Richard Voß
Römisches Fieber
Richard Voß

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12. Das große Bild

Trotz Priscas Bemühungen, den Abend nach dem effektvollen Abgang des Genies zu retten, blieb es so ziemlich ein gestörtes Opferfest. Die beiden alten Römer versuchten bald den rauhen Germanen zu entschuldigen, bald ihr geliebtes Rom in Schutz zu nehmen, und sie verteidigten denn auch das Kapitol mit einem Heldenmut, der an die hehre Zeit der Republik erinnerte.

Signora Rica klagte:

»Ich habe zwar auch gefragt: Sie wollen hier malen? Ich war überhaupt gar nicht sehr freundlich gegen Sie. Das kam daher, weil wir Sie nicht kannten. Ach, und weil wir gegen alle, die nach Rom kommen, nun einmal großes Mißtrauen hegen. Da dachten wir eben, Sie waren auch nur hier, um alles zu bemäkeln und zu bekritteln. Denn stellen Sie sich vor, es gibt solche Menschen. Aber nun wir Sie kennen, sagen wir Ihnen: bleiben Sie! Ja, und malen Sie! Sie werden Ihr Wunder erleben, wie Sie sich hier entwickeln und auswachsen. Denn wenn man ein Künstler ist, kein moderner oder arg hypermoderner, dann, mein liebes Fräulein –

»Es ist ja wahr, daß hier viele an Rom zugrunde gehen. Aber glauben Sie uns, um die ist es dann auch weiter nicht schade. Und nun gar Sie mit Ihren klaren, prachtvollen Augen und Ihrer klaren, festen Seele ... Sie sehen, wie gut wir Sie bereits kennen.

»Wie sollen wir Ihnen nur sagen, was Rom für Tausende und Abertausende geworden ist, die mühselig und beladen waren und die alle ihre Heilung hier fanden. Wer ein großes Leid in der Seele trägt, wer vom Leben schwer enttäuscht ward, wer ein köstliches Glück begraben hat und wer entsagen muß – er soll nur herkommen unter den römischen Himmel!

»Und sie kommen alle, alle, die unter einem grauen Himmel nach Schönheit sich sehnen, nach jener Schönheit, die Seele hat. Sehen Sie, liebes Fräulein, sagen läßt es sich nicht, was für solchen armen Erdenwurm diese einzige Stadt ist.«

Am nächsten Morgen erschien Signorina Rica bei Prisca, um ihr mit feierlichem Gesicht die Mitteilung zu machen, sie und Peter Paul hätten beschlossen, das »liebe« Fräulein Auzinger mit der großen Sache ihres Lebens bekannt zu machen.

Diese große Sache war das große Bild, woran Peter Paul seit fast vierzig Jahren heimlich malte; und Prisca erinnerte sich jetzt des Geschwätzes, das der Knabe Checco über das geheimnisvolle Bild geführt und dem sie damals keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Peter Paul hatte das große Bild im ersten Jahr seines römischen Aufenthaltes, also vor vollen vierzig Jahren, begonnen. Rom hatte ihn dazu begeistert. Nur in Rom konnte er es vollenden. Also war er in Rom geblieben.

Um sein großes Bild malen zu können, hatte er seit vierzig Jahren kleine Bilder hergestellt, lauter Heilige, vornehmlich San Sebastian. Dieser Heilige war Peter Pauls großer Liebling, weil er bei der jugendschönen, unverhüllten Gestalt wagen durfte, antik zu sein. Denn der alte Peter Paul, der in seinen jungen Jahren durch die allmächtige Wirkung Roms ein strenger Katholik geworden war, betete neben der süßen Mutter des Herrn in aller Unschuld auch die Schönheit an.

Zu winzigen Preisen hatte er seit fast vierzig Jahren die Scharen seiner Heiligenbilder an die Kunsthändler bei der Minerva und im Vatikanischen Borgo verkauft, von dem Erlös sein Leben gefristet – kümmerlich genug! – und daneben unermüdlich an seinem großen Bild weiter und weiter gemalt.

Er hatte – lange war es her! – die Berliner Geheimratstochter kennen gelernt, hatte sich in sie verliebt, sie aber nicht heiraten können. Erst mußte sein großes Bild vollendet sein!

Wenn das geschehen, wenn er durch sein großes Bild ein bekannter, ein berühmter Mann geworden, dann erst wollte er seine geliebte Friedrike heiraten. Denn es wäre gewissenlos von ihm gewesen, ihr Leben an das seine zu fesseln, bevor er nicht sein Ziel erreicht, sein großes Bild nicht vollendet hatte. So dachte er und wartete.

Es vergingen fünf und zehn Jahre. Es vergingen zwanzig, dreißig, vierzig Jahre! Und noch immer warteten die Verlobten geduldig auf die Vollendung des großen Bildes, warteten sie auf den Erfolg, den Ruhm, das Glück.

Vierzig Jahre waren verstrichen und bald, schon im nächsten Jahre, sollte das Bild vollendet sein.

Zweifellos würde die Nationalgalerie in Berlin Peter Pauls Bild ankaufen. Und dann, dann ...

Dann kamen alle guten Geister des Lebens zu den beiden alten Leuten. Sie drängten, sie stürmten herbei: der Erfolg, der Ruhm, der Reichtum, das Glück!

Nein! Der Reichtum brauchte nicht zu kommen. Nur der Erfolg, die Anerkennung und damit das Glück.

Die beiden hatten gar nicht gemerkt, daß sie über dem langen Harren und Hoffen allmählich alt geworden waren, recht alt. Herr Peter Paul Enderlin trug zwar noch immer seinen langen, kaffeebraunen Rock und seinen breitkrempigen, grauen Kastorhut, und des Fräulein Friedike Baumbachs bester Staat war noch immer ihr schwarzes Merinokleid, ihre schwarze Samtmantille und ihr schwarzer Federhut. Und immer noch jung waren ihre guten, treuen, tapferen Herzen; voll Vertrauen und Glauben an alles, was auf Erden edel und schön war, voller Liebe und Begeisterung für ihr einziges, herrliches Rom.

In Rom wurden die Menschen eben nicht alt! Rom war die Stadt der ewigen Jugend! Anderswo hätten sie dieses lange, lange Harren und Hoffen gar nicht ertragen können – in Rom, in ihrem einzigen, herrlichen Rom ertrugen sie es.

Nur eins war schlimm für die beiden alten Römer: das war die Welt dort drüben, die freilich für sie gar keine Welt war. Aber schließlich existierte sie nun doch einmal. Ja, man würde sich sogar entschließen müssen, Peter Pauls großes Bild, sobald es vollendet war, hinüberzuschicken, da die Berliner Nationalgalerie das Bild jedenfalls ankaufen würde. Bis es jedoch so weit war, und um das Bild in aller Seelenruhe vollenden zu können, war es am besten, möglichst wenig an jene Welt zu denken.

Es sollten neue Künstler erstanden, sollte eine vollständig neue Kunst geboren worden sein: die moderne Kunst, die so ganz anders war als die alte.

Diese sollte von der neuen Kunst abgetan, einfach beiseite geschoben worden sein, sozusagen totgeschlagen.

War das möglich? War die Kunst nicht – nun eben die Kunst? Die ewig gleiche, ewig unveränderliche, weil ewig göttliche, deren Wesen die Schönheit war?

Wer konnte an etwas Ewigem rühren und rütteln? Etwa die neue Zeit? Still davon, o still! In der Kunst gab es keine neue Zeit. Und wenn man gar in Rom lebte, in dem ewigen Rom, in dem Rom des Michelangelo und Raffael ...

Also davon nur ja nicht sprechen. Die neue Zeit und die neue Kunst totschweigen, solange wie möglich, bis das große Bild vollendet war. Dann würde die alte Kunst, die tot sein sollte, in Peter Pauls großem Bild ihr Auferstehen halten, ihren Triumph feiern. Denn das große Bild würde kommen, würde gesehen werden und einen Cäsarsieg erringen.

Niemand außer Fräulein Friederike hatte jemals Peter Pauls großes Bild gesehen. Es war ein tiefes Geheimnis. Jeder Blick eines andern auf sein Werk hätte den Künstler beunruhigt, verwirrt, erschreckt.

Natürlich war ein sehr großes Atelier notwendig gewesen. Einen solchen Raum hatte Peter Paul vor vierzig Jahren in einem alten Palast in der Via Giulia entdeckt, zwar etwas öde, aber herrlich groß. Da der Palast in der klassischen Via Giulia sehr alt und verfallen, also die Miete sehr billig war, hatte auch das prächtig gepaßt.

Fast vierzig Jahre hatte Peter Paul mit den Gestalten seines großen Bildes in dem Gemäuer am Tiber gehaust. Er hatte mit ihnen gelebt, als wären sie sein eigen Fleisch und Blut. Sie waren die Gefährten seiner Tage, die Vertrauten seiner Hoffnungen geworden, die er so heiß liebte, daß er im Grunde seines Herzens glücklich darüber war, sich noch nicht von ihnen trennen zu müssen.

Aber das sollte nun doch bald geschehen! Bald, bald sollten sie, die Seele von des Künstlers Seele waren, hinausziehen in jene ferne und fremde, in jene kalte und lieblose Welt: fort aus Rom, in welchem und durch welches sie entstanden waren.

Und Prisca Auzinger war würdig befunden worden, das große Bild anzuschauen. Am Nachmittag wollte Fräulein Rica sie abholen, um sie zu dem Palast in der Via Giulia zu begleiten.

Es würde für alle drei eine große Stunde sein.

Prisca war sehr dankbar, sehr gerührt und – sehr erschrocken. Sie konnte sich keine Vorstellung von einem Werke machen, an dem länger als ein Menschenleben gearbeitet worden war. Welche Erwartungen sollte es erfüllen? Die Hoffnung eines ganzen Menschenlebens. Wie – und wenn diese Hoffnung getäuscht wurde?

Zur bestimmten Stunde erschien Signorina Rica. Sie hatte für die festliche Gelegenheit ihr bestes Gewand angelegt und befand sich in Feiertagsstimmung. Jedenfalls zweifelte sie keinen Augenblick, daß Erfüllung, die schönste Tochter des größten Vaters, schließlich freundlich zu ihrem Peter Paul niedersteigen und den Rest seines Erdenwallens mit himmlischem Glanze füllen würde, für sein stilles Martyrium – denn ein solches war es trotz aller römischen Herrlichkeit, die Gloriole bildend.

Die Damen mußten an dem jungen Siegfried vorüber, der von der heißen Arbeit des Vormittags unter Rosen und Lorbeeren ausruhte, so in tiefster Seele vergnügt, so mit seinem scheußlichen Alten und sich selber zufrieden, daß ihm Prisca für seinen vertraulichen Gruß mit einem ganz bösen und höchst gemessenen Kopfnicken dankte, während Fräulein Friedrike den schönsten der Männer, »dessen Kultus des Häßlichen« bereits das Gespött der Kolonie geworden war, keines Blickes würdigte.

Auch dieser zweifelte keinen Augenblick an der Erfüllung seiner Hoffnungen, wie Prisca voll schmerzlichen Zornes dachte; denn sie blieb dabei, daß es schade um ihn war, wirklich jammerschade!

Sie hatten einen weiten Weg, aber das Wetter war herrlich, und es gibt nichts Köstlicheres, als an einem schönen Tage Rom zu durchschlendern.

Fröhlich wie ein ausgelassenes Schulkind an einem Feiertage stürzte sich Prisca mit ihrer Gefährtin in das bunte Gewühl römischen Lebens.

Wie diese Menschen schreien konnten! Empfindsamen Ohren mußten diese gellenden Töne barbarisch klingen; für solche von Gesundheit und Kraft strotzende Natur, wie sie des guten Glöckleins Prinzeß besaß, galten sie indessen als Äußerungen eines unbändigen Lebensdranges. Selbst das gewiß nicht liebliche Organ eines römischen Zeitungsjungen und Marktschreiers wirkte auf ihre Nerven erfrischend.

Sie gingen durch die Ripetta, dann an der Cancelleria und dem Palast Farnese vorüber. Fräulein Friedrike rief unaufhörlich:

»Sehen Sie doch! Aber so sehen Sie doch nur! Ist es nicht herrlich? Das Haus dort drüben ist aus dem Cinquecento! Und diese Fassade – ein echter Bramante! Und der Torso der Marmorstatue an der Ecke! Er könnte hellenisch sein! ... Lasen Sie die Inschrift auf dem antiken Gebälk? Sie wurde dem Augustus vom Senat dediziert ... Mein Gott, und dieses Gesicht! Ein wahrer Botticelli-Kopf ... Aber sehen Sie, so sehen Sie doch nur! Wo auf der Welt gibt es dergleichen, als einzig in Rom? Nun, ist es nicht göttlich?«

So ging es fort, in lauter Superlativen, jeder Satz dick unterstrichen und drei Ausrufungszeichen dahinter.

Das eine mußte Prisca zugeben: diese alten Römer wußten ihr geliebtes Rom zu genießen.

Die Straße des großen Papstes Giulio erreicht, war Prisca nach wenigen Schritten aus dem verwandelten und entstellten Rom der Modernen in dem Rom des Mittelalters angelangt. Wären die Gestalten des neunzehnten Jahrhunderts, die diese Straße von Palästen spärlich belebten, nicht gewesen, so hätte die Einbildung vollkommen sein können.

Wie von einem Zauber umfangen, schritt Prisca schweigend neben ihrer Führerin dahin. Auch das enthusiastische Fräulein war endlich stumm geworden. Durch weit offen stehende Tore blickte Prisca in einsame Hallen, aus denen prächtige Marmortreppen in das obere Stockwerk führten, in von majestätischen Arkaden umschlossene Höfe, darin üppig aufschießendes Unkraut zwischen gestürzten antiken Säulen und zertrümmerten Statuen wucherte. Manche Wand war über und über mit eingemauerten Resten des alten Rom bedeckt.

Überall Versunkenheit und Schlaf, Verfall und Verödung: das Gespenst einer toten Welt in Marmor und Travertin.

Bisweilen lehnte aus dem Fenster eines ehemaligen Kardinalpalastes ein Weib mit ungekämmtem Haar, im schmierigen Morgenkleid; eine sabinische Magd, die in einem altrömischen Sarkophag, der als Brunnen diente, ihre Wäsche spülte, schrie einen endlosen, unmelodischen Gesang ab.

Aus dem Hause, in das Prisca jetzt trat, schlug ihr eisige Kälte und Moderluft entgegen. Fröstelnd blieb sie unter der finsteren Wölbung der Eingangshalle stehen und schaute durch das ihr gegenüberliegende offene Tor auf eine mit grünem Unkraut bedeckte Terrasse, die über dem hier noch unregulierten Tiber lag. ›Lieber himmlischer Vater, laß mich immer in der Sonne leben!‹ so dachte sie, und der Gedanke war ein Gebet. Ungeduldig drängte Signorina Rica, die von dem Grabeshauch dieser Mauern nichts zu fühlen schien, zum Weitergehen. Die marmorne ehemalige Staatstreppe hinauf, an leeren Hallen und Sälen vorüber, höher und höher! Über den Türen gemalte verblaßte Wappenschilde; in den Wänden eingemauerte antike Inschrifttafeln und Fragmente von Bildwerken; auf Säulen und Konsolen Büsten römischer Kaiser und Päpste, überall dasselbe trauervolle, ruinenhafte Wesen, ein spukhaftes Etwas, das Prisca zuraunte: ›Der du hier eingehst, laß alle Hoffnung hinter dir. Hier wohnt das Hoffnungslose.‹

Im höchsten Stockwerk – unterwegs begegneten sie keinem lebenden Geschöpf, vernahmen sie keinen Laut – erreichten sie ihr Ziel. Peter Paul hatte ihre Schritte gehört und empfing sie vor seiner Wohnung. Prisca war so beklommen zumute, daß sie dem alten Herrn ihre Hand entgegenstreckte, ohne ein Wort sprechen zu können. Zum Glück wurde ihr Schweigen, sehr zu ihren Gunsten, als atemlose Erwartung auf das Große gedeutet, das sie im nächsten Augenblick erleben sollte.

Dann öffnete Peter Paul den Damen die Tür, schlug einen alten, schweren Teppich zurück; Prisca trat in einen saalähnlichen Raum, der sein Licht durch eine wundervolle weite Loggia empfing, und stand vor dem großen Bilde, der Lebensarbeit des alten Künstlers.

Sie stand davor und beschaute es lange, lange, ohne sich um Fräulein Friedrike und deren greisen Verlobten zu kümmern, ohne eine Bewegung zu tun, ohne ein Wort zu sagen, und – obgleich sie selbst eine Unmoderne war, hätte sie laut aufweinen mögen.

Das Gemälde nahm die ganze Hinterwand des großen Raumes ein, eine nach akademischem Rezept figurenreiche Komposition. Jede Gestalt war mit größter Ängstlichkeit auf den richtigen Platz gestellt und nach einem bestimmten Schema gemalt.

Die meisten Figuren mochten zwei-, dreimal, immer wieder und wieder umgeschaffen worden sein, mit unendlicher Sorgfalt, unter qualvoller Mühe. Und alles, alles lediglich visionär geschaut; nichts, gar nichts auch nur mit einem Schein der Wirklichkeit.

Dazu ein blasses Kolorit, ohne jede Leuchtkraft und von einer Wirkung, als wären die hundert und mehr Figuren eine Versammlung von Geistern.

Ein blasses Kolorit in der glanzerfüllten Luft des Südens, unter dem strahlenden Himmel Roms!

Das Gemälde stellte dar:

Kaiser Nero hat bei dem ersten Bacchanal in seinem über dem Schutt der niedergebrannten Hauptstadt errichteten goldenen Hause eine Vision: die Erscheinung des über das heidnische Rom triumphierenden Gottessohnes.

Eine Halle, deren goldenes Dach Säulen aus Blutjaspis tragen, deren Wände aus afrikanischem Leuchtstein gebildet sind. Die Decke öffnet sich, und auf das mit wahnwitziger Pracht gerüstete Gastmahl regnet es Rosen herab.

Über die Speisebetten Neros und seiner Gäste werden Purpurpolster gebreitet, werden Veilchen geschüttet, Massen von Veilchen, darin die Leiber der Schlemmer versinken.

Die schönsten Jünglinge, die schönsten Jungfrauen des Reiches sind des Cäsars Geladene. Sie tragen schwere Kränze von weißen Narzissen und gelben Lilien im Haar.

Während die Orgie um Nero rast, ist dieser aufgesprungen. Acte, seine hellenische Geliebte, die ihn küssen wollte, hat er von sich geschleudert. Das Haupt des reizenden Kindes fiel gegen den Fuß einer Säule und zeigt eine klaffende Wunde, daraus Blut strömt.

Nero ist in wallende Gewänder aus Goldstoff gehüllt und mit Lotusblumen bekränzt. Vor seinen trunkenen Blicken ist die Wand der strahlenden Halle, dem Polster des Imperators gegenüber, zurückgewichen. Der Herr der Welt erblickt ein in Trümmer gesunkenes Rom. In Trümmer liegen die Tempel, die Altäre, die Bildsäulen der Götter und der göttlichen Kaiser. Und über diesem gestürzten Rom schwebt eine stille, lichte Gestalt zu einem geöffneten Himmel voll seliger Geister empor.

Das Haupt des Leuchtenden trägt eine Dornenkrone, aber die grauen Stacheln treiben wundersame Blüten, deren Kelchen himmlischer Glanz entströmt. An Händen und Füßen strahlen die Wundmale, durch die Falten des weißen Gewandes schimmert die Narbe des Speerstichs. Mit einem Antlitz voll göttlichen Erbarmens, mit einem Meer von Gnade im Blick sieht Christus auf den Imperator hinab, in dessen vom Cäsarenwahnsinn verzerrten Zügen sich bleiches Entsetzen malt.

Ohne sein Auge von dem Allerbarmenden zu wenden, greift Nero hinter sich, um einen goldenen Dreifuß zu packen, diesen nach der himmlischen Erscheinung zu schleudern. Aber Christi Blick scheint seinen Arm zu lähmen ...

Das Wollen des Künstlers, der diese Komposition erdacht, war gewaltig gewesen; aber sein Unvermögen lähmte seine Schöpferkraft.

*

Prisca starrte auf die wie aus Holz geschnittenen toten Gestalten, die in der Idee des Künstlers ein unvergängliches Dasein führen sollten. Sie wagte nicht umzuschauen; sie fand nicht den Mut, ein bewunderndes Wort zu äußern, eine fromme Lüge zu sagen.

Da hörte sie dicht neben sich Fräulein Friedrike leise aufschluchzen und mit erstickter Stimme ihr zuflüstern:

»Ist es nicht groß? Sehen Sie, ach, sehen Sie doch nur! Ist es nicht groß? Ein Meisterwerk, das größte Kunstwerk unsers Jahrhunderts! Eine Welt von Gedanken! Und wie gedacht, wie dargestellt! Nun sie das Bild sahen, werden Sie mir beipflichten müssen, nur in Rom konnte ein solches Werk entstehen! Und selbst hier war es nur dadurch möglich, daß der Künstler von der ganzen Welt sich abwendete. Und er hat Recht gehabt. Es war oft recht schwer, und wir haben oft ... Aber das ist jetzt alles vorüber. Wenn Sie wüßten, ach, wenn Sie wüßten ... Ein ganzes Menschenleben, sage ich Ihnen, ein Künstlerleben! Jetzt sehen Sie es erfüllt. Aber niemand kann ahnen ... Nur ich allein; denn ich half ihm auch dabei. Nur etwas. Ich meine im Ausharren und Dulden und Hoffen. Ach, mein liebes Fräulein! ...

Und die über diesem Werke alt gewordene Künstlerbraut, deren ganzes Leben von dieser einen, glänzenden Hoffnung getragen ward, begann bitterlich zu weinen.

Prisca umfaßte die Schluchzende mit beiden Armen und führte sie sanft hinaus auf die Loggia, wo die Sonne Roms so hell und frühlingswarm schien. Unmöglich konnte sie ihr sagen, daß dieses Werk eines Menschenlebens ein verfehltes und verpfuschtes sei. Aber nein – nicht verfehlt! Denn es wurde verklärt und erhoben durch die höchste, reinste Liebe einer edeln, alles erduldenden Frauenseele.

Wie aber, wenn die Erkenntnis kam?

Dann würde des armen Künstlers himmlische Liebe auf Erden ihm helfen, auch das zu ertragen.


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