Richard Voß
Römisches Fieber
Richard Voß

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17. Die Fürstin Romanowska

Die Liebesgeschichte der Fürstin Romanowska war höchst einfach, ganz und gar nicht romantisch gewesen.

Der Fürst sah Maria in Rom über die Straße gehen und faßte sogleich eine leidenschaftliche Neigung zu der wunderschönen Person; in der Tat die leidenschaftlichste seines Lebens, was bei dem Fürsten Alexander Romanowski viel sagen wollte, denn die Galanterien des heißblütigen und ritterlichen Polen erfreuten sich eines europäischen Rufes.

Als der Fürst Maria zum ersten Male sah, war er bereits ein hoher Fünfziger, aber noch immer eine Erscheinung von so unangekränkelter Männlichkeit und faszinierender Noblesse, daß es verständlich gewesen wäre, wenn ein achtzehnjähriges Mädchen sich ernstlich in ihn verliebt hätte.

Eine schlanke, fast zarte Gestalt; ein schmales, ganz blasses Gesicht, dunkle, träumerische Augen und Lippen von einer fast weiblichen Weichheit und Anmut. Sein kurz gehaltenes Haar war schneeweiß, sein schöner Schnurrbart stark gefärbt. Aber erst wenn er sprach, empfand eine Frau den Zauber seiner slawischen Rasse, und auf viele wirkte der blasse Ton seiner Stimme, die sehr leise war, wie eine seelische Liebkosung.

Der Fürst war ein berühmter Schütze und Schläger. Die Körperhaft des feinen, zierlichen Mannes war so groß, daß man sich von ihm das Jägerstücklein erzählte, wie er in seinen polnischen Waldungen mit einer angeschossenen Bärin gerungen und sie erwürgt habe.

Er war strenger Katholik, Kämmerer und Liebling Seiner Heiligkeit, eine Säule der apostolischen Mission, der er geheime und wichtige Dienste leistete.

In dem Atelier eines Künstlers, dem Maria Modell stand und der dem Fürsten stark verpflichtet war, lernte dieser sie kennen. Seine Absicht war durchaus keine andre und bessere, als sie das bei vielen schönen Frauen gewesen war. Gewöhnt, sein Ziel nur zu bald zu erreichen, mußte der blasierte Lebemann sehr schnell einsehen, daß das bei dieser Schönen nicht der Fall sein würde. Zuerst betroffen, fühlte er sich schließlich ganz entzückt; aber niemand könnte seine eigne Verwunderung schildern, als ihm plötzlich der Gedanke kam: nein, nicht deine Geliebte, aber – deine Frau.

Sofort begann er, immer in dem Atelier jenes Künstlers, sich ernstlich um die Gnade der spröden Schönen zu bemühen, und zwar mit einem Eifer, wie er ihn nicht an den Tag gelegt haben würde, um die Gunst einer gefeierten Modedame zu erringen. Er war so liebenswürdig, so ritterlich, so anmutig, wußte seinen Worten durch den schmelzenden Ton, durch seine melancholischen Augen solchen starken Nachdruck zu geben, daß er nach einiger Zeit mit seinem Kennerblick herausfand: sie ist dir gewogen, ist dir gewonnen! Ein andrer hätte jetzt vielleicht nochmals den Versuch gemacht, jene erste Absicht zu erreichen, und möglich sogar, daß es ihm gelungen wäre.

Fürst Alexander sagte sich das mit voller Klarheit selbst, ging zu Maria und – warb um ihre Hand, um die Hand des Modells.

Bevor Maria antwortete, ja, sie wolle so gnädig sein, Fürstin Romanowska zu werden, erhielt der Fürst Alexander aus ihrem Munde eine überraschende Mitteilung.

In einem Alter von sechzehn Jahren hatte sie sich schon einmal verheiratet. Sogar verliebt war sie in ihren Mann gewesen, einen blutjungen, bildhübschen, blonden Künstler, den sie in quella brutta Germania kennen gelernt hatte, als gerade ihr Vater gestorben war. Frischweg heiratete das Pärchen.

Sie war so jung, so töricht, so unerfahren gewesen, hatte ihrem ebenso törichten, unerfahrenen jungen Mann das Leben sauer genug gemacht und es dann doch nicht bei ihm ausgehalten – unmöglich! Sie war fortgelaufen. Jawohl! Schlecht und schändlich genug war sie von ihrem guten, armen Muse fortgelaufen! Und das, als sie gerade ... Madonna, was für ein schlechtes Geschöpf sie gewesen war!

Sie hatte dann freilich Reue genug gefühlt, aber zurückzukehren, wo sie doch fortgelaufen war, als sie gerade – – Gott sei ihrer armen Seele gnädig!

Zurückkehren konnte sie nicht! Sie hätte sich zu Tode schämen müssen, nicht nur ihren guten armen Giusé verlassen zu haben, sondern auch ...

Oh, wie schlecht und schändlich und voller Sünde war sie gewesen! Das war nun alles schon lange her und sie seitdem eine andre, ganz andre geworden. Und jetzt war ihr armer, guter Giusé, dem sie ein volles Jahr das Leben sauer gemacht hatte, tot und begraben. Das hatte sie zufällig durch ein Modell erfahren, das in quella brutta Germania ihren armen, guten Giusé gekannt hatte. So war es also. Basta.

Da es nun einmal so war, ließ sich nichts dagegen tun. Überdies war alles durchaus der Ordnung gemäß zugegangen: standesamtliche und kirchliche Trauung, Trennung, Tod des Ehemannes. Fürst Alexander würde den armen, guten Guisé in die Heimat des Pfeffers gewünscht haben, wenn dieser sich nicht schon einen andern stillen Fleck Erde ausgesucht gehabt hätte, wo er von dem einen bösen Lebensjahr, das ihm seine Maria bereitet, bequem ausruhen konnte. Fürst Alexander gönnte seinem Vorgänger in dem Besitz des prachtvollen Geschöpfes sowohl das eine böse Lebensjahr, als auch jetzt die ewige Ruhe von Herzen, froh, daß es keines Dispenses des Heiligen Vaters bedurfte, um die Ehe zu trennen. Denn getrennt werden hätte sie unter allen Umständen müssen: was der Fürst Romanowski einmal besitzen wollte, das mußte er haben.

Über den guten Ruf Marias Erkundigungen einzuziehen, unterließ der Fürst. Erstens hatte er von ihrem Stolz, ihrer Sprödigkeit vernommen, noch ehe er sie gesehen; zweitens, und für ihn am meisten bestimmend, hatte er darüber seine eignen Erfahrungen gemacht, die diesen Ruf in überraschendster Weise bestätigten. So wiederholte er denn seine Werbung und wurde angenommen, was ihn in einen Zustand von Verliebtheit und Glück versetzte, den er selbst früher für unmöglich gehalten hätte.

Es wurde ausgemacht, daß die Verlobung strenges Geheimnis bleiben sollte; der Fürst sandte seinen Privatsekretär nach München, um dort den Tod des armen, guten Giusé sich gerichtlich bescheinigen zu lassen; er selbst begab sich nach Warschau, wo eine wichtige Angelegenheit sein persönliches Erscheinen erforderte, und Maria fand eine würdige Unterkunft in einem der vornehmsten römischen Klöster, mit dessen Priorin der Fürst vor seiner Abreise eine lange Besprechung gehabt hatte.

Nie wieder sprach später die Fürstin Romanowska zu ihrem Gatten von jener Periode ihres Lebens und ihrer Jugendliebe für den armen, guten, bildhübschen Giusä.

Als der Fürst mit dem Totenschein Joseph Auzingers in seinem Portefeuille zurückkam, eilte er, verliebter denn je, in das fromme Haus, wo die schöne Maria inzwischen eingekleidet worden war; nicht als Nonne und Braut Christi, sondern als Weltdame und Braut des Fürsten Alexander Romanowski. Selbst der polnische Standesherr, dieser Grandseigneur par excellence, war überrascht, als sie ihm entgegentrat: in einem Tailor made dress aus schwarzem Tuch, in moderner Frisur, in einer Haltung, mit der sie einen Souverän hätte empfangen können.

Von einer weiteren Erziehung des Modells zur vollendeten Weltdame und Fürstin Romanowska wollte Fürst Alexander durchaus nichts hören. Sie waren beide nicht mehr jung? und wer so ging, sich so bewegte, so sein Haupt trug, so einen Schal sich umlegen ließ, der brauchte wahrhaftig nicht noch erst erzogen zu werden. Eine königliche Prinzeß hätte von Maria das Grüßen lernen können.

Sie konnte freilich weder schreiben noch lesen. Das würde er seine Frau lehren, und köstliche Lektionen sollten es werden. Französisch mußte sie natürlich sprechen, und zwar ein perfektes Französisch nach dem Vokabular der Pariser Akademie. Man mußte eine ältere distinguierte Dame finden, und binnen eines Jahres würde außer dem Lesen und Schreiben auch das vollbracht sein. Ein Jahr tiefster Zurückgezogenheit, teils in einem idyllischen Landhause in verschönen Provence, teils auf einem prächtigen Schloß in Polen, würde für den jungen Gatten ein Jahr der Glückseligkeit bedeuten.

In Rom war die Sache merkwürdigerweise wirklich tiefes Geheimnis geblieben. Man wußte, daß Maria ein durch und durch kapriziöses Geschöpf war, und als sie plötzlich ausblieb, mußte man sich eben darein finden. Sie würde schon wiederkommen. Inzwischen trat Fürst Alexander von neuem eine Reise an. Er begab sich nach Paris, um dort die übliche ältere distinguierte Dame zu engagieren und in eigner Person für seine Braut die Ausstattung zu bestellen. Es wurde ein Trousseau, der verdient haben würde, in den Journalen eingehend beschrieben zu werden, und sicher die Beachtung auch der subtilsten Dame von der Welt errungen hätte.

Mit der neu engagierten Pariserin reiste der Fürst an einen kleinen Ort der französischen Riviera, wo, von einer Klosterschwester begleitet, alsbald auch die Braut eintraf. Und schon am folgenden Tage fand in Gegenwart nur der gesetzlich notwendigen Zeugen die Trauung statt. Am Abend desselben Tages bereits brachte die »Tribuna« in Rom ein langes Telegramm über die sensationelle Vermählung eines polnischen Grandseigneurs mit einem römischen Modell, der berühmten Maria von Rocca. Einige Tage später erhielt die Familie des Fürsten, erhielten seine sämtlichen Freunde und Bekannte in allen Teilen Europas folgende Anzeige:

Prince Alexandre de Romanowski
Princesse Maria de Romanowska
née Campana
mariés.
St. Joice, prés de Nice 1889.

Dem teils in einem Landhause der Provence, teils auf einem Schloß in Polen zugebrachten ersten Jahr folgte ein zweites, mit einer vollen Saison in Paris; ein drittes Jahr mit einer Londoner Season. Zier wie dort wurde die Fürstin Romanowska in allen tonangebenden Salons empfangen, hier wie dort erregte ihre große Schönheit und vorzügliche Haltung Sensation.

Inzwischen war die Villa vor Porta Pia, deren Bau der Fürst im Jahre seiner Heirat hatte beginnen lassen, fertig geworden und in allen ihren Teilen prachtvoll ausgefallen. Die gesamte innere Einrichtung hatte ein namhafter englischer Künstler übernommen; sie war ein Nonplusultra von feinstem künstlerischem Geschmack und von einer raffinierten Behaglichkeit.

Das Boudoir der Fürstin, mit einem von Siemeradzki gemalten Plafond und Fries, war mit silbergrauem Atlas ausgeschlagen, das Holzwerk der Möbel mit einem reichen, höchst originellen Ornament aus Kupferplatten verziert; die Möbel selbst mit weißem Leder überzogen, darauf der Pinsel des berühmten Polen entzückende Putten und Blumenstücke gezaubert hatte. In den Samt der Vorhänge und Draperien von einem lichten Lila waren weiße Orchideen höchst kunstvoll eingewirkt. Dazu ein Teppich von dunkelrotem Scharlach. Das Schlafgemach der schönen Frau nannte der Künstler selbst einen Farbentraum in Gelb; aber sein Meisterstück war die Toilette Ihrer Durchlaucht: ein großer Kuppelraum mit Oberlicht, dessen Einrichtung, Decke, Wände, Holzwerk, Möbel und Vorhänge in den zartesten Farben gehalten waren. Ein blütenweißer Teppich bedeckte den Boden. Das elektrische Licht brannte in märchenhaften Blumen, welche die hohen Spiegel umrankten und von der Decke herabhingen. Das Bad aus rosigem Marmor stieß an einen Wintergarten, darin zu jeder Jahreszeit nur weiße Blumen blühten; denn Weiß war die Lieblingsfarbe der Fürstin.

Bereits im Frühjahr vor dem Einzug des fürstlichen Paares war aus Warschau die berühmte Galerie Romanowska in Rom eingetroffen und in den Gesellschaftsräumen der Villa untergebracht worden. Für Fremde sollte die Sammlung, die verschiedene Perlen der altitalienischen Malerschule besah, streng geschlossen bleiben.

Im Herbst trafen die Herrschaften ein. Die große Welt befand sich noch in Villeggiatur, so daß die Romanowski mit den letzten persönlichen Details ihrer Einrichtung bequem fertig werden konnten, bevor sie ihre Besuche machten.

Ebensogut wie in Rom hätten sie ihren ständigen Wohnsitz in Paris oder London nehmen können, wo überall die Fürstin die allgemeinste Bewunderung erregt hatte. Aber der Fürst wünschte, daß es Rom sein sollte, gerade in der römischen Gesellschaft sollte die Fürstin glänzen. Sein Fortbleiben von Rom hätte von böswilliger Seite leicht als Feigheit ausgelegt werden können, und es gibt auf der weiten Welt nichts Böswilligeres als die große Welt. Die Fürstin konnte erst dann als völlig von der Gesellschaft akzeptiert gelten, wenn das in Rom geschehen war. Der bloße Gedanke: man könnte meinen, er scheute sich, mit seiner Frau in der italienischen Kapitale zu leben, trieb dem Fürsten Alexander das Blut zu Kopf.

Überdies verlangten seine intimen Beziehungen zum Vatikan alljährlich einen langen römischen Aufenthalt.

Also kamen die Romanowski nach Rom, wollten dort bleiben.

Seit drei Jahren hatten Agenten des Fürsten alles aufkaufen müssen, was seinerzeit in Paris und Rom an Bildwerken angefertigt worden war, zu denen Maria Modell gestanden hatte. Die höchsten Preise wurden bewilligt. Trotzdem erforderte der Erwerb oft nur einer Skizze häufig die größte Ausdauer und Gewandtheit der Unterhändler. Lange Korrespondenzen waren notwendig, Reisen mußten unternommen werden, und doch konnte, trotz allem Eifer und aller Geschicklichkeit der Aufkäufer, nur ein Teil jener großen Maria-Galerie zusammengebracht werden. Diese erhielt in der römischen Villa Aufstellung in einem Raum, der an das Arbeitskabinett des Fürsten stieß und nur von diesem betreten werden durfte.

Mit einem Künstler jedoch trat der Fürst persönlich in Beziehung.

Karl Steffens hatte seine in Marmor vollendete Gruppe, die »Tochter der Semiramis«, nicht nur nicht ausgestellt, sondern hinter jenem Vorhang aus Purpurseide sie jedem Blick entzogen. Er verbarg sie, obgleich von dem Erfolg, den das Kunstwerk sicher haben und der zweifellos ein ungeheurer sein würde, seine Zukunft abhing.

Seine einzige Freude, die beiden alten Römer, waren auch die einzigen, welche die Gruppe zu sehen bekamen. Sie standen mit erhobenen Händen und erhobenen Seelen davor und baten ihn flehentlich, auszustellen: zunächst in Rom, dann überall in allen Hauptstädten Europas. Fräulein Friedrike vergoß heiße Tränen und besaß den Mut, trotz aller schroffen Abweisung, den halsstarrigen und sensitiven Künstler immer wieder und wieder mit Bitten anzugehen, ihm teils in beweglichen, teils in hohen Worten vorstellend, wie es seine heilige Pflicht sei – gegen sein Künstlertum sowohl wie gegen die Menschheit –, sein Werk der Öffentlichkeit zu übergeben; und sie fuhr mit Bitten und Betteln fort, bis er ihr einmal sehr ernsthaft erwiderte:

»Wenn ich meine Gruppe ausstelle, werde ich vielleicht Erfolg haben, aber ich werde damit zugleich die Frau kompromittieren, die ich liebe. Diese Frau ist jetzt die Gattin eines vornehmen Mannes und hat meinethalben ihren Ruf schon einmal aufs Spiel gesetzt, worin ich nur einen Grund mehr sehe, als anständiger Mensch zu handeln. Sie, liebe Freundin, sind gewiß die allerletzte, mir zu etwas zuzureden, das ich nicht anständig finden kann.«

Das gute Fräulein Friedrike rang die Hände, schwieg und erwähnte nie wieder auch nur mit einer Silbe die Angelegenheit, nachdem sie sich mit ihrem getreuen Peter Paul des langen und breiten über den kuriosen Menschen ausgesprochen hatte. In der bewundernden Achtung des Pärleins war Karl Steffens nach diesem Vorfall womöglich noch gestiegen. Sie verdoppelten ihre zarte Rücksicht auf die oft schwer zu ertragenden Launen und düsteren Stimmungen ihres Freundes, und Fräulein Friedrike lud ihn möglichst häufig zu ihren kleinen Teeabenden ein, die drei Tellerlein nach besten Kräften mit Orangen, Biskuits und belegten Brötchen füllend, während Peter Paul regelmäßig aus einer Osteria in der Nähe der Rotunde die Fogliette mit vero vino dei castelli romani herbeitrug und dazu das große Glas aus der Wirtschaft seiner Freundin auf den Tisch stellte. Das war alles, was die beiden für Karl Steffens zu tun vermochten, der allmählich von neuem in Apathie versunken war, ein Zustand, in welchem er die von Zeit zu Zeit sich wiederholenden, immer glänzenderen Anträge des Commendatore Mario di Mariano mit wachsender Heftigkeit zurückwies und sich auf seine eigne Manier sein römisches Brot verdiente, das oft wenig genug war.

Da hätte er plötzlich zum reichen Mann werden können, und das auf die ehrlichste Weise.

Eines Oktobertages erschien in seinem Studio, darin es womöglich noch öder und armseliger aussah als bei jenem ersten Besuche des großen Mannes, ein älterer Herr mit seinem, wachsbleichen Gesicht, mit dunkeln, feurigen Augen und prachtvollem, kohlschwarzem Schnurrbart. Als der mit höchster englischer Eleganz gekleidete Besucher seinen Zylinder abnahm und den Künstler aufs höflichste grüßte, sah Steffens, daß das Haar der interessanten Männererscheinung weiß war.

Er trat ein und stellte sich Steffens vor:

»Fürst Romanowski.«

Steffens verneigte sich ungeschickt.

»Ich komme selbst zu Ihnen, um persönlich mit Ihnen eine Angelegenheit abzumachen.«

»Bitte.«

Steffens bot dem Fürsten keinen Stuhl an. Die beiden Männer, die sich bis dahin nie gesehen, standen einander gegenüber, maßen sich schweigend und fühlten in diesem Augenblick beide, daß sie Feinde waren, Feinde auf Leben und Tod.

Der Fürst dachte: ›Er ist bizarr häßlich, aber er hat etwas von einem bedeutenden Menschen an sich. Nun, wir werden ja sehen.‹

Mit seiner weichen Stimme, die sich wie eine Melodie in die Seele schmeichelte, begann Fürst Alexander von neuem, immerfort stehend und immerfort das Gesicht des Künstlers fixierend:

»Sie sind doch der deutsche Künstler, der eine Statue von der ›Tochter der Semiramis‹ machte? Es war vor mehreren Jahren, und Sie wohnten damals in der Nähe des Kolosseums.«

»Ich bin der deutsche Künstler.«

»Diese Statue befindet sich noch immer in Ihrem Besitz?«

»Ganz richtig, noch immer.«

»Weshalb stellten Sie dieselbe eigentlich nie aus?«

»Das ist doch wohl meine eigne Angelegenheit.«

Der Fürst verneigte sich verbindlich.

»Durchaus nur Ihre eigne Angelegenheit ... Sie führten die Statue bis jetzt – es ist ja wohl eine Gruppe?«

»Eine Gruppe.«

»Sie führten dieselbe bisher nur in Gips aus? Ich möchte sie bei Ihnen in Marmor bestellen.«

»Sehr gütig.«

»Könnte ich Ihr Werk sehen?«

»Nein.«

»Wie?«

»Ich zeige es nicht.«

»Nicht jedem, was ich begreiflich finde.« Er lächelte. »Aber doch gewiß einem Besteller?«

»Ich zeige es nicht.«

In den Augen des Fürsten leuchtete es auf.

»Wollen Sie damit sagen, daß Sie meine Bestellung nicht annehmen?«

»Ja.«

»Sie wollen Ihre ›Tochter der Semiramis‹ für mich nicht in Marmor ausführen?«

»Ich habe sie bereits in Marmor ausgeführt; aber ...«

Der Fürst unterdrückte einen Ausruf, Steffens fuhr mit derselben Ruhe fort: »Aber für mich selbst.«

»Oh, nur für Sie selbst?«

»So sagte ich.«

»Und Sie wollen mir Ihr in Marmor ausgeführtes Werk zu keinem Preis, unter keinen Umständen überlassen?«

»Zu keinem Preis, unter keinen Umständen.«

»Nicht dem Fürsten Romanowski?«

»Weder diesem noch irgendeinem andern.«

»Ah!«

Es war nur ein Laut gewesen, aber es lag darin etwas, das dem Ton ähnlich war, mit dem sich ein Mensch auf den verhaßten Gegner stürzt – mit einem Dolch oder Pistol in der Hand.

Aber gleich darauf lächelte Fürst Alexander wieder. Lächelnd und mit leiser Stimme, die so weich wie eine Liebkosung war, sagte er nachlässig: »Sie werden sich die Sache sicher überlegen.«

»Das tat ich bereits.«

»Vielleicht erinnern Sie sich, daß ich ein Recht auf jene Gruppe besitze?«

»Sie ein Recht auf mein Werk?!«

»Nun denn, ich will ein Recht darauf besitzen. Verstehen Sie wohl, ich will!«

»Ich verstehe Durchlaucht ganz und gar nicht.«

»Sie sind ein Unverschämter!«

An dem Morgen des zweiten Tages nach diesem Vorfall fand im Hain der Egeria das Duell statt. Es lautete auf Pistolen, zehn Schritte Distanz, und es sollte bis zur Kampfunfähigkeit eines der Duellanten geschossen werden. Ein junger französischer Attaché sekundierte dem Fürsten, Peter Paul dem beleidigten Karl Steffens.

Dieser hatte den ersten Schuß; er fehlte.

Der Fürst erhob die Waffe, lächelte, zielte auf des Künstlers rechten Arm, lächelte, wollte losdrücken, zauderte, ließ das Pistol etwas sinken, lächelte wieder, murmelte:

»Ein Finger genügt.«

Er schoß. Die Waffe entsank des Künstlers Hand, sein kleiner Finger war abgeschossen, das Duell beendet.

Fräulein Friedrike pflegte den Verletzten, der in ein heftiges Wundfieber verfiel. Einmal, als Steffens eingeschlafen war, schlich sich Signorina Rica an sein Lager, beugte sich tief herab und drückte ihre welken Lippen auf die Wunde. Dabei wurde sie so rot wie ein junges Mädchen, das dem Geliebten den ersten Kuh gibt.

Durch seine »Tochter der Semiramis«, die kein Auge je zu sehen bekam, konnte Karl Steffens kein berühmter Mann werden. Aber er wurde es durch sein Duell mit dem Fürsten Romanowski, das ihm einen Finger der rechten Hand kostete. Wenn ein Modell dem brutto tedesco begegnete, so konnte man sicher sein, daß es auf dessen verstümmelte Hand stierte, dabei jedoch mit tiefem Respekt grüßte. Dasselbe taten auch andre. Übrigens hätte der fehlende Finger Steffens nicht gehindert, ein wahrer Michelangelo zu werden; aber sein Gemüt stand wieder von neuem ganz unter dem Zeichen der Zypressen.

Zu allem übrigen, was diesen Künstlergeist aus seinen Bahnen riß, kam noch hinzu, daß er mit vieler Kunst und Selbstquälerei sich fort und fort sagte: ›Er wollte mich großmütig schonen! Darum traf er nur den einen Finger! Hätte er lieber den ganzen Arm verstümmelt, als an mir Großmut zu üben. Dieser Aristokrat Großmut an mir!‹

*

Sodann machte die Fürstin Romanowska ihren Eintritt in die römische große Welt, die auf dieses Debüt so neugierig war wie auf eine Premiere von Sardou mit Eleonore Duse und Signor Ando.

Das erste große Ereignis im römischen Leben der Fürstin war ihr Besuch im Vatikan, wo der Heilige Vater sie und den Fürsten in besonderer Audienz empfing und gütig und liebreich gegen die Gemahlin seines Günstlings war. Mit leuchtenden Blicken kamen beide von dieser Audienz zurück.

Darauf warfen die Romanowski ihre Karten ab; zuerst in den Häusern der schwarzen Partei, darauf in einigen weniger grauen Salons und in der kosmopolitischen Fremdenkolonie. Da die Saison noch nicht begonnen hatte, wurde die Fürstin einstweilen nur bei der täglichen Korsofahrt gesehen. Das erste, was man an ihr bemerkte, war ihr Kostüm; an trüben Tagen stets schwarz, an hellen stets weiß, und immer vom besten Geschmack, war sie geradezu hervorragend in ihren Hüten. Was ihre Art zu grüßen anbetraf, so war dieselbe stupend, geradezu stupend! Man erzählte sich von einigen Herren, daß sie nachmittags an verschiedenen Orten sich aufstellten: auf der großen Pincioterrasse, am Spanischen Platz und im Korso, um vor der Principessa Maria den Hut zu ziehen und sie dreimal grüßen zu sehen.

Wenn die Equipage des fürstlichen Paares auf dem Pincio hielt, war sie schon im nächsten Augenblick vollständig umringt. Während die Kapelle aus »Lohengrin«, »Carmen« und der »Cavalleria Rusticana« spielte, hielt man eine jener kleinen Konversationen ab, wie sie nur der Südländer kennt. Die Fürstin sprach wenig, aber immer mit der nämlichen erstaunlichen Haltung, die auch in ihrem Gruße lag.

Sie äußerte über das neueste Ballett im Costanzi, über das neueste Schauspiel im Valle ebensogut einige passende Worte wie über den neuesten Roman von Gabriele d'Annunzio oder Marcel Prevost. Sprach sie Französisch, so hatte man Gelegenheit, mit eignen Ohren zu hören, daß ihr Pariser Akzent tadellos war.

Die Unterhaltung wurde denn auch von Wagen zu Wagen geführt, die auf dem schönsten Platz der Welt dicht nebeneinander gereiht standen. Zu Wagen fand hier der erste flüchtige Verkehr mit den Damen der schwarzen Gesellschaft statt. Der Fürst stellte seine Gemahlin so und so vielen Herzoginnen, Prinzessinnen und Marchesen in einer Weise vor, die ebenso mutig wie würdevoll war und von jenen Damen ganz ehrenwert befunden ward.

Nachmittag für Nachmittag war es dasselbe.

Nach einem mehr oder minder kurzen Halt setzten sich die Equipagen von neuem in Bewegung, über den Pincio hinunter zur Piazza del Popolo, durch den Korso zum Spanischen Platz. Hier wurde bei der Fontäne ein zweites Mal gehalten. Sogleich sammelten sich sämtliche Blumenverkäufer um den fürstlichen Wagen, der dann mitten in einem Blütengefilde stand. Die Principessa kaufte so viele Blumen, als im Wagen nur untergebracht werden konnten. Doch nur weiße Blumen. Die Verkäufer wußten das und richteten ihre duftige Ware danach ein. Weiße Rosen, weiße Levkoyen, weiße Azaleen, Nelken, Hyazinthen, Margueriten. Oft, wenn ein Fremder am Spanischen Platz zur späten Korsostunde einen Strauß weißer Blüten kaufen wollte, wurde ihm gesagt:

»Diese Blumen gehören der Principessa.«

Jedesmal, wenn der fürstliche Wagen beim Brunnen auf dem Spanischen Platze hielt, stellten sich in einiger Entfernung die Modelle auf. Die goldene römische Jugend wußte das, und es gehörte zum Schick, zu sehen, wie die Fürstin Romanowska die Modelle grüßte: ganz anders, als sie selbst von der schönen Frau gegrüßt wurden: lächelnd, freundlich, vertraulich. Nein, die Fürstin Romanowska wollte keinen Augenblick verleugnen, daß sie die Maria von Rocca gewesen war. Der Fürst erschien dabei durchaus ungeniert und ganz d'accord mit seiner Gemahlin zu sein. Das flößte sogar der Jeunesse dorée Respekt ein. Aber vollständig vergessen haben mußte die schöne Frau, daß sie nach jener Frascataner Villeggiatur bei den Modellen in offenbarer Verachtung gestanden.

Eine dritte, ganz besondere Art zu glühen, zeigte sie gegen eine bestimmte Person. Es war dies ein Fremder, ein deutscher Künstler.

So oft ihr Wagen durch den Korso fuhr und beim Café Aragno die Ecke der Via delle Vite passierte, richteten sich die Augen der Fürstin wie magnetisch angezogen hinüber auf einen bestimmten Punkt. Und nur mit den Augen grüßte sie Karl Steffens, der jeden Nachmittag dort stand, um sich von diesen großen und mächtigen Augen grüßen zu lassen, so fremd und kalt das auch geschah. Aber mit einem Etwas darin, das wie – ja, wie was war?

Aber dieses geheimnisvolle Etwas zu grübeln und immer wieder zu grübeln, damit verbrachte Karl Steffens jetzt seine Stunden und Tage. Häufig war's ihm, als hätte er den Blick enträtselt und seine stille Meinung verstanden: in dem Blick der Fürstin Romanowska war etwas wie Haß.

*

Unter den Fremden aller Nationen, die für den Winter nach Rom gekommen waren, befanden sich Bekannte der Romanowska aus Paris und London. Andre wieder waren mehr oder minder nur mit Fürst Alexander liiert. Alle diese machten in der Villa Romanowska Besuch. Diejenigen, welche die Fürstin noch nicht kannten und das erstemal aus Neugierde erschienen, kamen bereits das zweitemal aus Interesse. Selbst die Argwöhnischsten und Mißgünstigsten mußten gestehen, daß sie, auf das ehemalige Modell gefaßt, eine grande dame gefunden hatten. Viele waren aufrichtig von ihr entzückt, darunter sogar einige Damen.

Es war allgemein bekannt, daß in Paris und London der Fürstin die ernsthaftesten Huldigungen dargebracht worden waren. Das war natürlich auch in Rom der Fall, womöglich in erhöhtem Maße. Aber die betreffenden Herren hatten entweder zu großen Respekt vor dem Charakter des Fürsten oder zu lebhafte Scheu, mit einem der besten Pistolenschützen intime Bekanntschaft zu machen, als daß das mindeste Pikante sich ereignet hätte, wie sehr auch von mancher Seite darauf gewartet wurde. Auch hätte man ebensogut einer Souveränin eine Erklärung machen können, als dieser ehemaligen Maria von Rocca di Papa.

Für die Intimen des Hauses Romanowski war jeden Dienstag und Freitag abends nach zehn Uhr in den Gemächern der Fürstin Empfang, und jeden Sonntag wurde für sieben Uhr zum Diner geladen, doch nie mehr als acht Personen.

Der fürstliche Koch, ein Toskaner, war selbst in Paris wegen seiner Saucen und petits plats berühmt gewesen; und die Blumenarrangements der Tafel galten für Meisterwerke der Gärtnerkunst. Vollends in Rom, wo die feinste und anmutigste Form des geselligen Verkehrs – kleine, intime Mittagessen, wenig gepflegt wird, erregten die Romanowskischen Diners Aufsehen.

Dann begannen in der Gesellschaft die ersten Empfänge und Routs, und jetzt erst kam die hohe schwarze Aristokratie der italienischen Kapitale dazu, die Fürstin näher zu betrachten. Je glänzender ihr Entree in der andern großen Welt ausgefallen war, um so vorsichtiger trat man ihr entgegen. Aber auch hier errang sie einen vollständigen Sieg, und als die Romanowski ihren ersten Ball gaben, wurden nur wenige Einladungen abgelehnt.

Auf diesem ersten Ball in ihrem Hause erschien die Prinzessin Maria in einer Robe aus Silberbrokat und trug ein Glanzstück des Romanowskischen Familienschmucks, die berühmten Smaragden.

Fürst Alexander war während des ganzen Abends etwas nervös. Heimlich beobachtete er seine schöne Frau unausgesetzt. Als die Gäste sich entfernt hatten und die Gatten allein waren, machte er seiner Frau eine zweite Liebeserklärung, die womöglich noch feuriger ausfiel, als die erste gewesen.


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