Richard Voß
Römisches Fieber
Richard Voß

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6. Die Fahrt ins gelobte Land

An diesem Tage fiel Priscas letzter Blick aus dem Wagenfenster unmittelbar hinter Ala auf lange Strecken öder Schneefelder. Dann schlief sie trotz aller Erwartung und Aufregung fest ein.

Als sie erwachte, glaubte sie zu träumen. Im hellen Morgenlicht frühlingsgrüne Felder mit schlanken Bäumen, deren Stämme und zartes Laubwerk in hellem Silberglanz leuchteten. Die glanzvollen Haine stiegen aus der Ebene in weichen Wellen hügelan, umhüllten helle, mit fröhlichen Altanen geschmückte Landhäuser und ließen die schimmernde Laubflut ihrer Wipfel um schöngeformte Höhen branden.

Hierauf ein ausgedehntes Tal, von lieblichen Bergketten umschlossen, mit grauen Städten auf den Gipfeln, die sich in langgeschwungenen, herrlichen Linien über den Ölwäldern hinzogen.

Jetzt eine große Stadt.

Schlanke Türme, Kuppeln, Paläste, immergrüne Gärten. Mitunter eine steife, hohe Zypresse, scharf die Luft durchschneidend.

Der Zug hält. Laute einer fremden, klangvollen Sprache schlagen an Priscas Ohr.

»Firenze!«

Prisca Auzingers Kindertraum war erfüllt, war zur Wahrheit geworden!

In Florenz stieg ein junger Deutscher zu Prisca, der es seltsam vorkam, daß alle Welt nicht voller Erstaunen sie anstarrte: ›Wie kommst denn du nach Italien?‹

Prisca mußte aber ihrerseits den Landsmann immerfort anschauen, ein Benehmen, über dessen Unschicklichkeit das Glöcklein einfach außer sich geraten wäre. Indessen, ein deutscher Reisegefährte auf dem Wege zwischen Florenz und Rom! Und dann: genau so mußte ihr armer Vater ausgesehen haben, bevor er ihre arme Mutter geheiratet hatte.

Der junge Fremde war hünenhaft groß. Eine schlanke, athletische Gestalt, helles, gelocktes Haar um ein Gesicht, darauf es wie ein Schimmer unsterblicher Jugend lag. Die blauen, strahlenden Augen, die tiefroten, lachenden Lippen – Prisca Auzinger, voll harmloser Freude über das sonnige Menschenkind, gestand sich: ›Das ist der schönste Mann, den du jemals sahst.‹

Auch sie schien dem Reisegefährten aufzufallen und ihm, seinem warmen Blick nach zu urteilen, sehr sympathisch zu sein, ein Geschmack, der des Glöckleins lieber Langen unverständlich erschien. Er mußte sie ja grundhäßlich finden! Besonders wenn er von ihr hinweg auf diese paradiesische toskanische Landschaft blickte.

»Wie schön! Wie wunderschön!«

Prisca rief es unwillkürlich laut aus bei dem Anblick eines mit Zypressen und Steineichen bewachsenen braunen Tuffsteinhügels, der wie ein Gemälde von Böcklin auf der saftgrünen, mit gelben Blumen gesprenkelten Wiese inmitten von Sonnenfluten dalag. In ihrer Begeisterung hatte sie gar nicht daran gedacht, daß sie nicht mehr allein war.

»Reisen Sie etwa um der Schönheit willen nach Italien, mein Fräulein?« rief eine wohllautende Männerstimme spöttisch.

Das war nun eine seltsame Frage! Verdutzt wandte sich Prisca nach dem Sprecher um, dessen ganzes Gesicht leuchtende Heiterkeit und Schönheit war.

»Aber, mein Gott! Reisen denn Sie nicht um der Schönheit willen nach Rom?«

»Ich? Ganz und gar nicht! Das sollte mir einfallen. Um der Schönheit willen? Gewiß nicht!«

Prisca mißtraute ihren eignen Ohren.

»Weshalb gehen Sie sonst nach Italien?«

»Ich habe für Rom vom Staat ein Stipendium erhalten. Also muß ich in Gottes Namen von Staats wegen nach Rom gehen.«

»Wie sonderbar Sie das sagen. Sind Sie Archäolog oder Historiker?«

»Keines von beiden, sondern Maler.«

»Ja, aber –«

»Das scheint Sie in Erstaunen zu versetzen?«

»Ich verstehe gar nicht ... Sie sagten doch vorhin, daß Sie nicht um der Schönheit willen nach Rom gingen?«

»Ganz gewiß nicht.«

»Aber Sie sind doch ein Künstler?«

»Und zwar ein leidlich guter. Wenigstens halte ich mich selbst für einen solchen. Was die andern zu meiner Malerei sagen, das gesamte kunstsinnige Publikum, kümmert mich nicht im geringsten. Das Stipendium hat man mir doch geben müssen. Wäre es wenigstens für Holland oder die Normandie gewesen, anstatt für dieses typische, langweilige Rom.«

Prisca stammelte:

»Verzeihen Sie, aber ich verstehe Sie wirklich nicht. Sie müssen nämlich wissen, daß ich selbst Malerin bin und eben jetzt im Begriff stehe, die Erfüllung meines sehnlichsten Wunsches zu erreichen.«

»Ach so! Sie gehen nach Rom, um in der ewigen Stadt mit Pinsel und Palette der sogenannten »göttlichen Schönheit« zu Leibe zu gehen?«

Und der »Schönste der Männer« brach in ein herzliches Lachen aus, das so sonnig war wie der ganze Mensch.

Immer verwirrter wiederholte Prisca:

»Ich verstehe Sie ganz und gar nicht.«

»Sehr einfach: alles Schöne – was man so nennt – ist mir unleidlich, ist mir geradezu verhaßt. Eine sogenannte schöne Landschaft, schöne Beleuchtung, schöne Linie und vor allem einen schönen Menschen finde ich unausstehlich. Für mich ist nur das sogenannte Häßliche schön.«

»Also darum gefalle ich dir,« dachte die ehrliche Prisca inmitten ihres Entsetzens. Sie mußte sich eine Weile besinnen, ehe sie den fanatischen Anbeter des Unschönen fragen konnte:

»Und was malen Sie eigentlich?« Fast hätte sie hinzugesetzt: Sie Unglücklicher?

»Was ich male? Alles, was mir gefällt. Also alles, was man allgemein häßlich findet.«

»Zum Beispiel?«

»Einen häßlichen Menschen, eine häßliche Mauer. Oder eine langweilige Landstraße, oder den niederträchtigsten Regenhimmel, und was in solche Lust paßt: eine in Lumpen gehüllte Gestalt, ein Kehrichthaufen, eine Pfütze, oder sonst etwas recht Trostloses und sogenannt Unschönes.«

Er sagte das mit solchem heiligen Ernst, solcher inbrünstigen Überzeugung, daß jede Übertreibung ausgeschlossen schien. Dabei kam er Prisca von Minute zu Minute strahlender und schöner vor, in Wahrheit eine glanzvolle Menschengestalt.

»Und Sie gehen nach Rom,« sagte sie nach einer Weile leise, fast traurig. »Werden Sie auch in Rom malen?«

»Gewiß. Ich lebe nur, wenn ich arbeite. Und ich will unersättlich leben. Denken Sie doch, wie jung ich noch bin!«

»Aber was werden Sie denn in Rom malen? Bitte, stellen Sie sich das doch nur vor: in Rom!«

»Ich werde mir in Rom ein möglichst großes Atelier mieten, mir darin eine möglichst große Leinwand aufspannen und irgendeine römische Straßenszene malen. Etwa ein altes, fieberkrankes Weib, gegen eine zerbröckelnde Mauer lehnend. Oder sonst etwas dergleichen.«

»Sie werden aber doch in den Vatikan gehen?«

»Zum Heiligen Vater?«

»Zu Raffael und Michelangelo.«

»Aber wozu denn?«

Prisca sah von jetzt ab steif aus dem Fenster. Sie fuhren am Berg Soracte vorbei, und das große Epos der römischen Landschaft begann.

Obgleich der junge Fremde Prisca weniger anging als der antike Meilenstein draußen an der Landstraße, fühlte sie doch gegen ihn Zorn und Schmerz im Herzen. Er war ein Deutscher! Und die gute Seele schämte sich ihres Landsmanns mit dem strahlenden Siegfriedgesicht und dem sonnigen Lachen.


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