Richard Voß
Römisches Fieber
Richard Voß

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14. Maria von Rocca di Papa

Vor ungefähr achtzehn Jahren ward sie zum erstenmal in Rom gesehen. Allzu jung war sie schon damals nicht mehr, etwa Anfang der zwanzig. Eines schönen Morgens kam sie vom Barberinischen Platz her langsam die Via Sistina hinaufgegangen. Sie war schlecht gekleidet, in einem Kostüm, wie es ehemals die Mädchen von Albano trugen, und wie man es dort jetzt nur noch selten an hohen Festtagen sieht und dann ausschließlich bei älteren Frauen. Die Farben des Mieders und des Rockes waren verblaßt, und sie trug nicht den mindesten Goldschmuck; selbst das Ohrgehänge fehlte, das im römischen Lande doch sonst die Ärmste besitzt.

Es mußte ihr schlecht gegangen sein, und das lange Zeit.

Aber sie hatte eine Art zu schreiten und den Kopf zu halten; sie war von solcher stolzer, solcher triumphierender Schönheit, daß alle Leute ihr nachschauten.

In Rom will das etwas sagen.

Sie kümmerte sich um die staunenden Blicke genau so viel wie um das Pflaster unter ihren Füßen, ging gelassen ihres Weges bis zu der schönen Kirche der heiligen Dreieinigkeit über dem Spanischen Platz, ging die Stufen hinab, als wäre es die Treppe eines Palastes und sie dessen Herrin.

Auf den Terrassen warteten die römischen Modelle auf Arbeit. Als dieses Völklein die Fremde sah, geriet es in helle Erregung; teils weil es sie nicht kannte, teils weil sie so schön war und so stolz tat.

Die Unbekannte stellte sich auf die unterste Treppe, lehnte ruhig gegen die Mauer und wartete auf einen Künstler, der ihr zu tun geben würde. Für die übrigen, die doch ihresgleichen waren und zu demselben Zwecke herumlungerten, hatte sie weder Wort noch Blick.

Aber eine ältere Frau aus Rocca di Papa kannte sie und rief laut:

»Das ist ja die Maria von Rocca di Papa!«

Die Maria von Rocca di Papa warf der Sprecherin einen gelassenen Blick zu und regte sich nicht. Alle Modelle scharten sich um die Frau und wollten von der Maria hören.

Nun, die Maria war als Kind mit ihrem Vater (die Mutter war längst tot) als Modell in die weite Welt gezogen, und man hatte seitdem nichts von den beiden gehört. Plötzlich war sie ohne ihren Vater wieder da und stand auf der Spanischen Treppe.

Man umringte sie voll gutmütiger Teilnahme, begrüßte sie, fragte sie aus. Sie antwortete aber nur kurz und bündig.

»Wohin ging dein Vater mit dir?«

»Wir gingen eben von Rocca fort.«

»Wohl gar bis Florenz?«

»Bis Florenz. Und viel weiter.«

»Fandet ihr zu tun?«

»O ja.«

»Wurdest du Modell?«

»Freilich.«

»Und dein Vater?«

»Oh, der!«

»Was ist's mit dem?«

»Der starb.«

»Du Arme! Ohne Vater und Mutter!«

»Nun ja.«

»Ohne Vater und Mutter und dann nicht einmal in deiner Heimat! Wie alt kannst du wohl gewesen sein?«

»Fünfzehn.«

»Und dann ganz allein! Was tatest du nur?«

»Ich stand Modell.«

»Also ging dir's gut?«

»Nicht schlecht.«

»Standest du immer Modell?«

»Nicht immer.«

»Was tatest du denn noch sonst?«

»Was soll ich getan haben?«

Das war nun freilich keine Antwort. Das bunte, lebhafte Völklein war jedoch für das Schicksal der armen Waise so interessiert, daß es auf die ausweichenden Antworten nicht sonderlich acht gab, sondern mit fieberhafter Ungeduld weiter fragen und hören wollte.

Die Alte erkundigte sich:

»Wir hörten in Rocca, ihr wäret in Deutschland gewesen.«

»Nun ja. In Deutschland. Mein Vater starb dort.«

»Wie lange bliebst du dort ganz allein?«

»Oh, nicht lange.«

»Wohin gingst du dann?«

»Nach Frankreich.«

»Oh!«

»Was ist dabei? Wenn man hingehen kann, wohin man will.«

»Warst du dort auch Modell?«

»Freilich!«

»Es ging dir dort gewiß schlecht?«

In den mächtigen Augen der Maria von Rocca di Papa leuchtete es eigentümlich auf.

»Ich hätte dort eine Dame werden können! Eine Dame, die sich jeden Tag einen neuen Hut aufsetzt, in einem schönen Wagen fährt und Schmuck hat wie eine Herzogin. Ja, eine solche Dame hätte ich dort werden können.«

Als das gewaltige Staunen ihres Publikums sich einigermaßen gelegt hatte, wurde sie von neuem mit Fragen bestürmt; sie antwortete indessen mit noch weniger Bereitwilligkeit ... Fünf volle Jahre blieb sie in Paris, stand Modell und verdiente Geld, viel Geld; denn alle Künstler wollten ihr zu tun geben. Plötzlich erkrankte sie schwer und ward in ein Spital geschafft. Dort erfaßte sie eine glühende Sehnsucht: ›Sobald du gesund bist, gehst du fort, nach Italien, zurück in den Sonnenschein, nach Rom.‹

Als sie aus dem Spital entlassen wurde, war sie sehr schwach, hatte nur noch wenig Geld, wollte jedoch nicht länger bleiben, wollte fort. Einen großen Teil des weiten Weges von Paris bis Rom legte sie zu Fuß zurück.

So schlecht war es der Maria von Rocca di Papa zuletzt ergangen; aber jetzt war sie wieder da.

Und sie wollte in Rom bleiben, denn was sollte sie in Rocca di Papa? Sie hatte dort niemand mehr außer einigen Tanten und Basen, um die sie sich nicht kümmerte.

Eine einzige Freundin hatte sie dort gehabt, die Pia Anna. Dieser hatte sie sogar einmal schreiben lassen, damals aus Deutschland. Dem Briefe hatte sie eine Photographie beigelegt: das Porträt ihres Verlobten, eines schönen, großen blonden Mannes, den sie in dem Briefe an die Pia Anna ihren langen bel biondo nannte.

Das war lange her, und das Porträt mußte längst verblaßt sein. Sollte sie auf den Monte Cavo steigen, nur um die Pia Anna und die verblaßte Photographie wiederzusehen? Wozu? Wer weiß, ob die Pia Anna überhaupt noch lebte? Sie konnte sich ja gelegentlich einmal nach ihr erkundigen. Aber warum hätte sie sie aufsuchen sollen? Sie würde sie gewiß gleich nach ihrem bel biondo fragen, und das ...

Besser, sie stieg nicht den hohen Berg hinauf!

Also blieb sie in Rom.

Und sie brauchte sich nur zu zeigen, so waren die Künstler gleich von ihr wie behext. Jeder wollte sie zum Modell haben. Die Franzosen und Spanier wollten sie für sich allein in Beschlag nehmen und gerieten ihretwegen mit den Deutschen und Italienern beinahe in Streit. Maria ließ sich davon nicht anfechten, wollte keinem von allen ausschließlich angehören, soviel sie dabei auch verdient hätte. Auch als Modell wollte sie frei sein.

Sie wählte sich stets selbst den Künstler, dem sie stehen wollte. Weder dem Reichsten noch dem Schönsten verdingte sie sich, sondern dem Talentvollsten, wenn er auch der Ärmste war. Denn kein Kunstkritiker oder Kenner weiß besser mit dem Talent der Künstler Bescheid als die Modelle.

Sie stand stets dem Künstler so lange Modell, bis seine Arbeit ganz vollendet war, und nahm an dem Werk ein glühendes Interesse: war es doch ihre Gestalt und oft mehr als das – ihre Seele! Die leidenschaftliche Teilnahme erkaltete, sobald der Künstler mit seiner Arbeit fertig war. Das Schicksal des Werkes, das häufig durch das schöne Modell eine besondere Berühmtheit erlangte, kümmerte sie nicht mehr.

Eine andre Absonderlichkeit des schönen Geschöpfes war, daß sie keinem Künstler zu einer zweiten Arbeit Modell stand, mochte er sie noch so sehr bitten, ihr noch so viel bieten.

Inzwischen vernahm man in Rom allerlei über sie: sie sollte im Ausland durch ihre Schönheit ebenso wie durch ihren Charakter viel Unheil angerichtet haben. Aber niemals war sie die Geliebte eines Künstlers gewesen. Auch in Rom galt sie für unnahbar, was die magische Gewalt, die von ihr ausging, nur verstärkte und noch verderblicher machte.

Auch Karl Steffens stand sie Modell.

Dieser war damals ein Neuangekommener, der eine Menge großer Entwürfe in der Phantasie fix und fertig hatte. Aber es war einstweilen herzlich wenig Aussicht vorhanden, auch nur einen einzigen aller dieser Gedanken zu verwirklichen, geschweige denn zur Ausführung zu bringen. Ein Hauptgrund seines Aufenthalts in Rom war, daß hier die schönsten Frauenmodelle zu finden sein sollten. Und für ihn, den »häßlichsten der Männer«, war Schönheit die größte Göttin.

Er war arm, würde jedoch um keinen Pfennig reicher geworden sein, auch wenn er hübsch zu Hause, in Deutschland, geblieben wäre. Er hatte sich bei so und so vielen Konkurrenzen beteiligt, so und so viele Preisrichter hatten über seine Entwürfe die weisen Häupter geschüttelt: ›Sehr merkwürdig, viel zu merkwürdig!‹ Und irgendein großer Akademiker erhielt den ersten, ein minder großer den zweiten Preis und so fort, bis herab zur ehrenvollen Erwähnung. Der viel zu merkwürdige Karl Steffens stellte sein Ton- oder Wachsmodell zu dem übrigen, putzte seine Brillengläser, überzählte seine Barschaft, murmelte etwas zwischen den Zähnen und – ging schließlich den nämlichen Weg, den vor ihm, aus den nämlichen Gründen, schon mancher talentvolle Künstler gegangen: er reiste nach Rom, wo man unter einem »ewig blauen« Himmel weniger Geld brauchen sollte, und wo schöne Menschen wohnten, namentlich, wie schon gesagt, schöne Frauen.

Sehr bald indessen machte Karl Steffens die Entdeckung, daß die Geschichte von dem ewig blauen Himmel ein Märchen sei. Mit der andern Sache hatte es indessen entschieden seine Richtigkeit; hungern ließ es sich in Italien leichter als da drüben – wie Fräulein Friedrike mit der gewissen Handbewegung zu sagen pflegte.

Überdies hatte er ja den Kopf voll großer Entwürfe! Und jung war er auch noch, ganz lächerlich jung: zweiundzwanzig Jahre. Nur war es schade, daß man nicht auf dem Papiere modellieren und gewaltige Werke schaffen konnte, daß das billigste Material für einen Bildhauer Ton war. Und bis aus dem Ton Marmor wurde ...

Jedenfalls bedurfte er, auch um den Ton zu modellieren, einer Werkstatt. Es gab in Rom wahrlich deren genug: die ganze Via Margutta bestand aus Ateliers. Alle leeren Studii sah er sich an, fand viele sehr schön, alle jedoch zu teuer, viel zu teuer. Lange Zeit brauchte er, um ein Studio zu finden, das billig war, sogar spottbillig.

Dieser Raum, darin Karl Steffens sein neues Leben einrichtete und seine unsterblichen Werke schaffen wollte, hatte noch dazu eine wunderbare Loggia, in einem ganz neuen, sehr prächtigen Hause zwischen Esquilin und Caelius, gerade gegenüber dem Kolosseum.

Das Atelier ging auf einen engen, dunkeln und feuchten Hof, der das reine Treibhaus war: so üppig schossen darin Unkraut und wilde Blumen empor. Sogar die Mauern waren grün überzogen von dem reizenden Blattwerk der Nymphenfarne. Auch war das Studio selbst ganz merkwürdig feucht. Und es herrschte darin eine ganz sonderbare Luft. Je nun! Ein feuchtes Atelier besaß für ihn das Gute, daß der Ton nicht so schnell trocknete. Es traf sich alles famos.

In dem ganz neuen und sehr prächtigen Hause wohnten merkwürdigerweise nicht viele und gar keine feinen Leute, und die wenigen Bewohner hatten ganz merkwürdige Gesichter: so sonderbar fahl! Und mit ganz sonderbaren Augen sahen sie den neuen Mietsmann an, so forschend, als wollten sie sehen, ob sein Gesicht auch schon fahl wurde.

Mit seinem von großen Plänen wimmelnden Kopf und dem bedenklich leeren Geldbeutel war Karl Steffens bester Laune: endlich, endlich sollte einer seiner vielen Entwürfe aus dem Kopf als Meisterwerk in die Welt gesetzt werden! Es war das eine Gruppe, der er den Namen »Die Tochter der Semiramis« geben wollte.

Diese Dame war wie ihre erlauchte Mutter gleichfalls Königin gewesen. Einem etwas eigentümlichen Gesetz zufolge, das die junge Majestät selbst zu erteilen geruht hatte, durfte sie sich unter den schönsten Jünglingen des Landes den Gemahl wählen. Das königliche Paar wurde vermählt und – der junge Gatte am nächsten Morgen hingerichtet, durch Henkershand erwürgt.

Karl Steffens wollte die Königin darstellen, wie sie von ihrem Lager sich erhebt und zu ihren Füßen den Gemordeten erblickt, den Strick um den Hals. Sie sieht ihn und wird für den Toten von heißer Liebe entflammt.

Unaussprechliches wollte Karl Steffens in diesem Frauenantlitz ausdrücken, mit solcher Gewalt ausdrücken, daß der Beschauer von tiefstem Grausen, zugleich von innigstem Mitleid gepackt würde.

Also ein Modell für seine Tochter der Semiramis! Ein junges, schönes Weib! ... Und Karl Steffens suchte nach einem solchen Weibe.

Er sah viele schöne Frauen. Einige waren so wunderbar, daß er in helles Entzücken geriet. Aber, selbst angenommen, diese Schönheiten hätten für Geld und gute Worte dem Künstler Modell gestanden – für seine grausame, herrliche Königin war ihm keine schön genug. Also suchte er weiter.

Inzwischen wollte er wenigstens etwas tun, denn wozu war er in Rom, wozu hatte er sein herrliches Studio? Er wählte daher am Spanischen Platz ein Modell, wurde handelseinig, sagte seine Adresse, sorgte für frischen Ton und wartete am nächsten Morgen auf den bestellten Jüngling. Der jedoch blieb aus. Voll Ärger ging er nachmittags hin und mietete einen andern. Aber auch das zweite Modell fand sich nicht ein. Erst von dem dritten erfuhr er den Grund, warum kein Modell zu ihm kommen wollte, denn als dieser dritte die Adresse vernahm, erklärte er gerade heraus, er würde nicht kommen. Es würde keiner zu dem Künstler kommen! Der Grund war: das neue, prächtige Haus gegenüber dem Kolosseum war eine berüchtigte Brutstätte der Malaria. Alle Künstler, die in diesem Hause gewohnt hatten – es befanden sich darin noch mehrere Ateliers –, erkrankten sehr bald schwer am römischen Fieber, und ein Deutscher war dort sogar vor kurzer Zeit an der Perniciosa gestorben. Darum der billige Preis, darum die armseligen Mieter, darum die fahlen Gesichter und der sonderbar forschende Blick, der zu fragen schien: ›Bist du nicht auch schon krank?‹

Er war jedoch gesund und blieb wohnen; denn es war gar zu wundervoll billig! Das mit dem römischen Fieber war sicherlich sehr übertrieben. Jedenfalls würde er es nicht bekommen.

Und wenn die Modelle absolut nicht kommen wollten – was für kindische Geschöpfe es doch waren! –, so mußte er sich einstweilen ohne sie behelfen.

Sahen sie dann ein, daß es ihm nicht ans Leben ging und er das Gespenst auslachte, so kamen sie sicher.

Also blieb er wohnen.

Aber eines Abends, als er nach Hause kam, trat ihm auf dem Flur eine Schar schwarz Vermummter entgegen. Sie hielten hohe, brennende Wachskerzen in Händen und trugen auf ihren Schultern eine lange, schmale, mit einem schwarzen Tuch bedeckte Kiste.

Die freiwillige Totenbrüderschaft war's, die einem, der ausgelitten hatte, den letzten Dienst erwies.

Einer der wenigen Mieter wurde hinausgetragen ... Nun, sterben muß einmal ein jeder!

Er fragte einen Knaben, der vor der Tür stand, nach dem Gestorbenen und erhielt zur Antwort: »Irgendeiner am Fieber. In dem Hause sterben alle am Fieber.«

Er wollte trotzdem wohnen bleiben! Wenigstens fürs erste.

*

Karl Steffens war jemand, der schon »dort drüben« seine einsamen Menschen- und Künstlerwege gegangen war; um wie viel mehr tat er das in Rom. Er verkehrte mit niemand und machte namentlich um jeden Kollegen einen weiten Umweg; sein Mittagessen nahm er in einer kleinen Trattoria ein, die in der Nähe von San Pietro in Vincoli lag und die, von keinem Fremden gekannt, billig war. Sein mehr als bescheidenes Abendbrot kaufte er sich irgendwo zusammen. So gehörte er denn mit Leib und Seele zu der Gemeinde derer, die nach der Ansicht der beiden alten Römer berufen waren.

Nur durch diese Art zu leben konnte es geschehen, daß er nichts von dem schönsten weiblichen Modell, der Maria, vernahm; außerdem erschien sie, da sie das gesuchteste Modell war, auf der Spanischen Treppe nie mehr. Sie wohnte bei einem alten Fruchthändler in der Nähe des Laterans, begab sich am frühen Morgen in ihr Atelier und kehrte am Nachmittag gewöhnlich durch die volkreichen Viertel der Monti in ihr entlegenes Quartier bei der Basilika des großen Heiligen zurück.

Da lernte Karl Steffens sie kennen, wobei er zugleich eines jener Abenteuer bestand, die selbst in der modernen Kapitale des geeinigten Königreiches immer noch ziemlich alltäglich sind.

Er liebte es, die ungesundeste Tageszeit, die Dämmerung, im Kolosseum zuzubringen. In jener Stunde war der Aufenthalt in der menschenleeren Ruine wahrhaft magisch. Der gewaltige Steinring schien die Lichtfluten des Tages wie mit gewaltigen Armen zu umfassen; die Travertinmassen hatten die Sonnenfluten so gierig aufgesaugt, daß die Riesenwände, welche Cäsarenwahnsinn aufgetürmt, noch wie Alpengipfel leuchteten und gleißten, wenn die Schatten der Nacht bereits allen sonstigen Schein auslöschten.

Eines Abends wurde der Künstler, der, ganz in seine Phantasie verloren, das Amphitheater mit Gestalten seiner Welt bevölkerte, durch den Schrei einer Frauenstimme aus seinen wachen Träumen aufgeschreckt. Es klang wie ein Hilferuf und drang aus einer der Arkaden, in deren dunkeln Wölbungen selbst am hellen Tage mit aller Gemächlichkeit jemand ermordet werden könnte.

Karl Steffens eilte hin und fand ein Mädchen aus dem Volke gegen die Mauer lehnen und heldenmütig mit einem Menschen ringen, der mit einem Dolchmesser bewaffnet war. Als der Bursche den Fremden gewahrte, ließ er sein Opfer fahren, stieß eine Verwünschung aus und verschwand in den dunkeln Bogengängen.

Die Züge des Mädchens zu erkennen, war es zu finster; aber ihre Gestalt und die Haltung des Kopfes waren prachtvoll. Sie schien sich bereits wieder gefaßt zu haben, wenigstens war sie vollkommen gelassen und erzählte, sie habe sich auf dem Nachhauseweg verspätet, wohne in der Via Marc Aurelio und habe geglaubt, bedeutend abzukürzen, indem sie den Weg durch die Arkaden des Kolosseums statt über die obere Fahrstraße nehme. Jener Mensch müsse ihr aufgelauert haben, ihr nachgeschlichen sein und – ja, und wäre der Herr nicht gekommen gerade zu rechter Zeit, so hätte ein Unglück geschehen können. Sie danke dem Herrn.

In seinem besten Italienisch versicherte Karl Steffens, er sei glücklich, ihr den kleinen Dienst geleistet zu haben, und bat um nähere Auskunft über den Überfall: ob sie den Buben kenne und ob sie wisse, warum sie verfolgt worden sei.

Sie kannte ihn und sie wußte auch ... Sie machte nur eine Bewegung mit dem Kopf, und Karl Steffens verstand sofort, daß sie den Burschen abgewiesen und dieser sich dafür hatte rächen wollen.

Was sie tun würde.

Nichts! Sich mehr in acht nehmen, nicht mehr so spät solche Wege gehen, stets ein Messer bei sich tragen. Er sollte es nur noch einmal probieren!

Sie verließen zusammen den unheimlichen Ort. Als sie wieder ins Freie traten, war es gerade noch hell genug, daß der Künstler sehen konnte ... Solches Antlitz hatte er für sein Bildwerk geträumt. Leibhaftig stand das schönste Weib Roms, das schönste Weib der Welt vor ihm. Auch sie blickte ihn an: Heilige Jungfrau, wie häßlich er war!

Er wollte sie nach Hause begleiten, aber das litt sie nicht und sagte es ihm in wenigen Worten, jedoch in einer Weise, daß er gehorchen mußte. Da folgte er ihr heimlich nach, um sie zu schützen und – um sie vor sich herschreiten zu sehen.

Ihm war zumute, als wandelte er auf mondhellen Bergeshöhen.


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