und werde dort Abend für Abend von dem Zauber einer römischen Sommernacht so umsponnen, daß ich mich nicht loszureißen vermag. Dazu kommt jetzt Mondschein. Ich sehe das Meer weit, weit hinaus leuchten, und das ganze unabsehbare Land ist ein zweiter Ozean von Glanz, darin die Lichter Roms wie ein funkelndes Eiland ruhen. Es ist die Zeit der Feste. In Castell Gandolfo, Marino und Grotaferrata, in Frascati und in sabinischen Ortschaften werden nach Anbruch der Dunkelheit Feuerwerke abgebrannt. Gestern sah ich sogar vom Gipfel des Soracte Raketen und Flammengarben aufsteigen.

Meine Padrona schrie zetermordio über meine einsamen Spaziergänge, obgleich ich dieselben nur bis ins »Campo d'Annibale« – so heißt jene Prärie, die einstmals der Krater eines Vulkans war – ausdehne und noch nicht einmal den Cavo erstieg. Aber die Gegend ist unsicher, was ich mir nicht vorstellen könnte, würde ich nicht fortwährend eines andern belehrt. Einsame Landhäuser werden nachts überfallen, und vor einigen Tagen wurde jener Omnibus, der die Reisenden von Frascati nach Rocca bringt, am hellen Vormittag von Maskierten angehalten und jeder Passagier ausgeraubt. Jetzt wird das öffentliche Fuhrwerk von Carabinieri eskortiert, und ich sehe diese prachtvollen Gestalten sogar auf dem öden Hannibalsfeld. Auch die Polizisten warnten mich ernstlich, und so muh ich denn meine Spaziergänge bis Samstag aufschieben, wo Steffens eintreffen will, obgleich ich ihn dringend bat, seine Arbeit jetzt nicht zu unterbrechen. Er wird aber wohl doch kommen, hoffentlich von den Freunden begleitet.

Heute morgen wurde auf der neuen Landstraße, die durch die Macchie nach Aricia führt und die erst diesen Sommer der Deutsche Kaiser fuhr, ein Gemordeter gefunden. Der Leichnam lag vollkommen nackt mitten im Wege und hatte an zwanzig Dolchwunden. Es ist ein junger Vignarolo. Für seinen Mörder hält man einen der fremden Hirten, die im Hannibalsfeld die Pferde hüten. Gegen Abend fragte mich meine Wirtin, ob ich sie zum Kamposanto begleiten wolle? Ganz Rocca sei dahin auf den Beinen. Ich glaubte, es handle sich um ein Begräbnis, das mit ungewöhnlichem Gepränge stattfinde, und machte mich mit der guten Frau auf den Weg. Es schien allerdings die gesamte Einwohnerschaft hinauszuziehen.

Der Kirchhof von Rocca liegt unterhalb des Hannibalsfeldes, über einer wilden Waldschlucht und ist eine solche trostlose Stätte, daß es mich wundert, wie dort die Gestorbenen für die Ewigkeit liegen bleiben, nicht aufstehen aus ihren Gräbern und sich einen andern Ruheort suchen. Als wir uns dem Gottesacker näherten, vernahm ich ein gellendes Geschrei von Frauenstimmen, von einer Wildheit, als erhöben Furien ein Getöse. Auf meine erschrockene Frage hin erfuhr ich, es wäre die Sippe des Gemordeten, welche den Mörder verwünschte, und gleich darauf sah ich ein grausiges Schauspiel.

Vor dem Eingang des Kirchhofs lag der Gemordete aufgebahrt. Er war in schräger Stellung, fast wie stehend, bis zur Brust mit einer roten Decke verhüllt, der Oberkörper entblößt und alle Wunden sichtbar. Zur Rechten und Linken des Gemordeten standen die Frauen der Sippe, schwarz gekleidet, schwarze Schleiertücher auf den Köpfen. Sie streckten ihre Arme empor und stießen unaufhörlich jene gellenden, gräßlichen Laute aus.

Carabinieri hielten bei dem Leichnam Wache, denn es war die Polizei, die das Schauspiel in Szene gesetzt hatte; man hoffte, daß auch der Mörder sich einfinden würde, unwiderstehlich zu seinem Opfer hingezogen. Vielleicht daß seine Mienen, seine Blicke ihn verrieten. Einzeln muhten die Leute vor dem Aufgebahrten vorbeiziehen, langsam, ganz langsam; die Polizisten sahen jedem Verdächtigen starr ins Gesicht.

Als ich nach Hause zurückkehrte, entwarf ich von dem Geschauten eine Skizze. Gelingt mir das Gemälde, wie mir diese erste Aufzeichnung gelang, so wird es mein bestes Bild, so wird es ein gutes Bild! Nur arbeiten, arbeiten!

Der Mörder verriet sich nicht. Drei Tage hielt man den Leichnam ausgestellt, drei volle Tage! In manchen Dingen ist es doch ein barbarisches Volk.

Steffens war hier. Ei kam allein. Er hat sich sehr verändert ... Wie glücklich er ist!

Ich lebe nun so still für mich hin, wünschte immer so friedlich hinleben zu können, malend auf der Piazza von Rocca di Papa, träumend auf dem öden Hannibalsfeld und auf meiner Loggia, unter mir das ganze römische Land. Traumhaft ist überhaupt mein Zustand auf dieser Höhe. Der Glanz so vieler wolkenloser Sommertage umspinnt allmählich das ganze Empfinden. Von dem glühenden Dunst, der über Himmel und Erde liegt, senkt es sich in die Seele. Diese wird betäubt, schläft ein, träumt – träumt goldene Unwirklichkeiten.

Mitunter erwache ich. Dann fällt mir's ein: du bist Braut, und schon im nächsten Monat wirst du Gattin ... Schon im nächsten Monat. Ist das möglich? Wir haben ja doch noch immer vollen Sommer, und es soll ja erst im Herbst geschehen ... Wie der August dahinflog; es ist bereits September geworden ... Also wirklich schon im nächsten Monat! Daß die große Stunde mich nur vorbereitet trifft, denn die Aufgabe ist eine ungeheure, und ich bin ja doch ein ehrlicher Mensch, der die ernsten Dinge einst nimmt.

Mädchen, die einen Mann heiraten, ohne diesen zu lieben – ich meine, ohne jene Liebe für ihn zu fühlen, die vom Himmel kommt wie Gottes Wort, solche Mädchen habe ich immer für sehr gering gehalten. Schlimmer. Solche Mädchen habe ich im Grunde meines Herzens verachtet; denn sich einem Manne zu geben, ohne ihn zu lieben – ich konnte es niemals begreifen. Es gehört für mich zu den Unbegreiflichkeiten. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie das überhaupt möglich sein könnte, was eine Frau dabei empfinden müßte? Daß sie nicht umkommt vor Selbstverachtung und Scham. Ich wollte ein solches Darbringen der Seele und des Leibes auch nicht als Opfer gelten lassen. Und jetzt... Man muß eben alles selber erleben, um es doch nicht begreifen zu können.

Aber wie glücklich er ist!

Ich fragte ihn nicht nach seinem Freunde, dem »Signor Arturo«. Etwas, wofür ich keinen Namen habe, verschließt mir gewaltsam den Mund. Auch Steffens erwähnte seiner mit keinem Wort. Ich glaubte jeden Augenblick zu hören, er wäre abgereist, und bereitete mich auf die Nachricht vor, die ich doch seit langem erwarte. Aber kein Wort! Und jetzt ist es möglich, daß ich ihn zum Herbst, wenn ich verheiratet sein werde, in Rom noch treffe, denn wenn aus seiner Verlobung wirklich nichts werden sollte, bleibt er vielleicht doch.

Schmerzlich leid täte mir's, sollte er nicht glücklich werden. Sein Glück muß solchen Siegesglanz haben, wie sein Antlitz hatte. Wenn mein armer Steffens geboren ward, um unglücklich zu sein, so lebt er, um von Glück umleuchtet über die Erde zu schreiten. Auf seine Gestalt darf kein Schatten fallen, es wäre wider die Natur. Steffens geboren, um unglücklich zu sein ... Jetzt strahlt er ja vor Glück, als wenn er der andre wäre. An das Glück des Unglücklichen mußt du denken, Prisca Auzinger! Jede Stunde deines Lebens mußt du nur dieses eine denken. Es muß dein Morgen- und dein Abendgebet sein.

Friedrike und Peter Paul besuchten mich. Sie meldeten sich per Cartolina an, so daß ich ihnen trotz des Geschreis meiner Padrona und der Gefahr, von Briganten überfallen zu werden, entgegengehen konnte. Ich denke, solchem armseligen Malweiblein werden die vermummten Unholde nichts anhaben. Ich stieg hinunter bis an den Saum der Castagnetta, setzte mich mit meinem Skizzenbuch, welches ich statt eines Revolvers oder Dolchmessers zur Abwehr mitnahm, ins hohe Gras und erwartete die Freunde. Sie hatten nicht geschrieben, ob Steffens sie begleiten würde.

Eskortiert von Carabinieri kamen sie im gemeinen Omnibus, der seine feste Fahrtaxe hat. Es war wunderschön, als ich da plötzlich mitten auf der Landstraße stand. Friedrike sprang wie ein sechzehnjähriges Mädchen aus dem Wagen, aber Peter Paul ist doch recht alt geworden. Da der Weg anstieg, gingen wir neben dem Gefährt her. Auch die Carabinieri stiegen ab und schritten dicht hinter uns drein, ein Stück römischer Romantik, welches Friedrike begeisterte. Der Carabinieri wegen war sie auch auf dem Frascataner Bahnhof mit keinem Vetturin in Verhandlung getreten. Steffens hatte sie nicht begleitet, mir aber einen langen, langen Brief geschrieben.

Sie blieben eine volle Woche, und es war herrlich. Auch Peter Paul wurde aufgefrischt. Neben Friedrikens glühendem Enthusiasmus kam ich mir mit meiner ruhigen Freude am Schönen fast fünfzigjährig vor. Sie schwelgte in römischer Sommernatur und war im Bewundern unermüdlich. Unter dem männlichen Schutz eines jungen Neffen meiner Padrona, den Friedrike sofort ausgewittert und für das Modell eines Cola di Rienzi erklärt hatte, machten wir abends Spaziergänge, die wir bis über das ganze Hannibalsfeld und hinunter zum Albanersee ausdehnten. Unser schöner Roccaner tat ungeheuer heldenhaft; ich hatte ihn jedoch in dem steten Verdacht, er würde bei dem ersten Anzeichen der Gefahr Reißaus nehmen. Zum Unglück für Friedrikens sehnlichsten Wunsch, »auch das noch in Rocca zu erleben!« begegnete uns nicht das kleinste Abenteuer, und so wurde ihre Illusion über den Charakter des jungen Volkshelden nicht zerstört.

Ich sah wundersame Orte! Die Blumenwiesen von Pallazuola; die Felsenwände der Stätte, wo Albalonga gestanden, die uralten Rüstern vor dem ehemaligen Kloster auf dem Cavo und die Via Sacra, auf welcher einst Völkerprozessionen zum Tempel des höchsten Landesgottes gewallfahrtet waren und welche Julius Cäsar hinanzog, mit dem Kranze vom Laub des Ölbaums geschmückt. Friedrike wußte alles und hielt Vortrag über Vortrag.

In Rocca di Papa war sie populär. Sie stieg hinunter zum Wasserbecken, in dem die Weiber wuschen, und schwatzte; sie stellte sich an den Brunnen, aus dem die Mädchen schöpften, und schwatzte; sie thronte auf dem Felsengipfel der ehemaligen Arx, wo die Wäsche trocknete, und schwatzte! Alles, was sie hörte – und es geschah nichts, was sie nicht gehört hätte, bekam Peter Paul berichtet, dem sie reizende Kinder und schöne junge Leute zuschleppte, lauter San Sebastiane und moderne Heilige, die Peter Paul entweder skizzieren oder bewundern sollte.

Schrieb ich schon, daß Steffens' neuer Freund wirklich noch immer in Rom ist, daß von der Verlobung mit der schönen Cousine nichts mehr verlautet und daß unsre Hochzeit früher sein soll, schon in einer der nächsten Wochen?

Ich werde bald fort müssen von diesem schönen Ort.


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