Richard Voß
Römisches Fieber
Richard Voß

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23. Karl Steffens stellt aus

Es war stärker als er und – auch Karl Steffens besuchte das Gartenfest der Romanowski. Um nicht erkannt zu werden, kam er erst nach Anbruch der Dunkelheit. Überdies hatte er sich einen Bart angeklebt, und der tief herabfallende Helmschirm eines attischen Kriegers verdeckte einen Teil seines Gesichtes.

Die Pechpfannen wurden entzündet, und die als Haussklaven kostümierten Diener brachten brennende Fackeln, die sie an hohen blumenumwundenen Haltern befestigten. Dann fanden auf der Wiese »hellenische Spiele« statt, bei denen die Blüte der vornehmen römischen Jugend den Speer und den Diskus warf. Ein Tanz von Bacchanten bildete den Schluß des laut bejubelten Schauspiels, welchem beim Glanz des über den Albanerbergen aufgehenden Vollmonds das Symposion folgte.

Es war nach dem Mahl, daß Steffens die Fürstin sah, seit jener andern Vollmondnacht unter den Zypressen der Villa Falconieri zum erstenmal ganz ohne Zeugen. Er befand sich allein an einer einsamen Stelle und plötzlich sah er sie langsam daherkommen, gerade auf ihn zu. Und nirgends ein Mensch, nur er und sie! Da packte es ihn wie ein Dämon.

Er riß sich den Bart von den Wangen, den Helm vom Kopf und trat ihr in den Weg. Sie erkannte ihn sogleich und wich ihm nicht aus. Sie blieb sogar stehen und redete ihn an.

»Wir sahen uns lange nicht. Wie geht's Ihnen?«

Sie sprach, wie eine große Dame mit jemand spricht, den sie anreden und gegen den sie höflich sein muß. Daß sie ihn jeden Nachmittag bei der Korsofahrt gesehen, ignorierte sie in souveräner Weise. Und daß diese Frau, die ganz Würde und Hoheit war, jemals nicht Weltdame und Fürstin gewesen, schien Steffens in diesem Augenblick ein bloßes Hirngespinst zu sein, eine seiner vielen unsinnigen Phantasien.

Aber wunderbar, wie gelassen er blieb, mit welcher Ruhe er der schönen Frau erwidern konnte: »Wir sahen uns lange nicht.«

»Und wie geht es Ihnen?« wiederholte sie ihre Frage.

»Gut. Ich danke Ihnen.«

»Arbeiten Sie?«

»Ich begann eine Arbeit.«

»Warum hört man niemals von Ihnen? Sie müssen doch längst ein berühmter Mann sein?«

»Das bin ich eben nicht.«

»Ich hielt Sie für genial.«

»Oh, Durchlaucht hielten mich für genial?«

»Und kein Mensch weiß etwas von Ihnen?«

»Ich bedaure, Durchlaucht so schwer enttäuscht zu haben.«

»Das haben Sie in der Tat. Stellen Sie doch endlich einmal aus.«

»Vielleicht tue ich das, wenn die Arbeit, die ich eben begonnen habe, fertig ist.«

»Wollen Sie so lange warten? Stellen Sie früher aus. Jetzt gleich.«

»Jetzt gleich?«

»Jetzt sind noch die Fremden in Rom.«

»Ich habe nichts, was ich ausstellen könnte.«

Einen Augenblick schwieg die Fürstin, zauderte sie; nur einen Augenblick.

»Stellen Sie doch Ihre Gruppe aus, die ›Tochter der Semiramis‹.«

»Durchlaucht raten mir, sie auszustellen?«

»Gewiß.«

»Durchlaucht würden mir die Ausstellung der Gruppe nicht verbieten?«

»Ich habe nicht das Recht, Ihnen etwas zu verbieten. Die Gruppe ist Ihr Werk.«

»Vielleicht verbiete ich die Ausstellung mir selbst.«

»So scheint es. Sonst würden Sie längst ausgestellt haben, würden längst ein berühmter Mann sein. Bitte, verbieten Sie sich so etwas nicht mehr.«

»Darum bitten mich Durchlaucht?«

»Wie Sie hörten.«

»In Rom soll ich ausstellen?«

»Gerade in Rom. Ich wünsche es sehr.«

»Das sagen Sie, wo Sie doch wissen ...«

Mit einer leisen Gebärde der Ungeduld unterbrach sie ihn:

»Ich wiederhole Ihnen: ich wünsche, daß Sie meinetwegen keine Rücksicht nehmen. Ich wünsche, daß Sie die Gruppe ausstellen, und das gleich.«

»Fürstin!«

»Leben Sie wohl.«

Sie grüßte vornehm und setzte ihren Weg fort, um nach wenigen Schritten von neuem umringt zu sein und sich huldigen zu lassen.

Am Morgen nach dem Fest erhielt Prisca durch ein Modell einen Gruß von Steffens und die Botschaft: er wäre bereits in aller Frühe zu Fuß über Tivoli nach Subiaco, komme jedoch in einigen Tagen zurück. Daß auch er in der Villa Romanowski gewesen, hatte selbst der junge Frascataner nicht ausspioniert.

Nach sechs Tagen kehrte Steffens wieder, sonnverbrannt und mit einer Frische in seinem Wesen, die ihn förmlich verjüngte. In seiner Wohnung sagte man ihm, ein junger Geistlicher hätte ihn sprechen wollen, wäre schon zweimal dagewesen und würde heute nachmittag wiederkommen.

Als er von einem vergeblichen Gang hinüber zu Prisca, die mit Fräulein Friedrike ausgegangen war, zurückkehrte, fand er vor der Haustür den geistlichen Herrn seiner wartend.

Steffens hätte den Priester am liebsten gar nicht eintreten lassen, sondern ihn draußen abgefertigt. Aber sein. Kopf interessierte ihn sogleich. Es hätte sich ein herrlicher heiliger Antonius von Padua daraus machen lassen: ein Antonius nach langer, schwerer Pönitenz, in einer der grausamen Buße folgenden Verzückung, ein heiliger Antonius in tiefster Ermattung, der in der nächsten Stunde sterben konnte, um sodann von Engelscharen emporgehoben zu werden.

Der Ärmste mußte das Fieber haben. Aus Furcht, der Kranke könnte vor seiner Tür zusammenbrechen, ließ Steffens ihn eintreten und brachte ihm einen Stuhl, den einzigen, etwas bequemen, den er besaß. Auch fragte er, ob er ihm eine Stärkung bringen dürfe. Er hätte Marsala im Hause, oder Wermut mit Chinin wäre dem geistlichen Herrn vielleicht lieber. Der heilsame Trank könnte sogleich beschafft werden.

»Weil ich etwas bleich aussehe? Mir ist durchaus wohl. Ich danke Ihnen.«

Dabei sah er Steffens steif ins Gesicht.

Also das war der Mann, den sie – – Er hatte es freilich schwer genug büßen müssen. Büßen? Was für eine Buße war das, und wofür büßte dieser Mensch? Seine, Benedettos Buße war eine ganz andre. Sie währte Tag und Nacht und hatte begonnen in dem Augenblick, da er sie zum ersten Male gesehen. Und nicht einmal, daß seine Hand die ihre berührt, während sie sich von diesem Menschen hatte küssen lassen. Aber auch sie würde die Schuld büßen.

Gut! Mochte ihr Wille geschehen. Mochte ihre Schuld ihrem Gatten verborgen bleiben, mochte nur Gott und sein Priester darum wissen; aber – büßen sollte auch sie!

Er hatte die Buße gefunden, durch die sie ihre Seele reinigen, die Sünderin dem Himmel zugeführt werden konnte.

Er hatte sie vorbereitet, die Buße auf sich zu nehmen; ganz allmählich, langsam, langsam. Mit Kleinem hatte er begonnen, dann Größeres verlangend, bis er endlich das Größte von ihr würde fordern können. Wie er diese stolze, schuldbeladene Seele gedemütigt, wie er über sie Gewalt gewonnen hatte! Sie war jetzt so in seiner Gewalt, daß er sie hätte martern und kreuzigen können, so in seiner Gewalt, daß sie die grausame Buße, die er ihr auferlegt, vollbringen würde, ohne nur mit der Wimper zu zucken und sollte dabei auch ihr Herz in Stücke reißen.

Um sie seinem Willen untertan zu machen, hatte er so lange gelebt – todkrank, wie er war. Nun sie ihm untertan geworden, durfte er sterben; sein Lebenswerk war getan.

»Sie wünschen von mir?«

Zum zweitenmal mußte Steffens an den Priester, der abwesenden Geistes ihn anblickte, diese Frage tun. Erst jetzt gab er Antwort.

»Die Fürstin Romanowska sagte mir, sie hätte mit Ihnen gesprochen.«

»Worüber?«

»Über die Ausstellung Ihrer Gruppe.«

»Das sagte sie Ihnen?«

»Ich bin der Beichtvater der Fürstin.«

Ein langes Schweigen entstand. Steffens mußte sich fassen, bevor er den Priester wieder anzusehen vermochte. »Die Fürstin sprach allerdings mit mir über die Ausstellung des Werkes, aber –«

»Die Fürstin wünscht dieselbe dringend. Ich komme in ihrem Auftrag, um Ihnen ihren Wunsch zu wiederholen.«

»Wenn Sie mir nur erklären könnten ...«

»Nichts. Ich sagte Ihnen ja, daß ich der Beichtvater Ihrer Durchlaucht sei.«

Wieder ein Schweigen. Dann erkundigte sich Steffens: »Weiß der Fürst von diesem Wunsch seiner Gemahlin?«

»Was kümmert Sie das? Oder sollten Sie etwa befürchten –«

Und unwillkürlich sah Don Benedetto auf des Künstlers verstümmelte rechte Hand. Steffens folgte dem Blick und erwiderte sehr ruhig: »Sie meinen, ich befürchte, der Fürst könnte mir nicht nur einen zweiten Finger, sondern gleich die ganze rechte Hand zuschanden schießen?«

»Ich meine nicht. Ich frage Sie.«

»Nun denn, mich kümmert es nicht im mindesten, ob der Fürst den Wunsch seiner Frau kennt oder nicht. Der Wunsch der Fürstin ist mir genügend.«

»Also werden Sie ausstellen?«

Noch einmal brach Steffens in den Ruf aus: »Könnte ich mir die Sache nur erklären!«

»Werden Sie ausstellen?«

»Sind Sie beauftragt, meine Entscheidung einzuholen?«

»Meinen Auftrag habe ich ausgerichtet. Übrigens würde die Fürstin Ihre Entscheidung ja wohl erfahren.«

»Ja.«

»Befindet sich die Gruppe hinter jenem Vorhang?«

»Wünschen Sie dieselbe zu sehen?«

»Nein, nein! O nein!«

Er wehrte angstvoll ab und erhob sich mit Anstrengung.

»Bleiben Sie doch. Wenn Sie die Gruppe nicht sehen wollen – sie soll Ihnen ein verschleiertes Bild bleiben. Sie müssen sich erst etwas erholen, bevor ich Sie fortlassen darf.«

»Ich sagte Ihnen schon, ich bin nicht krank. Leben Sie wohl, mein Herr.«

»Sie haben doch einen Wagen?«

»Ich kam zu Fuß.«

»Es ist heiß, und –«

»Ich danke. Der Herr sei mit Ihnen.«

Er ging davon. Steffens schrieb an Prisca ein kurzes Billett: Er hätte sie vorhin aufgesucht und nicht gefunden, er würde gegen Abend wiederkommen, da er etwas mit ihr zu besprechen hätte, nur mit ihr! Sie möchte ihn also erwarten. Nachdem er das Billett abgeschickt hatte, verschloß er seine Tür und zog den Vorhang auseinander ...

Als Steffens später bei Prisca eintraf, sagte er ihr:

»Ich besuchte heimlich das Gartenfest, und ich denke, es war meine letzte Schwäche. Die Fürstin sprach mit mir. Ich hätte nicht für möglich gehalten, daß ich ihr gegenüberstehen, sie wieder hören und dabei so ruhig bleiben könnte; ich versichere Sie, ganz ruhig. Viele Jahre, die besten meines Lebens, war ich krank an meiner Leidenschaft für diese Frau. So schwer krank, daß auch der Künstler in mir nicht lebensfähig war – von dem Menschen rede ich nicht, auf den kommt es nicht an! Seit einiger Zeit arbeite ich wieder, ich arbeite nicht nur, sondern, was mehr ist, ich freue mich meiner Arbeit! Gehe ich abends zu Bett, so denke ich: morgen wirst du arbeiten – wäre es doch nur bald morgen! Und stehe ich früh auf, so denke ich: heute wirst du arbeiten. Wäre der Tag nur recht lang! Diese Arbeitslust, die mich wieder zu einem lebenden Wesen macht, und vor einigen Tagen meine große, innere Ruhe jener Frau gegenüber sind sichere Anzeichen, daß ich endlich, endlich von meinem Wahnwitz genas. Wahrscheinlich wird noch einmal die Zeit kommen, wo ich gar nicht mehr begreife, wie ich jemals krank sein konnte, und warum.«

Prisca reichte ihm stumm die Hand, die Steffens, ebenfalls schweigend, einige Augenblicke in der seinen behielt. Dann fuhr er fort:

»Das Beschämende und Demütigende bei dieser guten Sache ist nur, daß ich sie nicht mir selbst verdanke, sondern einem andern. Meine Genesung verdanke ich Ihnen ... Nein! Sie müssen mir gestatten, Ihnen das auszusprechen. Ich sage Ihnen ja nur das eine – heute nur das eine.«

Er schwieg und sah Prisca, die bleich geworden war, fest in die Augen.

»Es geht von Ihnen solche Kraft und Ruhe aus, solche Lebensfreudigkeit und solcher Lebensmut. Sie sind herrlich gesund und teilen von Ihrer Gesundheit andern so verschwenderisch mit – namentlich Kranken. Ich glaube, ich sagte Ihnen das schon einmal, damals, als wir von dem Fest auf dem Aventin nach Hause gingen. Aber da ich in ihrer gesegneten Gegenwart immer von neuem das nämliche empfinde, so muß ich es Ihnen noch einmal sagen. Und ich muß Ihnen sagen, daß ich, als die Fürstin mit mir sprach, plötzlich an Sie dachte, und das mit solcher Stärke, als ob Sie neben mir ständen, mir durch Ihre bloße Gegenwart die friedliche Ruhe gebend, mit der die Tragödie meines Lebens jetzt abschloß.«

Endlich konnte Prisca reden. Aber sie tat es mit Anstrengung.

»Nein, nein. Sie überschätzen mich und meinen Einfluß auf Sie. Allen Menschen gegenüber habe ich nur meinen guten Willen. Und das ist so wenig. Ich schäme mich oft, wenn ich sehe, wie man mich überschätzt. Sie wurden durch sich selbst gesund, und jetzt wird es schön für Sie werden! Sie werden arbeiten, werden glücklich sein durch Ihre Freude an der Arbeit, gar nicht davon zu reden, wie Schönes Sie schaffen werden. Sie können sich nicht vorstellen, wie ich mich freue! Aber danken dürfen Sie mir nie wieder, wo Sie doch recht gut wissen, wie dankbar ich Ihnen sein muß.«

»Dafür, daß Sie mit meiner Hilfe unverkäufliche Bilder malen?«

Prisca lachte. Es war ihr altes sonniges Lachen, bei dem man unwillkürlich an Feld und Wiese, an leuchtenden Himmel, Lerchengesang und weiten Horizont erinnert wurde.

»Darum sind meine Bilder doch gut. Vielmehr, sie sind besser als früher.«

»Trotzdem gibt es einen Menschen, der Sie vor mir gewarnt hat.«

Prisca wollte hell auflachen, aber sie vermochte es nicht. Sie ward plötzlich ernst, traurig. Leise sagte sie: »Er meinte es gut mit mir.«

»Sie hätten vielleicht besser getan, auf ihn zu hören.«

»Ich hörte auf Sie,« lautete die einfache Erwiderung.

Steffens stand auf und ging langsam durch das Atelier. Es wurde dunkel, aber er bat Prisca, kein Licht anzuzünden. Sie saß stumm an dem breiten Fenster, blickte hinaus in die purpurnen Schatten und waltete geduldig, was er ihr noch zu sagen habe. Wenn es nur nicht jenes – jenes eine war!

»Sie vertrauen mir,« begann er nach einer Weile, »und wie sehr ich Ihnen vertraue, will ich Ihnen beweisen. Sie mögen darüber entscheiden, ob meine Gruppe ausgestellt werden soll oder nicht.«

Überrascht wandte Prisca ihm ihr Gesicht zu; aber sie konnte seine Züge nicht mehr erkennen.

»Sie denken daran, die Gruppe auszustellen?«

Fast fröhlich rief er: »Sehen Sie jetzt, daß ich gesund bin? ... Ja, ich denke daran. Aber Sie sollen entscheiden.«

»Wie kann, wie darf ich das?«

»Wenn ich Sie darum bitte!«

»Und wo wollen Sie ausstellen? Zuerst in München oder in Berlin?«

»Zuerst hier.«

Prisca tat einen leisen Ausruf. Sie wiederholte mechanisch:

»Zuerst in Rom ... Aber in Rom lebt die Fürstin Romanowska.«

»Nun ja.«

»Aus Rücksicht für die Fürstin stellten Sie Ihre Gruppe bisher nicht aus.«

»Diese Rücksicht fällt jetzt fort.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Die Fürstin selbst wünscht die Ausstellung.«

»Sie sprach mit Ihnen darüber?«

»Sie teilte mir ihren Wunsch mit.«

Prisca war ganz verstört. Also doch! Also hatte es der Priester doch erreicht! Aber was bezweckte er damit? Eine Demütigung der stolzen Frau? Und daß sie selbst mit Steffens darüber gesprochen, ihm diesen Wunsch persönlich mitgeteilt hatte ...

Sie fragte: »Verstehen Sie die Fürstin?«

»Nein. Oder vielleicht doch.«

»Nun?«

»Sie wird darüber erhaben sein und wünscht das zu zeigen.«

»Erhaben über alles Gerede?«

»Und über jede Erinnerung.«

»Wenn Sie ausstellen, hier in Rom! Wenn Sie einen großen Erfolg haben, keinen Sensationserfolg ...«

»Pfui!«

»Sondern einen echten künstlerischen Erfolg ...«

»Es kann nur von einem solchen die Rede sein.«

»Wie Sie jetzt sind, gesund und schaffensfreudig, wäre es für Sie ein großes Glück.«

Steffens rief erregt:

»Wie ich jetzt, dank Ihnen, geworden bin, ist ein großer künstlerischer Erfolg für mich eine Daseinsfrage. Früher fragte ich nicht danach, aber jetzt. Ich bekenne Ihnen – aber nur Ihnen allein, jetzt lechze ich nach einem großen Erfolg. Und ich muß ihn hier haben, wo ich meine tiefe Niederlage erlitten ... Liebe Freundin, dieser Erfolg, den ich bestimmt durch mein Werk zu erringen hoffe, ist für mich eine innere Notwendigkeit. Verstehen Sie mich wohl, eine Notwendigkeit.«

Prisca verstand ihn. Sie sagte daher: »Also müssen Sie Ihr Werk ausstellen.«

Steffens rief: »Sie haben entschieden.«

»Entschieden hatten Sie schon selbst. Aber ich bin gern bereit, für diese Entscheidung die Verantwortung auf mich zu nehmen.«

»Das sieht Ihnen gleich. Ihnen traue ich alles zu, was gut und stark ist.«

»Sie überschätzen mich schon wieder. Aber jetzt wollen wir vor allem zu Fräulein Friedrike hinüber und ihr alles erzählen. Sie hat diese Freude redlich um Sie verdient, tausendmal mehr als ich.«

*

Es wurde die Ausstellung der »Tochter der Semiramis« von Karl Steffens angekündigt. Sie sollte noch im Mai stattfinden in einem für diesen Zweck gut geeigneten Raum an der Piazza del Popolo. Der Eintritt sollte frei sein, und nach einer Ausstellung von nur einer Woche das Werk ins Ausland geschickt werden, zunächst nach München.

Die römische Gesellschaft besaß glücklich wieder einen neuen sensationellen Stoff, der sehr bald in den Salons andre Sensationen von der Tagesordnung verdrängte. Manche der vornehmen Fremden, die orientiert waren, schoben deshalb ihre Abreise auf. Jede Miene der Fürstin Romanowska wurde streng kontrolliert, doch jede Miene war kühl und hoheitsvoll. Sie zeigte sich genau so viel wie immer, erschien bei sämtlichen Gardenparties und Picknicks, wurde jeden Nachmittag bei der Korsofahrt gesehen und wohnte den Rennen bei. Selbst die kühnste Phantasie sämtlicher heimlichen und öffentlichen Freunde des Skandals konnte nicht ergründen, was in dem Gemüt dieser Frau vorging. Viele behaupteten sogar, sie wüßte von der Ausstellung überhaupt nichts.

Aber der Fürst? Auch sein Gesicht wurde scharf beobachtet; aber auch dieses verriet nicht das mindeste; auch er enttäuschte die allgemeine Erwartung. Es kam vor, daß man in irgendeinem Salon, im Café Aragno oder im Klub über die Sache sprach, gerade wenn der Fürst eintrat. Das Gespräch brach dann bei seinem Erscheinen plötzlich ab, doch ließ sich nicht einmal konstatieren, ob er die jäh entstandene Pause bemerkte. Jedenfalls beachtete er sie nicht.

Was bedeutet das? Alle Welt erinnerte sich der Geschichte jenes famosen Duells im Hain der Egeria, und alle Welt war überzeugt, daß wieder etwas Famoses geschehen würde. Aber was, was?

Eines Tages erhielt Steffens von dem Fürsten in französischer Sprache folgendes Billett:

»Mein Herr! Sollten Sie bei Ihrem Vorhaben beharren und Ihre Gruppe wirklich ausstellen, so werde ich Sie nicht niederschießen wie einen tollen Hund. Ich werde Sie leben lassen, Ihnen jedoch den Denkzettel erteilen, der Ihnen gebührt. Hüten Sie sich. Gewarnt sind Sie.«

Wäre Steffens noch irgendwie schwankend gewesen, so würde dieses Billett seinen Entschluß unwiderruflich gemacht haben. Niemand sollte ihn für feig halten dürfen, am wenigsten dieser Fürst Romanowski. Rücksicht hatte er geübt, davon war er nun nachdrücklich entbunden worden, und zwar von derjenigen Person, der er einzig und allein diese Rücksicht schuldig zu sein glaubte.

Natürlich erfuhr weder Prisca noch Fräulein Friedrike ein Wort von dem fürstlichen Schreiben. Worin die Gefahr bestand, vor der er gewarnt worden, ahnte Steffens nicht; aber gerade das Unbekannte und Geheimnisvolle versetzte ihn in eine Erregung, daß er die Stunden zählte, die bis zur Eröffnung seiner Ausstellung noch verfließen mußten.

Am fünfundzwanzigsten Mai fand diese statt; der Künstler war dabei nicht anwesend. Jedes äußere Mittel, den Eindruck der Gruppe wirkungsvoll zu machen, war verschmäht worden. Sie stand inmitten eines großen, vollkommen leeren Gartenhauses, das sein Licht nur durch die geöffnete Tür empfing. Die Wände waren weiß getüncht. Ein älterer Herr, der in seinem langen schwarzen Gehrock sehr würdig aussah, vertrat den Künstler und erteilte etwaigen Fragestellern die Auskunft, daß die Gruppe unverkäuflich sei.

Als gegen elf Uhr Prisca und Fräulein Friedrike kamen, mußten sie des Andrangs wegen eine Weile auf dem Hof warten, ehe sie eintreten konnten. Sie blieben ziemlich lange, weniger um das ihnen bekannte Kunstwerk zu betrachten, als vielmehr um die Haltung des Publikums zu beobachten, und beide Frauen empfingen den Eindruck, daß das Werk ihres Freundes eine starke Wirkung ausübte.

»Jetzt hat er gesiegt, jetzt liegt das Leben vor ihm, jetzt glaube ich an seinen neuen Menschen,« flüsterte Fräulein Friedrike fast schluchzend Prisca zu. Und triumphierend fügte sie bei:

»Ich habe es ja immer gesagt! Karl Steffens ist ein Genie, Karl Steffens dringt durch – gerade wie Peter Paul.«

»Ja, ja! Jetzt ist er gerettet,« erwiderte Prisca leise.

Auch sie fügte in Gedanken den Nachsatz hinzu: Und zwar gerettet durch sich selbst – Gott sei Dank!

Jeden Vormittag Schlag elf Uhr erschien im Café Aragno Fürst Romanowski, nahm stehend am Büfett ein Glas Marsala und einige Sandwiches, grüßte Bekannte und Freunde, plauderte mit diesem und jenem. Man trieb dabei Politik und kritisierte, was es im Klub- und Gesellschaftsleben gerade zu kritisieren gab. Auch an dem Vormittag des fünfundzwanzigsten Mai, an welchem Steffens seine Ausstellung an der Piazza del Popolo eröffnete, Schlag elf, erschien am Büfett des Café Aragno der Fürst, elegant, liebenswürdig, graziös, wie immer, mit seiner weichen, liebkosenden Stimme Freunde und Bekannte begrüßend und in gewohnter leichter Art von diesem und jenem plaudernd.

Es konnte auffallen, daß an diesem Vormittag die Konversation in der Nähe des Fürsten etwas nervös geführt wurde. Alle, ausgenommen der Fürst selbst, sprachen lauter als sonst. Plötzlich trat eine seltsame Stille ein, in der jetzt nur die wohllautende Stimme des Fürsten vernommen ward. Am Büfett lehnend und behaglich sein Glas Marsala schlürfend, sagte er:

»Ein deutscher Künstler, ein gewisser Karl Steffens, stellt heute ein Bildwerk aus, die ›Tochter der Semiramis‹. Es soll ein hervorragendes Werk sein, das ich mir jedenfalls heute noch ansehen werde. Sollte jemand sich einfallen lassen, den Namen jenes Herrn mit demjenigen der Fürstin Romanowska in irgendwelche Verbindung zu bringen oder nur in einem Atem zu nennen, so stehe ich dem Betreffenden zur Disposition ... Auf Wiedersehen heute abend im Klub.«

Er leerte sein Glas, zahlte, grüßte und ging. Auch nach seinem Fortgehen blieb es noch eine ganze Weile still, und als dann das Gespräch wieder aufgenommen wurde, berührte es die gewöhnlichen Themen: Politik, Theater, Skandale, aber des Skandals, der in aller Gedächtnis lebte, wurde mit keinem Worte gedacht.

Am Nachmittag desselben Tages hielt die fürstliche Equipage zur gewöhnlichen Zeit der Korsofahrt vor der Villa. Die Fürstin hatte zwar eine leichte Migräne, aber sie wollte trotzdem ausfahren, wie gewöhnlich in Begleitung ihres Mannes. Und auch durchaus wie alle Tage fuhr man zuerst auf den Pincio, wo die Militärmusik spielte und die Equipage auf der großen Terrasse haltmachte. Sie ward sofort umringt. Aber auch hier war heute die Unterhaltung in der Nähe des Fürsten etwas nervös, genau wie am Vormittag am Büfett des Café Aragno.

Nach dem kurzen Aufenthalt wurde die Fahrt fortgesetzt, in die Nähe der Villa Borghese, dann zurück über die Piazza del Popolo.

Dort befahl der Fürst am ersten Hause links zu halten.

Der Wagen hielt, und der Fürst sagte zu seiner Frau:

»Es ist hier die Ausstellung eines gewissen Karl Steffens. Dich interessiert die Sache wohl nicht, aber ich möchte sie mir ansehen. In fünf Minuten bin ich zurück. Entschuldige so lange.«

»Beeile dich nicht.«

»In fünf Minuten!«

Viele gingen in das Haus, die Ausstellung zu besuchen; viele kannten die Equipage, sahen den Fürsten aussteigen und hineingehen. Die Fürstin blieb unbeweglich im Sitz zurückgelehnt und wartete auf die Rückkehr ihres Mannes. Sie hatte nicht einmal einen Schleier vorgezogen! Einige Blumenverkäufer kamen, und sie kaufte ihnen sämtliche weiße Blumen ab; es gab übrigens nur noch weiße Rosen.

Dann lehnte sie sich wieder zurück und wartete.

Der Fürst betrat den Raum der Ausstellung, welcher gedrängt voll war. Aber ihm wurde sogleich Platz gemacht, er stand vor der Statue und betrachtete sie eingehend, wie ein Kenner, ein Kritiker das tut. Darauf ging er zu dem älteren würdigen Herrn im schwarzen Gehrock und sagte mit lauter Stimme:

»Können Sie mir den Preis nennen?«

»Verzeihung, Durchlaucht...«

»Sie kennen mich?«

»Fürst Romanowski.«

»Ganz recht.«

»Die Gruppe ist nicht verkäuflich, Durchlaucht.«

Unbeirrt durch diese Antwort, zog der Fürst sein Portefeuille, dem er ein Papier entnahm. »Eine Anweisung auf Zweimalhunderttausend Lire. Dafür wird die Gruppe gewiß verkäuflich sein. Jedenfalls kaufe ich sie.«

»Verzeihung, Durchlaucht, aber wirklich ...«

»Jedenfalls kaufe ich sie.«

Und er reichte die Anweisung hin. Der würdige Herr war so verwirrt, daß er das Papier nahm und nur murmelte:

»Zweimalhunderttausend Lire!«

»Und nun geben Sie acht, was ich mit meinem Eigentum mache.«

Wieder nur die überwältigende Zahl:

»Zweimalhunderttausend Lire...«

»Sie hörten, mit meinem Eigentum.«

Ruhig trat der Fürst wieder zu der Marmorgruppe, griff in die Brusttasche, zog einen Revolver hervor, erhob blitzschnell die Waffe nach dem Haupte der Tochter der Semiramis, und ehe jemand ihm in den Arm fallen konnte, schoß er seine Kugeln ab.

Das wunderschöne, einem andern herrlichen Gesicht so ähnliche Antlitz der jungen Königin war zerschmettert.

Die Fürstin hatte nicht fünf Minuten gewartet, als ihr Gatte zurückkehrte, in den Wagen stieg und die Fahrt fortgesetzt wurde.

Durch den Korso zur Piazza di Venezia, von dort zur Piazza di Spagna und dann noch einmal die ganze Tour: über den Pincio und die Piazza del Popow, wo vor dem Hause, darin die Ausstellung des deutschen Künstlers war, ein Zusammenlauf stattfand, nach dessen Ursache die Herrschaften im Wagen nicht fragten.

Wie der Fürst vormittags seinen Freunden versprochen hatte, erschien er abends im Klub, wo es auffallend leer blieb. Die wenigen, welche sich einfanden, waren gegen den Fürsten sehr höflich.


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