Richard Voß
Römisches Fieber
Richard Voß

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19. In der Galerie Romanowski

Im Februar empfing Prisca einen Brief, darin ihr eine Offerte gemacht wurde. Das Schreiben war von einem römischen Kunsthändler aus der Via Condutti, der anfragte, ob das Fräulein für einen Preis, über den man sich verständigen würde, geneigt wäre, die »Salome« von Botticelli in der Galerie Romanowski zu kopieren. Der Besteller, der sich im Ausland befinde, habe vom Fürsten die Erlaubnis erhalten, das berühmte Gemälde für sich kopieren zu lassen.

Priscas erster Gedanke war: du mußt in Rom also doch kopieren! ... Jawohl, aber es war eine feste, sehr ehrenvolle Bestellung. So töricht hatte sie's auch nicht gemeint, als sie sich damals von dem guten Geist ihres Lebens erbat, ihr Schicksal möge nicht sein, in Rom als Kopistin zu enden.

Wie war man gerade auf sie verfallen? Noch niemals war eine Kopie von ihr ausgestellt worden. Woher wußte der römische Kunsthändler ihren Namen und ihre Adresse?

Sollte jener fremde Besteller in München ihre »Römischen Rosen mit Lorbeer« gesehen haben? Da er sich nicht in Italien befand, so schien Prisca diese Erklärung nicht unmöglich zu sein. Aber auf jenes Bild hin eine Kopie von ihr zu wünschen, obenein die Kopie eines Botticelli! ... Und daß es gerade ein Gemälde in der Galerie Romanowski war! Sie würde sich im Hause der Fürstin befinden, die schöne Frau vielleicht sehen, von ihr vielleicht sogar angesprochen werden.

Was würde Karl Steffens sagen, wenn er hörte, sie kopierte in der Galerie Romanowski! Selbst das würde ihn in Aufregung bringen.

Aber das war doch kein vernünftiger Grund, den Antrag abzulehnen. Dafür fand sich überhaupt kein Grund. Weshalb auch einen solchen suchen? Sie mußte annehmen und sich freuen, annehmen zu können. Beides tat sie denn auch.

Fräulein Friedrike gab zu Ehren des großen Ereignisses einen feierlichen Teeabend mit Mandarinen, Biskuits, belegten Brötchen und Wein; doch blieb nach langer Unterredung mit Peter Paul der Vierte im Bunde ausgeschlossen. Es wäre nicht möglich gewesen, die wichtige Angelegenheit, die doch nach allen Seiten hin beleuchtet werden mußte, zu besprechen, ohne den Namen Romanowski zu nennen, was für das Zartgefühl der beiden alten Römer unmöglich gewesen wäre, so sehr sie auch derartige »Verirrungen« beklagten und für »höchst sündhaft« hielten. Aber Fräulein Friedrike sowohl wie Peter Paul gehörten zu den Seelen, die kein Kieselsteinchen aufheben, um damit den lieben Nächsten zu bewerfen, sondern beide entschuldigten auch das, was sie nicht zu verstehen vermochten. Der höchste Trumpf, den sie zur Verteidigung ihres Freundes Prisca gegenüber jedesmal ausspielten, war:

»Nun ja. Es ist recht schlimm. In Berlin oder München wäre eine solche Leidenschaft auch gar nicht zu entschuldigen. Dort wäre sie überhaupt gar nicht möglich. Aber in Rom; in Rom gibt es eben Frauen, wie es ähnliche auf der ganzen Welt nicht mehr gibt.«

Auch der versammelte Rat der drei kam zu dem Beschluß, Prisca müßte das Anerbieten annehmen. Signorina Rica, die während der ganzen dreißig in Rom verbrachten Jahre nicht eine Bestellung erhalten, freute sich über Priscas Glück, als wäre sie selbst aufgefordert worden, die »Salome« des Botticelli in der Galerie Romanowski zu einem fabelhaften Preise zu kopieren.

Nachdem Priscas Angelegenheit abgesprochen, eröffnete Fräulein Friedrike ihrer jungen Freundin mit feierlichem Gesicht: Peter Paul habe sein großes Bild für die Berliner Ausstellung angemeldet und die Antwort erhalten, es der Jury auf eigne Kosten und Gefahr zur Begutachtung einzusenden. Obgleich dies durchaus das herkömmliche Verfahren war, fühlte sich Fräulein Friedrike doch aufs tiefste beleidigt, daß Peter Pauls Werk überhaupt erst einer Jury vorgelegt werden müsse, nicht schon die bloße Anmeldung in Berlin als ein künstlerisches Ereignis aufgefaßt werde und die Jury für das Kolossalgemälde nicht sofort einen eignen Saal reserviert hätte. Doch sie tröstete sich und ihren Peter Paul:

»Sie sollen das Bild nur begutachten! Ich möchte nur heimlich dabei sein, um zu sehen, welche Augen die da drüben machen werden. Peter Paul wird ihnen zeigen, daß selbst heutzutage noch gut gemalt werden kann, allerdings nur in Rom und von einem dieser ›Alten‹.«

Später vertraute sie Prisca an:

»Jetzt muß Peter Pauls Bild einen Rahmen bekommen; ich fürchte, er wird entsetzlich teuer sein, denn das Bild ist wirklich sehr groß. Und der Rahmen muß schön sein, edel schön. Nicht wie man heutzutage Rahmen hat, daß eine ehrliche Künstlerseele sich schämen sollte. Wenn Sie mich nicht an Peter Paul verraten wollen, was bei Ihnen selbstverständlich ist, so mögen Sie denn wissen, daß ich für den Rahmen gespart habe, schon seit zehn Jahren. Selbstverständlich darf Peter Paul nichts davon ahnen, denn er ist in diesen Dingen so entsetzlich empfindlich. Ich habe mich mit dem Schreiner, bei dem er den Rahmen bestellte, heimlich in Verbindung gesetzt, und der Mann wird alles bestens besorgen. Stellen Sie sich meine Freude vor, als Peter Paul mir ganz glücklich erzählte, wie billig der Rahmen sei!

»Und dann der weite Transport ...

»Aber da das Bild aufgerollt und der Rahmen auseinander genommen wird, so ist das gar nicht so schlimm. Denken Sie sich, wenn wir eine Kiste machen lassen müßten! Solche gewaltige Kiste wäre ja gar nicht durch die Tunnels gegangen.

»Er muß natürlich mit seinem Bild nach Berlin reisen. Und das ist für uns beide das schlimmste. Ich kann ihn nicht begleiten, denn so weit reichen meine Sparpfennige nicht. Und wie soll er da drüben ohne mich zurechtkommen? Nun, wenn er ohne sein Rom fertig wird, kann er, meine ich, auch ohne mich fertig werden. Und dann ist ja sein großes Bild bei ihm. Aber daß ich nicht miterlebe, wenn es ausgestellt ist, wenn die Leute davor stehen, wenn es die große goldene Medaille erhält, von der Nationalgalerie angekauft wird!

»Ich werde es aber hier miterleben, und dann, wissen Sie, dann nehmen wir uns einen Wagen und fahren hinaus nach Frascati, nur wir zwei! Denn Sie sollen dabei sein, und Frascati ist der rechte Ort, wo wir unser Glück feiern können.«

Prisca wagte nicht, ihrer Freundin ins Gesicht zu sehen, das gewiß ganz verklärt war. Wie sollten die beiden alten Leute nur weiterleben können, wenn ihre große Hoffnung zerstört und tot war?

Aber hatte Prisca auf diese angstvolle Frage nicht schon einmal sich die Antwort gegeben: Durch die Liebe, die alles erduldet. Aber war Liebe so stark und machtvoll, daß sie auch Todeswunden heilen konnte?

Auch Todeswunden, Prisca Auzinger!

Den nächsten Tag begab sich Prisca zu Karl Steffens, um ihm den erhaltenen Auftrag mitzuteilen. Er bemerkte dazu nur:

»Daß Sie gerade in der Galerie Romanowski kopieren müssen!«

Nach einer Pause setzte er hinzu:

»Ich kann Sie leider dort nicht aufsuchen, um zu sehen, wie Sie mit dem Botticelli fertig werden. Nehmen Sie sich vor ihm nur in acht; es ist schwer, an ihn heranzukommen.«

Damit wendete er sich ab und begab sich an seine Arbeit: eine Kopie der Medusa aus der Ludovisi nach einem Gipsabgusse.

Sehr erleichtert in ihrem Gemüt, machte sich Prisca auf den Weg zu dem Kunsthändler, der die Angelegenheit vermitteln sollte.

Es war letzter Karnevalstag und die Stadt voller Masken. In Schwärmen zogen sie aus dem Tor, um »mit wenig Witz und viel Behagen« entweder in den benachbarten Weinschänken oder auf freier Straße ihre Possen zu treiben. Aber den Campagnolen, den Ritter, den Teufel und allenfalls einen Spanier brachte es die römische Volksphantasie selten. Der größten Vorliebe erfreute sich das weiße Pulcinellkostüm, häufig mit den einfachsten Mitteln zusammengestellt.

All das krause Wesen mochte denjenigen kindlich anmuten, der so glücklich war, noch Kindersinn im Herzen zu haben. Prisca stellte sich vor, wie einem zumute sein mochte, der eine schwere Sorge oder ein düsteres Schicksal durch dieses törichte Treiben tragen mühte, und pries ihren guten Stein, der sie heute nicht als Bittende einem Kunsthändler zuführte, sondern als Erwartete.

Der Kunsthändler, dieser große Mann, der so manches mühselige und beladene Künstlerherz entweder tröstend aufgerichtet, oder, und das in den häufigsten Fällen, ungetröstet von sich gehen ließ, der zu den feinsten und verderblichsten seiner Rasse gehörte, empfing Prisca mit beängstigender Höflichkeit. Er bedauerte, nicht in der Lage zu sein, über den Herrn Besteller nähere Auskunft zu geben, informierte sie, daß sie die Arbeit jeden Tag beginnen konnte, in die Galerie ohne weiteres eingelassen werden würde, und nannte ihr als Honorar eine Summe, die ihr viel zu hoch erschien, um sie mit gutem Gewissen annehmen zu dürfen. Als sie dieses starke Bedenken ihrer Ehrlichkeit dem Herrn der Kunst berichtete, sah ihr dieser ganz verdutzt ins Gesicht, lächelte leicht und bemerkte dann nur, daß das Geld jederzeit zu ihrer Verfügung stände.

Am nächsten Morgen, Schlag zehn Uhr, stand Prisca vor dem pompösen Eingang der Villa Romanowski. Es war ein trüber Tag, und sie hatte ihren Münchner Regenmantel angezogen, jenen alten, mausgrauen Freund, der sie schon so oft gegen Nässe und Kälte geschützt. Schön war dieser Lebensgefährte nicht, aber er war treu; darum schämte sie sich seiner nicht im mindesten, obgleich seine enganliegende Form ihrer langen Gestalt durchaus nicht zum Vorteil gereichte.

Trotz ihres neuen Reichtums hatte sie sich keinen Wagen gestattet, sondern war mit der Tram gefahren. Mit ihrem Malgerät schwer bepackt, in den grauen Regenmantel gehüllt, einen zwar anständigen, aber nichts weniger als eleganten grauen Filzhut auf dem blonden Kopf, stand sie jetzt vor dem hohen Gittertor und zog schüchtern die Klingel, plötzlich von einem starken Herzklopfen befallen.

Während sie darauf wartete, daß die königliche Pforte aufsprang, schaute sie in den Park der Villa.

Ein breiter, mit seinem Sand bestreuter Weg wurde zu beiden Seiten mit hohen Azaleen eingefaßt, aus deren Blütenmassen mächtige Pinien aufstiegen; Glycinien und gelbe und weihe Vansiarosen umrankten die hohen rötlichen Stämme. Alle Zweige der breiten Wipfel umwallte der Blumenwirrwarr, so daß über einer Blütenwildnis ein Zaubergarten auf Porphyrsäulen in der Luft sich auszubreiten schien.

Diese herrliche Allee führte auf das ziemlich entfernt liegende Haus, ein schönes Gebäude von solcher anmutigen Festlichkeit, daß der Name des Baumeisters Palladio hätte sein können.

Darauf erschien der Portier, ein junger Riese in der pompösen Romanowskischen Livree. Mit einem unbeschreiblichen Blick musterte der Weiß- und Silbergraue das mißfarbige, schwer belastete junge Frauenzimmer, welches an ihn die Zumutung zu stellen schien, eingelassen zu werden.

Prisca nahm ihren Mut zusammen und nannte ihren Namen. Über diesen barbarischen Klang verfiel der Schimmernde in dumpfes Staunen, von dem er sich schließlich so weit erholte, daß er mit einem langsamen Schütteln seines Hauptes Prisca andeuten konnte: für solche Gestalten mit solchem Namen gäbe es hier keinen Eintritt. Aber jetzt wurde die Münchnerin böse und forderte von dem vornehmen Herrn rund heraus, ihr zu öffnen, da sie berechtigt wäre, in der Galerie zu malen.

Zaudernd wurde ihr aufgetan. Sogar das Tor der Villa Romanowski knarrte in seinen Angeln, gleichsam in unwilligem Befremden darüber, daß es einer solchen Gestalt sich auftun mußte.

Wie verzaubert schritt Prisca durch die Pinienallee dem Hause zu. Die Wipfel überwölbten den Weg, einen blühenden Baldachin bildend. In der Nähe des Hauses begann eine dichte und hohe Hecke von Marschall-Niel-Rosen, die einen grünen Rasenplatz umschloß. Antike Statuen und Marmorsitze waren ringsum aufgestellt.

Ein süßer Wohlgeruch schwebte über dem ganzen Ort, an dem kein andrer Laut zu vernehmen war als Amselgesang. Prisca begegnete keiner Menschenseele und wollte eben nach einem bescheidenen Seiteneingang suchen, als sie einen Geistlichen gewahrte, welcher, sein Brevier lesend, langsam durch eine Allee von Steineichen der Villa sich näherte. Prisca blieb stehen, um von dem Priester Bescheid zu erfragen, dessen schwarze Gestalt sich in dem fast nächtlich finsteren Laubgang seltsam feierlich, fast mystisch ausnahm.

Als dann der Geistliche in das volle Tageslicht trat, erkannte Prisca, daß er noch ein junger Mann war. Zugleich fiel ihr die fahle Blässe seines Gesichtes auf und der Ausdruck von Aszese darin: sie hatte dem jugendlichen Antlitz ihren scharfen Stempel aufgedrückt, der es von allen Menschen schied und für Zeit und Ewigkeit einer überirdischen Macht zusprach, der jede Regung dieser Seele verfallen schien.

Der junge Geistliche sah krank aus, wie ein Schwindsüchtiger, ein Verlorener.

Sein Anblick inmitten all dieser Pracht von südlicher Schönheit schnitt Prisca ins Herz. Dabei war er noch jung! Wie konnte ein Mensch nach so jung sein und doch schon ein Antlitz haben, darauf kein Schimmer von Jugend mehr ruhte? Was mußte in einem jungen Gemüt vorgehen, bis die Züge so zum Ausdruck des Innern werden konnten? ... Auch das war ein Mysterium.

Der Priester war so sehr in seine Andacht versunken, daß Prisca nicht wagte, ihn anzusprechen. Aber gerade da er an ihr vorbeikam, schlug er die Augen auf – die Augen eines Fanatikers, und sah sie.

Er blieb stehen, betrachtete die Fremde unverwandt und mochte erwarten, von ihr um ein Anliegen angegangen zu werden.

Prisca redete den geistlichen Herrn italienisch an, erbat sich eine Anweisung, wohin sie sich zu wenden hätte, um –

»Kommen Sie.«

Er schritt ihr voraus der Villa zu. Er hatte ihr nicht italienisch, sondern französisch geantwortet. Aber wie kam es, daß er sich gleich dem Hause zuwendete? Sie hatte ihm noch gar nicht gesagt, was sie wünschte.

Er begann ein Gespräch, und Prisca mußte im stillen sein wundervolles Französisch bewundern. Er schien ein Pariser zu sein.

»Gefällt es Ihnen in Rom?«

»Ich bin hier sehr glücklich.«

»Es ist eine eigentümliche Stadt. Sie sind doch katholisch?«

»Ja.«

»Hörten Sie schon in San Carlo den Padre Filippo da Tivoli predigen?«

»Nein. Ich war noch niemals in San Carlo.«

»Aber Sie besuchen doch täglich die Messe?«

»Nein.«

»Dann tun Sie sehr unrecht. Es gibt nur eine Kirche, welche uns das Leben ertragen läßt, die katholische, und die strenge Ausübung ihrer heiligen Lehren.«

»Dann bin ich wohl eine schlechte Christin?«

»Das scheint so. Aber Sie werden sich bessern. In Rom bessert sich der Mensch.«

»Das hoffe ich.«

Sie stand vor der Villa. Der Geistliche trat jedoch nicht ein, sondern tat eine neue Frage:

»Kennen Sie die Principessa?«

»Ich sah die Fürstin im Korso. Sie ist herrlich schön.«

Aus den düsteren Augen traf sie ein flammender Blick.

»Sie sehen nur das Irdische, das Vergängliche an ihr, wie so viele, wie alle. Ich bin der Beichtvater der Fürstin, und ich hoffe ...«

Er sprach nicht aus, was er hoffte, das brauchte er auch nicht. Prisca las es in dem Blick, der von der schönen Erde fort nach dem Himmel sich richtete, und wiederum überlief sie ein Schauer, fast wie damals, als sie zum ersten Male die herrlich schöne Principessa Maria gesehen hatte, deren Seele dieser junge Aszet von der Erde ab dem Himmel zuwenden wollte.

Dem Lakaien sagte der geistliche Herr, daß dies die Dame sei, welcher der Fürst gestattet hätte, in der Galerie zu kopieren, und daß man sie dorthin führen solle. Prisca erschien das Wesen des Dieners dem Priester gegenüber in einer Weise respektvoll und unterwürfig, als ob nicht Fürst Romanowski, sondern dieser junge, dem Tod verfallene Mann der Herr der Villa sei.

Bevor er sie verließ, wendete er sich noch einmal zu ihr.

»Ich hoffe, Sie werden in San Carlo den Padre Filippo predigen hören. Es ist gerade die rechte Zeit dafür: Fasten, Einkehr in die sündige Seele, Reue, Buße, Läuterung. Ich hoffe, Ihnen wird Rom offenbart werden. Nicht jenes heidnische Rom der Kunst, sondern das ewige Rom der Kirche, den Fels Petri, den nichts zu erschüttern vermag, auch nicht diese neue Zeit, die an allem rüttelt, selbst an unserm Allerheiligsten ... Sei der Geist der Kirche mit Ihnen.«

Er glühte Prisca mit der demütigen Gebärde eines Dieners des Herrn, die zugleich etwas von der stolzen Würde eines sehr vornehmen Mannes hatte, wenn auch nur in einer leisen, ganz leisen Schattierung. Dann wurde Prisca durch das prachtvolle Innere der Villa in jene Reihe von Gemächern geführt, welche nur bei festlichen Gelegenheiten geöffnet wurden und welche die kostbare Kunstsammlung enthielten.

Prisca war noch so intensiv mit der Gestalt des jungen Geistlichen beschäftigt, daß sie auf die herrlichen Räume und ihre Ausstattung kaum achtete. Sie konnte sogar nicht unterlassen, an den Lakaien über die eigentümliche Erscheinung einige Fragen zu stellen.

»Der geistliche Herr scheint kein Italiener zu sein?«

»Gewiß nicht.«

»Ein Franzose?«

»Don Benedetto ist Pole.«

»Oh, wirklich?«

»Don Benedetto ist ein Fürst Romanowski.«

»Ein Verwandter des Fürsten?«

»Der Bruder Seiner Durchlaucht.«

Prisca war ganz betroffen. Was für ein Schicksal mußte diesen jungen Menschen betroffen haben, welche Lebenstragödie!

Der Lakai war so gütig, seinen Bericht zu ergänzen:

»Don Benedetto ist sehr fromm. Das ganze Haus verehrt ihn hoch, besonders Ihre Durchlaucht. Er lebt wie ein Heiliger.«

Prisca entfuhr der Ausruf: »Und der Ärmste ist so jung!«

»Fünfundzwanzig Jahre.«

»Dabei scheint er sehr krank zu sein.«

»Von den Ärzten aufgegeben. Wir befürchteten schon mehrere Male das Ende, das ganze Haus war außer sich, besonders Ihre Durchlaucht.«

»Schont er sich denn gar nicht?«

»O nein. Er ist sehr fromm. Immerfort betet er. Aber er tut Buße.«

»Buße?«

»Ein Heiliger, sage ich Ihnen ... Wünscht die Dame noch etwas?«

»Nein. Ich danke Ihnen.«

Prisca stand in der Galerie und sah sich darin um. Langsam ging sie durch die lange Reihe der Gemächer und betrachtete die Gemälde. Sie kam zu der »Salome« des Botticelli und blieb lange versunken davor stehen, bis ein Geräusch sie aus ihrem schweren Sinnen aufschreckte.

Hastig drehte sie sich um. Aber sie war mutterseelenallein. Nur die Werke unsterblicher Meister umgaben sie.

Seltsam! Ihr war gewesen, als hätte sie in dem Nebensaal das Rauschen eines Kleides vernommen.

Diesen ganzen ersten Tag kam sie nicht zum Malen, nicht einmal zu einem ersten Beginn. Botticellis Größe überwältigte sie, machte sie mutlos, ganz verzagt. Sie hielt sich die kräftigsten Sermone, donnerte gegen ihr Gewissen, sprach unumwunden einer gewissen jungen Dame ihre Verachtung über ein solches Benehmen aus – es wollte indessen nicht anschlagen. Immer von neuem rückte sie alles zurecht, bereitete sie vor, um wenigstens anzufangen.

Ihr Platz war vorzüglich, das Gemälde hatte die günstigste Beleuchtung, den Saal erfüllte eine behagliche Wärme. Dabei blieb sie so köstlich ungestört. Verließ sie ihre Staffelei, um an eines der hohen Fenster zu treten, so konnte sie gerade ihren Liebling, den Soracte, sehen. Einsam, wie ein großer Menschengeist, stieg der schönste aller Felsenberge über der erhabensten aller Landschaften auf, die selbst die Bauten des modernen Rom, welche auch hier einen häßlichen Vordergrund bildeten, nicht zu verunstalten vermochten. Schließlich gab Prisca das Malen für heute auf, stellte ihre noch jungfräulich weiße Leinwand schamhaft auf die verkehrte Seite, in der Hoffnung, daß keine Hand sie umwenden, kein Auge ihre schmachvolle Faulheit entdecken würde. In einer Vorhalle stieß sie auf ihren neuen Bekannten, den fast höflichen Lakaien, der sogar die Güte hatte, für sie die Tür zu öffnen. Auch der junge Riese, der jetzt mit einem gewaltigen, silberbeschlagenen Stock am Eingang dieses Paradieses als Cherub Wache hielt, zeigte gegen den grauen Regenmantel und den unmodernen Filzhut eine etwas bessere Manier.

Bereits der nächste Tag war bei weitem glücklicher. Prisca hatte sich schon am frühen Morgen mit großer Höflichkeit, aber auch ebenso großer Bestimmtheit angeredet: ›Heute, mein Fräulein, werden Sie die Güte haben, keine Geschichten zu machen, sondern sich verständig zu benehmen. Dieses Betragen wird von Ihnen erwartet. Richten Sie sich also gefälligst danach.‹

Mit Höflichkeit kommt der Mensch stets weiter als mit Grobheit, und so ging es denn an diesem zweiten Tage wirklich recht gut mit der Arbeit vorwärts. Sandro Botticelli imponierte dem Fräulein Prisca Auzinger zwar noch immer gewaltig, doch hatte sie sich nun einmal vorgenommen, dem großen Mann mit Pinsel und Farbe zu Leibe zu gehen, und dieser mußte dem tapferen Angriff der energischen Münchnerin still halten.

Prisca befand sich gerade in bester Stimmung durch das Gelingen ihres Anfanges, als sie wiederum jenes Geräusch vernahm, wie von einem schleppenden Seidenkleid herrührend. Sie wendete sich rasch um und sah in einer weißen Morgentoilette die Fürstin Romanowska durch den Saal gehen, sehr langsam und wieder mit jenem sonderbaren Blick auf Prisca schauend, darin diese etwas Feindseliges zu lesen glaubte.

Prisca grüßte tief, erhielt ein kaum merkliches Nicken als Antwort, und die schöne Frau rauschte vorüber.

Aber plötzlich blieb sie stehen, schien zu zaudern, schien mit sich zu kämpfen und kam dann wieder zurück, langsam auf Prisca zu, welche fühlte, daß sie vor Erregung ganz bleich wurde.

Die Fürstin redete Prisca an. Sie sprach Französisch.

»Ist der Fußboden Ihnen nicht zu kalt? Es ist Stein. Lassen Sie sich doch einen Teppich bringen.«

Prisca versetzte etwas stammelnd: sie friere nicht im geringsten, hätte wundervoll warm und sei für die Erlaubnis, das herrliche Bild kopieren zu dürfen, überaus dankbar.

»Werden Sie lange damit zu tun haben?«

»Es ist sehr schwer. Hoffentlich störe ich nicht, wenn ich sehr oft wiederkomme.«

»Kommen Sie nur.«

»Durchlaucht sind sehr gütig.«

»Sie sind Deutsche?«

»Ich bin aus München.«

»Aus München ... Und Sie sind ganz allein in Rom?«

»Meine Eltern sind tot.«

»Ihre Eltern sind tot ... Ihre beiden Eltern?«

»Ja, Durchlaucht.«

Und Prisca fügte hinzu:

»Meine Mutter war Römerin.«

»Wirklich?«

»Aber ich kannte sie nicht.«

»Sie haben von Ihrer Mutter gar keine Erinnerung?«

»Gar keine. Ich besitze nicht einmal ihr Bild. Mein Vater, der ein Künstler war, vernichtete alle ihre Bilder.«

»Weshalb tat er das?«

»Er liebte meine Mutter sehr, gar zu sehr. Nach ihrem Tode war es ihm nicht mehr möglich, ihr Bild zu sehen. Er wollte sie nicht einmal mehr in seinem Besitz wissen. Aber für mich ist es sehr traurig.«

»Sie lieben Ihre tote Mutter, die Sie gar nicht kennen?«

»Sie soll sehr schön gewesen sein, und ... und mein Vater liebte sie leidenschaftlich.«

»Das sagten Sie schon einmal. Adieu.«

Damit ließ sie Prisca stehen.

In demselben Augenblick trat Don Benedetto in den Saal, der heute womöglich noch aszetischer, noch leidender aussah.

Die Fürstin ging rasch auf ihn zu, und Prisca war's, als hörte sie dieselbe halblaut und hastig fragen: »Sind Sie zufrieden?«

Die Antwort vernahm sie nicht. Sie sah auch nicht den Blick der düsteren Augen, mit welchen er der schönen Frau erwiderte: Nein!


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