Richard Voß
Römisches Fieber
Richard Voß

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25. Aus Priscas Tagebuch

Rom, Anfang Juni.

Friedrike und ich vergessen unsre Sorge um Peter Paul, der aus Berlin noch nichts von sich hören läßt, in unsrer Angst um den Zustand, in dem sich Steffens befindet. Wie konnte ich einen Augenblick glauben, daß er, falls er sein Werk zerstörte, damit zugleich auch seinen Dämon zerstören, sich davon befreien, Neues schaffen würde, Größeres. Jetzt hat eine ruchlose Hand das Marmorbild zertrümmert, und jetzt ist es, als hätten die Kugeln, die das Haupt seiner Statue zerschmetterten, ihn selbst getroffen und das tödlich.

Scheinbar ist er vollständig ruhig. Er hört jeden an, der voll wärmster Teilnahme zu ihm kommt und ihm sagt: »Die Tat ist barbarisch und das Unglück für Sie groß. Aber es ward ja nur der Kopf zerstört; Sie können Ihrer Statue einen andern Kopf geben und den Ansatz durch eine Perlenschnur verdecken. Sie werden um des zerstörten Kopfes willen doch nicht gleich das ganze Werk zu den Toten weisen!«

So sprechen alle, und er hört alle ruhig an.

Nein! Nicht alle sprechen so. Weder Friedrike noch ich geben ihm diesen Rat, der ein Trost sein soll. Wir beide kennen die Geschichte dieses Werkes zu genau, um ihm diesen unkünstlerischen Rat zu erteilen. Wo sollte er auch ein zweites solches Antlitz finden?

Man muß seine »Tochter der Semiramis« eben gekannt haben, man muß ihr Urbild kennen, um zu wissen: ein zweites solches Antlitz findet sich nicht.

Daß ich nicht vergesse: auch ein dritter, der Baron Schönaich – wie fremd das klingt! –, riet Steffens nicht zu solchem Verfahren. Er besuchte ihn sofort, blieb lange Zeit bei ihm, und die beiden so verschiedenen Naturen verstanden sich gleich. Wäre ich über dieses tragische Ereignis nicht so tief betrübt, so würde mich die gute Freundschaft der beiden sehr freuen; aber ich vermag nichts zu empfinden als Trauer und Mitleid – blutiges Mitleid!

Hat Steffens mir doch das Geständnis gemacht, wie sehr ein großer Erfolg ihm jetzt not täte, gerade jetzt und gerade in Rom. Dieses leidenschaftliche seelische Bedürfnis nach einem künstlerischen Erfolg – dem ersten großen seines Lebens! – gab ja den Ausschlag dafür, seine Gruppe auszustellen. Auf diesen Erfolg bauten wir Freunde, baute der Künstler selbst sein ganzes neues Dasein.

Die Tat des Fürsten wird verdammt, aber doch nicht mit solcher allgemeinen Empörung, wie sie verdient. Nur von deutscher Seite erfährt sie volle Verurteilung. Besonders mild gesinnt zeigen sich die Römer, was Friedrike nicht zugeben will; und in der großen Welt sollen sich schon jetzt einige Stimmen erheben, die den Fürsten entschuldigen; immerhin hätte Mut dazu gehört ... Nein! Barbarei gehört dazu!

Dagegen soll allgemein eine feindselige Stimmung gegen die Fürstin entstanden sein und schnell um sich greifen. Ihr schiebt man die Tat des Fürsten zu, ihr gibt man die Schuld an dem Tode Don Benedettos.

Dieser Blutsturz des jungen Priesters zu Füßen des Marmorbildnisses erscheint mir von einer dämonischen Tragik. Er liebt die Frau seines Bruders, sah ihr Bild, sah es mit zerschmettertem Haupt, die Gestalt in hüllenloser Herrlichkeit und wurde von dem Anblick einer so göttlichen Frauenschönheit zu Tode getroffen.

Mit Friedrike wohnte ich heute einem ergreifenden Vorgang bei. In der schwarz ausgeschlagenen Kirche der Polen war Don Benedetto aufgebahrt. Der geschlossene Katafalk stand auf hohem Postament, so dicht mit weißen Rosen überschüttet, daß der Aufbau einem schneeigen Blumenhügel glich. Zwölf mächtige Wachskerzen brannten vor der Bahre, und Kapuziner lasen davor unausgesetzt Gebete ab.

Spät abends fand ein Totenamt statt, bei dem die kleine Kirche überfüllt war. Viele Herren und Damen der Aristokratie und der Fremdenkolonie waren anwesend. Auch der Fürst und die Fürstin.

Sie knieten beim Sarge; er auf der einen, sie auf der andern Seite. Ich weiß nicht, wie ich zu der tollen Phantasie kam; zwischen diesen beiden Lebenden stünde der Tote, ließe sie nicht zusammenkommen, während jeder der beiden Gatten nach dem andern die Arme ausstreckte, einsam und sehnsuchtsvoll. Aber wenn sie endlich, endlich sich zu fassen glaubten, so war es eine Leichenhand, die sie ergriffen hatten, und sie bebten zurück, von Grausen gepackt.

Der Chor der Sixtinischen Kapelle sang, und ich glaube, kein Auge blieb trocken, außer denen der nächsten Leidtragenden.

Ich stand dem Katafalk so nahe, daß ich die Gesichter der beiden deutlich sehen konnte. Sie hatten einen Ausdruck, der von etwas ganz anderm sprach als von Trauer und Gram, von etwas, das ich nicht zu enträtseln vermochte und das mir jene Phantasie eingab.

Trotz aller Ergriffenheit konnte Friedrike nicht unterlassen, mir zuzuflüstern: sie sähe keinen Vertreter des Papstes und fände das höchst sonderbar. Woran doch die Menschen, und sogar die guten, selbst angesichts der Majestät des Todes zu denken vermögen.

Als die Trauergesellschaft sich entfernte, trat keine der Damen zur Fürstin heran. Dann bot der Fürst seiner Frau den Arm und führte sie in die Sakristei. Wir blieben noch, um den Sarg aufheben und hinaustragen zu sehen. Bei Fackelbegleitung, unter Musikklängen begab sich der Zug nach dem Bahnhof. Der Fürst schritt hinter dem Sarge, den junge Priester trugen. Die Leiche wird nach Polen überführt, um in der Familiengruft beigesetzt zu werden. Der Fürst begleitet seinen toten Bruder.

Steffens kommt täglich zu mir. Er sitzt dann da, sieht meiner Arbeit zu, stundenlang; aber er bleibt in sich versunken. Manchmal bittet er mich zu reden: meine Stimme tue ihm wohl! Um ihm wohlzutun, rede ich, so schwer es mir auch fällt. Ich habe ein gar zu trauriges Herz.

Baron Schönaich ist verlobt – wenigstens so gut wie verlobt, mit einer Cousine. Der Photographie nach, die Steffens kennt, soll sie als Frau ebenso schön sein wie er als Mann. Ich habe diese Nachricht nicht von ihm selbst, sah natürlich auch nicht das Bild; Steffens teilte mir die Neuigkeit mit. Er ist mit dem Baron ganz vertraut geworden und erfuhr es aus seinem eignen Munde. Er erzählte es ganz harmlos, wie man eine beliebige Neuigkeit erzählt; warum auch hätte er mir die Sache in andrer Weise mitteilen sollen?

Ich verstehe wirklich nicht, aus welchem Grunde ich mich über die Harmlosigkeit, mit der Steffens von der Verlobung seines neuen Freundes sprach, erstaune. Übrigens freute sich Steffens darüber. Die beiden Brautleute gäben ein wundervolles Paar, als wären sie eigens vom Himmel füreinander geschaffen.

Auch ich freue mich. Heute habe ich vor Freude sogar etwas geweint. Vielleicht, daß die schöne Frau auf meinen jungen Siegfried – Gott sei Dank, daß ich ihm wieder diesen ihm zukommenden Namen gab! – einen solchen Einfluß ausübt, ich meine auf seine Kunst, daß er es endlich sehen lernt: das Schöne auf der Welt, das ewig Heilige, ewig göttlich Schöne, welches nun einmal das Evangelium ist, das der Künstler verkündigen soll. Dieser Priester der Kunst hat sich schwer genug an seinem Gott versündigt, und keine Buße kann zu hart für ihn sein.

Aber mich freut, daß sie von einer jungen, schönen und geliebten Frau ausgehen soll; mich freut, daß er glücklich sein wird!

Übrigens fügte ich ihm ein Unrecht zu, das ich ihm abbitten muß. Da seine Braut schön ist, sieht er also doch das Schöne, liebt er es also doch! Und zwar darf ich mein Unrecht ihm nicht nur bequemerweise in Gedanken abbitten, sondern muß das einmal mündlich tun, wie es einer ehrlichen Buße geziemt: Angesicht zu Angesicht. Hoffentlich geht er mir fortan nicht mehr so scheu aus dem Wege, so daß ich bald Gelegenheit habe, ihm meine Sünde zu bekennen. (Obgleich ich freilich nicht einsehe, warum er mir fortan weniger ausweichen sollte.) Aber glückliche Menschen pflegen nicht andre zu meiden. Er hat sich ja auch Steffens genähert, allerdings aus tiefer Teilnahme, die jetzt jeder mit dem armen Künstler haben muß.

Die Verlobung meines jungen Siegfried hat für mich das Gute, daß sie mir zu einem glorreichen Sieg über mein liebes Glöcklein verhilft. Denn: er sterblich verliebt – in mich! Auch mein gutes Glöcklein hat dem glücklichen Bräutigam etwas abzubitten, was sie allerdings im stillen besorgen muß.

Hoffentlich finde ich ein recht warmes Wort, wenn ich ihm von seiner Verlobung spreche. Ich wünsche, daß er empfindet, wie sehr ich mich über sein Glück freue. Meine Freude wird ihm zwar höchst gleichgültig sein, aber ich muß sie ihm doch zeigen.

Warum aber, um alles in der Welt, sollte es mir schwer werden, für ihn ein warmes Wort zu finden? Da es doch nicht nur von den Lippen, sondern aus dem Herzen kommt, noch dazu aus vollstem Herzen.

Heute hätte ich Gelegenheit gehabt, den Bräutigam zu sehen und zu sprechen, und – ich ging ihm aus dem Weg!

Ich fühle mich nicht recht wohl und sah heute früh ganz bleich aus.

Ich sehe jetzt nämlich häufiger in den Spiegel als früher, wo ich mich sogar frisierte, ohne das unangenehme Glas zu benutzen, nur um mein Gesicht nicht sehen zu müssen. Und jetzt, seit dem Gartenfest... Und doch ist es nicht Eitelkeit! Wenn ich mich jetzt häufiger im Spiegel sehe, geschieht es, um zu ergründen, was damals den Menschen eigentlich an mir gefallen konnte, und ich komme mehr und mehr dahinter, daß es nur mein aufgelöstes Haar und der Malvenkranz war.

Jetzt ärgert es mich, daß ich ihm heute aus dem Weg ging. Ich hätte mich wohl zusammennehmen und mein kleines Unwohlsein bezwingen können. Wenn er es gemerkt hätte? Denn sicher weiß er, daß Steffens mir von seiner Verlobung erzählte, und muß mich für recht unfreundlich halten.

Ein nächstes Mal benimm dich gefälligst etwas anständiger, meine liebe Lange.

Endlich ein Brief von Peter Paul! Sein Bild blieb wochenlang an der Grenze liegen. Es ist ungewiß, ob es überhaupt noch von der Jury besichtigt werden kann. Friedrike ist außer sich, und ich darf ihr nicht einmal sagen, welches Glück es wäre, wenn das Bild von der Jury gar nicht gesehen würde.

Peter Paul scheint sich dort drüben gar nicht mehr zurechtzufinden. Sein Brief ist eine einzige Elegie, eine Elegie auf Rom! Er fühlt sich an der Spree vollkommen hilflos und schreibt: selbst das moderne barbarisierte Rom wäre im Vergleich mit jener Stadt auch für alte Römer ein Elysium. Man müßte erst aus Rom fort sein, um zu ahnen, was man selbst noch an diesem schimpfierten Rom besäße. Und nun gar Berlin!

Diese Lobreden über die ewige Herrlichkeit der ewigen Stadt sind meiner lieben Friedrike ein kleiner Trost bei der Unbill, die Peter Pauls Bild widerfuhr, noch ehe es überhaupt dem Urteilsspruch der gestrengen Kunstlichter unterbreitet wurde. Aber Peter Pauls Bild nicht zu sehen, gehört eben zu jenen Dingen, die einfach unmöglich sind. Ist es erst einmal gesehen worden, dann – o dann...

Friedrike sprach mit mir über die Verlobung meines jungen Siegfried und hatte dabei eine seltsame Art, mich anzustarren. Ich bin sonst, was die anstarrenden Blicke der Leute betrifft, ganz und gar nicht mißtrauisch, obgleich schon mancher Blick, mit dem ich betrachtet wurde, sehr leserlich war. Nur gehören meine Freunde nicht zu »den Leuten«, aber Friedrikens Augen forschten gar zu eigentümlich fragend in meinem Gesicht. Als ich sehr ruhig blieb und nur sagte, wie sehr ich mich freute, wäre sie mir fast um den Hals gefallen.

Warum das? Und warum war sie so feierlich? Ich hätte sie gleich danach fragen sollen. Das wäre ehrlich gewesen, auch gehört es sich unter guten Freunden. Ich unterließ es und ärgere mich wieder einmal tüchtig über mich selbst; denn nachträglich davon zu sprechen hätte keinen Sinn.

Die Fürstin Romanowska befindet sich nicht in der Villa, sondern hat sich in ein Kloster begeben, darin sie einst als Braut des Fürsten kurze Zeit verweilte. Mich beschäftigt es sehr, aber Friedrike findet nichts dabei; denn es käme häufig vor, daß vornehme Damen für einige Wochen in irgendein Heiligtum sich zurückzögen, um in Weltabgeschiedenheit Andacht zu halten. Ich mußte denken: Und um Buße zu tun. Aber Buße wofür? Ich verstehe nicht, weshalb der Fürst mich mehr dauert als seine Frau. Dabei hasse und verachte ich diesen modernen Barbaren, der kalten Blutes ein Kunstwerk zerstören konnte. Es ist schlimmer als Totschlag.

Die Fürstin nach dem Tod Benedettos in einem Kloster!

Steffens will nichts davon hören, den Fürsten zu verklagen, und er tut recht. Sein Werk ist verdorben, was würde eine Klage nützen? Noch dazu bei einer römischen Justiz, deren mittelalterliche Zustände sogar Friedrike einen Seufzer abnötigen. Der Fürst würde zu Schadenersatz verurteilt werden, und er hat ja das Kaufstück bereits vorher bar bezahlt!

Ich glaube, man denkt hier, Steffens würde nach der Rückkehr des Fürsten diesem eine Forderung zuschicken. Es scheint dies allgemein erwartet zu werden. Ich verstehe davon nichts; aber nach meiner Empfindung kann Steffens sich gar nicht blutiger, möchte ich sagen, an dem Fürsten rächen, als indem er ihn nicht fordert, nachdem er seine infame Geldanweisung zurückgesandt hat und von keiner Klage hören will. Vielleicht, daß viele ihn für feig halten werden. Mögen sie!

Er hat das unselige Bildnis, welches wirklich der Dämon des Künstlers ist, wieder in sein Atelier schaffen lassen, wo es nun an seinem alten Platz steht – wie verändert! Der rote Vorhang ist aber nicht mehr davorgezogen, so daß er jetzt den beständigen Anblick der Zerstörung vor sich hat. Auf ein Gemüt wie das seine muß das vernichtend wirken. Wenn, ach, wenn doch eine göttliche Hand nach ihm sich ausstrecken und ihn anrühren wollte, daß sein Geist aufstünde von den Toten und wandelte!

Heute passierte ich die Via Condotti und blieb vor dem Schaufenster des Kunsthändlers stehen. Da bemerkte ich in einem hinteren Raum ein Bild, das verkehrt gegen die Wand lehnte. Auf der Leinwand befand sich in roter Farbe ein Zeichen, daran ich sofort mein eignes Bild erkannte: es war meine Kopie der »Salome«.

Ich ging hinein, wurde äußerst höflich begrüßt, und ehe ich ein Wort sagen konnte, begann der Herr:

»Ihre Kopie gefiel außerordentlich. Gerade heute wollte ich Ihnen mitteilen, daß derselbe Besteller Sie ersucht, Marattos ›Heiligen Benedikt‹ zu kopieren. Sie müßten sich dann allerdings für längere Zeit nach Brescia begeben, wo das Gemälde sich befindet. Die Bedingungen sind geradezu glänzend.«

Ich erwiderte:

»Übermitteln Sie jener unbekannten Persönlichkeit meinen Dank mit dem Bemerken, ich würde die glänzenden Bedingungen keinesfalls akzeptieren.«

»Sie lehnen ab? Ist das möglich?«

»Da Sie meine Kopie der ›Salome‹ noch gar nicht einmal abschickten, so –«

Der Herr wußte sich jedoch ohne jede Verlegenheit herauszureden.

»Der Besteller Ihrer Kopie sah das Bild bei mir. Sie gefiel ihm, wie gesagt, ganz außerordentlich.«

»Also könnte ich mich bei dem Besteller für sein Interesse persönlich bedanken?«

»Er ist bereits wieder abgereist.«

»Ich bitte um die Adresse.«

»Gut, mein Fräulein. Ich werde schreiben und um Instruktion bitten. Einstweilen überlegen Sie sich das neue Anerbieten wohl noch einmal.«

»Einstweilen schlage ich es entschieden aus.«

»Verzeihen Sie, aber das wäre denn doch etwas unpraktisch.«

Ich ging. Was bedeutet das? Wer interessiert sich in solcher Weise für mich? Und warum ein Geheimnis daraus machen? Übrigens sagte ich Friedrike nichts von diesem Erlebnis. Es ist gar zu abenteuerlich.

Und daß so etwas gerade mir nüchternem Alltagsmenschen passiert! ...

Endlich!

Endlich sagte ich's ihm! Ich glaube, ich kann ruhig sein. Ich sprach ihm meine Freude so warm aus, wie ich sie fühle. Er schien nicht erwartet zu haben, daß ich mich über sein Glück so herzlich freuen könnte.

Er muß doch empfunden haben ...

Was, Prisca Auzinger, was?

Überlegen Sie doch einmal, mein Fräulein.

Wo Sie nur konnten, sagten Sie ihm über seine Malerei Ihre Meinung, aufrichtig und kräftig genug. Sie gaben ihm recht deutlich zu verstehen, daß Sie ihn – gerade herausgesagt, zwar nicht für einen Pfuscher und Stümper, doch für etwas viel Schlimmeres hielten: für einen Menschen, der an dem heiligen Geist der Kunst Frevel über Frevel verübte, der des edeln Namens eines Künstlers gar nicht würdig wäre, trotz allem und allem Talent!

Er muß empfunden haben, mein wertes Fräulein, daß Sie über ihn sich entrüsteten, daß er Ihnen unleidlich sei, daß Sie ihn, kurz und bündig gesagt, nicht ausstehen können. Und jetzt wundern Sie sich, wenn Ihre warme Freude über sein Bräutigamsglück ihm auffällt. Was geht Sie sein Glück an? Was haben Sie überhaupt nötig, ihm gar so warme Freude zu äußern? Wundern Sie sich doch gefälligst zuerst über sich selbst!

Er fertigte mich mit meiner warmen Freude ziemlich kühl ab.

»Ich danke Ihnen. Es ist sehr freundlich, solchen Anteil an mir zu nehmen. Ich werde allerdings in der nächsten Zeit, wenn ich nach Deutschland zurückkehre... Ich erzählte Steffens von einer jungen Cousine, und daß wir schon von Kindheit an Liebesleute wären... Sie brauchen Steffens nicht zu entschuldigen, ich habe ihn durchaus nicht gebeten, darüber zu schweigen. Leider ist's noch nicht so weit, wenigstens nicht bis zur offiziellen Verlobung. Aber ich bin Ihnen dankbar für Ihre Teilnahme.«

Und das ganz kühl, so ein wenig von oben herab, so ein wenig als norddeutscher Baron. Aber mir geschah schon sehr recht.

Nur um etwas zu sagen – denn ich schämte mich und bin gewiß vor Ärger ganz bleich geworden, fragte ich:

»Sie sagten: wenn ich nach Deutschland zurückkehre... Werden Sie denn bald fortgehen?«

»Ich denke ja.«

»Und Ihr Bild?«

»Oh, mein Bild, das Sie abscheulich fanden?«

»Sie können doch mit der ungeheuern Arbeit unmöglich so schnell fertig werden?«

»O nein. Dafür brauche ich vielleicht Jahre.«

»Nun also?«

»Ich male das Bild vielleicht gar nicht fertig.«

»Gar nicht fertig!«

»Darüber sind Sie erstaunt?«

»Sie schienen von Ihrem Motiv so erfüllt.«

»Ich war davon begeistert.«

»Und trotzdem wollen Sie –«

»Ich arbeite noch immer daran. Aber ich mache jetzt nur noch Studien. Die Aufgabe ist, wie gesagt, zu kolossal, um sie so vom Fleck weg lösen zu können. Ich bitte Sie nicht, sich meine Studie» anzusehen; es würde Ihnen wohl nur unangenehm sein, denn Sie mühten mir doch wieder Ihren Abscheu ausdrücken.«

Was konnte ich darauf erwidern, wenn ich ehrlich bleiben wollte? Und allen Menschen gegenüber will ich ehrlich sein und gegen diesen besonders. Also schwieg ich.

Sonderbarerweise – ich finde, daß in meinem Leben nachgerade alles sonderbar wird, begann er plötzlich von Steffens zu sprechen. Er sagte wörtlich: »Diesem Mann tat ich unrecht. Ich hielt ihn für einen Schwächling. Er ist jedoch etwas ganz andres! Er ist das Bedenklichste und zugleich Bedauernswerteste, was ein Mann überhaupt sein kann: er ist eine tragisch angelegte Natur. Und gar wenn ein solcher Mensch ein Künstler ist, obendrein ein genialer Künstler! Man sagt von diesem und jenem: er ist zum Unglück geboren. Man sagt das so flüchtig hin wie eine Redensart, ohne sich dabei viel zu denken. Aber es gibt wirklich Menschen, die zum Unglück geboren sind, und Karl Steffens ist ein solcher Unglücklicher.«

Er sagte diese Dinge so ernsthaft, mit einem so starken Ausdruck von Teilnahme und Verständnis in seinen Augen – die übrigens einen gar schwermütigen Blick haben können, daß ich mich unwillkürlich gerührt fühlte. Ich dankte ihm für seine schöne Auffassung des Charakters meines armen Freundes, der so leicht falsch verstanden werden konnte. Er sah mich groß an.

»Dafür brauchen Sie mir wahrhaftig nicht zu danken! Für einen anständigen Menschen ist nichts so peinlich und demütigend, als erkennen zu müssen, daß man jemand unrecht getan. Sehen Sie, Fräulein, ich bin eine sehr resolute Natur, die von solch sensitivem Empfinden, wie Steffens es hat, nicht viel weiß. Daher anfangs meine Ungerechtigkeit gegen ihn.«

Ich fühlte mich eingeschüchtert und schwieg. Steffens neuer Freund fuhr fort:

»Das ganze Drama seiner Leidenschaft zu jenem schönen Weibe ... Lieber Gott, so etwas versteht ein Mensch von meiner Robustheit einfach gar nicht! Überhaupt, Leidenschaft... Wie kann ein Mann an einer Leidenschaft zugrunde gehen? Sehen Sie, ein solcher Philister war ich.«

»Waren Sie?«

»Ja. Stellen Sie sich vor, daß ich jetzt manches begreife, was mir früher, noch bis vor ganz kurzem unbegreiflich war.«

»Jetzt können Sie verstehen, was Leidenschaft ist?«

»Ich verstehe, daß Liebe zur Leidenschaft werden kann. Aber ich verstehe noch immer nicht, wie es möglich ist, sich davon zerstören zu lassen, das heißt: bei einem Karl Steffens verstehe ich das allerdings.«

»Ich glaube, er ist mit dieser Leidenschaft fertig. Wenigstens war er auf dem besten Wege zur Genesung, und ohne diese Katastrophe –«

Er unterbrach mich.

»Ja, mein Fräulein, mit dieser Leidenschaft ist er fertig. Übrigens muß ich Ihnen auch noch erklären, warum Ihr Freund mir so besonders antipathisch war. Er schien mir durch seine ganze Art, künstlerisch zu sehen – Sie wissen, wie sehr sie von der meinen verschieden ist, auch auf Ihre Kunst höchst unglücklich zu wirken, und das brachte mich gegen ihn auf.«

»Sie warnten mich damals vor ihm. Es war jedenfalls sehr freundlich von Ihnen.«

»Zum Kuckuck mit meiner Freundlichkeit und Teilnahme! Ich sah ein großes Talent durch ein krankhaftes gewaltsam aus seinen Bahnen gerissen und hätte als Künstler ein Barbar sein müssen... Doch für einen solchen halten Sie mich ja.«

»Verzeihen Sie, daß ich Ihnen eine persönliche Teilnahme für mich zumutete.«

Das war nun wieder einmal recht herzlich töricht von mir! Es klang so kleinlich, fast wie empfindlich, und ich hasse nichts so sehr wie Empfindlichkeit. Es ist so entsetzlich frauenzimmerlich. In meiner Verwirrung und Scham – denn ich schämte mich furchtbar – fragte ich ihn: »Jetzt würden Sie mich vor seinem Einfluß nicht mehr warnen?«

»Jetzt nicht mehr.«

»Seitdem Sie erkannten...«

Aber wieder unterbrach er mich, sogar ziemlich erregt:

»Ja! Nun ja! Ich erkannte. Solche Erkenntnis ist sehr unbequem. Aber es hilft nichts, dagegen sich gewaltsam zu verschließen. Es wäre Schwäche und Feigheit, wäre genau dasselbe, was mir an Steffens so unangenehm war.«

»Sie sehen ihn jetzt häufig?«

Ich wollte ihm durch diese Frage nur helfen, von einem Gegenstand loszukommen, der ihn sonderbar stark erregte.

»Ich sehe ihn, so oft ich kann.«

Ich rief: »Sie werden ihm helfen, ihn aufrichten mit Ihrer Kraft.«

»Ich?! Steffens zu helfen, ihn zu einem neuen Menschen zu machen, wie ich es nennen würde, vermag nur eine einzige Person. Allerdings bedürfte es für diese Rettungstat einer Heldenkraft. Aber die besitzen Sie ja.«

»Ich?!«

»Auch ich, mein Fräulein, wünsche Ihnen Glück aus vollem Herzen. Sie nehmen eine schwere Mission auf sich; aber Ihre Mission ist schön, denn sie ist groß. Und Sie sind dafür geschaffen, eine solche Mission auf sich zu nehmen.«

Er sagte diese sonderbaren Worte in tiefer Bewegung! Also glaubt er, daß ich Steffens liebe, daß ich... Und dazu wünscht er mir Glück, er mir... Und ehe ich ihm erwidern konnte, war er bereits fort.

Wie ist mir nur? Gott, mein Gott, wie ist mir nur? Eine Mission, sagte er... Sie wäre schön und groß. Schwer wäre sie, aber schön und groß. Und ich wäre dazu geschaffen... Wofür? Um etwas zu nützen auf Erden!

*

Gestern habe ich mich in Frascati mit Karl Steffens verlobt.

Gott helfe mir und stärke mich, daß ich meine Mission auf Erden erfülle, daß ich einem andern Menschen nützen und helfen kann.

Amen.

Ich bin ruhig genug, daß ich zu erzählen vermag, wie alles kam, daß ich mir darüber selbst Rechenschaft ablegen kann. Es kam schließlich ganz einfach, wie selbstverständlich, wie die Erfüllung einer inneren Notwendigkeit – um mit meinem Verlobten zu reden.

Vorige Woche schlug Steffens Friederike und mir einen Ausflug nach Frascati vor. Wir waren froh, ihn von seinem verstümmelten Werk fortzubekommen, doppelt froh, daß er selbst die Initiative ergriffen hatte, und wunderten uns nur über die Wahl von Frascati. Denn er war seit vielen Jahren nicht dort gewesen, nicht einmal in Grottaferrata oder Marino.

Zu Friedrikens Leidwesen fuhren wir mit der Bahn, aber wenigstens mit dem ersten Zug, so daß wir den ganzen Tag vor uns hatten und mit allem Behagen auf Tuskulum im alten Theater frühstücken konnten.

Ich hatte die frühsommerliche Campagna noch nicht gesehen und lehnte, in einen Sommertagstraum versunken, aus dem Wagenfenster. Die Gemüsegärten und Felder waren von Hecken umzogen, an denen vor Blüten kein Blatt zu sehen war; Rosen, lauter Rosen! Dann begann die Campagna, einer jener Visionen gleichend, die ich mir von den Prärien machte, darin der alte, ewig junge Lederstrumpf seine Jagdgründe hatte. Aber hier umgaben die Blumenwildnisse das zertrümmerte alte Rom! Bogen der Wasserleitungen füllte riesiges Schilfrohr, und den Leib dieser Steinkolosse, die vom Gebirg her Rom zuzogen, vergoldete die Blüte des Fenchels. In weiten Strecken flammte das Land rot von Mohn. Es war, als brächen Blutströme aus dem Boden, der einst das Lebensblut ganzer Völkerschaften getrunken hatte. Dann wiederum schneeweiße und goldgelbe Gefilde, wo silbergraue Rinder weideten, die gerade nur mit dem mächtig gehörnten Haupt aus dem Blütenschwall auftauchten. Dazu schon frühmorgens in der Luft ein zarter Goldton, der das Sabinergebirge, auf dessen höchstem Gipfel noch Schnee lag, wie eine Fata Morgana erscheinen ließ.

Wenn ich jetzt die Augen schließe, so treten mir jene Landschaften, die ich an dem Morgen meines Verlobungstages sah, wie Bilder aus einer andern Welt vor die Seele. Seit jenem Morgen ist ja auch die Welt für mich eine andre geworden...

Der Bahnhof von Frascati liegt unterhalb einer hohen, steilen Böschung, die eine schöne Lauballee krönt. Hier setzten die holden Rosenwunder sich fort; nur daß hier breite Beete von blauen und weißen Lilien sie umrahmten. Dieser Bahnhof von Frascati ist wie die Pforte zu einem Ort, darüber in Blumenlettern geschrieben steht: Ihr, die ihr hier eingeht, lasset allen Kummer zurück.

Wir ließen unsern Kummer weit, weit zurück und wurden frohe Menschenkinder. Auch Friedrike trotz ihrer Sehnsucht nach Peter Paul und ihrer Sorge um das noch immer unentschiedene Geschick des großen Bildes; auch Steffens, trotz des Gespenstes seiner Vergangenheit, das an der blumigen Scholle dieses Freudentempels kauerte, wurde froh. Und nun gar erst ich, nicht ahnend, daß an dieser sonnigen Stätte mein Leben sich entscheiden sollte.

Zunächst begaben wir uns auf den hübschen Platz vor der Kirche des heiteren Weinstädtchens, um unsre Einkäufe zu machen: Schinken und Mortadella, Brot, frisch gepflückte Feigen – die ersten des Jahres – und ein Körbchen voll Erdbeeren. Friedrike erklärte uns: ein Picknick auf Tuskulum sei eine Sache, wie man sie so schön an keinem andern Ort der Welt erleben könne.

Dann gingen wir. Vorerst gelangten wir auf einen kleinen häßlichen Platz, wo sich eine antike Grabruine befindet; ein Schusterlein betrieb in der ehemaligen Totenkammer sein pochendes Handwerk. Friedrike deutete mit einer pathetischen Handbewegung auf ein Stück Mauer und erklärte in tragischem Ton »Das Grabmal Luculls!«

Und die Gute war enttäuscht, weil mich diese Kunde nicht tief ergriff. Aber Steffens zeigte auf ein benachbartes Haus, das an einen schönen Garten stieß, und sagte so leise, daß nur ich es hören konnte:

»Dort lag ich damals krank, und Maria pflegte mich.«

Ich sah ihn an und begegnete seinem Blick, der einen schönen, freundlichen Ausdruck hatte. Nun führte unser Weg bergan, zwischen Mauern hin. Friedrike überwand die Kränkung, die ich ihr zugefügt, machte den Führer und geriet mehr und mehr in Ekstase, obgleich wir noch immer einen miserabeln Weg zwischen abscheulichen Mauern emporstiegen.

»Prisca, dies ist die berühmte Villa Aldobrandini, auch Belvedere genannt. Im Park, hoch oben, ist eine Fontäne unter alten Ahornbäumen, an der sich Apollo und die Musen versammeln könnten. Aber Sie müssen herkommen und hier durch dieses Gitter sehen. Ist es nicht wundervoll? Im Vordergrund der antike Sarkophag und die Lichtung in den Steineichen und der Blick über die Ölwälder nach dem Sabinergebirge gerade auf die Villa Adriana und Tivoli! ... Und sehen Sie doch nur! Dort ist ja die Villa Falconieri, und wo die Zypressen stehen –«

Sie brach mitten im Satz ab und ward ganz rot vor Verwirrung.

Steffens fuhr fort:

»Dort liegt der Teich, von dem Sie gewiß gehört haben. Unsern Rückweg wollen wir über Camaldoli und Villa Falconieri nehmen, und ich zeige Ihnen das stille Gewässer unter den ernsten, schwarzen Bäumen. Der Ort hat einen mächtigen Zauber.«

Ich begegnete wieder seinen Augen. Dieses Mal nickte ich ihm zu. Ich glaube, ich lächelte dabei.

Ach, ich war so froh für ihn, so schwesterlich froh. Es war uns beiden lieb, daß Friedrike vor lauter Entzücken nur sich selbst zu Worte kommen ließ, und ihre Begeisterung steigerte sich mit jedem Schritt, denn mit jedem Schritt wurde es wonniger. Das ist der einzig richtige Ausdruck für diese Landschaft.

»Liebe Prisca, das ist das berühmte« – bei Friedrike ist jeder römische Stein berühmt – »Kapuzinerkloster. Vom Garten aus soll man eine unerhörte Aussicht haben. Es ist ein wahrer Jammer, daß wir Frauen nicht hinein dürfen... Meine beste Prisca, jetzt müssen Sie voller Andacht sein, hier ist klassischer Boden. Denn hier ist der Eingang zu Ciceros Villa. Hier, gerade hier lag sein berühmtes tuskulanisches Landhaus. Der Ausdruck: sein Tuskulum haben, rührt von diesem historischen Landhaus her. Sie finden das im ›Büchmann‹. Und den Cicerone machen, leitet sich natürlich von Marcus Tullius Cicero ab. Nun, und dieser nämliche berühmte Cicero hatte hier seine Villa, eben sein Tuskulum... Das Haus muß prachtvoll gewesen sein. Sehen Sie nur, dieses Stück Gebälk! Einfach prachtvoll, nicht wahr? Ja, diese Advokaten! Denn Cicero war Advokat, wie Sie ja wohl wissen werden... Welche Einsamkeit, welche Erhabenheit, nicht wahr, lieber Steffens? Stellen Sie sich vor, Prisca, in der heutigen Villa Tusculana wurde Lucian Bonaparte von Briganten überfallen, aber statt seiner ein Maler in die Abruzzen geschleppt. Washington Irving hat aus dem berühmten Überfall eine Novelle gemacht... Und das ist nun das sogenannte Zaubergärtchen. Doch einfach ein Zauber! Sie kennen ja Paul Heyses berühmte Novelle ›Villa Falconieri‹? Dieses Gärtchen kommt auch darin vor. Es ist doch zu interessant, das alles zu sehen... Jetzt werden wir bald auf Tuskulum sein... Jawohl, ja! Alle diese Böschungen sind antike Ruinen, und die herrlichsten Marmorstücke liegen hier wie Kieselsteine herum... Prisca! Diese Wiese mit der einsamen Pinie! Doch der reine Böcklin! Und der Blick auf Rocca di Papa und den Monte Cavo. Seht, ach, seht doch nur! Ach, dieses Tuskulum! Mit Peter Paul war ich mehr als hundertmal hier oben. Mein guter, armer Peter Paul dort drüben in dem gräßlichen Berlin!«

Ihre Wehmut machte sie etwas stiller, und erst als wir bei einem kleinen Pinienhain, der sogenannten Scuola di Cicero, die Höhe erreichten, brach ihr Enthusiasmus von neuem aus:

»Die Räume der Villa des Kaisers Tiberius. Doch einfach unerhört... Liebe Prisca, Sie müssen sich diese gewaltigen Trümmer genauer ansehen. Und der Blick hinunter: auf der einen Seite Frascati, die Campagna, Rom, auf der andern das öde Algidumtal. Hier ein Paradies, dort eine Wildnis. Nur hier können Sie solche Gegensätze finden ... Gleich werden Sie das berühmte Gespensterhaus sehen, und dicht dabei ist das Theater. Es soll uralt sein. Denn Tuskulum wurde vom Sohn des Odysseus und der Circe gegründet. Bitte, stellen Sie sich das einmal recht deutlich vor!«

Im Theater hielten wir eine köstliche Mahlzeit, bei der ein antiker Opferstein als Tisch diente. Den Schmuck unsers Symposions bildete roter Klee, der das ganze Halbrund des Theaters füllte, so daß es wie mit Purpur belegt erglühte. Das Summen der Insekten, der Lerchenjubel war unsre Tafelmusik. Blickten wir um uns, so spielte uns die Weltgeschichte mit Zuhilfenahme unsrer Phantasie Komödie vor. Es war allerdings ein Trauerspiel.

Friedrike hatte natürlich ihren treuen Gefährten, den Pompadour, bei sich. Er hatte unsre gesamten Vorräte geborgen, war jetzt leer und mußte – das gehörte sich nun einmal so – mit Frascataner Blumen gefüllt nach Hause gebracht werden. So kam's, daß, als wir zum Zypressenteich der Villa Falconieri gelangten, wir beide allein blieben.

Ich saß auf einem der Felsblöcke, die am Rand des stillen Gewässer« liegen, und Welt und Leben versanken mir unter dem melancholischen Eindruck der Stätte. Es war freilich schön, aber von jener Schönheit, die traurig, tieftraurig macht, denn sie erfüllt das Gemüt mit unendlicher Sehnsucht. Nicht mit Sehnsucht nach Glück. Nein, nein! Nicht nach selbstsüchtigem Menschenglück.

Sehnsucht nach dem Guten, dem Hohen, dem Höchsten! Sehnsucht nach Entsagung, nach Selbstverleugnung, Sehnsucht nach einem Etwas, das nicht von dieser Erde ist!

Da trat er neben mich, neigte sich zu mir herab und sagte leise:

»Sie haben durch Ihre lichte Gegenwart für mich diese Stätte von dem Dämon ihrer dunkeln Erinnerung gereinigt; Sie haben mein ganzes Leben mit einer Weihe erfüllt. Wollen Sie als mein guter Geist bei mir bleiben?«

Ich wendete mich nach ihm um, sah ihn an und antwortete:

»Ich will Ihr Weib sein.«


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